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Schweigend fuhren sie gemeinsam zur Bank, während Mark auf dem Beifahrersitz, der Professor und Kathy auf der Rückbank saßen und Gabriel fuhr.
Mark trug den dunkelblauen Anzug mit der Krawatte und der passenden Krawattennadel, die ihn als Bankangestellten auswies. Gabriel trug normale Straßenkleidung: Jeans und ein weißes Hemd. Kathy hatte die Uniform für Schaltermitarbeiter angezogen und zupfte nervös an ihrem Halstuch herum, als wäre es ein Galgenstrick, den sie loswerden wollte. Sie hatten Arrangements getroffen, um auf dem Angestelltenparkplatz der Bank auf der anderen Straßenseite parken zu können. Gabriel hatte irgendwie den entsprechenden Aufkleber aufgetrieben, der nun auf der Fahrerseite des Kleinbusses angebracht war – er war nicht gerade ein Mann, der sich mit Erklärungen aufhielt, wo er sie für nicht nötig hielt, und die anderen mussten sich damit abfinden.
Als sie aus dem Kleinbus ausstiegen, klappte der Professor den Laptop auf, den Gabriel ihm am Vortag gegeben hatte. Mark gab ihm ein „Daumen hoch“, und Kathy warf ihm ein etwas gequältes Lächeln zu.
Beide betraten die Bank um 07:34 Uhr, da hatte sie schon seit vier Minuten geöffnet. Sie waren sich nicht bewusst gewesen, wie schnell danach alles gehen sollte. Luc nickte ihnen zu, als sie durch den Haupteingang des Gebäudes gingen. Er stand neben der Tür und trug die Uniform des Wachdienstes, die sie zwei Tage zuvor aus dem Lagerhaus geholt hatten. Mark erschauderte beim Gedanken daran, in welcher dunklen Gasse der Mann, der normalerweise an Lucs Stelle stand, nun lag. Schnell verdrängte er den Gedanken. Wie man ihnen gesagt hatte, wartete ein freier Platz am Schalter direkt neben der Tür auf sie und ein Schreibtisch mit einem Namensschild auf dem stand: Markus Zeims, Kundenberater, ebenfalls in der Nähe der Tür. Das Schicksal dieser beiden Bankangestellten war etwas, worüber weder Kathy noch Mark gerne nachdenken wollten. Sie folgten einfach ihren Anweisungen und nahmen ihre Plätze ein.
Mark nahm am Schreibtisch Platz und lockerte seine Krawatte ein wenig. Er loggte sich mit dem Passwort 52302 wie angewiesen am Computer ein und surfte im Internet, um beschäftigt auszusehen. Kathy nahm ihrerseits ihre Position ein und betete insgeheim, dass niemand etwas von ihr wollte, bevor Gabriel die Bank betrat.
Pünktlich um 07:41 kam Gabriel in die Schalterhalle. Er hörte dem Professor über den Ohrhörer zu, der ihn informierte, dass die Polizeifrequenzen sauber waren. Offensichtlich hatten alle dicht gehalten.
„Gut“, murmelte Gabriel mehr zu sich selbst.
Er ging ruhig zu der Stelle, an der Kathy stand und tat so, als hätte er sie noch nie zuvor gesehen.
„Guten Tag“, sagte er knapp. „Ich muss sofort zu meinem Schließfach.“
„Sir, ich bin Ihnen gerne behilflich, es dauert nur einen kleinen Moment“, sagte sie.
„Schnell bitte. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.“
Kathy nahm den Hörer ihres Telefons in die Hand und wählte die vier, die direkte Durchwahl zu Marks Schreibtisch. Sie waren kaum zehn Meter voneinander entfernt, doch Mark nahm den Hörer ab, um den Schein zu wahren.
„Herr“, sagte sie und lächelte Gabriel dabei an. „Ähm, Sir, wie war noch einmal Ihr Name?“
„Lundgren.“
„Herr Lundgren möchte gerne an sein Schließfach.“
„Schicken Sie ihn zu mir, bitte.“
Kathy erklärte Gabriel, dass Herr Zeims, einer der Kundenberater, ihn erwartete. Als Gabriel an Marks Schreibtisch kam, reichte er ihm die Hand.
„Markus Lundgren“, sagte er.
„Angenehm. Ich nehme an, Sie haben Ihre Codes, Sir?“
„Selbstverständlich.“
Er reichte Mark ein Stück Papier. Es war in der Mitte gefaltet und vollkommen leer. Mark warf einen Blick darauf und nickte.
„Sehr gut. Hier entlang bitte.“
Fetzen eines lauten Gesprächs drangen durch die Lobby zu ihnen hinüber, als Mark Gabriel zum Tresorraum führte.
