Phosphorus

Grundzug: Mangel an Grenzen

Phosphor wurde bisher immer sehr positiv beschrieben. Homöopathen halten Phosphor im allgemeinen für den nettesten Menschen und den Typ, zu dem jeder gehören möchte. Viele Phosphor-Menschen sind tatsächlich strahlend, liebevoll und spirituell, aber die Wahrheit ist nie so einfach, jedenfalls nicht, wenn es um die psychologischen Typen geht. So wie es ein Kontinuum gibt vom Sulfur-Menschen mit dem geringsten Bewußtsein bis zu jenem mit der höchsten Geistesklarheit, wobei ersterer alle negativen und letzterer alle positiven Charakteristika des Typs ausprägt, so gibt es ein ähnliches Kontinuum auch bei Phosphor-Menschen. Nicht alle Phosphor-Typen sind freigebig und spirituell orientiert. Der weniger entwickelte Phosphor gibt, wenn es ihm paßt oder wenn er gute Laune hat, aber er kann genausogut egozentrisch und rücksichtslos sein.

Die Essenz, die sich bei Phosphor überall zeigt, ist ein Mangel an persönlichen Grenzen, der sowohl die positiven als auch die negativen Charakteristika bestimmt. Die meisten Menschen entwickeln in der Kindheit eine Ego-Identität, die sie vom Rest der Welt unterscheidet. Bevor das geschieht, fühlt sich das Kind eins mit seiner Umgebung, vor allem mit seiner Mutter. Diese Ego-Identität besteht aus Hunderten von Grenzen oder Bedingungen, die festlegen, wie das Kind sich selber sieht und wie es sich zu seiner Umgebung in Beziehung setzt. Sie besteht überwiegend aus Meinungen und Glaubenssätzen und ist deshalb im wesentlichen intellektueller Art, denn es ist der Intellekt, der unterscheidet und analysiert, zurückweist und billigt. Im Laufe der Zeit leben die meisten Kinder mehr und mehr in ihrem Intellekt, und wenn das geschieht, fühlen sie sich immer stärker von ihrer Umwelt getrennt, denn sie erfahren diese Umwelt nicht mehr direkt, sondern nur noch durch den Filter ihres Ego oder Intellekts. Das Ego umfaßt auch Emotionen, die bei dem kleinen Kind zunächst unpersönlich waren, weil es keine Person gab, auf die es diese Gefühle hätte beziehen können. So badete das Kind in Wellen von Zufriedenheit oder Furcht, ohne zu wissen, warum es zufrieden war oder sich fürchtete, ja ohne auch nur zu wissen, daß es so empfand. Es waren einfach Gefühlsnoten, die die ganze Erfahrung durchdrangen. Wenn jedoch der Intellekt erst einmal aufgebaut ist, gibt es eine Person, die ihre Gefühle identifizieren kann und sagt: »Dies ist mein Ärger und meine Angst.« Die Person kann ihren Gefühlen bis zu einem gewissen Grad auch entkommen, indem sie sich von ihnen abspaltet.

Der Prozeß der Identifikation mit dem Intellekt vollzieht sich beim Phosphor-Menschen nur teilweise und unvollständig. Phosphor neigt dazu, die Welt wie ein kleines Kind zu erleben. Die sinnlichen Stimuli sind für Phosphor lebendiger und direkter, weil sie nicht im selben Ausmaß wie bei anderen Menschen durch den Verstand gefiltert werden (Kent: »sensibel für äußere Eindrücke«), infolgedessen wirken sie stärker auf ihn. Das gilt für angenehme und unangenehme Stimuli gleichermaßen. Ein schöner Sonnenuntergang kann Phosphor in Entzücken versetzen, wie nur wenige andere Sterbliche es je erleben, ein Entzücken, das den Verstand nicht mit einbezieht. Auf dieselbe Weise leidet Phosphor direkt unter der Häßlichkeit und Verwahrlosung eines Slums. Dies ist nicht die aufgebrachte Sorge von Causticum und auch nicht nur das Mitgefühl von Natrium, sondern Phosphor nimmt die Schwingungen des Ortes oder des Ereignisses durch eine Art psychischer Osmose auf, die wir alle in einem gewissen Grad erleben, aber durch Schichten der Empfindungslosigkeit und Ego-Verwurzelung abblocken. Phosphor ist wie ein Schwamm, der alle Eindrücke aus der direkten Umgebung aufnimmt und dann sowohl die angenehmen als auch die unangenehmen Wellen der Gefühle erlebt, die diese Eindrücke hervorrufen.

Für Phosphor ist die Welt der Intuition und der Gefühle sehr lebendig und real, und das schließt auch die Gefühle anderer Menschen ein. Phosphor kann die Gefühle anderer übernehmen, manchmal sogar ohne es zu merken. So kann zum Beispiel eine Phosphor-Frau plötzlich ängstlich werden, ohne zu wissen warum, einfach weil sie neben jemandem sitzt, der große Angst hat. Sie kann auch ängstlich werden, weil jemand, den sie liebt, Hunderte von Kilometern entfernt in Gefahr ist (Kent: »Hellsichtigkeit«).

Der romantische Dichter John Keats beschreibt in einem Brief an einen Freund sehr klar, wie beeindruckbar Phosphor ist: »Der Charakter des Dichters hat kein eigenes Selbst; er ist alles und nichts; er hat keinen Charakter; er genießt Licht und Schatten. Ein Dichter … hat keine Identität – er ist ständig auf der Suche nach einem anderen Körper, den er ausfüllt – die Sonne, den Mond, das Meer. Wenn ich mit anderen Menschen in einem Raum bin und dabei ausnahmsweise nicht über die Schöpfungen meines eigenen Gehirns nachdenke, dann gehe ich nicht als ich selbst nach Hause, sondern die Identität eines jeden Menschen im Raum beginnt mich zu prägen, so daß ich in sehr kurzer Zeit ausgelöscht bin.« (Das könnte auch auf Mercurius passen.)

Weil Phosphor psychisch so außergewöhnlich offen ist, erlebt er die Wirklichkeit sehr viel umfassender und reicher als die meisten anderen Sterblichen, aber auch als verwirrender. Obwohl Phosphor über eine bemerkenswerte Intuition oder einen siebten Sinn verfügt, kann es ihm genausogut passieren, daß er seine Gefühle und Wünsche als Intuition mißdeutet und dadurch irregeführt wird. Seine Intuition ist nicht zuverlässig, weil sie in einem Meer von Sinneseindrücken, Gefühlen und Vorstellungen verlorengeht. Der Phosphor-Mensch treibt in einem Ozean ständig wechselnder Ereignisse (Kent: »Chaos«), bewundert dessen Schönheit, fürchtet die Schrecken und kämpft darum, an der Oberfläche zu bleiben und nicht vollständig in den Wellen zu versinken.

Naivität

Kein Typ ist naiver als Phosphor (obwohl Pulsatilla, Barium und China ihm nahekommen). Phosphor ist so offen, daß er beinahe transparent wirkt, und das verleiht ihm die kindlichen Eigenschaften, die viele Menschen so an ihm mögen, während einige wenige dadurch in Wut geraten. Ein perfektes Beispiel für die Naivität von Phosphor findet man in der Gestalt der Maria, die Julie Andrews in dem Film The Sound of Music spielt. Alle Nonnen lieben sie, aber sie sind wütend über ihre flatterhaften Späße und ihre Unfähigkeit, erwachsene Konventionen wie Bescheidenheit und Anstand ernst zu nehmen (Kent: »achtlos«). Die Unschuld ist bei Phosphor Stärke und Schwäche zugleich. Wie Kinder bleiben manche Phosphor-Menschen auch in einer korrupten Welt unkorrumpierbar. Sie sind extrem idealistisch, aber sie können die Grausamkeit der Welt viel klarer sehen als die meisten und empfinden sie als sehr fremd. Maria kann die Strenge nicht ertragen, mit der der Nux-Kapitän seine Kinderschar behandelt, und während er nicht da ist, bringt sie den Kindern das Singen bei und läßt sie wieder das Wunder des Lebens erfahren. Als er zurückkommt und sieht, wie undiszipliniert seine Kinder geworden sind, befiehlterihr(inechter Nux-Manier), ihre Sachen zu packen. Aberdann schmilzt sein Herz, als er die Kinder zum ersten Mal singen hört. Phosphor kann das Herz des kältesten Tyrannen zum Schmelzen bringen. Ihre Liebe ist so unschuldig und so bedingungslos, daß nur ein Roboter oder ein Teufel ihr widerstehen könnte.

