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Der Professor kommentierte im Vorbeigehen das Gelände.
„Hier soll er Simon von Kyrene begegnet sein, wobei ich vielleicht erwähnen sollte, dass Papst Klemens VI der erste war, der die Geschichte im vierzehnten Jahrhundert bestätigt hat; und wir wissen ja schließlich alle, wie viel Vertrauen man in die katholische Kirche setzen darf, wenn es darum geht, die historische Wahrheit zu ergründen.“
Dort, wo Jesus angeblich dem Mann begegnet war, den die Römer angewiesen hatten, sein Kreuz zu tragen, stand nun ein kleiner Verkaufsstand mit Magazinen, die alle von sich behaupteten, die schmutzigsten Details aus dem Leben israelischer Berühmtheiten zu enthüllen. Die vier Reisenden reagierten jedoch nicht, als der Zeitungsverkäufer ihnen mit den Hochglanzmagazinen vor der Nase herumwedelte. Miss Copperfield hielt sich an Herrn Hellmanns Arm fest. Es gab viele andere Gruppen von Touristen, die ebenfalls dem Kreuzweg folgten, die meisten schienen tief religiös zu sein. Der Weg war eine beliebte Attraktion all jener, die das Gefühl hatten, dass sie Gott näher kommen konnten, wenn sie auf Jesus‘ Spuren wandelten.
Mark dachte sich nicht viel bei der Gruppe von Männern, die ihnen nun schon seit einer guten Meile folgte, denn er hatte keinen Grund zu vermuten, dass sie irgendetwas im Schilde führten. Doch das taten sie. Plötzlich ging alles ganz schnell. Schüsse hallten durch die Straße, und bevor einer von Reginalds Bodyguards etwas unternehmen konnte, waren sie auch schon ausgeschaltet. Als ihre Körper auf dem Boden aufschlugen wirbelten sie kleine Staubwolken auf. Einem von ihnen war es gelungen, nach seiner Waffe zu greifen, doch sie fiel ohne auch nur einmal abgefeuert worden zu sein zu Boden. Reginald wurde brutal zu Boden gestoßen und der Professor, Kathy und Mark an den Schultern gepackt. Ein Land Rover kam die Straße entlang geschossen und ließ die Gläubigen in alle Richtungen auseinander laufen, bevor er mit quietschenden Reifen anhielt und eine Tür aufgestoßen wurde. Die drei Reisenden wurden unsanft auf die Rückbank geschoben. Während der Wagen davon schoss fanden sich Mark, Kathy und der Professor von zwei Waffen bedroht wieder, eine vom Beifahrersitz aus, eine von der Rückbank neben ihnen. Der Mann, der mit ihnen auf der Rückbank saß und Mark in den Wagen gestoßen hatte, nahm seine Maske ab und grinste sie an.
„Willkommen an Bord, meine Freunde“, lachte er. Als die beiden Männer auf den Vordersitzen mit einstimmten, gefror Mark das Blut in den Adern.
Sie wurden angewiesen, nicht zu sprechen, und als Kathy sich widersetzte, schlug einer der Männer ihr mit dem Griff seiner Pistole auf den Schädel, und sie sackte zusammen. Mark wollte nach ihr greifen, wurde jedoch von derselben Pistole, deren Mündung nun an seine Schläfe gepresst wurde, davon abgehalten.
„Deine Süße wird schon wieder aufwachen. Sie macht nur ein Nickerchen. Warum machst du es nicht wie dein Kumpel hier?“ Er nickte in Richtung des Professors, der mit gesenktem Kopf und auf dem Schoß gefalteten Händen dasaß und seine Entscheidung zu bedauern schien, seinen Kunsthandel für das hier verlassen zu haben.
„Sie haben sich da mit einem sehr mächtigen Mann angelegt“, sagte Mark. „Das werden Sie bereuen.“
„Das bezweifle ich“, sagte er. Als er Mark die Waffe über den Schädel zog, wurde alles um ihn herum dunkel.
Als Mark erwachte, waren seine Handgelenke hinter seinem Rücken gefesselt, und er atmete muffige Luft. Er war irgendwo unter der Erde. In der Wand befand sich ein kleines vergittertes Fenster, das auf Augenhöhe gewesen wäre, wenn er hätte aufstehen können. Er blinzelte, und langsam gewöhnten sich seine Augen an die schlechten Lichtverhältnisse. Er konnte sehen, dass er in einer Art Zelle mit Lehmboden und –wänden war. Dicke Gitterstäbe auf der einen Seite der Zelle waren das einzige, was nicht aus Lehm gemacht war. Ihm gegenüber, auf der anderen Seite der Gitterstäbe, befand sich der Professor. Er sah aus als schliefe er – das hoffte Mark zumindest, denn an die andere Alternative wollte er lieber nicht denken.
Er versuchte aufzustehen, bemerkte jedoch, dass er auf eine Art und Weise gefesselt worden war, die schon den Versuch höchst schmerzhaft machte. Er schrie auf und ließ sich wieder fallen. Er robbte über den Boden der Zelle und hustete dabei den Staub aus seinem Mund. Jeden Meter musste er anhalten und sich ausruhen, denn es war ausgesprochen anstrengend, sich auf diese Art fortzubewegen. Er war stolz auf sich, als er die Gitterstäbe erreicht hatte, doch plötzlich tauchten vor ihm ein paar auf Hochglanz polierte Stiefel auf.
„Hallo“, schnurrte eine Stimme. „Herr… Hellmann“, bevor sie freudlos lachte und Mark hörte, wie ein Schlüssel im Schloss umgedreht wurde.