Nux vomica
Nux ist ein faszinierender und relativ seltener Typ, dessen Charakter weitaus reicher und interessanter ist, als man nach der Lektüre der alten Arzneimittellehren annehmen könnte, denn diese konzentrieren sich prinzipiell auf Reizbarkeit und Ärger oder Wut. Das ist nicht nur deshalb bedauerlich, weil die Homöopathen dadurch viele Nux-Patienten nicht erkennen, sondern auch, weil man Nux, der ebenso viele positive wie negative Züge hat, dadurch unterschätzt.
Der universellste und fundamentalste Aspekt des Nux-Charakters ist die Liebe zur Macht und die Fähigkeit, Macht zu erlangen und sie selbstsicher auszuüben. Fast alle Nux-Menschen sind mächtig, abgesehen von denen, die durch ernsthafte Schicksalsschläge zu Boden geworfen wurden (aber ehe das geschieht, muß Nux schon hart getroffen werden), und denen, die sich selbst völlig erschöpft haben. Nux ist mit der Macht vertrauter als jeder andere Typ; im Grunde kann er ohne Macht gar nicht glücklich sein. Er ist eine Herrschernatur, und er herrscht mit großer Selbstsicherheit und oft auch mit Großmut.
Ich habe sechs Charaktere oder »Archetypen« ausgewählt, um die verschiedenen Eigenschaften darzustellen, die Nux psychologisch charakterisieren. Die meisten Nux-Menschen sind eine Mischung dieser »Archetypen«, aber einer wird gewöhnlich vorherrschen.
Der Krieger
Der echte Krieger ist Nux vomica, und alle Nux-Menschen haben etwas von einem Krieger im Blut. Bloßer Erfolg bedeutet ihm nichts; es ist der Sieg, der seinem Leben einen Sinn gibt, und im Augenblick des Sieges erlebt er seine süßeste Genugtuung. Nach dem Sieg ruht sich Nux nicht auf seinen Lorbeeren aus; er sammelt seine Kräfte schnell wieder, hält nach neuen Schlachten Ausschau und erobert neue Territorien.
Es gibt heute nur wenige echte Krieger. Der Ausdruck Krieger beinhaltet weit mehr, als nur Kämpfer oder Soldat zu sein, und es sind diese zusätzlichen Eigenschaften, die Nux von allen anderen Menschen unterscheiden. Der Krieger ist nicht nur geschickt in der Kunst der Kriegsführung, er ist auch furchtlos, körperlich und geistig außerordentlich beweglich und in gewissem Sinne edel. Der Natrium- oder Kalium-Soldat kämpft vielleicht pflichtbewußt für sein Land, aber er ist froh, wenn der Krieg vorbei ist und er in den sicheren Schoß der Familie zurückkehren kann. Der Nux-Krieger genießt dagegen den Kampf und fühlt sich in Friedenszeiten rastlos. Shakespeare zeichnet ein perfektes Porträt des Nux-Kriegers in der Gestalt des Hotspur, des feurigen Adeligen in Heinrich IV., Teil I, der am Ende des Stücks den König betrügt. Auch in Friedenszeiten denkt Hotspur an nichts anderes als an die nächste Schlacht, sogar während er schläft. (Lady Percy: »Unter deinem unruhigen Schlummer habe ich an deiner Seite gewacht und dich von Krieg und Schlachten murmeln gehört.«)
Der Nux-Krieger handelt nach seinem eigenen Willen und folgt keinen Anweisungen von außen, es sei denn, sie kämen von einem anderen Nux-Krieger, dessen Können und Erfahrung ihm überlegen sind. Gehört er zu einer militärischen Abteilung, wird er zähneknirschend einem Befehl folgen, mit dem er nicht einverstanden ist, und so schnell wie möglich Karriere machen, damit er niemandem mehr Rechenschaft schuldig ist (Kent: »Abneigung zu antworten« – damit ist nicht nur gemeint, daß Nux sich nicht gerne unterbrechen läßt, sondern auch, daß er sich weigert, Fragen nach dem Sinn seines Handeins zu beantworten). Nux ist extrem pragmatisch und meist sehr gründlich bei dem, was er tut (Kent: »Sorgfalt«), anders als Sulfur, der oft nur theoretisiert. Der Nux-Befehlshaber ist das stärkste und fähigste Mitglied seiner Abteilung. Er steht an vorderster Front (zumindest war das früher so) und würde es auch nicht anders wollen.
Nux hat so viel Selbstvertrauen und ist sich seiner eigenen Kraft so sicher, daß er dazu neigt, Regeln und Anordnungen zu ignorieren (anders als Arsenicum und Natrium, zwei andere sehr gründliche Typen). Nux fühlt sich in fast jeder Situation verantwortlich und betrachtet äußere Regeln deshalb als Affront gegen seine natürliche Autorität. Infolgedessen ist der Nux-Krieger ein Einzelgänger. Er folgt seinen eigenen Gesetzen, und weil er so geschickt und mutig ist, hat er meist auch Erfolg. Der Schauspieler Clint Eastwood verkörpert mit seinen Filmrollen ausgezeichnet den Nux-Einzelgänger. Ob als Vagabund in der Prärie, der eine Ortschaft mit seiner schweigenden Macht beherrscht, oder als Polizist in New York, Eastwood spielt immer eigenwillige Menschen, die stets Erfolg haben. Das hängt zwar teilweise mit dem Drehbuch zusammen, ist aber auch ein getreues Abbild des Nux-Kriegers, der sehr selten verliert. Ein anderes gutes Beispiel für den Nux-Krieger ist Muhammad Ali, der frühere Schwergewichts-Boxweltmeister. Anders als viele seiner Gegner, die sich schwerfällig bewegten, »schwebte er wie ein Schmetterling und stach wie eine Biene«. Seine Schnelligkeit und Beweglichkeit wirkten anmutig, und er hypnotisierte seine entsetzten Gegner. In echter Nux-Manier versäumte Ali keine Gelegenheit, auf sein gutes Aussehen hinzuweisen, und im Ring glorifizierte er seine eigene Kraft, indem er sagte: »Ich bin der Größte« und seinen Gegner davor warnte, ihn mit seinem früheren Namen Cassius Clay anzusprechen. Anders als die mürrischen Natrium-Schwergewichtler ist der Nux-Krieger wie ein Gepard, ebenso graziös wie schnell und tödlich.
Anders als Natrium kämpft der Nux-Krieger nicht aus Bitterkeit, sondern weil es seine Bestimmung in diesem Leben ist – das, was er am besten kann und am meisten genießt. Wenn er einen Gegner im Visier hat, ist er ausschließlich darauf konzentriert, ihn zu besiegen, aber anschließend hegt er keinen Groll gegen ihn (es sei denn, dieser Groll wäre der Anlaß für den Kampf gewesen). Nux hat größten Respekt vor einem starken Gegner, die Art von Respekt, die gegnerische Spitzenpiloten im zweiten Weltkrieg voreinander hatten oder Generäle gegenüber einem gefangenen feindlichen Offizier zeigten. Wenn jemand Nux in die Quere kommt, wird er ihn entweder ignorieren, weil er ein kleiner Fisch ist (Kent: »geringschätzig«), oder ihn rasch mit seinem messerscharfen Verstand oder sogar handgreiflich besiegen. Wenn der Gegner besiegt ist, vergißt er ihn oder freundet sich sogar mit ihm an, wenn er ihn interessant findet. Es ist der Sieg, den Nux braucht. Er ist gewöhnlich kein Sadist, wenn er seinen Gegner überwunden hat.
Der Nux-Krieger hat wenig Zeit, sich mit zarten Dingen wie Kunst und Romanzen zu beschäftigen. Wie der kriegerische Hotspur es ausdrückt: »Es ist jetzt keine Zeit, mit Puppen zu spielen und mit Lippen zu fechten. Jetzt ist es um blutige Nasen und gespaltene Hirnschädel zu tun.« Er läßt sich durch andere nicht von seinem Weg abbringen und reagiert leicht verärgert, wenn seine ernsten Geschäfte von einem »unbedeutenden Wicht« unterbrochen werden. Hotspur weigert sich, einen wichtigen Kriegsgefangenen an einen Gesandten des Königs zu übergeben. Später erklärt er dem König: »Wie die Aktion zu Ende war, und ich, ganz ausgetrocknet von Hitze und Arbeit, atemlos und abgemattet auf mein Schwert mich lehnte, da kam ein gewisser junger Herr, nett, zierlich aufgeputzt, frisch wie ein Bräutigam … Er war parfümiert wie ein Spezereikrämer und hielt zwischen seinem Finger und seinem Daumen eine Schnupfbüchse, die er alle Augenblicke vor die Nase hielt; immer hatte er was zu lächeln und zu schwatzen; und wie die Soldaten tote Körper vorbeitrugen, hieß er sie ungezogne Flegel, eine so unsaubre und unartige Bürde zwischen den Wind und seine adelige Person zu bringen. Er fragte mich mit einem Strom von Sonntags- und Frauenzimmerredensarten nach hundert Sachen und forderte mir endlich auch zu Händen Eurer Majestät meine Gefangnen ab. Ich, den meine Wunden überall schmerzten, und verdrießlich darüber, daß mich ein solcher Papagei zur Unzeit übertäuben wollte, antwortete ihm im Unmut und in der Ungeduld, ich weiß nicht was« (Kent: »Ärger mit Empörung«).
Der Nux-Krieger ist von erfrischender Schlichtheit, und das gilt weitgehend auch für die meisten anderen Nux-Menschen. Das Leben besteht für ihn aus Eroberungen, und die genießt er. Er hat keinen Bedarf für Komplikationen wie Philosophie und Moral. Solche Zerstreuungen überläßt er Politikern und Intellektuellen, die er verabscheut, weil sie Feiglinge und Lügner sind. Der Nux-Krieger ist in seiner Sprache sehr direkt. Er sagt seine Wahrheit ohne Rücksicht auf die Gefühle anderer Menschen (Kent: »Indiskretion«), was für einige Leute sehr attraktiv ist, während andere es als bedrohlich empfinden, besonders jene, die vorgeben, etwas anderes zu sein, als sie sind. Als der große walisische Kommandeur Owen Glendower sich gegenüber Hotspur in typischer Sulfur-Manier brüstet, er könne ihn lehren, dem Teufel zu gebieten, antwortet Hotspur: »Und ich kann dich den Teufel beschämen lehren; du darfst nur die Wahrheit reden.« Nichts liebt Nux mehr, als die Seifenblasen der Arroganz anderer Menschen platzen zu lassen. Ein besonders arroganter Arzt war mit meinem Nux-Freund zum Abendessen verabredet. Der Arzt machte Witze über den roten Porsche meines Freundes und vermutete, er sei ein Phallussymbol. Mein Nux-Freund antwortete gelassen: »Ich weiß, warum Sie keinen Porsche haben. Sie passen nicht rein, weil Sie zu dick dafür sind.«
Ich bin sicher, daß fast alle großen Generäle Nux vomica sind. Nur wenige andere Typen haben das, was man dazu braucht. Männer wie Dschingis-Khan und Alexander der Große zeigen beispielhaft die Größe des Nux-Kriegers. Sie waren nicht nur brillante militärische Strategen, sondern auch sehr zielstrebig und so machthungrig, daß sie ihre Reiche immer mehr erweiterten, bis sie sie nicht mehr zusammenhalten konnten. Wenn der Nux-Krieger eine Schwäche hat, dann die, daß er sein Machtstreben schließlich übertreibt.