Ihre Naivität kann die Phosphor-Frau in Schwierigkeiten bringen, denn sie macht sie leichtgläubig. Die meisten Phosphor-Menschen sind sehr vertrauensselig, besonders wenn sie jemanden mögen, und obwohl sie meist wie Kinder sensibel genug sind, um sich von negativen Menschen fernzuhalten, können sie durch vordergründige Freundlichkeit dazu verleitet werden, ihre Intuition zu ignorieren und sich einer Person auszuliefern, die sie manipuliert. Phosphor ist schrecklich optimistisch und sieht in jedem Menschen eher das Gute als das Schlechte. So kann ein Lycopodium-Handelsreisender sie so bezaubern, daß sie ihm etwas abkauft, wofür sie normalerweise nicht im Traum soviel Geld ausgeben würde, oder ein Versicherungsvertreter kann sie so in Angst versetzen, daß sie eine viel zu hohe Versicherung abschließt.

Phosphor ist sehr anfällig für Panikmache. Weil sie leichtgläubig ist und nicht viel von der materiellen Wirklichkeit versteht, kann sie Risiken nicht realistisch einschätzen und neigt zu Überreaktionen auf bedrohliche Eindrücke (Kent: »Angst bei Kleinigkeiten«). Als Orson Welles zum Spaß im amerikanischen Radio die Nachricht verbreiten ließ, daß Außerirdische mit Raumschiffen gelandet seien, flohen Hunderte von Menschen voller Panik in die Berge. Viele von ihnen müssen konstitutionell Phosphor gewesen sein.

Die Phosphor-Frau neigt auch zu übereilten Schlußfolgerungen, was mit ihrer Leichtgläubigkeit zusammenhängt. Ihr Verstand arbeitet oft nicht präzise und ist leicht zu beeindrucken, und sie hat eine lebhafte Phantasie. Deshalb ist es für sie oft schwierig, Illusion und Wirklichkeit auseinanderzuhalten. Vor allem interpretiert sie die Tatsachen oft im Licht ihrer Ängste und Wünsche. Ich war einmal mit einer Phosphor-Freundin in Urlaub. Ihr fiel auf, daß ein Mann in mittleren Jahren sich sehr für ein hübsches junges Mädchen im Badeanzug interessierte. Noch aufmerksamer wurde meine Freundin, als sie feststellte, daß der Mann den Urlaub mit seiner etwa gleichaltrigen Frau verbrachte, die offenbar das Interesse ihres Mannes an dem Mädchen noch nicht bemerkt hatte. Ich schlug vor, meine Freundin solle keine voreiligen Schlüsse ziehen, aber sie war überzeugt, dieser Mann werde bald sein »wahres Gesicht zeigen« und wir würden in Kürze ein Spektakel erleben, wenn die verachtete, wütende Ehefrau ihrem Ärger über den herzlosen Mann Luft mache, eine Aussicht, die meine Phosphor-Freundin mit einer Mischung aus Erregung, Entsetzen und Begeisterung erfüllte. Es stellte sich jedoch heraus, daß das hübsche Mädchen die Tochter des Paares war, eine Entdeckung, die die blühende Phantasie meiner Freundin wie eine Luftblase platzen ließ, sie aber auch erleichterte, denn sie konnte den Gedanken nicht ertragen, daß die Ehefrau unter dem Verhalten ihres Mannes schmerzlich gelitten hätte (Kent: »mitfühlend«).

Die Phosphor-Patientin ist im Sprechzimmer oft eine reine Freude, aber ihr Gesundheitsbewußtsein trübt den positiven Eindruck etwas. Auf der einen Seite übertreibt sie ihre Symptome, während sie andererseits ernstere Beschwerden ignoriert (besonders wenn sie fürchtet, es könne sich um eine lebensbedrohliche Krankheit handeln, und erst recht, wenn sie unter einer solchen leidet). Weil sie leichtgläubig ist und auch Angst vor Krankheiten hat (Kent: »fürchtet drohende Krankheiten«), probiert sie oft verschiedene traditionelle oder modische Therapien aus, während sie gleichzeitig zum Arzt oder Homöopathen geht. Wenn sich ihr Zustand dann verbessert oder auch nicht, führt sie das auf die verschiedenen Therapien zurück und behandelt ihre homöopathische Arznei genauso wie ihre anderen medizinischen »Krücken«. Das ist ein weiteres Beispiel dafür, wie verworren Phosphor-Menschen oft denken. Die Ursache dafür ist ihre Unfähigkeit zu differenzieren, was zwar einerseits ganz reizvoll sein kann, andererseits aber auch zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten führt.

Verantwortungslosigkeit und Realitätsverlust

Verantwortlichkeit gehört nicht gerade zu den Stärken von Phosphor, denn dazu bedarf es der freiwilligen Einschränkung durch Selbstdisziplin. Das geht Phosphor gegen den Strich seiner natürlichen Spontaneität und erfordert eine Art von geistiger Konzentration, die entweder als langweilig oder als anstrengend empfunden wird. Phosphor hat etwas Flatterhaftes und Flüchtiges. Dadurch kann er leicht über die große Bühne des Lebens gleiten, die Dinge nach ihrem äußeren Anschein beurteilen und dann oberflächlich über Angelegenheiten hinweggehen, die mehr Aufmerksamkeit und tieferes Engagement erfordern, wie etwa das Kleingedruckte bei einem Vertrag oder die Rückzahlung von Schulden. Phosphor macht notorisch Schulden, um seine vorübergehenden Leidenschaften zu finanzieren (ganz gleich ob er nun Alkohol oder einen Ferrari kauft oder etwas für Kinder in Not spendet), ohne auch nur im geringsten daran zu denken, ob er das Geld auch zurückzahlen kann. Er denkt dabei weder an frühere Erfahrungen, die ihn vor den Gefahren seines gegenwärtigen Handelns warnen könnten, noch versucht er, sich die wahrscheinlichen Folgen seines impulsiven Verhaltens bewußtzumachen. Er vertraut einfach darauf, daß alles gutgehen wird, und wenn das nicht der Fall ist, reagiert er verwirrt und panisch. Er ist großzügig gegenüber Menschen in Not (sowohl weil er mitfühlend ist als auch weil er den Wert des Geldes nicht kennt), und er erwartet, daß andere ihm helfen, wenn er selbst Probleme hat, auch wenn diese Probleme ausschließlich eine Folge seiner eigenen Kurzsichtigkeit sind. Dabei hat Phosphor so viel Charme und kann in seiner Erregung so verzweifelt und pathetisch wirken, daß er oft tatsächlich jemanden findet, der ihm aus der Patsche hilft. In solchen Situationen kann er echten Streß mit einem guten Schuß Schauspielerei garnieren, um Sympathie und Unterstützung zu gewinnen.

Übertreibung und emotionale Dramatisierung ist ein verbreiteter Zug bei Phosphor-Menschen. Beim Erzählen machen sie ihre Geschichten damit dramatischer und interessanter, aber wenn sie in Schwierigkeiten stecken, neigen sie besonders dazu, die Dinge zu beschönigen, sowohl verbal im Hinblick auf die Einzelheiten der Situation (selbstverständlich zu ihrem eigenen Vorteil) als auch emotional, indem sie ihre Gefühle übertreiben, um die Aufmerksamkeit von den Fakten abzulenken und ihr Bedürfnis nach Unterstützung zu betonen. Diesen großen unschuldigen Augen kann man besonders schwer widerstehen, wenn sie voller Tränen sind. Ungeachtet der zugrundeliegenden Situation lösen sie meist auf der Stelle Mitgefühl aus. Folglich läßt man Phosphor-Menschen vieles durchgehen, besonders in ihrer Jugend. Da sie nicht zurückblicken, leiden sie auch nicht besonders unter Schuldgefühlen, wenn sie andere in Unannehmlichkeiten gebracht haben, obwohl sie vielleicht für einen kurzen Moment geschockt sind und Reue empfinden, wenn sie mit dem Schmerz konfrontiert werden, den sie anderen zugefügt haben. Aber dann ist die Sache vorbei, und ihr merkurischer Geist ist schon wieder irgendwo anders. Da Phosphor für so viele verschiedene Gefühle und Eindrücke offen ist, ist die Fähigkeit zu vergessen, was vorbei ist, eine Art Schutzmechanismus, der hilft, eine Überlastung zu verhindern.

Kürzlich habe ich ein amüsantes Beispiel dafür erlebt, wie Phosphor sich entschuldigt. Vor einigen Jahren hatte ich einer Phosphor-Freundin (sie reagierte bei einer ernsthaften Krankheit gut auf das Mittel) einen größeren Geldbetrag geliehen, den sie schnellstmöglich zurückzahlen wollte. Überflüssig zu sagen, daß sie es nicht tat, und ich gab jede Hoffnung auf, das Geld wiederzubekommen. Jahre später traf ich sie überraschend, nachdem ich sie in der Zwischenzeit nicht mehr gesehen hatte. Sie kam zu mir, und nachdem wir uns umarmt hatten, sah sie mich ernst an und sagte, sie müsse mit mir reden. Dann erklärte sie mir, sie habe nicht vergessen, daß sie mir das Geld schulde. Ich wartete darauf, daß sie mir anbieten würde, es zurückzuzahlen, und als sie davon nichts erwähnte, fragte ich sie, wann sie ihre Schulden begleichen wollte. Sie lächelte verlegen und sagte, sie werde mich irgendwann einmal zum Essen einladen. Ich war zu überrascht und amüsiert, um ärgerlich zu sein.