Beim letzten Meeting vor der Operation hatten sie alle Grundrisse der Bank erhalten und Mark hatte einen Großteil der Nacht damit verbracht, sie sich einzuprägen. Er wollte sich lieber nicht vorstellen, was passieren würde, wenn er irgendetwas vergaß. Doch im nächsten Augenblick war all das egal, denn ein Schuss hallte durch das Foyer des altehrwürdigen Gebäudes.
Sie wirbelten herum und sahen einen Mann, der vor Luc auf dem Boden lag. Offensichtlich hatte er Luc von irgendwoher gekannt und ihn gefragt, wann er angefangen hatte, für diese Bank zu arbeiten.
Im nächsten Moment brach die Hölle los. Gabriel zog eine Waffe und schrie Mark an.
„Los!“
Während sie in Richtung des Tresorraums rannten, sprang plötzlich ein Wachmann hinter ihnen auf den Flur und schrie ihnen nach, dass sie stehenbleiben sollten. Mark erstarrte. Gabriel jedoch drehte sich kaltblütig um und jagte dem Mann ein 9mm Geschoss aus seiner Desert Eagle Mk VII in den Schädel.
„Weiter“, rief er Mark zu, der jedoch von seinen Lippen lesen musste, da ihm die Ohren noch von dem Schuss klangen.
„Wo sind die anderen?“, fragte Mark.
Damit meinte er die beiden anderen Männer, die an der Operation beteiligt waren. Es war geplant gewesen, dass sie in den Tresorraum nachkamen, sobald Mark und Gabriel dort eingetroffen waren. Laut Plan sollten Mark und Gabriel vor dem Tresor ankommen, wo Mark „bemerken“ sollte, dass er seine Schlüsselkarte vergessen hatte; über Intercom hatten sie einen anderen Kundenberater rufen wollen, damit dieser seine Karte brachte. Luc hätte ihm folgen sollen, und bevor der Kundenberater überhaupt bemerken konnte, dass Mark kein Angestellter der Bank war, hätte Luc ihn KO geschlagen und seine Schlüsselkarte nehmen sollen. Im Tresorraum angekommen, sollten die beiden andern Männer – professionelle Tresorknacker –dann ein bestimmtes Schließfach aufbrechen.
Gabriel antwortete ihm nicht; er lauschte den Worten des Professors: „Alle Polizeieinheiten innerhalb eines fünfzehn-Kilometer-Radius sind unterwegs hierher.“
Luc kam mit einer Schlüsselkarte den Flur heruntergerannt, die er zweifellos dem Toten abgenommen hatte. Er reichte sie Gabriel, der sie durch das Lesegerät zog und schon schwangen die schweren Türen langsam auf.
Der Tresorraum war größer, als Mark ihn sich je vorgestellt hätte. Auf mehreren Ebenen, die um ein großes quadratisches Loch im Boden angeordnet waren, das mit Brüstungen abgesichert war, reichten Metalltüren vom Boden bis zur Decke, und auf der anderen Seite des Raumes befand sich ein Aufzug, auf den Gabriel zuging. Mark folgte ihm staunend, während Luc an der Tür stehen blieb. Mark fiel es schwer, die Ruhe zu bewahren, und er fragte sich, wie alles nur so schnell so schrecklich schief gegangen war.
Im Aufzug tippte Gabriel die Nummer von Schließfach # 23756 ein, und der Aufzug brachte sie auf die zweite Ebene.
„Und wie kommen wir rein?“, fragte Mark.
„Auf die altmodische Tour“, grinste Gabriel.
Als sie vor dem Schließfach ankamen, das sich als Tresorraum im Tresorraum herausstellte, starrte Gabriel die Tür einen Augenblick lang an. Er verschwendete jedoch keine Zeit. Mark konnte nur entsetzt zusehen, wie Gabriel etwas, das wie ein Zünder aussah, und anschließend eine Art Kitt aus seiner Umhängetasche zog. Er wickelte den orangefarbenen Kitt aus der Verpackung, auf der mit dicken Lettern Semtex gedruckt stand, und fing an, den „Kitt“ – bei dem es sich um Plastiksprengstoff handelte - um die Tür herum zu verteilen.
„Man muss immer einen Plan B bereit haben, Lockheed. Immer.“
„Sie wollen das Ding da doch nicht etwa hochjagen, oder?“
„Und ob.“
„Aber was ist mit dem Leichentuch?“
Gabriel hielt inne, richtete sich auf und legte seine Hände auf Marks Schultern.
„Eines sollten Sie sich merken, mein lieber Lockheed. Wenn ich die Trinität nicht haben kann, dann soll sie auch kein anderer bekommen.“
Er brauchte weniger als fünf Minuten, um den Sprengstoff und den Zünder an der Tür zu befestigen und mit dem Aufzug wieder nach unten zu fahren. Als sie auf der unteren Ebene angekommen waren, zog er sein Handy aus der Tasche.
Auch wenn Mark kein sonderlich gläubiger Mensch war, fing er an zu beten.