Der durchschnittliche Nux-Mensch («durchschnittlich« paßt nicht gut zur Statur von Nux) hat auch etwas von einem Strategen. Ob er nun hinter einer hübschen Frau her ist oder eine Firma übernehmen will, er wird sein Vorgehen immer mit der größtmöglichen Präzision planen und zur rechten Zeit ohne Zögern zuschlagen. Natrium und Arsenicum können genauso präzise sein wie Nux, und Arsenicum kann genauso schlau sein, aber keiner hat den eisernen Willen, der den Erfolg von Nux garantiert. Wenn Nux erreicht hat, was er will, dann schreit er befriedigt seinen Sieg in die Welt hinaus und reckt voller Trotz und Selbstglorifizierung die Fäuste in die Luft.
Der Nux-Krieger ist nicht nur die Kanonenkugel, die alles durchdringt, sondern auch das Schießpulver, das der Kugel die Kraft verleiht. Nux hat enorme Energiereserven, die ihn befähigen durchzuhalten, bis die Schlacht gewonnen ist. Diese Energie ist teilweise das Ergebnis seiner physischen Stärke und Fitneß, teilweise entsteht sie aber auch immer wieder neu durch seine grenzenlose Entschlossenheit. Die meisten Nux-Menschen führen ein so hektisches Leben, daß sie die Leute in ihrer Umgebung erschöpfen. Es macht ihnen nichts aus, zwölf Stunden zu arbeiten und dann ein oder zwei Gegner beim Squash fertigzumachen, bevor sie zum Essen ausgehen. Dann geht es auf ein paar Drinks in den Nachtclub und anschließend erschöpft, aber zufrieden ins Bett.
Um diesen Lebensstil durchhalten zu können, nehmen sich viele Nux-Menschen regelmäßig Zeit, um sich fit zu halten. Eine große Zahl von ihnen genießt lebhafte körperliche Aktivitäten wie Squash und Skilaufen und betreibt sie mit derselben Entschlossenheit und Begeisterung wie die Karriere. Ich erinnere mich an einen Nux-Arzt, der jeden Tag ein paar Kilometer mit hohem Tempo schwamm, um sich auf seinen Skiurlaub vorzubereiten. Das war nicht der mürrische Stoizismus von Aurum und Natrium, sondern einfach eine praktische Maßnahme. Je besser er vorbereitet war, desto länger und aggressiver konnte er auf den Hängen Ski laufen. In typischer Nux-Manier zog er es vor, sich von einem Hubschrauber auf dem Gipfel unzugänglicher Berge absetzen zu lassen und sich dann durch den jungfräulichen Schnee seinen Weg nach unten zu bahnen. Die gemächlicheren Herausforderungen der Piste waren für schwächere Sterbliche als ihn gedacht. In ebenso typischer Nux-Manier zeigte er in verschiedenen Sportarten hervorragende Leistungen, im Grunde sogar bei allem, was er tat. Sein Frau sagte, es sei so, als habe sie Superman geheiratet.
Selbst in dem sanftesten Nux-Menschen steckt ein Krieger. Nux-Typen, die selbst noch über keine Machtbasis verfügen, haben die Angewohnheit, sich vorzustellen, wie sie glänzende Schlachten schlagen. Ein Nux-Patient hat mir erzählt, er habe sich immer vorgestellt, wie er einen Haufen Schläger ganz alleine fertigmachen würde. Er war körperlich nicht besonders stark, sondern hatte eher geistige Interessen. Doch diese Phantasie war ein Hinweis auf den Krieger, der in ihm steckte und durch das intellektuelle Äußere hervorschien. Nux bewundert Stärke, und vor allem der jugendliche Nux sucht sich starke Vorbilder wie beispielsweise seinen erfolgreichen Nux-Vater und glänzende Kämpfer wie Clint-Eastwood-Typen und historische Generäle.
Der Ritter
Nicht alle Nux-Krieger sind skrupellos. Viele folgen einem Ehrenkodex und verteidigen gerne die Schwachen. Der legendäre Robin Hood ist ein gutes Beispiel, ebenso die Ritter von König Artus' Tafelrunde. Wie die meisten mächtigen Gestalten sind echte Ritter häufig entweder Sulfur oder Nux. Der Nux-Ritter ist nicht ganz so idealistisch wie sein Sulfur-Gegenstück, aber er wird seine eigene Ehre und die Ehre des Königs und der Königin mit seinem Leben verteidigen. (Hotspur: » … aber laßt euch sagen, Milord Hasenfuß, daß wir aus dieser Nessel-Gefahr die Blume Sicherheit pflücken wollen.«)
Der Ritter repräsentiert den edelsten Teil von Nux. Es gibt zwar heute keine bewaffneten Ritter mehr, aber es gibt immer noch eine ganze Menge Nux-Ritter, die zur Verteidigung der Schwachen kämpfen. Der edle Nux erträgt keine Brutalität, und da er ebenso mächtig wie edel ist, genießt er es, sich gegen Unterdrücker aufzulehnen. Mein Nux-Schulfreund stand immer zwischen dem Klassen-Brutalo (der ein Natrium-Rebell war) und einigen Schwächlingen aus unserer Klasse. Er kämpfte nie mit dem Brutalo, aber sein stahlharter Blick reichte stets aus, um den anderen zum Rückzug zu bewegen.
Jeder Nux-Mann ist der Ritter seiner Partnerin und seiner Kinder. Obwohl er zeitweise von seiner Arbeit besessen sein kann, ist er eine Säule der Stärke für seine Familie und wird sie bis zum letzten Atemzug verteidigen. Er mag die Gleichberechtigung der Frau befürworten, aber er weiß, daß Männer und Frauen unterschiedlich sind und daß es zur Rolle des Mannes gehört, seine Familie zu schützen und für sie zu sorgen. Nux hat immer noch etwas von einem jagenden Höhlenmenschen in sich. Vielleicht zieht er seine Frau an den Haaren in seine Höhle (metaphorisch ausgedrückt), aber er wird sie und seine Kinder gegen alle Gefahren verteidigen. Je größer die Bedrohung für seine Familie, desto mehr Mut findet Nux in seinem Inneren, einen Mut, der sich aus Wut und der üblichen Nux-Entschlossenheit zusammensetzt.
Das erinnert mich an einen entfernten Nux-Verwandten, der mir einmal erzählte, welchen Kampf er in einem Hotel ausgefochten hat. Er hielt sich mit seiner Frau in einem Hotel auf, als sie nachts vom feuchtfröhlichen Lärm einer Gruppe Männer gestört wurden, die im Nebenzimmer feierten. Seine Frau hatte Kopfschmerzen, und so ging er nach nebenan, um sich über den Lärm zu beschweren. Er hatte sich dazu nur ein Handtuch um die Hüften geschlungen. Es überrascht nicht weiter, daß er von seinen betrunkenen Nachbarn nur Hohn und Spott erntete. Einer von ihnen schlug ihn ins Gesicht. Dann wurde er von mehreren dieser Männer angegriffen und flüchtete durch den Korridor, nicht ohne kurz anzuhalten und seiner Frau zuzurufen, sie solle die Tür fest verschlossen halten. Die Betrunkenen jagten ihn nackt die Treppe hoch, bis er schließlich das höchste Stockwerk erreicht hatte und nicht mehr weiterkam. Hier stellte er sich mit dem Rücken gegen die Wand und verteidigte sich. Etwa fünf Minuten lang kämpfte er mit einem Angreifer nach dem anderen, wobei er jede Attacke mit einem karateähnlichen Schlag seiner Hände oder Füße abwehrte. Schließlich fand und betätigte er den Feueralarmknopf und wurde von der Polizei gerettet. Zuvor hatte er jedoch die Gesichter seiner Angreifer blutig geschlagen, und einige von ihnen lagen leblos auf dem Boden. Als Nux war er sehr stolz auf seinen Sieg und genoß es, mir die Situation zu beschreiben, obwohl er dabei eine gewisse Nonchalance in seiner Stimme behielt, als wollte er sagen: »Eigentlich war das nichts.« Nux gerät eher als jeder andere Typ in solch eine Situation, denn er nimmt es nicht hin, wenn er oder seine Familie schlecht behandelt werden, und oft verteidigt er auch auf der Straße unschuldige Opfer gegen gewaltsame Übergriffe. Er nimmt das Recht lieber selbst in die Hand, als sich auf die lästige und ungewisse offizielle Justiz zu verlassen.
Der Ritter ist im allgemeinen wesentlich höflicher als andere Nux-Krieger. Obwohl er niemals katzbuckelt, behandelt er die Leute mit Respekt und ist Frauen gegenüber besonders höflich. (Es gibt auch einige wenige Nux-Frauen, aber diejenigen, die ich kennengelernt habe, passen nicht in den Ritter-Archetyp.) Es ist schwer zu sagen, wann die Höflichkeit gegenüber dem anderen Geschlecht wirklich ehrenhafte Absichten verfolgt und wann sie der Anmache und Eroberung dienen soll. Die meisten Nux-Männer lieben Frauen im allgemeinen (obwohl sie in ihrer Liebe ziemlich chauvinistisch sein können), und auch wenn der Ritter in seinen Absichten gegenüber Frauen etwas »reiner« ist als die anderen, will er genauso die Gunst einer attraktiven Frau gewinnen, selbst wenn er verheiratet ist und nicht die Absicht hat, mit ihr ins Bett zu gehen. Viele Nux-Männer haben attraktive Gesichtszüge, die wie gemeißelt wirken (Clint Eastwood), und wenn sie mit Charme und einem durchdringenden Blick kombiniert sind, kann das auf viele Frauen unwiderstehlich wirken. Die meisten Nux-Menschen haben Charisma. Ihre persönliche Ausstrahlung beruht sowohl auf ihrer Stärke als auch auf ihrer natürlchen Grazie. Der Ritter wirkt besonders charismatisch, weil er die Härte eines Diamanten hat, jedoch ohne die scharfen Kanten, die Nux sonst oft so rauh erscheinen lassen. Wie die Meister östlicher Kampfkünste hat er einen guten inneren Gleichgewichtssinn. Der Ritter ist der großzügigste und anmutigste unter den Nux-Menschen. Er hat vielleicht keine der Launen, für die Nux so berüchtigt ist, und das kann den Homöopathen so verwirren, daß er ihm möglicherweise ein »sanguinischeres« Mittel wie Sulfur oder Lycopodium verordnet.