Flucht ist ein Eckstein der Abwehrmechanismen von Phosphor. Wenn die Realität unangenehm wird, neigt er noch mehr als Sulfur und Lycopodium dazu, entweder physisch oder mental aus der Tür zu schlüpfen und sich eine nettere Umgebung zu suchen. Seine Flucht vor der Realität wird unterstützt durch den Genuß von Alkohol, Marihuana und anderen Suchtmitteln, aber auch dadurch, daß er sich in Fantasy-Filme und -Romane vertieft. Phosphor lebt vielleicht nicht besonders intensiv in der Vergangenheit oder der Zukunft, aber die halbe Zeit ist er auch in der Gegenwart nicht »präsent«, weil er irgendwo in seinen Phantasien schwelgt (Kent: »begeistert von Phantasien«). Er hat wenig Stehvermögen, und selbst wenn er gerade nicht in Schwierigkeiten steckt, wird er leicht unruhig, wenn er sich körperlich oder geistig für längere Zeit mit einer Sache beschäftigen soll. Er ist eher ein Sprinter als ein Langstreckenläufer, und er langweilt sich ebenso leicht, wie er ermüdet. Wie Sulfur und Lycopodium will er viel spielen, und er wird quengelig wie ein Kind, wenn er dazu keine Gelegenheit hat. Dann kann er sogar einen Wutanfall bekommen, der aber im allgemeinen schnell vorübergeht und selten gewalttätig ist (Kent: »Milde«).

Das Glücksspiel ist ein Weg, auf dem Phosphor sowohl Erregung als auch die Lösung seiner finanziellen Probleme sucht. Phosphor neigt zu Suchtverhalten, und er ist besonders anfällig für Spielsucht, ganz gleich ob es nun um Fußballwetten, Pferderennen oder Roulette geht. Wenn er verliert, kann er sich besser als die meisten anderen Typen davon überzeugen, daß er nächstes Mal gewinnen wird, und so führt ihn seine Spielleidenschaft leicht in die Verzweiflung und in einigen Fällen sogar in die Kriminalität. Wie schon angedeutet, sind es vor allem die Phosphor-Männer, die zu Suchtverhalten und Betrügereien neigen. Die Phosphor-Frau findet ihre Fluchtmöglichkeit häufig in Gestalt eines Mannes, wenn nicht in der Realität, dann wenigstens in der Phantasie. Wenn sie in Schwierigkeiten steckt, verliebt sie sich gerne in den nächstbesten Fremden, der ihr Ritter in strahlender Rüstung wird. Gewöhnlich findet er sie sehr attraktiv und teilt vielleicht sogar ihre Opfer-Retter-Wahnidee, aber in den meisten Fällen merkt er schließlich, daß er sich übernommen hat und verläßt sie. Die Phosphor-Frau ist eine echte »Prinzessin in Not« (das hat sie mit Pulsatilla gemeinsam). Sie ist so unschuldig, so hilflos und so schön, daß es nicht an Rittern mangelt, die ihr zu Hilfe eilen. In diesen Situationen ist jedoch nur der verwundete Ritter bereit, längere Zeit zu bleiben, und er ist nicht nur ein Retter, sondern auch ein Klotz am Bein.

Wenn die Phosphor-Prinzessin ihren Ritter findet, kann sie auf zwei verschiedene Arten reagieren. Manchmal ist sie voller Hingabe und widmet ihm ihr Leben. Das ist für Phosphor nicht besonders schwierig, denn sie ist sehr offenherzig und hat ein relativ schwaches Identitätsgefühl. Er wird dann zum Mittelpunkt ihres ganzen Lebens, und solange er sich ihr gegenüber liebevoll verhält, ist sie in ihrer Abhängigkeit vollkommen zufrieden (Pulsatilla, Natrium, Ignatia und Staphisagria). Da er ihr jedoch alles bedeutet, zerbricht sie oft daran, wenn seine Zuneigung nachläßt. In dieser Situation macht sie ihm entweder Szenen in dem verzweifelten Versuch, ihn zu halten (Kent: »Hysterie, Wut«), oder sie ist in Tränen aufgelöst und tagelang unfähig zu essen, zu sprechen oder sich zu bewegen (Kent: »Beschwerden von enttäuschter Liebe, mit stillem Kurnmer«).

Die Phosphor-Frau versucht nicht nur, die harten Seiten des Lebens zu vermeiden, sondern hat oft auch eine besondere Vorliebe für alles, was glänzt. Wie eine Elster fühlt sie sich von glänzenden farbigen Gegenständen und charismatischen Menschen angezogen. Sie hat in der Regel einen natürlichen Charme (weshalb so viele führende Ballerinas Phosphor sind), und sie trägt gerne modische Kleidung, die ihre zarte Figur betont. Sie ist oft eine Expertin darin, ihren Charme spielen zu lassen. Wie Natrium muriaticum und Ignatia kann sie sehr verführerisch sein, wenn sie will. Ich werde nie das Foto von meiner Phosphor-Freundin vergessen. In einer der sinnlichsten Posen, die ich je gesehen habe, blickte sie über die Schulter und blies mit halbgeschlossenen Augen Zigarettenrauch in die Kamera.

Viele Phosphor-Menschen führen ein glanzvolles Leben, und sie genießen es meist, davon zu erzählen. Ihre Schönheit und ihr Charme zieht wie bei Ignatia oft noch weiteren Glanz an, in Gestalt von gesellschaftlichen Kontakten mit angesehenen Leuten oder in Form von glänzenden Karrierechancen. Außerdem ist Phosphor oft künstlerisch sehr begabt oder ein/e vielversprechende/r Schauspieler/in oder PR-Manager/in. Ich habe einmal eine junge Phosphor-Frau kennengelernt, die russischer Abstammung war und als Übersetzerin für russische Diplomaten in den USA arbeitete. Ich bin sicher, daß sie diese Stelle nicht nur bekommen hat, weil sie eine gute Übersetzerin war, sondern auch wegen ihres natürlichen Charmes und ihrer bemerkenswerten Schönheit. Sie führte ein Leben, das ihr den Zugang zu den höchsten gesellschaftlichen Kreisen ermöglichte, aber als ich ihren Fall aufnahm, wurde offensichtlich, daß sie innerlich verwirrt war, weil sie wie so viele Phosphor-Menschen nicht genau wußte, wer sie war. Dieses Gefühl der Verwirrung ließ sie ausweichend und verletzbar erscheinen, wenn sich das Gespräch um ihre innersten Gedanken und Gefühle drehte, und deshalb wirkte sie stiller als die meisten Phosphor-Frauen. Sie hatte jedoch den strahlenden Charme, der so charakteristisch für Phosphor ist, ebenso wie die typische Beeindruckbarkeit. Nach einer Dosis Phosphor 10M schien sie weit besser zu wissen, wer sie war und was sie wollte, und sie sagte, ihr sei klargeworden, wie abhängig sie immer von der Führung und der Zustimmung anderer gewesen sei, eine Abhängigkeit, die sie jetzt entschlossen war zu überwinden.

Der strahlende Star

Das Wort »Phosphor« bedeutet »Träger des Lichts«, und das ist kein Zufall. In der Natur stammt die strahlende Leuchtkraft des Glühwürmchens und bestimmter Tiefseekreaturen von einem Phosphor-Anteil, den sie haben, und im Meer selbst glühen nachts Millionen Funken von Quallen und winzigen Schalentieren, die Phosphor enthalten und zu bestimmten Jahreszeiten in bestimmten Gegenden in Schwärmen auftreten. Der reine Phosphor ist so unbeständig, daß er sich beim Kontakt mit Luft selbst entzündet, ein weiterer Ausdruck der außergewöhnlichen Reaktionsfreudigkeit des Stoffes und seiner lichtgebenden Eigenschaften. Es gibt immer eine bedeutsame Entsprechung zwischen der Ursprungssubstanz einer Arznei und den Menschen, die homöopathisch damit in Resonanz stehen. Wie die Substanz Phosphor, so hat auch der Phosphor-Mensch einen sehr aktiven Stoffwechsel und neigt dazu, seine Nahrung schnell zu »verbrennen«. Seine Farbe ist hell oder rötlich, und er leidet oft unter plötzlichen Entzündungen und brennenden Empfindungen. Auf ähnliche Weise hat auch die Persönlichkeit von Phosphor viel gemeinsam mit ihrem ätherischen materiellen Simillimum. Der Phosphor-Mensch ist leicht erregbar und neigt zu strahlender Freude und rückhaltloser Liebe, wenn er glücklich ist. Kein anderer Typ ist im Hinblick auf das reine Strahlen seiner Freude mit Phosphor vergleichbar. Man kann dieses Strahlen beinahe mit den Händen greifen. Ein freudiges Phosphor-Gesicht ist wahrscheinlich bewegender und erhebender als irgendein anderer Anblick, den ich mir vorstellen kann. Diejenigen von Ihnen, die nicht sicher sind, wie ein glücklicher Phosphor-Mensch aussieht, sollten an die Schauspielerinnen Julia Roberts und Geena Davis denken. Wenn sie lächeln, ist die Wirkung ziemlich elektrisierend und unwiderstehlich. (Ich habe festgestellt, daß Schauspieler und Schauspielerinnen fast immer Charaktere darstellen, die zum gleichen Konstitutionstyp gehören wie sie selbst.) Männliche Phosphor-Schauspieler sind etwas schwieriger zu finden, aber der Komödiant Martin Short ist ein guter Kandidat. Sein Lächeln ist fast so bezaubernd wie das der Frauen.

