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Gabriel Mizrahi war ein geduldiger Mann. Er befand sich in Santander und harrte der Dinge. Zumindest war sein alter Freund so nett gewesen, ihn in eine so schöne Stadt zu bringen. Seine treuen Mitarbeiter würden ihn finden. Es könnte eine Weile dauern, doch sie würden ihn finden. Er verbrachte seine Zeit damit, an den Booten zu arbeiten, stets begleitet von zwei namenlosen Wächtern. Unter den Männern, mit denen Gabriel arbeitete, gab es viele Gerüchte und Theorien darüber, wer die Männer waren, mit denen Gabriel lebte.
Es war eine wunderschöne Strandvilla, die er mit den beiden Männern teilte. Die anderen Männer, die an den Booten arbeiteten, versuchten, irgendetwas aus Gabriel herauszubekommen, doch Gabriel beharrte darauf, dass sie seine „Bodyguards“ waren, was nicht ganz gelogen war. Er ging nie näher darauf ein und erklärte auch nicht, warum ein Bootsbauer einen Bodyguard brauchte und erst recht zwei. Sie bekamen nichts aus ihm heraus. Er arbeitete und blieb allein. Er schien ein erfahrener Seemann zu sein, doch er redete nie davon, wo er in der Vergangenheit gearbeitete hatte. Für die Männer am Strand war er ein Geschenk. In den Monaten, in denen Gabriel Mizrahi bei ihnen war, hatten sie beim Mittagessen immer ein Gesprächsthema.
Santander war eine überwiegend touristisch geprägte Stadt. Die Fischerei war das einzige, was noch wirklich traditionell war. Nicht, dass es kein schöner Ort war, doch man konnte wie die Touristen nur begrenzte Zeit die Straßen und Strände bestaunen, bevor sie verdorben und alltäglich wurden. Die Einheimischen blieben weitgehend unter sich und ihre Lieblingsplätze wurden nur selten von Touristen besucht – von ein paar ganz wagemutigen einmal abgesehen, die von ausgetretenen Pfaden abwichen.
Gabriel hatte kein Problem, sich in die lokale Routine einzuordnen und für sich zu bleiben. Ein paar der Männer an den Docks behaupteten, ihn gelegentlich im Stadtzentrum zu sehen. Dort kaufte er immer Bücher und trug sie an die Küste. Sie nahmen an, dass er eine Menge Zeit zum Lesen hatte, da er die Villa nur verließ, um zur Arbeit zu gehen und Bücher zu kaufen. Was war mit ihm los? Das sollten sie nie herausfinden. Eines Morgens kam er einfach nicht zur Arbeit und kehrte nie wieder zurück. Sie tratschten noch ein paar Wochen nach seinem Verschwinden über ihn, doch irgendwann vergaß das schläfrige kollektive Bewusstsein der Einwohner von Santander Gabriel Mizrahi, und es war, als wäre er nie da gewesen.
An dem Morgen, an dem er nicht mehr zur Arbeit gekommen war, hatte er es ernsthaft vorgehabt. Doch als er in der Frühstücksecke der Villa ankam, fand er seine beiden „Bodyguards“ zusammengesackt über ihren Kaffeetassen – tot. Vorsichtig hatte er ihren Puls gefühlt. Sie waren wirklich tot. Es stimmte ihn froh und keineswegs alarmiert. Er folgte seiner morgendlichen Routine wie an jedem anderen Morgen auch. Er rührte Pulverkaffee in das kochend heiße Wasser in seiner Tasse und setzte sich an den Fensterplatz der Essecke. Gleich mussten sie vorbeikommen. Er beobachtete, wie ein Tourist, der versuchte, Parasailing zu lernen, von einer Welle umgeworfen wurde und kicherte. Als er hörte, wie die Haustür der Villa geöffnet wurde, nahm er einen großen Schluck von seinem Kaffee und rieb seine Hände an seinem Seemanns-Overall. Er würde sich umziehen müssen und nahm an, dass sie Kleider für ihn mitgebracht hatten.
„Hallo“, sagte er, als sein Mitarbeiter in die Küche kam. „Gute Arbeit.“
„Mr. Mizrahi“, sagte der Mann und verneigte sich vor ihm. „Tut mir leid, dass wir so lange gebraucht haben, sie zu finden.
Gabriel hob die Hand, um den Mann und seinen anderen Mitarbeiter zum Schweigen zu bringen, der nun ebenfalls den Raum betrat.
„Ich danke Ihnen für Ihre Dienste. Ihnen beiden. Ich wusste, dass ich mich darauf verlassen konnte, dass sie mich finden würden. Wie lange es gedauert hat, ist dabei unwichtig. Santander ist schön, auch wenn die Einheimischen ein wenig neugierig sind.“
Er lachte, und seine Männer lachten mit ihm, wenn auch ein wenig irritiert über die gute Laune ihres Bosses.
„Wenn Reginald so schlau wäre, wie er immer tut, hätte er mich getötet, nicht wahr?“, sagte er und trank seine Tasse aus. Seine Männer schwiegen. „Schon in Ordnung“, sagte er. „Es ist nun einmal so. Er hat es nicht übers Herz gebracht. Doch jetzt wieder zurück an die Arbeit. Hat jemand eine Idee, wo wir als nächstes hin müssen?“
„Zurück nach Paris?“, fragte einer seiner Männer zögerlich.
Gabriel klatschte erfreut in die Hände.
„Ja, mein Freund! Ja! Wirklich gut gemacht!“