Man kann den Ritter sogar mit dem Causticum-Reformer verwechseln. Beide sind sehr offene Typen, die aufrecht und mutig wirken, und beide setzen sich gerne für Menschen ein, die schwächer sind als sie selbst. Aber auch der galanteste Ritter ist immer noch sehr pragmatisch, anders als viele Causticums, die phantastische Träume davon haben, wie man Vorurteile überwinden könnte. Während sich Causticum großangelegten Projekten verschreibt, die Leiden verringern und Unrecht beseitigen sollen, interveniert der Ritter in Einzelfällen, weil er Brutalität und Grausamkeit nicht ertragen kann, aber anschließend geht er wieder seiner Wege, während Causticum meist seiner »Mission« verbunden bleibt. Heldengestalten wie Batman und Superman folgen dem Vorbild des Nux-Ritters. Sie sind praktisch veranlagte Leute, die in Einzelfällen intervenieren, keine Reformer, die das politische und soziale System verändern wollen.
Der Ritter ist der mehr spirituelle Pol der Nux-Persönlichkeit. Viele Homöopathen denken nicht daran, daß Nux ein spirituelles Wesen sein kann, aber ich habe einige spirituell orientierte Nux-Menschen kennengelernt. Nux will immer an der Spitze sein, und für manche Nux-Menschen ist die Spitze eine perfekte Harmonie zwischen Körper und Geist, ein spiritueller Zustand von großer Stille und Integrität. Der spirituelle Nux verfolgt seine höheren Ziele mit derselben Entschlossenheit, mit der andere nach Reichtum und weltlicher Macht streben. Er meditiert viele Stunden und lenkt seine Aufmerksamkeit genauso geschickt nach innen, wie ein General seine Truppen in die Schlacht schickt, und in den ersten Jahren seiner Praxis ist er über Störungen genauso verärgert wie der General. Wenn er sein Ziel de Ausgeglichenheit erreicht hat oder kurz davor steht, wird er lockerer werden und die materielle Welt wieder mehr genießen, aber jetzt aus einer ruhigeren, weiteren Perspektive. Die Tradition, daß der Schüler schließlich zum Meister wird, ist für den spirituellen Nux-Menschen sehr passend, denn er beugt sich bereitwillig vor einem Größeren, aber nur, um selbst diese Größe zu erlangen. Nux ist nicht dafür geschaffen, auf ewig ein Jünger zu bleiben.
Der Kaiser
Nux ist der geborene Anführer. Genauso wie manche Könige edel sind und andere Tyrannen, verhält es sich auch mit der Führerschaft von Nux. Beide Typen haben die Dinge fest unter Kontrolle und wissen genau, was sie tun.
Ich kannte einmal einen Vater und seinen Sohn (beide Nux), die Positionen mit Autorität erreicht hatten. Der Vater repräsentierte den skrupellosen Tyrannen, während der Sohn seine Firma mit fester Hand, aber fair regierte. Beide kamen bemerkenswert gut miteinander aus. Der Sohn respektierte die Stärke des Vaters und die Tatsache, daß dieser sich aus der Gosse bis zum Millionär hochgearbeitet hatte, doch für sich selbst verzichtete er auf die eher herzlosen Taktiken seines Vaters. Der Vater war infolge seiner harten Kindheit zum skrupellosen Geschäftsmann geworden, wogegen dem Sohn durch seinen Vater ganz andere Möglichkeiten offenstanden. Er hatte es nicht nötig gehabt, zu kämpfen oder seine Position durch Betrug und Erpressung zu erlangen, und deshalb war er ein angenehmer und vernünftiger Chef. Er war immer noch der Sohn seines Vaters und hätte einen Angestellten, der seine Aufgabe nicht erfüllte, ohne Zögern gefeuert, aber er griff die Leute nie von hinten an.
Der Nux-Kaiser, der sich von ganz unten hochgearbeitet hat, ist der schlimmste Despot. (Daß Kent Nux nicht unter der Rubrik »diktatorisch« aufführt, ist sehr befremdlich. Es müßte dort in Fettdruck stehen.) Er muß immer seinen Willen durchsetzen, und den Ausdruck »Kompromiß« übersetzt er als »Schwäche«. Diese Variante von Nux ist tatsächlich mehr ein Kaiser als ein König. Er ist ständig darauf aus, sein Reich zu erweitern, und wendet sowohl Tricks als auch Gewalt an, um sein Ziel zu erreichen. Der erwähnte Nux-Vater baute sein Firmenimperium ganz allein auf, nachdem er als einfacher Angestellter in einem Reisebüro begonnen hatte. Während seines kometenhaften Aufstiegs zu Macht trampelte er ziemlich viele Leute nieder, die ihm im Weg waren. Seine Tochter erzählte mir, ihr Vater habe dafür gesorgt, daß er gegen jeden, den er beeinflussen wollte, etwas »in der Hand« hatte. Mit anderen Worten, er erpreßte die Leute. Das tat er zu Hause genauso skrupellos wie im Geschäftsleben. Wenn seine Tochter sich weigerte zu tun, was er wollte, drohte er damit, ihr Pferd zu verkaufen, oder schlimmer noch, er verglich sie auf unvorteilhafte Weise mit der Tochter seiner Mätresse. Im Geschäftsleben wußte er alles über jeden. Selbst weniger skrupellose Nux-Menschen haben meist gute Verbindungen, die sie benutzen, um Einfluß zu gewinnen und Kritik zu vermeiden, aber der Nux-Tyrann verwendet seine Informationen auch, um Gegner und Untergebene zu erpressen. Solche Leute sind niemals ohne Hintergedanken großzügig, wobei es ihnen in der Regel darum geht, mehr Macht zu gewinnen, mehr Vergnügen zu haben oder sich vor Verfolgung zu schützen.
Ich erinnere mich daran, wie ich das erste Mal den skrupellosen Nux-Vater des vernünftigeren Nux-Sohnes traf. Ich hatte alles über seine Skrupellosigkeit erfahren, war aber auch gewarnt worden, er sei so charmant, daß ich ihn mögen würde. Ich war überzeugt davon, daß ich seinen Charakter durchschauen würde, aber wir waren mit dem Abendessen noch längst nicht fertig, da war ich seinem Charme schon erlegen. Sein Verstand war scharf, sein Wissen umfassend und differenziert, sein Verhalten großzügig. Ich bezweifelte nicht, daß er skrupellos war, aber ich genoß den Abend.
So viele Tyrannen wirken nach außen sanft und charmant. Sie bleiben teilweise an der Macht, weil andere Angst vor ihnen haben, teilweise aber auch, weil es ihnen gelingt, die Massen zu täuschen und den Eindruck zu erwecken, es gehe ihnen um die Interessen des Volkes. (Der große Psychoanalytiker C. G. Jung war von dem italienischen Diktator Mussolini nach der ersten Begegnung sehr beeindruckt. Er schrieb über dessen Schwung und rein körperliche Anziehungskraft, die ganz im Gegensatz zu dem düsteren Eindruck stand, den er von Adolf Hitler hatte, dessen Treffen mit Mussolini er aus der Ferne beobachtete. Ich vermute, dieser Gegensatz spiegelt die Unterschiede zwischen geistig gesunden Nux-Diktatoren wie Mussolini und geisteskranken Stramonium- oder Veratrum-Diktatoren wie Hitler.)
Wie andere Nux-Typen ist der Kaiser ein pragmatischer Mensch. Wenn er ein Geschäftsmann ist, weiß er genau, wann er kaufen und verkaufen muß. Er weiß, welches Luxusauto er sich zulegen muß und welcher Arzt eine Abtreibung ohne lästige Fragen vornimmt. Er hat sein Leben vollständig unter Kontrolle und wird nur kleine Teile seiner Verantwortung delegieren, und auch diese nur an Personen seines Vertrauens (die sehr oft mit ihm verwandt sind – Nux neigt zu einer Sippenmentalität; er kümmert sich um seine Familie und vertraut seinen Angehörigen). Dabei kommen einem viele Beispiele von Nux-Kaisern in den Sinn. Typischerweise gehören dazu Mafiabosse, die nach außen respektabel wirken und ihren Erfolg auf Terror gründen. Regierende Diktatoren sind gewöhnlich Nux, ebenso die Vorsitzenden multinationaler Konzerne. Medienzaren sind oft Nux; ihre Machtgelüste treiben sie dazu, immer mehr Medienbetriebe zu übernehmen, die sie benutzen können, um nicht nur das Wahlvolk zu beeinflussen, sondern auch die Politiker, mit denen sie eine gegenseitige Abhängigkeit verbindet. Nur ein Nux-Magnat schafft es, nicht mehr als 10 Prozent Einkommensteuer zu zahlen.
Der König
Ich bezeichne den gutartigeren Nux-Herrscher als König, im Gegensatz zum machtgierigen Kaiser. Der König genießt seine Macht und regiert sein Reich sehr effizient, aber er ist nicht herzlos und verhält sich als Chef in der Regel fair und sogar freundlich. Der zuvor erwähnte Nux-Sohn war ein solcher Mann. Er wurde von seinen (meist viel älteren) Mitarbeitern respektiert, nicht nur weil er fair war, sondern weil er auch selbst jeden ihrer Jobs hätte übernehmen können. Während der Vater ihn zum Direktor einer großen Fabrik erzog, hatte der Sohn selbst sich mit jeder Arbeit vertraut gemacht, die es an der Basis zu tun gab. So konnte er, als er mit nur 23 Jahren die Firma übernahm, seine Aufgabe so erfüllen wie jemand, der schon wesentlich mehr Erfahrung hat, und er wußte immer, wenn einer seiner Angestellten ihn für dumm verkaufen wollte. Sein Vorarbeiter, ein Mann, der doppelt so alt wie er war und schon für seinen Vater gearbeitet hatte, erzählte mir, der Sohn sei zwar fairer, leite das Unternehmen aber mit genauso fester Hand wie der Vater. Der Nux-König braucht nicht den ernormen Reichtum oder Einfluß, ohne den der Kaiser nicht zufrieden ist, aber er hält die Zügel seines Königreichs fest in der Hand.