Die meisten Phosphor-Menschen sind anscheinend mit einem sonnigen Gemüt gesegnet und finden leicht Zugang zu der Art von Ekstase, um die Mystiker jahrelang ringen müssen. Nur wenige Phosphor-Menschen bemühen sich zu meditieren, weil sie auf natürliche Weise mit ihrer inneren Freude verbunden sind, zumindest wenn in ihrem Leben alles glatt läuft (sie werden wahrscheinlich auch dadurch abgeschreckt, daß Meditation nach Arbeit klingt). Viele würden jedoch von einer Art Meditation profitieren, die den Geist beruhigt, denn Phosphor ist sehr leicht erregbar, und ihre Freude ist schnell bedroht. Da Phosphor so leicht zu beeindrucken ist, schwanken ihre Stimmungen stärker als normal mit dem Auf und Ab äußerer Ereignisse. In einem Moment ist sie absolut glücklich, im nächsten völlig verzweifelt (Kent: »Lachen wechselt mit Traurigkeit«), weil jemand etwas Verletzendes zu ihr gesagt hat oder weil sie in den Fernsehnachrichten ein tragisches Ereignis gesehen hat. Diesen emotionalen Jo-Jo-Effekt findet man auch bei Ignatia, aber deren Launen sind dramatischer, und vor allem die negativen Gefühle sind meist tiefer und anhaltender. Wenn Phosphor nicht gerade eine lange Zeit voller Schwierigkeiten hinter sich hat, von denen sie erschöpft ist, läßt sie sich von Schicksalsschlägen nicht so leicht unterkriegen und ist nach einer kurzen Phase der Depression oder Angst wieder voller Begeisterung.

Von allen Konstitutionstypen ist Phosphor emotional der leichteste. Andere, wie Lycopodium und Tuberculinum, sind die meiste Zeit entspannt und nicht besonders emotional, aber sie haben nicht den geistigen Schwung von Phosphor. Wie Peter Pan oder Shakespeares Puck ist Phosphor ein Luftgeist. (Nicht zufällig beginnen alle drei mit einem »P«, einem Buchstaben, dessen oberer Teil stark betont ist, wie das dreieckige Gesicht von Phosphor, das sich nach unten hin nur zögernd entfaltet und nach oben hin ausdehnt, als wolle es sich dem Himmel öffnen – Sie sehen, wie das Phosphor-Thema den Autor berührt und ihn lyrisch stimmt!) Sie hat keine Zeit und keinen Sinn für das Schwere, und während man noch denkt, daß sie jetzt aber von einer bedrückenden Angelegenheit am Boden zerstört ist, fliegt sie schon wieder auf und davon und läßt die Probleme hinter sich, ganz gleich ob sie nun gelöst sind oder nicht.

Phosphor ist ein sehr soziales Wesen. Kein anderer Typ genießt Gesellschaft so sehr und ist in einem solchen Maße von ihr abhängig (Kent: »Verlangen nach Gesellschaft«). Wenn die Phosphor-Frau allein ist, fühlt sie sich schnell rastlos und einsam, aber in Gesellschaft strahlt sie (wenn die Gesellschaft nicht bedrohlich ist), denn sie teilt sich selbst und ihre Gedanken und Gefühle gerne mit anderen. Ihre natürliche Freude ist ansteckend, und ihre Lebensphilosophie des »Hier und Jetzt« wirkt sehr erfrischend auf nüchternere Typen, die in ihrer Gesellschaft etwas aufheitern, Sie ist genauso offen, wenn sie unglücklich ist, aber anders als Natrium oder Ignatia, die eine große Sache daraus machen, wenn sie ihr Leid mit anderen teilen, bringt der Akt des Teilens für Phosphor rasche Erleichterung. Außerdem ist Phosphor so beeindruckbar, daß sie nur ein bißchen Beruhigung braucht, um ihre Ängste zu zerstreuen, und ein wenig Ermutigung reicht aus, um ihre Düsternis zu vertreiben.

Wenn sie glücklich ist, benimmt sich Phosphor meist sehr verspielt. Selbst bei der Arbeit ist sie schwungvoll und gesprächig, und da sie oft im Dienstleistungsbereich arbeitet, hat sie meist zahlreiche Spielgefährten, mit denen sie scherzen und lachen kann. Eine Phosphor-Krankenschwester wirkt im Krankenhaus wie eine frische Brise. Sie tanzt durch ihre »Bettpfannenpflichten« wie in einer Musicalproduktion und bringt auch den traurigsten Patienten mit ihrem schelmischen Sinn für Humor zum Lachen (Kent: »Heiterkeit, Übermut«). Einige der anderen Schwestern sind vielleicht neidisch auf ihren Frohsinn und ihre Beliebtheit und nutzen ihre Naivität und Offenheit aus. Ich habe eine junge Phosphor-Frau kennengelernt, die darüber klagte, daß ihre Kolleginnen sich ihr gegenüber wie Miststücke benahmen. Das mag teilweise ein Ausdruck der Überempfindlichkeit von Phosphor sein, die manchmal bis zur Paranoia geht, aber zum Teil ist es auch eine Folge von Eifersucht. Sehr oft wirkt Phosphor wie ein Sonntagskind, das der Himmel geschickt hat, um ein wenig Magie in die glanzlose Welt zu bringen. Weil sie soviel Charme hat, ist sie meist sehr beliebt und kann dadurch beispielsweise einen sehr attraktiven Partner finden. Außerdem verfügt sie über eine dramatische Ausdrucksfähigkeit und tut nichts, um ihre Freude über die Segnungen des Lebens zu verbergen. Dadurch fühlen sich einige der weniger glücklichen Sterblichen befremdet, die keine Lust mehr haben, ständig daran erinnert zu werden, was für ein wunderbares Leben Phosphor hat.

Wie Medorrhinum und Lachesis lebt auch Phosphor vorwiegend über die rechte Gehirnhälfte und fühlt sich von Harmonie mehr angezogen als von Logik. Die meisten Phosphor-Menschen sind künstlerisch begabt, und viele werden Dichter, Maler oder Tänzer, entweder in ihrer Freizeit oder sogar professionell. Phosphor drückt ihre geistige Leichtigkeit auch in ihrer Kunst aus und wird von künstlerischen Ausdrucksformen angezogen, die leicht, sanft und freundlich sind. So sind ihr Wasserfarben meist lieber als Öl, und bei den Ölbildern bevorzugt sie einen leichten, verträumten Stil wie den von Monet gegenüber schwereren, realistischeren Bildern. Genauso schätzt sie in der Musik das Romantische wie etwa Balladen und auch leichte, lebendige Musik wie Jazz. Von schwereren Stücken wie Opern oder Beethoven ist sie vielleicht sehr bewegt, aber ihre Stimmung wird dadurch eher gedrückt. Phosphor meidet alles, was sie belasten könnte. Ihre Kunst ist eine Erweiterung ihrer selbst, die in Resonanz mit der Schönheit ihrer Seele steht und Ehrfurcht und Ekstase in ihr weckt.

Phosphor-Männer haben dieselbe Leichtigkeit und Sensibilität wie Frauen. Sie haben vielleicht wenig Sinn für Routine und Verantwortung, aber solange sie eine Nische im Leben finden, wo sie in all ihrem Glanz sie selbst sein können, sind sie genauso schön wie die Frauen. Phosphor-Männer sind eher schön als hübsch, genauso wie einige der mehr kopforientierten Ignatia-Frauen eher hübsch sind als schön. Nat King Cole war ein gutes Beispiel für einen männlichen Phosphor-Künstler. Seine Schönheit und Naivität beeindruckten eine ganze Nation und ermöglichten es ihm, der erste Farbige zu sein, der in den USA seine eigene Fernsehshow hatte. Wie kein anderer Darsteller seiner Zeit genoß Cole sichtbar seine öffentlichen Auftritte auf eine höchst natürliche und ihm selbst unbewußte Art. Die besten männlichen Ballettänzer sind gewöhnlich Phosphor. Es heißt, daß Nijinski, wenn er in Ekstase war, bei seinen Sprüngen in die Höhe schweben konnte, als sei sein Körper so leicht wie die Luft. Alle Phosphor-Menschen haben etwas Ätherisches, so daß man fast erwartet, daß sie schweben. Gewöhnlich sind sie mit ihrer eigenen Elfenhaftigkeit sehr zufrieden, anders als China, die häufig noch ätherischer ist, aber viel zu wenig Selbstvertrauen hat, um sich entsprechend darzustellen.

Phosphors Eigenliebe ist seiner Schönheit eher förderlich, als daß sie ihm schaden würde, anders als der Stolz von Lycopodium und Nux, der aufdringlicher wirkt. Wie diese anderen Typen ist auch Phosphor meist eitel und nachsichtig mit sich selbst, aber er setzt sich dabei nicht von anderen ab. Obwohl er selbstzufrieden ist, neigt er nicht dazu, über andere zu urteilen (es sei denn, sie gehören zu einer besonderen Kategorie von Leuten, gegen die er Vorurteile hat). Eigentlich verhält er sich im allgemeinen recht akzeptierend und tolerant und lobt gerne die Vorzüge anderer Menschen. Anders als Natrium, der sich innerlich selbst nicht mag, aber nach außen vielleicht jeden anderen ablehnt, liebt und akzeptiert Phosphor sich selbst, so wie er auch die meisten anderen Menschen, die er kennt, liebt und akzeptiert. Wie bei Sulfur ist seine Liebe vielleicht im praktischen Leben nicht zuverlässig, aber sie ist real genug für den Phosphor-Menschen, der sie empfindet.

Zu den erfrischendsten Eigenschaften von Phosphor gehört es, daß er genau das sagt, was er denkt oder fühlt. Wenn er jemanden nicht leiden kann, schweigt er vielleicht, aber er setzt nur selten eine freundliche Maske auf wie die meisten anderen Typen. Genausowenig ist er schüchtern, wenn es darum geht, seine Freundschaft oder Zuneigung auszudrücken. Phosphor ist selbst in den kritischsten Situationen noch wunderbar transparent und verhält sich im allgemeinen zu seinem eigenen Nachteil zu offen. Diskretion ist ein Wort, das ihm selten in den Sinn kommt. Er hat nichts zu verbergen, ob er sich nun seinen Kindern nackt zeigt oder einem Fremden seine Lebensgeschichte erzählt. Wenn er die intimsten Details seines Lebens enthüllt, erwartet er, daß seine Zuhörer interessiert sind, aber wenn das nicht der Fall ist, zuckt er mit den Schultern und denkt bei sich, daß sie die Verlierer sind, anders als Natrium und Ignatia, die sich durch ein solches Desinteresse gedemütigt fühlen.

Verworrenes Denken und unklares Identitätsgefühl

Das schwache Gefühl für sein eigenes Ego, das Phosphor in die Lage versetzt, die Welt mit einer solch kindlichen Intensität zu erleben, vermittelt ihm nur ein ziemlich unbestimmtes, labiles Identitätsgefühl. Die Phosphor-Psyche ist wie ein Schwamm, der die sinnlichen, emotionalen und intellektuellen Eindrücke aus seiner Umgebung stärker als die meisten Menschen ohne jede Unterscheidung aufsaugt und darum kämpft, inmitten dieser sich ständig verändernden Gefühle und Eindrücke ein stabiles seelisches Zentrum zu finden. Daß Phosphor so leicht zu beeindrucken ist, hat sowohl unmittelbare als auch langfristige Konsequenzen. Er kann augenblicklich von einer neuen, überraschenden Idee überwältigt werden (besonders wenn sie entweder sehr schön oder sehr bedrohlich ist) oder auch von einer intensiven, aber vorübergehenden Emotion. In solchen Momenten hat er keine Vergangenheit und keine eigene Identität. Er wird eins mit der Emotion oder der Idee und verliert jedes Gefühl von Perspektive. Vielleicht dauert es nur eine Minute, bis er wieder zur Besinnung kommt, vielleicht aber auch erheblich länger.

Wenn Phosphor sich beispielsweise verliebt, befindet er sich in einem permanenten Rauschzustand, der tendenziell jede konkrete Wahrnehmung auflöst oder alles in ein rosarotes, schimmerndes Licht taucht, sogar die Steuererklärung und den Pickel auf der Nase seiner Geliebten. Ganz ähnlich kann die Bedrohung seiner persönlichen Sicherheit oder eines geliebten Menschen ihn in einen generellen Angstzustand versetzen, in dem ihm sogar ein Kätzchen gefährlich vorkommt. Solche unmittelbaren Überschwemmungen des schwachen Identitätsgefühls von Phosphor dauern im allgemeinen nicht lange. Ihnen folgt entweder eine Phase relativer Stabilität, in der er vernünftig denken kann, oder neue Ereignisse lösen einen anderen, ähnlich intensiven Eindruck aus. Kein Wunder also, daß Phosphor von Zeit zu Zeit unter geistiger und emotionaler Erschöpfung leidet (Kent: »geistige Erschöpfung«) und in eine Art apathischen Zombiezustand gerät, in dem er entweder gar nichts tut oder wie im Traum auf »Autopilot« handelt, bis er sich wieder erholt und gesammelt hat (Kent: »wie im Traum«).

Eine langfristige Folge der Beeindruckbarkeit von Phosphor besteht darin, daß er dazu neigt, sich seine Identität von den Menschen in seiner Umgebung auszuleihen. Wir alle wachsen mit einem beträchtlichen Maß an innerer Konditionierung auf und neigen dazu, sowohl intellektuell als auch sozial viele Verhaltensmuster von unseren Eltern zu übernehmen, aber Phosphor ist leichter formbar als die meisten Menschen. So akzeptiert der Phosphor-Jugendliche beispielsweise die Vorstellungen und Ansichten seiner Eltern auch dann noch fraglos, wenn seinen Altersgenossen bei ihren eigenen Eltern schon längst die Schwächen und Ungereimtheiten aufgefallen sind. Ein gutes Beispiel ist das Phosphor-Kind, das in einer religiösen Familie aufwächst. Ganz gleich um welche Art von Religion es sich handelt, wird Phosphor ihr vertrauensvoll folgen und dabei weniger Fragen stellen als jeder andere Konstitutionstyp (außer vielleicht Pulsatilla).

Auf ähnliche Weise neigt das Phosphor-Kind auch dazu, politische und moralische Ansichten zu entwickeln, die exakt denen der Eltern entsprechen. Wenn die Eltern moralisch sind, wird auch er es sein. Sind die Eltern Kriminelle, wird er kriminelle Handlungen für akzeptabel halten, und da seine Eltern, wie die meisten Eltern, denken und darauf bestehen, daß sie in den meisten Fällen recht haben, denkt das heranwachsende Phosphor-Kind, daß seine Eltern immer recht haben. Die furchtbare Erkenntnis, daß auch die eigenen Eltern fehlbar sind, dämmert dem durchschnittlichen Phosphor erst viel später als den meisten anderen Typen, und diese Erkenntnis kann so beängstigend und beunruhigend sein, daß Phosphor sie nicht voll akzeptiert, denn er neigt dazu, an vertrauten Ansichten so festzuhalten, als würde er sich im Sturm an einen Baum Klammern. Das heißt nicht, daß alle Phosphor-Menschen rigide und engstirnig sind. Wenn ihre Eltern flexibel und geistig offen waren, dann werden sie es auch sein. Waren die Eltern jedoch starr und streng, dann kommt Phosphor in Verlegenheit. Er wird viele der strengen Ansichten seiner Eltern übernehmen, aber er wird sich damit unwohl fühlen, weil er von Natur aus ein warmer, spontaner Typ ist, und seine menschliche Wärme wird ständig mit der von ihm übernommenen Strenge im Widerstreit liegen. Am Ende wird er wahrscheinlich viele der rigiden Vorstellungen und Verhaltensweisen seiner Eltern (beispielsweise die Weigerung, Geld zu leihen oder zu verleihen) lockern, während er einige immer noch in der Theorie und andere in der Praxis beibehält.

Ein ausgezeichnetes Porträt eines Phosphor-Mannes, der hin und her gerissen ist zwischen seiner rigiden moralischen Erziehung und seinem natürlichen, spontanen Selbst, findet man in der Gestalt des Oscar Hopkins in Peter Careys tragikomischem Roman Oscar und Lucinda. Oskar ist der Sohn eines besonders rigiden christlichen Predigers und wächst im 19. Jahrhundert in Cornwall auf. Der Vater hatte den jungen Oscar einmal dabei erwischt, wie er einen Christmas-Pudding probierte, eine so dekadente Köstlichkeit, daß sie in den Augen des Predigers eine absolute Scheußlichkeit war. Er versetzte seinem Sohn eine gewaltige Ohrfeige und zwang ihn auszuspucken, was er im Mund hatte. Oscar wuchs im puritanischen Geist seines Vaters auf und glaubte, er müsse auf jedes Vergnügen verzichten, um die Billigung seines himmlischen Vaters zu erlangen. Er führte das Leben eines Asketen in Oxford, wo er Theologie studierte, um Priester zu werden, und ganz für sich blieb, weil er die weltlichen Interessen der anderen Studenten nicht teilen konnte.