Der König ist emotional wesentlich gesünder als der Kaiser. Zwar mag auch er noch etwas zu sehr von seiner Arbeit besessen sein, aber er sorgt dafür, daß ihm genügend Zeit für seine Familie bleibt. Bei der Arbeit ist er oft ziemlich streng und übereifrig, aber er hat genug Einsicht, um sich selbst dabei zu ertappen, und wird dann etwas lockerer. Zu Hause ist er in der Regel gutartig und verspielt. Er erinnert dabei an einen Löwen, der sich nach der Jagd mit seinen Jungen entspannt. Nux genießt oft sein Familienleben, das ihm menschliche Wärme und Entspannung bietet. Er ist zu Hause immer noch der König, aber die häuslichen Entscheidungen überläßt er gerne seiner Königin. Sie sagt ihm nicht, wie er seine Arbeit tun soll, und er läßt sie in den meisten Fällen zu Hause schalten und walten. (Er hat selbstverständlich eine Frau geheiratet, die für eine stabile, unterstützende häusliche Atmosphäre sorgt.)
Viele Politiker gehören zum Nux-Untertyp des Königs, besonders die dynamischeren und erfolgreicheren. Sie werden schnell prominent, und während sie sorgfältig darauf achten, sich das Vertrauen ihrer Parteioberen zu bewahren, haben sie oft schon ein Auge auf die Führungsposition geworfen. Nichts ist für die Öffentlichkeit unterhaltsamer als ein Gladiatorenkampf zwischen rivalisierendèn Nux-Politikern, besonders wenn beide zur gleichen Partei gehören. In solchen Zeiten nutzt Nux all seine Druckmittel aus und appelliert an die Loyalität der einen ebenso wie an die Ängste der anderen. Wenn er an die Macht kommt, vergißt er seine Freunde nicht, verzeiht aber auch seinen Feinden nicht. Der König mag gutartiger sein als der Kaiser, aber eigentlich ist der Übergang zwischen beiden fließend, und es kommt selten vor, daß ein Nux-Führer seinen früheren Feinden vergibt, bevor er sie auf ihre Plätze verwiesen hat.
Margaret Thatcher, die ehemalige britische Premierministerin, ist ein ausgezeichnetes Beispiel für den Nux-König (bzw. die Königin), obwohl sie bisweilen auch dem Kaiser gleichen konnte. Nur eine Nux-Frau kann eine Partei führen, die von Männern dominiert wird, und nicht nur führen, sondern sie auch mit einer Mischung aus Furcht, Respekt und Motivation inspirieren. In typischer Nux-Manier hat Mrs. Thatcher autokratisch regiert. Im Grunde war sie der stärkste autokratische Premierminister, den Großbritannien in diesem Jahrhundert hatte. Wer sie unterstützte, wurde belohnt, aber Kritik duldete sie nicht (Kent: »Ärger durch Widerspruch«), und in ihrer dritten Amtsperiode hatte sie nahezu alle ihrer ursprünglichen Minister entlassen und nur die behalten, die ihr stets zustimmten. Trotz ihres kompromißlosen Stils (oder vielleicht gerade deshalb) blieb Mrs. Thatcher ein Jahrzehnt lang bei ihren Wählern äußerst populär. Viele Leute mochten sie nicht, aber sie respektierten sie und erkannten an, daß nur wenige andere Führer den Mut gehabt hätten, sich mit den monolithischen britischen Gewerkschaften anzulegen und ihre Vorherrschaft in der Beschäftigungspolitik zu brechen. Wie die meisten Nux-Herrscher wußte Mrs. Thatcher nicht, was das Wort »Konsens« bedeutet. Sie wußte, daß sie im Recht war, und sah keine Veranlassung, sich andere Meinungen anzuhören. In gewissem Sinne paßt der Nux-Herrscher besser in ein Einparteiensystem, wo er seine Arbeit tun kann, ohne sich über seine Popularität sorgen zu müssen. Traurigerweise gehen aus solchen Systemen meist die skrupellosesten aller Nux-Führer hervor.
Mrs. Thatcher zeigte viele Eigenschaften des Nux-Königs. Sie hatte eine Menge Respekt vor der persönlichen Freiheit und dem Leistungsprinzip. Nux ist ein sehr unabhängiger Typ, und er geht davon aus, daß die anderen eine Einmischung in ihre persönlichen Angelegenheiten genausowenig mögen wie er. Nur wenige Nux-Menschen haben etwas mit dem Wohlfahrtsstaat im Sinn. Sie erkennen vielleicht, daß er notwendig ist, aber sie haben etwas gegen die Abhängigkeit und Passivität, die er hervorbringt, und gegen den Mißbrauch, der damit getrieben wird. (Das erinnert mich an Norman Tebbit, einen der wenigen Minister von Mrs. Thatcher, der stark und »trocken« genug war, um ihren Respekt zu gewinnen. Sein berühmter Ausspruch, Arbeitslose sollten sich auf ihr Fahrrad schwingen und im weiteren Umkreis nach einem Job suchen, klang definitiv nach Nux.)
Eine andere typische Nux-Eigenschaft von Mrs. Thatcher war ihre Tendenz, offen zu sprechen und auf die üblichen diplomatischen Nettigkeiten zu verzichten. Sie nannte das Kind beim Namen, und das machte sie vielen Leuten sympathisch, aber es verlieh ihr ein hartes, rücksichtsloses Image. Sie gab Millionen aus bei dem Versuch, diesen Eindruck zu korrigieren, und beschäftigte die besten Werbe- und PR-Berater, die die harten Kanten aus ihrer Stimme und ihrer Frisur herausbügelten.
Nux-Führer erkennen schnell Talente. Sie pflegen ihre Schützlinge aus verschiedenen Gründen, Erstens macht es ihnen viel Spaß, mit jemandem zu arbeiten, der genausoviel Mut und Fähigkeiten hat wie sie selbst. Es ist einsam an der Spitze, und ein Schützling ist eine gute Gesellschaft (vor allem ein anderer Nux). Zweitens können sie das Ergebnis ihrer Arbeit nur jemandem anvertrauen, der gelernt hat, sich mit demselben Eifer dafür zu engagieren wie sie selbst, und drittens ist solch ein Schützling gewissermaßen die Erweiterung des eigenen Selbst und projiziert die eigene Macht in die Zukunft. Nux findet es unerträglich, keinen Erben zu haben, niernanden, der sich um die Dynastie kümmert.
Nux-Menschen, denen es an öffentlicher Prominenz fehlt, schaffen es gewöhnlich, sich eine Position mit einiger Autorität aufzubauen. Ich kannte einmal einen Heilpraktiker, der auf diesen Beruf umgeschult hatte, nachdem er Marineoffizier gewesen war. Er betrieb seine Klinik, wie ein Kapitän sein Schiff lenkt, gab Anweisungen an seine Sprechstundenhilfen und kritisierte sie wegen jeder Kleinigkeit. Als er mich durch die Räume führte, pries er wortreich seine neue, eindrucksvolle Ausstattung an. Dann hielt er eine kleine Ansprache über den Mangel an Anerkennung, unter dem er und seine Fachkollegen litten, und rühmte die wunderbaren Resultate, die er erzielt hatte. Wie viele Nux-Menschen war er voll des Eigenlobs. Diese Tendenz ist vor allem bei solchen Nux-Typen verbreitet, die gerade erst angefangen haben, sich ihre Machtbasis zu schaffen. Wenn sie ihr Ziel erreicht haben, wird ihre Selbstbeweihräucherung subtiler. Schließlich bat er mich um ein Mittel gegen seine nervöse Spannung, die zu Verdauungsbeschwerden führte, und er reagierte sehr schnell auf Nux vomica.
Der strenge Chef kann zu verschiedenen Konstitutionstypen gehören. Dabei wird Arsenicum am leichtesten mit Nux verwechselt. Beiden Typen ist Effizienz sehr wichtig, und sie neigen dazu, mit Geld zurückhaltend umzugehen. Beide haben das Bedürfnis, die Öffentlichkeit durch ihre äußere Erscheinung zu beeindrucken, obwohl Arsenicum bei seinem öffentlichen Erscheinungsbild mehr auf die Details achtet und, anders als Nux, auch im Privatleben sehr pingelig ist. Der grundsätzliche Unterschied zwischen beiden ist das Ausmaß an Selbstvertrauen, mit dem sie ihr Geschäft betreiben. Arsenicum wirkt zwar oft selbstsicher, macht sich aber mehr Sorgen als Nux, und deshalb erscheint seine Selbstsicherheit ein wenig brüchig. Er kann bei widrigen Umständen leichter sein Gleichgewicht verlieren als Nux, der gewöhnlich ein großes Selbstvertrauen hat. Beide Typen können sehr reizbar reagieren, wenn ihre Mitarbeiter hinter den Ansprüchen zurückbleiben, aber Nux fällt es leichter als Arsenicum, jemanden zu entlassen. (Der Natrium-Chef kann auch ziemlich genau sein. Viele Natriums sind sowohl Perfektionisten als auch Workaholics, und einige übertragen ihre hohen Normen auch auf ihre Angestellten. Andere Natrium-Chefs sind zornige Typen, die ihre Aggressionen an den Mitarbeitern auslassen, wie auch einige zornige Nux- und Arsenicum-Chefs es tun.)
Anders als Arsenicum kann Nux durchaus mit zweierlei Maß messen. Da er sich als König fühlt, sollen die anderen tun, was er sagt, nicht aber, was er selber tut. Er ist von den drei Typen derjenige, der sich am wenigsten durch Prinzipien oder Skrupel aufhalten läßt.
Nux ist für die Führerrolle wie geschaffen, und er wirkt dabei ruhiger und selbstsicherer als andere Typen, mit Ausnahme von Sulfur, der ebenfalls ein geborener Anführer ist. Während Nux kratzbürstig ist, wenn etwas nicht gut läuft, ist er bei weitem schwungvoller und besser gelaunt, als Arsenicum und Natrium es sind, wenn alles glatt läuft. Nux blüht bei Erfolg geradezu auf, und der Nux-Chef summt in guten Zeiten oft vor sich hin oder neckt seine Mitarbeiter. Er ist ein geselliger Typ und hat gerne intelligente, selbstsichere Leute um sich, ebenso wie Menschen, die er für besonders sexy hält. Er kann der angenehmste Chef sein, wenn er glücklich ist, und der unangenehmste, wenn er unglücklich ist.