Trotz seiner einwandfreien Moral wurde Oscar von seinem Vater abgelehnt, weil er dessen Glaubensgemeinschaft der Plymouth-Brüder verlassen und sich der anglikanischen Kirche angeschlossen hatte. Oscar hatte das im zarten Alter von elf Jahren getan, weil er nicht glauben konnte, daß Gott an der ernsten Strenge seines Vaters Gefallen fände. In typischer Phosphor-Manier verließ sich der junge Oscar bei seiner Suche nach dem richtigen Glauben auf ein Zeichen von oben. Dazu warf er einen Stein über seine Schulter auf ein Gitter aus Vierecken in Form eines Kreuzes. Jedes Viereck repräsentierte ein anderes christliches Bekenntnis, und der Stein fiel mehrfach in das anglikanische Quadrat. Nun überzeugt davon, daß sein Vater »im Irrtum« war, litt Oscar unter schrecklichen Visionen der Hölle, die seinen Vater erwartete, und verließ sein Heim, um Zuflucht im Haus eines anglikanischen Priesters zu suchen, eines Mannes, der immer mitleiderregend gewirkt hatte, sogar auf Oscar. Obwohl er die Religion seines Vaters wegen ihre Strenge zurückwies, verlor Oscar nie seine puritanischen Ansichten. Anders als sein Sulfur-Vater versuchte er jedoch nie, diese Ansichten anderen Menschen aufzuzwingen, die er immer im bestmöglichen Licht sah.

In Oxford hatte Oscar kein Geld, um seine Studiengebühren zu bezahlen. Er wartete mehrere Wochen, ob sich vielleicht von selbst eine Lösung ergeben würde (Phosphor hofft oft auf ein Wunder, wenn Schwierigkeiten auftauchen), und schließlich kam die Lösung auch in Gestalt eines Kollegen, der ihn zum Pferderennen mitnahm. Oscar wußte nichts über Wetten, außer daß sie als unmoralisch galten. Ungeachtet dessen war er plötzlich überzeugt, daß Gott ihn zum Rennen geführt hatte, um ihm zu zeigen, wie er während des Priesterstudiums seinen Lebensunterhalt verdienen könne. Er spürte eine überwältigende Gewißheit, daß ein bestimmtes Pferd gewinnen würde, auf das er sein ganzes Geld setzte, und seine Intuition wurde reich belohnt. Das ist ein gutes Beispiel für das opportunistische Denken von Phosphor. Oscar bewahrte all seine hehren Prinzipien, überlegte sich jedoch, daß es auf den Zweck des Glücksspiels ankomme und daß Wetten als solches nicht unmoralisch sei. Da er immer noch sehr fromm war, gab er seine Gewinne nur für seine Unterkunft und bescheidene Verpflegung sowie seine Studiengebühren aus und spendete den Rest für wohltätige Zwecke. Sein Handeln ist zwar extrem, aber doch ein Ausdruck des großen Vertrauens in das Leben oder in Gott, das viele Phosphor-Menschen haben, die mit ihrem Geld ebenso sorglos wie selbstlos umgehen, weil sie mehr mit emotionalen oder spirituellen Zielen beschäftigt sind oder einfach den Dingen ihren Lauf lassen und darauf vertrauen, daß Gott für den nächsten Tag sorgen wird.

Der Romanautor hat die Gestalt des Oscar Hopkins so wirklichkeitsnah und differenziert gezeichnet, daß sie Hunderte von typischen Phosphor-Eigentümlichkeiten zeigt. Obwohl Oscar ursprünglich nur wettet, um seine Rechnungen bezahlen zu können, verfällt er dem damit verbundenen Nervenkitzel, und das Spiel wird schließlich sein Ruin. Viele Phosphor-Menschen sind suchtgefährdet, nicht weil sie sich von ihrem Schmerz ablenken wollen wie Natrium-Süchtige (obwohl das bei jedem Süchtigen eine Rolle spielt), sondern weil sie der Ekstase nicht widerstehen können, die mit ihrer Sucht verbunden ist. Oscar ist äußerst freundlich und liebenswürdig und auch ziemlich furchtsam. Er ist einer der mehr introvertierten Phosphor-Menschen, in denen die Erziehung viele Ängste ausgelöst hat. Phosphor kann entweder ausgelassen und extrovertiert wirken oder furchtsam und still, je nachdem wieviel Angst er als Kind erlebt hat und wie groß seine momentane Angst ist. Selbst der stillste Phosphor wie Oscar hat gelegentliche Temperamentsausbrüche, Augenblicke, in denen er seine Freude nicht für sich behalten kann und sie ausdrücken muß. Ich war fasziniert festzustellen, daß ein ganzes Kapitel des Buches davon handelt, wie Oscar enthusiastisch das Phänomen des phosphoreszierenden Meeres beschreibt. Kannte der Autor die homöopathischen Aspekte von Phosphor, oder war das nur ein schönes Beispiel von »Synchronizität«? Alle Homöopathie-Studenten müßten dieses Buch lesen, nicht nur wegen seiner detaillierten Beschreibung der Phosphor-Persönlichkeit, sondern auch, weil es die stolze und furchtsame Silicea in Gestalt der Lucinda Leplastrier genauso konsequent beschreibt.

Phosphor-Menschen haben unter anderem deshalb so ein schwach ausgeprägtes Identitätsgefühl, weil sie sich sehr stark mit anderen Menschen identifizieren, besonders mit ihren Eltern und ihren Partnern. Phosphor neigt zu Übertreibungen, und wenn er einen Menschen (oder ein Prinzip) liebt, dann stellt er den Betreffenden gerne auf ein Podest und wehrt sich gegen jeden Versuch von anderen, ihn dort herunterzustoßen. Seine Identifikation mit diesem Menschen führt dazu, daß er aus Bewunderung und Respekt dessen Meinungen, Verhalten und Gewohnheiten übernimmt. Vielleicht identifiziert er sich auch nicht mit einem Menschen, sondern mit einer Organisation oder einer Religion, und dann ist er wahrscheinlich das Gruppenmitglied mit der größten Hingabe und dem größten Vertrauen, und er wird jeden Hinweis ignorieren, der das Dogma seines Glaubens oder der Parteilinie in Frage stellt.

So wie Phosphor diejenigen, die er liebt, zu Idolen macht oder zumindest idealisiert, so übertreibt er auch die negativen Eigenschaften derjenigen, die er nicht leiden kann. Wenn sein Vater beispielsweise streng und grausam ist, wird der junge Phosphor wahrscheinlich zunächst versuchen, ihm alles recht zu machen, und ihn bedingungslos lieben, aber am Ende wird sogar Phosphor, wenn er ständig schlecht behandelt wird, sein Herz verschließen, und wenn das geschieht, kann er seinen Vater als Inbegriff alles Bösen darstellen und seine vielen guten Seiten vergessen. Selbst dann kann er jedoch jahrzehntelang darauf hoffen, daß sein Vater zu seiner Mutter zurückkehrt und sie ihn auf wunderbare Weise in den liebevollen Vater verwandelt, den er nie hatte. Phosphor kann Disharmonie nicht ertragen und spielt oft die Rolle des Friedensstifters. Dabei opfert er im Zweifelsfall sogar seine eigenen Interessen, um den Familienfrieden zu wahren.

Phosphor hat eine starke Tendenz zu verallgemeinern. Er findet es schwierig, die zahllosen Aspekte im Fluß des Lebens zu berücksichtigen, in dem er treibt (manchmal wie ein Boot ohne Steuer), und statt sie Stück für Stück zu betrachten, verallgemeinert er gerne, um sein Weltbild übersichtlicher zu machen. Er beginnt mit seiner eigenen persönlichen Erfahrung und versucht dann, neue Informationen ohne Unterschied in dasselbe Muster zu zwingen. Wenn man ein Phosphor-Mädchen beispielsweise fragt, was sie über die Russen denkt, antwortet sie vielleicht: »Oh, das sind reizende Leute. Ich habe einmal einen getroffen, der so ein nettes Lächeln hatte.« Im Gegensatz dazu wird Natrium realistisch antworten: »Ich weiß nicht, ich habe nur einen kennengelernt«, während Lycopodium dazu neigt, seine persönliche Erfahrung gar nicht zu erwähnen und statt dessen einen intellektuellen Diskurs über den slawischen Charakter zu eröffnen, wobei er Informationen verwendet, die er sich aus Büchern angelesen hat.