Der Nux-Herrscher ist oft großmütig, solange er seine Position nicht bedroht sieht. Wenn er Gefahr wittert, kann er jedoch engstirnig und rachsüchtig werden. Außerdem hat Nux durch seine Angst vor Konkurrenz eine Neigung zur Paranoia (Kent: »stellt sich vor, er werde verfolgt«). Auch wenn er Erfolg hat und etabliert ist, kann er nervös werden, wenn ein jüngerer und weniger erfahrener Wettbewerber auftritt, selbst dann wenn seine Position vollkommen sicher ist. Seine irrationalen Ängste können sich bald in Wut verwandeln, wenn er zwanghaft versucht, die Position des Neulings zu untergraben. Nux kann sehr weit gehen, um seinen Konkurrenten schlechtzumachen (Kent: »Eifersucht«, »neigt zur Verleumdung«), während er die ganze Zeit so tut, als sei er nicht beunruhigt. Diese Anfälle von Paranoia stehen in starkem Kontrast zu der ruhigen Selbstsicherheit, mit der Nux normalerweise zu Werke geht, und zeigen den verwundbaren Unterbauch des Königs.
Ich war einmal Zeuge einer solchen Reaktion in einem Krankenhaus, in dem ich gearbeitet habe. Einer meiner Kollegen war ein Sonntagskind, ein junger Nux-Arzt, der nicht nur sehr viel mehr über Medizin wußte als seine Vorgesetzten, sondern auch über Charme und gutes Aussehen verfügte. Seine überlegenen Kenntnisse wandte er diskret an. Bei der Visite vertrat er die klinische Meinung ruhig, aber fest, und der Facharzt übernahm sie ausnahmslos als seine eigene Meinung, indem er ernst mit dem Kopf nickte. Das war alles schön und gut, denn mein Nux-Kollege verfügte wirklich über erstklassige Kenntnisse. Eine andere Seite meines normalerweise leutseligen Kollegen lernte ich jedoch kennen, als er einen neuen Assistenzarzt in sein Team aufgenommen hatte. Letzterer war wahrscheinlich selbst Nux, denn er stellte seinem Vorgesetzten eine Menge Fragen und war entrüstet, wenn er keine oder, schlimmer noch, eine herablassende Antwort bekam. Er fragte so viel, weil er etwas lernen wollte, aber mein Nux-Kollege interpretierte sein Verhalten als Unverschämtheit und verfolgte ihn in den nächsten Wochen systematisch, indem er jede seiner Bemerkungen kritisierte und ihn öffentlich bloßstellte. Als der junge Arzt einen neuen Vertrag brauchte, sprach sich sein Nux-Vorgesetzter gegen ihn aus, und der Vertrag wurde nicht verlängert. Ich war erstaunt über diese Verwandlung meines Nux-Freundes, bis mir klar wurde, daß er Nux war und sich durch die Fragen des intelligenten jungen Kollegen sowohl bedroht fühlte als auch wütend darüber war. Nux genießt den Wettbewerb bei Sport und Spiel, aber bei der Arbeit, wo es um mehr geht, kann er seine übergeordnete Position mit harter Hand verteidigen. (Das erinnert mich an die Gewohnheit von Mafiabossen, jedes kleine Rädchen im Getriebe auszuschalten, das auch nur die geringste Neigung zeigt, selbst zu denken.)
Anders als der Lycopodium-Prahlhans, dessen Stolz eine ziemlich offensichtliche Reaktion auf einen Minderwertigkeitskomplex ist, hat Nux meist eine überzeugendere Aura von Überlegenheit. (Arsenicum liegt irgendwo dazwischen, erinnert manchmal an den Prahlhans und wirkt manchmal echt aristokratisch.) Der erfahrene Beobachter kann Nux an seiner Haltung erkennen. Wie ein wahrer König wirkt er in seinem Stolz eher entspannt als steif (wie Lycopodium und Arsenicum). Sein Gang ist entweder ein selbstsicheres Schreiten mit ziemlich hoch erhobenem Kopf und nach vorne gerichteten Augen, als würde er gar nicht bemerken, was auf der Straße vorgeht, oder ein entspanntes Schlendern. Das Schlendern ist sehr charakteristisch für Nux (und auch für Sulfur, dessen Stolz auf ähnliche Weise natürlich ist). Es ist ein sehr lässiger, selbstsicherer Gang, den man oft bei hochgewachsenen Nux-Menschen findet. Das beste Beispiel ist Clint Eastwood als Revolverheld, der im Film durch eine unbekannte Stadt geht, als gehöre sie ihm. Achten Sie darauf, wie beide Schultern und Hüften beim Gehen mühelos schwingen und wie der selbstsichere Nux-Revolverheld den Eindruck erweckt, als habe er alle Zeit der Welt. Er ist der Beste, und er weiß es, und deshalb fühlt er sich so, als habe er das Recht, zu tun und zu lassen, was ihm gefällt. Viele Nux-Menschen benehmen sich so, und das bringt ihnen sowohl Bewunderung ein als auch den Ruf, arrogant und unsozial zu sein.
In Übereinstimmung mit seiner königlichen Person meint Nux, nur das Beste sei gut genug für ihn, und wenn er sich aus irgendwelchen Gründen das Beste nicht leisten kann, kennt er gewöhnlich jemanden, der für ihn einspringt, oder er kauft auf Kredit. Schließlich sichern ihm seine zahlreichen Fähigkeiten und seine mühelose Eigenwerbung eine profitable Zukunft, so denkt er zumindest, und gewöhnlich hat er damit recht. (Ein gutes Beispiel ist der Nux-Unternehmer, der mehr Schulden als Einnahmen hat. Dank seines Selbstvertrauens hat er so viel Kredit, daß er weitere Schulden machen kann, um seinen extravaganten Lebensstil zu finanzieren, und es scheint niemandem etwas auszumachen, daß er so tief in der Kreide steht.) Nux findet nichts dabei, die teuersten Luxusartikel zu kaufen, denn sie stehen ihm zu, weil er sich als König fühlt.
Der Experte
Viele Nux-Menschen werden Experten, und das oft in mehr als einem Bereich. Nux hat eine natürliche Liebe zum Hervorragenden, und wenn sich diese mit einem scharfen, durchdringenden Intellekt verbindet, wie es oft der Fall ist, dann kommt dabei ein Mensch heraus, der sehr viel über die Dinge weiß, die ihn interessieren. Viele Nux-Menschen werden Experten in ihrem Arbeitsbereich. Ich habe einmal einen Mann von Anfang Vierzig wegen seines Tinnitus behandelt. Das erste, was mir an ihm auffiel, war der klare und direkte Blick seiner stahlblauen Augen und seine Ähnlichkeit mit dem Schauspieler Clint Eastwood. Während der Fallaufnahme erzählte er mir, er sei in der Schule entschlossen gewesen, bei allem, was er tat, der Beste zu sein, und er habe sich seinen Wunsch erfüllt, ein hervorragender Astrophysiker zu werden, und habe später unter anderem für die NASA gearbeitet. Eines Tages lud er mich in sein Haus ein, was sich als entzückendes Ranchhaus herausstellte, auf der Spitze eines Hügels mit Blick auf das Meer. Zu diesem Zeitpunkt überraschte es mich schon nicht mehr zu hören, daß er das Haus selbst entworfen und gebaut hatte. Er wußte eine ganze Menge über viele andere Dinge, aber anders als Lycopodium- und Natrium-Experten wirkte er nie herablassend oder stolz auf seine Kenntnisse. Sie waren einfach etwas, das Spaß machte. Sein Tinnitus reagierte sehr gut auf Nux vomica 10M. Er verschwand zwar nicht, aber nach der Behandlung störte er ihn nicht mehr bei der Arbeit und beim Spiel.
Der Nux-Experte weiß wirklich eine ganze Menge, aber er ist nicht immer im Recht. Trotzdem handelt er oft so. Er hat ein enormes Vertrauen in seine Kenntnisse, und seine Selbstsicherheit erstreckt sich auch auf Gebiete, in denen sein Verständnis und seine Erfahrungen begrenzt sind. (Ich erhielt einmal einen Vortrag über Homöopathie von einem Nux-Arzt, der von jedem Mittel nur eine vage Vorstellung hatte. Als ich versuchte, ihm klarzumachen, daß es mehr als nur ein Mittel zur Behandlung von Bronchitis gibt, ignorierte er meine Bemerkungen, denn sie paßten nicht in sein Bild.) Das ist ein Beispiel dafür, daß Nux sich oft selbst überschätzt.
Ich habe zwei Nux-Homöopathen kennengelernt, die beide mehr wußten als die meisten. Auch sie waren überzeugt davon, stets recht zu haben, und wurden ziemlich hitzig, wenn ein anderer Homöopath ihre Verordnung anzweifelte.
Es gibt Nux-Experten, die endlos studieren, um sich ein gründliches Wissen anzueignen, und es gibt andere, die ihr Studium leichter nehmen. Die einen sind im großen und ganzen nicht intelligenter als die anderen, aber sie sind von ihrem Thema besessener. Zu dieser Sorte gehört einer der erwähnten Nux-Homöopathen. Er liest sogar im Bett noch die Arzneimittellehre, sehr zum Mißfallen seiner Frau, und er würde am liebsten über nichts anderes als Homöopathie reden. Der zweite ist genauso fähig, aber weniger besessen. Er hat seine Kenntnisse allmählich erworben, ohne allzuviel zu studieren, und er interessiert sich genauso für andere Themen, treibt Sport und hat Spaß am Leben. Viele Nux-Menschen sind so intelligent (Kent: »zahlreiche Ideen, Klarheit des Geistes«), daß sie alles mühelos lernen können. Dann haben sie die Wahl, all ihre Energie aufzuwenden, um eine weltweit anerkannte Autorität zu werden, oder sich damit zufriedenzugeben, daß sie bloß ein Experte sind, und den Rest ihrer Zeit mit anderen Dingen zu verbringen, die ihnen Spaß machen.
Wie Sulfur, der andere intellektuelle Überflieger, teilt Nux sein Wissen im allgemeinen gerne, sogar sehr gerne, mit anderen. Beide Typen sind Angeber, und der Experte hat keine Skrupel, mit seinen Kenntnissen anzugeben. Anders als der Kalium-Experte hat Nux in der Regel ein dankbares Publikum, denn er ist im sozialen Umgang selbstsicher, ein Mann von Welt und nicht nur ein Bücherwurm. Wenn er Ihnen die Mechanik des Flugzeugmotors erklärt hat, wird er Ihnen wahrscheinlich väterlich auf die Schulter klopfen und Sie zum Essen einladen, wo er dann seine umfassenden Kenntnisse der Bordelle in Shanghai enthüllt oder über irgendein anderes faszinierendes Thema spricht. Wie Sulfur ist Nux oft ein guter Unterhalter. Mit seinen umfangreichen Erfahrungen, seinem Selbstvertrauen und seiner Freude daran, im Mittelpunkt zu stehen, fühlt er sich genauso wohl, wenn er eine Geschichte erzählt, wie wenn er einen Vortrag hält. Seine Vorträge klingen manchmal etwas pompös, und er nimmt sich selbst dabei zu wichtig, aber als Geschichtenerzähler ist er entspannt und locker.
Obwohl Nux gelegentliche Wissenslücken durch gezieltes Raten füllt (wobei er gewöhnlich das Richtige trifft), kann man sich auf seine Kenntnisse im allgemeinen verlassen. Nux nimmt Fakten sehr ernst. Er ist intellektuell präzise wie Kalium carbonicum, aber sogar noch pragmatischer. Während Kalium genau wissen will, wie der Motor seines Autos konstruiert ist, geht Nux noch einen Schritt weiter, nimmt den Motor nur so zum Spaß auseinander und baut ihn wieder zusammen. Wenn er eine Autopanne hat, findet er oft genug heraus, wo der Fehler liegt, und in den meisten Fällen hat er auch die Kenntnisse und das Werkzeug, um die Sache wieder in Ordnung zu bringen. Er neigt jedoch nicht dazu, andere mit unerwünschten Informationen zu langweilen. (Das überläßt er Lycopodium, Sulfur und Kalium carbonicum.)
Der Nux-Experte unterscheidet sich von anderen dadurch, daß er sich für ein bestimmtes Wissen wegen der praktischen Anwendungsmöglichkeiten interessiert. Nahezu alles an Nux ist auf konkrete Ergebnisse orientiert, und seine speziellen Kenntnisse bilden dabei keine Ausnahme. Sulfur- und Lycopodium-Experten schätzen Wissen um seiner selbst willen, und deshalb genießen sie es, auch die exakten Details und Randinformationen zu erfahren, die keine praktische Relevanz haben. Kalium-, Arsenicum- und Natrium-Experten sind meist sehr gründlich und sammeln jedes kleine Detail, teilweise aus der Angst heraus, sie könnten etwas Wichtiges übersehen. Nux konzentriert sich in der Regel auf das Wesentliche und kümmert sich nicht um Zusatzinformationen, die keine Bedeutung für das Ergebnis haben, an dem er interessiert ist. So wird beispielsweise der Nux-Homöopath vielleicht ein System zur Identifizierung der richtigen Arznei entwickeln, indem er eine Checkliste mit einigen wenigen wesentlichen Kriterien für jedes Mittel anlegt. Wenn er das Gefühl hat, daß der Fall zu einer dieser Kombinationen paßt, ignoriert er die zahlreichen anderen Aspekte, weil er sie nicht braucht, um das richtige Mittel zu finden. Der Kalium- oder Natrium-Homöopath dagegen wird eher alle verfügbaren Informationen notieren und bei seiner Mittelwahl berücksichtigen.
Trotz der relativ kurzen Konsultationen hat der Nux-Homöopath meist genauso gute Ergebnisse wie die anderen, wenn nicht sogar bessere. Nux ist Experte darin, Informationen auf ihren wesentlichen Gehalt zu reduzieren. Das bedeutet nicht, daß er oberflächlich an die Dinge herangeht. Im Gegenteil, meist kann er gleich zum Kern der Sache vordringen. Der Homöopath wird sofort die grundlegende Pathologie des Falles erkennen und den Randproblemen wenig Aufmerksamkeit schenken. Indem er das tut, kommt er im allgemeinen in sehr kurzer Zeit zur richtigen Verordnung.
Genau wie der Nux-Krieger einen Blitzangriff direkt auf das Zentrum der feindlichen Streitmacht bevorzugt, zielt der Nux-Intellektuelle mit ungewöhnlicher Präzision auf den Kern des Problems. Er kann sich schnell einen Überblick über die Informationen verschaffen und geht dann in die Tiefe, wo er den wesentlichen Punkt aus einer Fülle von Details herausfindet. In dieser Beziehung ist er wie ein Falke, der über einem Feld kreist, alles überblickt, aber ein extrem scharfes Auge hat, wenn es darum geht, den winzigen Punkt zu identifizieren, den er gesucht hat. Das unterscheidet sich stark von dem mühevollen, reduktionistischen Ansatz, den Kalium und die meisten Lycopodium-Intellektuellen verfolgen. Nux hat nicht die intellektuelle Inspiration und Originalität von Sulfur und auch nicht dessen Liebe zu abstrakten Ideen, aber den Kern einer Sache kann er schneller erfassen als jeder andere.
So wie Sulfur gelegentliche Anfälle von abstrakter, intellektueller Inspiration hat, kann Nux ehrgeizige Pläne verfolgen, seine Kenntnisse praktisch anzuwenden. Voller Erregung liegt er dann nachts wach und entwirft die gedanklichen Grundlagen seiner Zukunftsprojekte (Kent: »ideenreich am Abend«). Diese Pläne können bescheiden sein, wie die Frage, welche Stereoanlage er am nächsten Morgen kaufen soll, oder so hochfliegend wie die Überlegung, eine Raumstation zu konstruieren, die von der Erde unabhängig arbeiten kann. Nux-Experten erreichen meist viel, weil ihre Kenntnisse durch eine Leidenschaft für konkrete Ergebnisse und durch praktische Fähigkeiten ergänzt werden.
Die Geschwindigkeit und Ausschließlichkeit der intellektuellen Ausrichtung von Nux hat aber auch einige Nachteile. Manchmal übersieht der Nux-Experte die übergreifenden Zusammenhänge, in die sein sehr spezielles Interessengebiet eingebettet ist. Der Nux-Chiropraktiker kann beispielsweise extrem professionell darin sein, Wirbelverschiebungen zu erkennen und zu korrigieren, aber in seinem Eifer übersieht er vielleicht, daß der Patient Fieber hat, dessen Ursache vor einem chiropraktischen Eingriff erst abgeklärt werden muß. Ein allgemein bekanntes Beispiel für die Scheuklappen, die Nux haben kann, ist auch der Chirurg, der sich nicht im geringsten um den psychisehen Zustand des Patienten kümmert, sondern sich nur auf die Frage konzentriert, ob der Allgemeinzustand eine Operation zuläßt oder nicht. Solche Nux-Chirurgen beherrschen ihr Handwerk im allgemeinen gut, aber ihr Mangel an Sensibilität kann dem Patienten schaden und die anderen medizinischen Kollegen zur Verzweiflung treiben. (Viele Chirurgen sind konstitutionell Nux. Es ist für Nux sehr befriedigend, Macht auszuüben, indem er schnelle Resultate durch den präzisen Gebrauch des Skalpells erzielt.) Durch seine Arroganz neigt Nux doppelt dazu, sich ausschließlich auf seine eigene Einschätzung zu verlassen, wenn eine umfassendere Perspektive erforderlich wäre. Er hat oft das Gefühl, daß er auf Ratschläge von anderen Experten verzichten kann, und das ist eine seiner größten Schwächen.
Der Playboy
Jeder Konstitutionstyp kann ein hedonistischer Playboy werden, aber am häufigsten findet man diese Entwicklung bei Nux, Lachesis, Tuberculinum und Lycopodium. Bei aller Präzision und Entschlossenheit ist Nux ein sinnlicher Mensch, der sich selbst etwas gönnt. Sein Appetit auf Aufregungen, Essen, Alkohol und Sex ist fast ebenso unersättlich wie sein Machtstreben (Kent: »erregbar«, »Trunksucht«, »Ausschweifung«). Arroganz ist eine seiner größten Schwächen. Eine andere ist die Bereitschaft, seinen sinnlichen Bedürfnissen nachzugeben. Die Leute sind oft erstaunt, einem dynamischen Geschäftsmann zu begegnen, der seine Rivalen an der Börse fertigmacht und bei seinen Angestellten auf äußerste Disziplin achtet, sich aber den größten Eisbecher bestellt, den sie je gesehen haben, und ihn hemmungslos vor ihren Augen vertilgt. Nux ist im Hinblick auf seine Gelüste sehr unschuldig. Er befriedigt sie wie ein Kind, ohne viel darüber nachzudenken. Er macht eine Pause, um eine Zigarre zu rauchen oder ein Glas Whisky zu trinken, und dann kehrt er zurück zu seiner größten Liebe: zu praktischen Leistungen und dem Einfluß, der mit ihnen verbunden ist.
Viele Nux-Menschen haben ein hochaktives Nervensystem und einen entsprechend schnellen Stoffwechsel, den sie mit großen Mengen an Nahrung und Getränken versorgen. Einige essen nebenbei und holen sich im Vorübergehen ihr Junk food, während sie sich entweder der Arbeit oder dem Spiel widmen. Andere sind Feinschmecker, die zumindest einmal täglich ihr Festmahl brauchen, manchmal auch häufiger. Letztere können schließlich trotz ihres aktiven Stoffwechsels übergewichtig werden, aber sonst ist Nux eher schlank und drahtig. Könige lieben traditionellerweise große Festessen, ebenso Kaiser. Das Römische Reich scheint sich besonders auf Nux-Ideale gegründet zu haben, und es wurde zweifellos von Nux-Kriegern und -Kaisern geführt. Schließlich versank es, genauso wie manche Nux-Typen, in Dekadenz.