Das verworrene Denken, das für Phosphor so charakteristisch ist (im Gegensatz zum sprunghaften, unzusammenhängenden Denken von Argentum), ist eine Folge mangelhafter Konzentration. Wie die russische Phosphor-Übersetzerin kann er genügend Unterscheidungsfähigkeit entwickeln, um in bestimmten Bereichen effektiv zu handeln, aber weite Felder seines Lebens können nach wie vor in einer Art Niemandsland treiben. So kann er beispielsweise seine Gesundheit und seine Finanzen vernachlässigen und den Geburtstag seiner Frau vergessen, aber als Lehrer durchaus vernünftige Arbeit leisten. Wie Sulfur hat er wenig mit Details im Sinn (obwohl Sulfur anders als Phosphor bei Themen, die ihn interessieren, oft über ein enormes Detailwissen verfügt), und er beschäftigt sich auch nicht gerne mit unangenehmen praktischen Notwendigkeiten. Phosphor ist weniger intellektuell als Sulfur und interessiert sich mehr für ein sorgloses und glanzvolles Leben als für intellektuelle Ideen. (Der Unterschied entspricht dem zwischen Einstein und Peter Pan.)

Weil er für so viele Dinge offen ist, leidet Phosphor oft unter geistiger Zerstreuung. Während Sulfur die praktischen Notwendigkeiten zugunsten einer einzigen Sache ignoriert, von der er besessen ist, flattert Phosphor wie ein Schmetterling von einem vorübergehenden Interesse zum nächsten, ohne je mehr als ein oberflächliches Verständnis der Dinge zu entwickeln. Er mag einen scharfen Verstand und Talent haben, beispielsweise für Kopfrechnen, aber er hat nur sehr wenig geistige Disziplin (Kent: »unentschlossen«), und er ist gewöhnlich ein rastloser, ungeduldiger Student (es sei denn, er studiert etwas, das seiner ätherischen Natur entspricht, wie Malerei oder Ballett).

Seine Zerstreutheit läßt Phosphor manchmal unbestimmt und konfus wirken. Obwohl die Phosphor-Krankenschwester gewissenhaft ist, fällt es ihr vielleicht schwer, die ärztlichen Anweisungen buchstabengetreu zu befolgen, oder sie verwechselt die Temperatur des einen Patienten mit dem Puls des anderen, wenn sie die Krankenakten ausfüllt. Im allgemeinen verfügt Phosphor über genügend geistige Klarheit, um bei der Arbeit zurechtzukommen, aber nicht ohne zahlreiche kleine Ausrutscher und Versehen. Ich habe erlebt, wie Phosphor-Menschen ihre Zerstreutheit bereitwillig zugaben, um ihre Fehler zu entschuldigen. Einer meiner Phosphor-Patienten »hudelte« bei den Details, wenn er etwas verbergen wollte, dessen er sich schämte, und meine Phosphor-Freundin hatte eine ähnliche Angewohnheit, indem sie die Sache mit einem Deckmantel unzusammenhängender Beobachtungen umhüllte, wenn sie sich vor unangenehmen Fakten drücken wollte.

Die Phosphor-Frau reagiert überempfindlich auf viele Einflüsse, und wenn sie unter Streß steht, wirkt sie besonders konfus. Dann tut sie vielleicht unsinnige Dinge, steckt die Kleider in die Spülmaschine und das Geschirr in die Waschmaschine, und wenn sie ihren Fehler bemerkt, weiß sie nicht, ob sie lachen oder weinen soll.

Furcht und Ängstlichkeit

Das Ausmaß an Angst, mit der ein Mensch heranwächst, hängt sowohl von seiner Konstitution ab als auch davon, wie sehr er sich von seiner Umgebung bedroht fühlt. Phosphor reagiert empfindlicher als die meisten auf seine Umgebung, und während seiner Kindheit kann jede häusliche Disharmonie Ängste auslösen, die, wenn sie länger anhalten, ein Teil der Persönlichkeit werden.

Es ist Phosphors extreme Offenheit gegenüber äußeren Einflüssen, die ihn in Kombination mit seinem relativ schwachen Identitätsgefühl verletzlich macht. Weil er ständig aus allen Richtungen unter einem Sperrfeuer sinnlicher Eindrücke steht, die eine berauschende Mischung von Gefühlen auslösen, neigt er manchmal zur Panik, wenn ihm alles zuviel wird und er das Kaleidoskop der Gefühle und Gedanken, die ihm durch den Kopf schwirren, nicht mehr verarbeiten kann. So ist Phosphor besonders anfällig für Ängste, wenn er unter Druck steht und auch wenn er aufgeregt ist oder sich in einer ungewohnten Umgebung befindet. Anders als Pulsatilla und Calcium ist er von Natur aus ein Abenteurer und nimmt gerne jede Gelegenheit wahr, etwas Neues zu erleben, doch seiner anfänglichen Begeisterung kann Angst folgen. Das gilt vor allem für Phosphor-Kinder. Wie Ignatia-Kinder sind sie sehr leicht erregbar, und in ihrer Aufregung überschreiten sie manchmal die Grenzen dessen, was sie an Erfahrungen bewältigen können. So trifft ein Phosphor-Kind vielleicht viele ihm bisher unbekannte Kinder auf einer Geburtstagsparty. Zunächst findet der kleine Junge das sehr spannend, und er stürzt sich voller Eifer auf die neuen Spielgefährten. In seiner Aufregung schreit und tanzt er herum und spielt den anderen Kindern Streiche. Wenn die Aufregung ihren Höhepunkt erreicht hat (Kent: »Erregung bis zur Ekstase«), kommt es zu einer plötzlichen Veränderung der Umstände, mit der er nicht mehr fertig wird. Vielleicht tritt ein Clown auf, um die Kinder zu unterhalten, und das Aussehen des Clowns versetzt ihn in Angst, statt ihn zu amüsieren. Wäre er nicht so erregt gewesen, würde er sich jetzt nicht fürchten, aber sein Gehirn kann den neuen Eindruck nicht mehr verarbeiten, und so reagiert er mit Panik und schreit nach seiner Mutter.

Der Phosphor-Erwachsene bekommt leicht Angst, wenn sein Leben zu hektisch wird. In solchen Situationen erfindet er möglicherweise Probleme, die es gar nicht gibt. So kann beispielsweise ein junger Phosphor-Mann am Vorabend seiner Hochzeit plötzlich Angst bekommen, er werde einen Autounfall haben, oder er stellt sich vor, daß seine Braut ihn nicht mehr liebt (Kent: »Angst vor imaginären Dingen«). Am nächsten Tag mag ihm das albern vorkommen und vergessen sein, aber in diesem Moment löst es erhebliche Ängste aus.

Genauso kann Phosphor in Streßzeiten aus einer Mücke einen Elefanten machen. Seine Phantasie spielt verrückt und wird nicht mehr vom gesunden Menschenverstand kontrolliert. Eine Phosphor-Frau, die sich durch Schwierigkeiten am Arbeitsplatz unter Druck fühlt, bekommt vielleicht Angst, daß ihre Verdauungsstörungen ein Krebssymptom sein könnten (Kent: »Angst vor drohenden Krankheiten«). Diese Angst kann sie quälen, bis ihre Probleme am Arbeitsplatz beseitigt sind; dann ist sie plötzlich wieder verschwunden. Ein Phosphor-Mann, der in Beziehungsschwierigkeiten steckt, kann zu der Überzeugung kommen, daß seine Freundin, wenn sie eine Verabredung verschiebt, sich mit einem anderen Mann trifft, und von dieser Angst ist er besessen, bis er sie wiedersieht und sie ihm das Gegenteil versichert. Obwohl er im allgemeinen ein Optimist ist (oft sogar ein unverbesserlicher), neigt Phosphor unter Streß dazu, sich die schlimmsten Dinge vorzustellen, und leidet infolgedessen unter starken Ängsten. Glücklicherweise lassen sich diese Ängste meist durch ein wenig beruhigenden Zuspruch leicht zerstreuen. Da ihm selbst die Grenzen fehlen, braucht Phosphor gelegentlich jemanden, der ihn beschützt und ihm sagt, daß alles in Ordnung ist. Diese Beruhigung wirkt ebenso positiv, wie kleinere Bedrohungen negativ wirken können. So ist seine Naivität und Beeindruckbarkeit Segen und Fluch zugleich.

Phosphor ist furchtsamer, wenn er allein ist. Die Anwesenheit von Menschen (sogar von Unbekannten) hilft ihm, sein Bewußtsein im Hier und Jetzt zu verankern, und verhindert, daß er in imaginäre Schrecken abgleitet. Besonders anfällig für Ängste ist Phosphor, wenn er nachts oder im Dunkeln alleine ist (Kent: »Angst, alleine zu sein«, »Angst vor der Dunkelheit«). Phosphor-Frauen neigen noch mehr zur Ängstlichkeit als die Männer, vor allem in der Nacht. Ihre lebhafte Phantasie treibt in der Dunkelheit wilde Blüten und verwandelt jeden Schatten und jedes Geräusch in einen Spuk (Kent: »sieht Gesichter, wenn er sich umschaut«). Wie Medorrhinum hat die Phosphor-Frau Angst vor Geistern und Gespenstern, an die sie mehr als die meisten anderen Menschen glaubt, aber sie hat auch mehr Grund dazu, weil sie wie Medorrhinum relativ hellsichtig ist.

Phosphor-Menschen sind oft Hypochonder. Jedes geringste Symptom und jede kleinste Verletzung löst Angst vor einer tödlichen Krankheit aus, besonders wenn sich die Phosphor-Frau in einer allgemein ängstlichen Phase befindet. Zu anderen Zeiten ist sie sich auf eine glückliche Weise ihres Körpers oft gar nicht bewußt, oder sie nimmt die Glückseligkeit wahr, die ihn durchströmt (wogegen Arsenicum sogar in guten Zeiten selten frei von Angst vor Krankheit und Tod ist). Aber auch diese Angst kann der Arzt, wenn sie ungerechtfertigt ist, meist leicht zerstreuen, während Arsenicum sich nicht so einfach beruhigen läßt.

Besonders charakteristisch für Phosphor ist die unerklärliche Furcht, daß jeden Moment etwas Schreckliches passieren könnte. Das ist wahrscheinlich eine Folge angstbesetzter Phantasien in Verbindung mit der Erinnerung daran, daß bestimmte Vorahnungen sich in der Vergangenheit als richtig erwiesen haben. Weil sie weiß, daß ihre Intuition oft stimmt, reagiert die Phosphor-Frau um so stärker auf jedes Gefühl von Bedrohung, das sie empfindet. (Dabei fällt ihr gar nicht auf, daß die meisten ihrer Vorahnungen sich nicht als richtig erwiesen haben.) In solchen Zeiten ist sie nur schwer zu beruhigen, weil sie das Gefühl hat, daß sie mehr als andere über die Zukunft weiß, und vielleicht davon überzeugt ist, daß ihre Schreckensvision eintreffen wird. Wenn sie sich jedoch erst einmal entspannt hat und die anderen Streßfaktoren aus ihrem Leben verschwunden sind, wird sich auch ihre Furcht wieder auflösen (wenn es sich nicht um eine wirkliche Intuition handelt, die dann auch meist bestehenbleibt).

Weil sie der Gewalttätigkeit der Welt so verletzlich und offen gegenübersteht, wird eine Phosphor-Frau, die schon viel Leid erlebt hat, manchmal eine argwöhnische und paranoide Einstellung entwickeln. Wenn sie beispielsweise als kleines Kind von ihrer Mutter grausam behandelt wurde, wird sie später von fast jedem Menschen Böses erwarten, besonders von Frauen, die sie an ihre Mutter erinnern (Kent: »argwöhnisch«). Eine Natrium-Frau, die durch ihre Leiden etwas paranoid geworden ist, kann einen »stacheligen«, defensiven Charakter entwickeln. Phosphor dagegen wird furchtsam. Wenn sie sich angegriffen fühlt, wird sie nicht zurückschlagen wie Natrium, sondern sich an einen sicheren Platz zurückziehen oder zumindest schweigen, um der Aggression zu entgehen. Wenn sie dann auch noch das Gefühl hat, daß niemand da ist, der sie unterstützen würde, kann sie ziemlich panisch werden und sich in sich selbst zurückziehen. In ihrer Isolation gibt es dann niemanden, der ihre paranoiden Befürchtungen zerstreuen könnte, so daß die Angst möglicherweise noch zunimmt. Dennoch entwickelt Phosphor selten eine echte Paranoia.

Wenn Phosphor sich bedroht fühlt, neigt sie dazu, sich ähnlich wie ein Kind in magisches Denken zu flüchten, um die Gefahr abzuwenden. Wenn sie religiös ist, wird sie intensiv um Schutz beten, wenn nicht, wird sie ihr eigenes geistiges Schutzritual durchführen. Vielleicht schließt sie angesichts einer Gefahr die Augen und zählt rückwärts von zehn bis eins, als ob die Gefahr am Ende der Zahlenreihe auf magische Weise verschwinden würde, oder sie sammelt Glücksbringer und trägt sie mit gläubiger Zuversicht. Dabei kann es sich um industriell gefertigte Glücksbringer wie kleine Hufeisen handeln oder auch um jedes beliebige Objekt, das Phosphor zum persönlichen Talisman erklärt hat. Mögl icherweise sammelt sie farbige Muscheln oder trägt die Haarlocke eines ehemaligen Liebhabers mit sich herum, um sich so vor dem Bösen zu schützen. Phosphor wird in Kents Repertorium nicht unter der Rubrik »abergläubisch« autgeführt, aber es sollte dort in Fettdruck stehen. In seinem wirklichkeitsgetreuen Porträt des phosphorischen Oscar in seinem Roman Oscar und Lucinda schildert Peter Carey, wie Oscar im Boot seine »Glückshaube« (ein Häutchen, das gelegentlich den Kopf eines Kindes bei der Geburt bedeckt und das sein Vater für ihn aufbewahrt hatte) als Schutz gegen den unerbittlichen Tod festhält, um dadurch seine panische Angst vor dem Meer abzuwehren.

Obwohl Phosphor viele Ängste haben kann, wird die äußere Erscheinung oft durch seine Abenteuerlust, seine extrovertierte Haltung und seine Lebensfreude beherrscht, so daß der Eindruck einer sorglosen und unbekümmerten Persönlichkeit entsteht. Dieser Eindruck ist im allgemeinen zutreffend, weil Phosphor emotional so transparent ist. Die meisten Phosphor-Menschen neigen zu häufigen, aber schnell vorübergehenden Angstanfällen, die ihren geistigen Schwung nicht lange überschatten. Einige wenige, die größere Härten als andere ertragen mußten, sind vielleicht die meiste Zeit ängstlich, aber selbst diese stärker geschädigten Phosphor-Seelen reagieren, verglichen mit mehr introvertierten Typen wie Natrium und Ignatia, in der Regel bemerkenswert schnell auf eine sichere, liebevolle Umgebung.

Körperliche Erscheinung

In Übereinstimmung mit dem charismatischen Wesen der Phosphor-Persönlichkeit sind Phosphor-Menschen oft sehr schön. Ihr Körperbau ist im allgemeinen groß, schlank und sehr feingliedrig, biegsamer als die meisten, fast so, als hätten ihre Gelenke einen doppelten Radius. Ihre Gliedmaßen sind meist lang und zierlich wie bei Tänzern, aber nicht so zerbrechlich wie die von Silicea. Ihre Körperhaltung ist in der Regel locker und entspannt, und sie bewegen sich mit müheloser Grazie. (Es gibt jedoch eine Variante von Phosphor, die groß ist und sich schlaksig und unbeholfen bewegt wie ein neugeborenes Fohlen.)

Der Körperbau von Phosphor ist dem von Tuberculinum sehr ähnlich, einem nahe verwandten Typ. Beide sind oft sommersprossig, und beide haben häufig eine Trichterbrust. Phosphor ist jedoch graziöser als Tuberculinum, der drahtiger ist.

Die Gesichtszüge von Phosphor sind gewöhnlich sehr charakteristisch. Besonders auffallend sind die ungewöhnlich großen Augen mit sehr langen Wimpern, deren Blick auf höchst attraktive Weise unschuldig wirkt. Der Teint ist meist sehr weich und glatt, sogar bei Männern, und die Haut fühlt sich seidig an. Das Gesicht ist eher knochig als rund und hat oft eine dreieckige Form mit spitzem Kinn und breiter Stirn.

Phosphor hat im allgemeinen einen großen Mund (der sein offenes Wesen widerspiegelt) mit fein geschwungenen Lippen. Die Zähne sind meist groß und auffallend, und die vorderen Frontzähne stehen manchmal etwas vor.

Die Mehrheit der Phosphor-Menschen hat etwas Spitzbübisches, und die Männer wirken oft ziemlich androgyn.

Das Haar ist in der Regel glatt und seidig, häufig hellbraun oder rötlich, obwohl es gelegentlich auch blond oder sogar schwarz sein kann.

Berühmte Phosphor-Persönlichkeiten sind beispielsweise die Schauspielerinnen Michelle Pfeiffer und Julia Roberts und der Schauspieler Martin Short. Das australische Supermodel Elle McPherson ist wahrscheinlich ebenfalls Phosphor wie auch Lyle Lovett, der Exehemann von Julia Roberts, der den typischen übergroßen Mund hat und den etwas »glotzenden« Blick, der bei Phosphor-Menschen verbreitet ist.