Viele Nux-Menschen sind süchtig nach Stimulation. Sie lieben den Kick des Sieges, den Kick der Gefahr, den Kick von gutem Essen und alkoholischen Getränken und den Nervenkitzel des sexuellen Abenteuers. Sie fahren schnelle Autos, verdienen gutes Geld und geben es für einen luxuriösen und anregenden Lebensstil aus. Einer meiner Nux-Patienten ist ein pensionierter Casinobesitzer. Dreißig Jahre lang ist er die halbe Nacht wach geblieben und hat in seinem Casino teils gearbeitet und teils gespielt. Als er damit aufhörte, war sein Nervensystem so daran gewöhnt, auf hohen Touren zu laufen, daß er nicht abschalten konnte und schnell erschöpft war (Kent: »geistige Erschöpfung«), aber er war auch nicht fähig zu schlafen. Als ich ihn fragte, warum er nie geheiratet habe, antwortete er, im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit habe es immer genügend willfährige Frauen gegeben, und er habe sich nicht durch eine Heirat binden wollen. (Viele Nux-Menschen neigen zu sexuellen Übertreibungen und werden dann impotent – Kent: »sexuell erschöpft«.) Wie viele Nux-Menschen gab er ungern charakterliche Schwächen zu, was mich in Verbindung mit seinem Playboy-Lebensstil veranlaßte, ihm zunächst Lycopodium zu verordnen. Als das nicht wirkte, gab ich ihm Nux 10M, und innerhalb einer Woche konnte er wieder fast normal schlafen.
Nux ist beim Spiel beinahe so verbissen wie bei der Arbeit. Beim Gedanken an einen Abend vor dem Kamin wird er leicht rastlos, es sei denn, damit wären sinnliche Genüsse wie Wein, Musik und Essen verbunden. Nux bleibt nicht gerne für längere Zeit still und untätig, weil ihm dann seine innere Ruhelosigkeit unangenehm bewußt wird. Das gilt auch für Tuberculinum. Beide Typen sind Hedonisten, die ihr Nervensystem ständig mit aufregenden Erfahrungen »anheizen«, Nux mag keine Stille (es sei denn, er wäre einer der seltenen Nux-Menschen, die viel meditieren). Wo er geht und steht, hat er fast immer das Radio an und nimmt wahrscheinlich sogar eins mit auf die Toilette. Genauso knabbert er bei der Arbeit vielleicht ständig irgendwelche Snacks und wird kribbelig, wenn seine Vorräte ausgehen. Die Abneigung, die Nux gegenüber der Stille empfindet, gleicht seiner Abneigung gegenüber Salaten, Trinkwasser und Unbeweglichkeit. Er braucht ständig Anregungen, und so etwas Ursprüngliches und Reines wie Salat kann sein überstimulierter Gaumen kaum schmecken. Unglücklicherweise sind viele Nux-Menschen nach Jahrzehnten der Völlerei »ausgebrannt« und vertragen nur noch eine ganz leichte Diät und eine absolut ruhige Umgebung (Kent: »empfindlich gegen Lärm«). Lesen ist für den durchschnittlichen Nux eine zu ruhige Beschäftigung, und er kann sich wahrscheinlich eher für einen Film als für ein Buch begeistern. Wenn er längere Zeit zu hochtourig gelaufen ist, sind seine Nerven einfach zu angespannt, als daß er sich auf etwas Gedrucktes konzentrieren könnte (Kent:« Abneigung zu lesen«), und er entscheidet sich lieber für eine anspruchslose Ablenkung wie beispielsweise einen Film, wobei er am liebsten noch einen steifen Scotch zum Entspannen hat.
Nux kann sehr verspielt sein, wenn er sich entspannt. Oft ist er von Spielen fasziniert und genauso begeistert davon wie seine Kinder. Seine Lieblingsspielzeuge sind oft elektronische Geräte und Motorfahrzeuge, ganz gleich ob Selbstfahrer oder ferngesteuert. Nux liebt Geschwindigkeit, und elektrische Spielzeugautos begeistern ihn fast genauso wie sein eigener schneller Wagen, der oft sein Lieblingsspielzeug ist. Er gibt ihm Freiheit, Flexibilität und den Nervenkitzel der greifbaren Macht. Die meisten Nux-Menschen fahren gerne, und sie fahren oft, um sich zu entspannen.
Computer stehen bei Nux ebenfalls hoch im Kurs, nicht nur als Datenbank, sondern auch als Spielzeug. Wie Nux selbst sind sie schnell und vielseitig, und er benutzt sie am liebsten als Erweiterung seiner selbst. Besonders anregend findet er Computergraphiken. Vielleicht aufgrund seiner kriegerischen Vorfahren ist Nux sehr visuell orientiert, nicht in dem Sinne, daß er sich im Museum gerne die alten Meister ansehen würde, sondern er genießt eher den raschen Wechsel von Bildern, wie sie bei einem Videospiel auf dem Computerbildschirm oder bei einem Feuerwerk am Himmel erscheinen.
Es überrascht nicht, daß Nux oft eine Vorliebe für Kriegsspiele hat. Ganz gleich ob mit dem Gewehr am Schießstand oder bei dem Versuch, an einem Spielgerät die Weltherrschaft zu übernehmen, er ist in seinem Element und nimmt das Spiel fast so ernst wie einst seine kriegerischen Brüder ihre Schlachten. Nux liebt es, Krieg zu führen, und wenn er eine Schlacht gewinnt, wird er einen Schrei des Triumphes ausstoßen. Ich habe einmal regelmäßig mit einem Nux-Freund Tennis gespielt, der das nach jedem erfolgreichen Schlag tat.
Wie die meisten Hedonisten braucht Nux Gesellschaft, um sich zu vergnügen (Kent: »Verlangen nach Gesellschaft«), und wie die anderen beiden Playboys, Lycopodium und Tuberculinum, bevorzugt er die Gesellschaft des anderen Geschlechts. Ein Grund dafür ist, daß Nux die meisten anderen Männer als Rivalen betrachtet (oder als ihm unterlegen). Wie das männliche Walroß umgibt er sich mit bewundernden Frauen, und er verhält sich gegenüber Vertretern des eigenen Geschlechts meist bemerkenswert kühl. Selbst wenn er verheiratet ist, ist ihm die Gesellschaft anderer Frauen oft lieber als die von Männern, obwohl er durchaus treu sein kann, solange er seine Frau als reizvoll empfindet. Ist das nicht der Fall, bleibt er vielleicht trotzdem mit ihr zusammen, weil sie ein stabilisierender Faktor in seinem Leben ist, und sucht sich seine Anregungen anderswo. Wie der typische Clint-Eastwood-Charakter hat der durchschnittliche Nux-Mann etwas von einem Chauvinisten. Gleichzeitig ist er sehr charmant und intelligent und findet gewöhnlich eine Partnerin, die mehr zu bieten hat als nur ein hübsches Gesicht.
Wie seine nahen Verwandten Phosphor und Tuberculinum wird Nux rastlos und fühlt sich einsam, wenn er längere Zeit keine Gesellschaft hat. Solange er sich auf seine Arbeit konzentriert, haßt er vielleicht jede Unterbrechung, und wenn er eher intellektuell (oder vor allem spirituell) orientiert ist, kann er sich zeitweise stark zurückziehen, aber wenn er sich vergnügen will, hat er gerne entsprechende Gesellschaft, Die meisten Nux-Menschen haben keine Schwierigkeiten, Spielgefährten zu finden. Der skrupellosere, härtere Nux kauft sie vielleicht, aber die meisten anderen sind in ihrer Freizeit angenehme Leute, die solche Anreize nicht brauchen. Wie bei Sulfur ist die gute Laune von Nux ansteckend. Er ist meist der Anführer, wenn es darum geht, Unsinn zu machen, was besonders für den eher materiell orientierten Nux-Typ gilt. Einige Nux-Intellektuelle sind in Gesellschaft zurückhaltender, aber sogar sie geraten manchmal in Spiellaune, und dann singen sie oder spielen irgendwelche Streiche oder unternehmen spontan abenteuerliche Dinge (Kent: »impulsiv«). Sie springen dann beispielsweise voll bekleidet ins Meer oder stehlen das Nummernschild eines Polizeiwagens (Kent: »mutwillig«). Häufiger spielt der Nux-Intellektuelle jedoch mit Worten. Er ist im allgemeinen ein Experte für trockenen Humor, besonders für ironische Einzeiler, und manchmal kommt er dabei so in Schwung, daß er alles und jeden durch den Kakao zieht. Das ist gewöhnlich nicht böse gemeint, kann jedoch ungewollt auch beleidigend wirken.
Nux ist in jeder Beziehung ungeduldig, wenn es um die Befriedigung seiner Bedürfnisse geht. Das gilt bei der Arbeit genauso wie beim Spiel. Wenn er Hunger hat, schickt er seine Sekretärin mitten im morgendlichen Berufsverkehr los, damit sie ihm Teilchen holt, oder er springt selbst an der Ampel aus dem Auto, um sich mal eben einen Schokoriegel zu kaufen. Er gibt das Geld genauso schnell aus, wie er es verdient, und genießt den Luxus, den er erwirbt. Ein erwachsener Nux-Mann ist aufgeregt wie ein Kind, wenn er sich ein neues Auto oder ein neues Mountainbike kauft. Natürlich werden viele Nux-Typen ihrer neuen Spielzeuge schnell überdrüssig, und so sind sie ständig auf der Suche nach weiteren Anregungen. Der schon erwähnte Nux-Astrophysiker erzählte mir, er habe als junger Mann an Experimenten mit hochdosiertem LSD teilgenommen und große Mengen der Droge über einen langen Zeitraum unter streng kontrollierten Bedingungen genommen. Es ist so typisch für den Nux-Intellektuellen, daß er sich ernsthaft für ein Experiment interessiert, das sein Bewußtsein erweitert und gleichzeitig seine Sinne aufs höchste stimuliert. Hier unterscheiden sich Nux und Lycopodium. Während Lycopodium LSD eher nehmen würde, um sich in einen psychedelischen Rausch zu flüchten, läßt sich Nux auf ein ernsthaftes Experiment ein und ist genauso fasziniert von den neuen Erkenntnissen, die sich daraus ergeben, wie er von dem damit verbundenen Vergnügen begeistert ist. Selbst mitten in einer wilden Orgie der Sinnenfreude bleibt Nux aufmerksam und sieht mehr als die anderen Feiernden. Darin gleicht er dem Krieger, der sich nach der Schlacht bei einem Krug Bier und einem Mädchen entspannt, aber jederzeit auf dem Sprung steht, falls der Feind einen überraschenden Gegenangriff startet.
Weil Nux von Anregungen lebt, neigt er mehr als die meisten anderen zu nervöser Erschöpfung. Nach Jahren Ianger Nächte, ständiger Festessen, Mißbrauch von Alkohol und Nikotin und nächtlicher Sexgymnastik kann er schließlich ausgebrannt sein. Wenn das geschieht, wird er gleichzeitig verkrampft und erschöpft wie ein Alkoholiker auf Entzug. Er kann sich nicht entspannen, weil seine Nerven so überreizt sind, aber er kann auch nicht effektiv handeln, weil sein Geist so verwirrt (Kent: »geistige Erschöpfung«) und sein Körper so geschwächt ist. Eine kürzere Version dieses Zustands ist der Kater, den Generationen von Homöopathen mit Nux vomica behandelt haben. Als ob er verkatert wäre, ist der erschöpfte Nux-Mensch im allgemeinen ziemlich reizbar und möchte alleine sein (Kent: »Abneigung gegen Gesellschaft«). Er reagiert überempfindlich auf Stimuli aller Art (Kent: »Sinne überempfindlich«), besonders auf Lärm, Licht (deshalb tragen so viele Nux-Menschen eine Sonnenbrille) und üppige Mahlzeiten.
Schlaflosigkeit ist für den ausgelaugten Nux fast immer ein Problem. Stundenlang liegt er wach, während sich seine Gedanken überschlagen, die meist mit irgendwelchen Trivialitäten oder den Ereignissen des nächsten Tages beschäftigt sind. Oft ist der schlaflose Nux auch noch im Schlaf rastlos, wirft sich hin und her und befindet sich irgendwo zwischen Schlafen und Wachen in einem Niemandsland voll wirrer Gedanken, die angstvoll, aber unzusammenhängend sind. Am Morgen fühlt er sich gräßlich und schleppt sich im Haus herum. In diesem Zustand greift er gerne zu Kaffee, Tabak oder Alkohol, um sich zu stärken, und manchmal wird seine Laune dadurch auch besser, aber langfristig gerät sein Organismus so noch weiter aus dem Gleichgewicht. Nux hat ein robusteres Nervensystem als Lachesis, aber selbst Nux kann die Strafen, die er sich oft selbst verordnet, auf Dauer nicht aushalten. Am Ende muß er entweder solide werden, oder er zerbricht vollständig.
Beziehungen
Wie von einem Kaiser oder Playboy nicht anders zu erwarten, neigt Nux dazu, in Beziehungen etwas herrschsüchtig zu sein. Der eher ungehobelte und skrupellose, materiell orientierte Nux-Mann benutzt jeden, einschließlich seiner Frau und der Kinder. Er hat sehr wenig Herz und wahrt vielleicht den Schein des Familienlebens, um gesellschaftlich respektabel zu wirken, während er die meisten Nächte mit seiner Geliebten verbringt. Selbst menschlichere Nux-Typen sind in ihren Beziehungen häufig ziemlich selbstsüchtig. Der durchschnittliche Nux-Ehemann wird seine Frau lieben und respektieren, aber oft denkt er erst einmal an seine eigenen Bedürfnisse und dann an ihre. Infolgedessen sind die meisten Nux-Männer vertraut mit den häuslichen »Stunden der Wahrheit«, in denen ihre erzürnte Partnerin ihnen vorhält, wie selbstsüchtig sie sich benehmen. Darüber ist Nux häufig recht schockiert. Er hält sich selbst für einen wunderbaren Familienvater und Liebhaber und merkt in der Regel nicht einmal, wenn er unsensibel ist. Viele Nux-Männer sind in ihrer Unempfindsamkeit ziemlich unschuldig und geben sich echte Mühe, umgänglicher zu sein, wenn sie darauf hingewiesen werden. Doch solche Anstrengungen sind meist nur von kurzer Dauer, weil Nux sich nicht auf zwei Dinge gleichzeitig konzentrieren kann, und sein Streben nach Macht und Stimulation gewinnt in vielen Fällen bald wieder die Oberhand.
Der sensiblere Nux-Mensch (es gibt ihn) übernimmt in seinen Beziehungen die Rolle des Ritters, zumindest zeitweise. Er wählt eine sensible, fürsorgliche Partnerin, die seinem Leben Beständigkeit gibt und dafür sorgt, daß er sich vernünftig ernährt und genug Ruhe bekommt. Die meisten Frauen, die mit Nux-Männern verheiratet sind, werden bis zu einem gewissen Ausmaß die Sekretärinnen ihrer Männer, denn das ist oft der einzige Weg, an seiner größten Liebe teilzuhaben und etwas von ihm zu Gesicht zu bekommen. Im Gegenzug wird der Nux-(Teilzeit-)Ritter, wenn er gute Laune hat, seine Frau wie eine Königin behandeln. Er genießt es dann, ihr die schönsten Kleider zu kaufen, sie in die besten Restaurants einzuladen und sie mit Aufmerksamkeit und Bewunderung zu überhäufen.
Nux empfindet seine Familie als Erweiterung seiner selbst und ist gewöhnlich sehr stolz auf sie (selbst dann wenn er sie gleichzeitig schlecht behandelt). Oft verwöhnt er seine Kinder, behandelt seine Tochter wie eine Prinzessin und seinen Sohn wie den Thronerben. Ein kränklicher oder unmännlicher Sohn ist für den Nux-Vater wahrscheinlich eine große Enttäuschung, und er wird den Jungen möglicherweise ignorieren und all seine Aufmerksamkeit auf ein stärkeres Geschwisterkind oder sogar auf einen Jugendlichen konzentrieren, der gar nicht zur Familie gehört, aber zum Ersatzerben gekürt wird. Nux erwartet und duldet bei einer Frau Schwächen, aber bei einem Mann oder bei seinem eigenen Sohn kann er sie nicht verzeihen.
Weil er wehleidig ist, erwartet Nux von seiner Partnerin in der Regel Trost und Unterstützung. Nach einem harten Tag kann er in ihren Armen zusammenbrechen und sich wie ein Kind benehmen. Wenn er krank ist, neigt er zu Übertreibungen, um noch mehr umsorgt zu werden. Der Nux-Krieger hat vielfach einen weichen Kern. Er mag seine Gegner auf dem Schlachtfeld furchtlos bekämpfen, aber wenn die Schlacht vorbei ist, läßt er sich die Wunden von seiner Frau verbinden und genießt ihre Fürsorge. Wenn es keine Kämpfe auszutragen gibt, wird er noch wehleidiger und läßt sich jeden Kratzer von ihr verpflastern.
Nux respektiert Stärke, und wenn seine Partnerin eine starke Frau ist, wird er bereitwillig den Thron mit ihr teilen. Er überläßt ihr nicht nur die häuslichen Entscheidungen, sondern ermutigt sie auch, ihre Spuren in der Welt zu hinterlassen. Viele Partnerinnen von Nux-Männern sind in der Öffentlichkeit die »Frau an seiner Seite«, aber einige können es mit seiner Energie und seinen Fähigkeiten aufnehmen und schaffen es, ihr Eigenleben nicht aufzugeben. Andere fallen seiner dominierenden Persönlichkeit zum Opfer und enden als bewegliches Inventar in seinem Leben.
Weil Nux starke sinnliche Bedürfnisse hat und sehr besitzergreifend sein kann, neigt er stärker zur Eifersucht als die meisten anderen Typen. Auch wenn er selbst seiner Frau untreu ist, kann er vor Wut explodieren, wenn sie einen anderen hat, und sowohl seine Frau als auch den Nebenbuhler bestrafen. Beim Thema Sexualität gehen Kaiser mit ihren Konkurrenten nicht zimperlich um.
Die Nux-Frau
Nux-Frauen sind selten, aber es gibt sie. In ihrem Temperament sind sie den Nux-Männern sehr ähnlich. Die meisten machen Karriere und leisten auf ihrem Gebiet Hervorragendes (wie Margaret Thatcher). Die Nux-Frau ist deutlich maskuliner als andere und hat wenig Zeit, zu häkeln oder Frauenmagazine zu lesen. Wahrscheinlich findet sie einen starken Mann, den sie heiratet, aber wenn ihr das nicht gelingt, begnügt sie sich auch mit einem reichen oder einflußreichen Partner. Wie der Nux-Mann ist sie gewöhnlich sehr damit beschäftigt, sich eine Machtbasis zu schaffen. Nux-Frauen, die keine Karriere machen, werden oft bitter und frustriert und verlegen sich dann darauf, ihre Angehörigen und ihre Familie zu manipulieren. Nux-Menschen beiderlei Geschlechts sind geborene Anführer, und wenn ihnen die Gelegenheit dazu versagt wird, sei es durch äußere Umstände oder durch eigene Fehler, dann geht es ihnen meist schlecht.
Der Homöopath, dem eine selbstsichere Karrierefrau im Sprechzimmer gegenübersitzt, muß sich im wesentlichen zwischen Nux, Ignatia und Natrium muriaticum entscheiden. Natrium kommt von diesen dreien am häufigsten vor, und Nux ist selten im Vergleich zu Ignatia. Im Gegensatz zu den beiden anderen ist Nux nicht sentimental. Ihre Härte ist keine Reaktion auf emotionalen Schmerz, und deshalb handelt sie meist weniger »reaktiv« als die beiden anderen. Die harte Natrium- oder Ignatia-Karrierefrau ist im allgemeinen beispielsweise sehr defensiv, wenn sie kritisiert wird. Die Nux-Frau kann in derselben Situation ärgerlich werden, aber ihr Ärger ist nicht mit Furcht gemischt, und wie ihr männliches Gegenstück wird sie den Kritiker entweder ignorieren oder fertigmachen. Wenn er zwischen diesen drei Typen zu unterscheiden hat, ist der Homöopath gut beraten, sich nach ihrer Kindheit zu erkundigen. Hier wird die Emotionalität und Verletzlichkeit von Natrium und Ignatia meist offensichtlich, im Gegensatz zur ruhigen Entschlossenheit des Nux-Mädchens.
Körperliche Erscheinung
In Übereinstimmung mit der durchdringenden Art der Nux-Psyche haben die meisten Nux-Menschen ein markantes Äußeres. Das im allgemeinen etwas längliche Gesicht hat scharfe Züge, besonders die Nase, die oft ziemlich spitz ist. Die Gesichtszüge sind eher knochig als rund und spiegeln so den scharfen Intellekt; das Kinn ist fest und bestimmt als Ausdruck der Entschlossenheit. Die Augen haben einen durchdringenden Blick, der meist entwaffnend wirkt.
Der Nux-Körperbau ist in der Regel schlank und drahtig oder muskulös. Viele Nux-Typen sind überdurchschnittlich groß. Ihr glattes Haar ist im allgemeinen dunkel oder rötlich, obwohl auch jede andere Haarfarbe möglich ist. Der Schauspieler Clint Eastwood ist auch in seiner körperlichen Erscheinung ein gutes Beispiel für diesen Typ.