EPILOG
Der Anblick seines entblößten Gesichts ließ seine Untergebenen zittern, und Shedao Shai war zufrieden. Der Kommandant der Yuuzhan Vong hatte sich entschieden, den Grashai auf Bimmiel ohne Helm und ohne die gepanzerte Gesichtsmaske zu betreten, die ihm sein hoher Rang zu tragen gestattete. Sein Zepter hatte sich um seinen rechten Unterarm gewickelt. Der Tsaisi gehörte derselben Spezies an wie sein längerer Vetter, war aber dünner und viel kürzer als ein Amphistab und blieb zeitlebens zierlicher. Sein tödlicher Einsatz erforderte größeres Geschick, daher kam diese Variante deutlich seltener vor.
Shedao Shai stand am Kopf der Treppe, die in den Grashai führte. Was er sah, hätte Abscheu in ihm erregt, doch er wollte vor denen, die unten auf ihn warteten, kein Zeichen von Schwäche erkennen lassen. Vor meinen Untergebenen. Auf dem Boden sah er Grichalarven, die Sand vertilgten und das Material der Schneckenhäuser ausschieden, um die Risse auszubessern, durch die die Sandbeißer in die Behausung eingedrungen waren und zwei junge Yuuzhan-Vong-Krieger gefressen hatten.
Zwei Krieger aus meiner Familie. Shedao Shai ging langsam und wohl überlegt die Treppe hinunter und ließ bei jedem Schritt die Sporen an seinen Fersen klicken. Er maß seine Schritte genau ab und achtete darauf, wer unter seinen Augen weiter seiner Arbeit nachging und wer den Blick hob, um seinen Abstieg zu verfolgen. Jene, die nicht aufblickten, gaben Desinteresse vor, was bedeutete, dass sie ihren Ehrgeiz vor ihm verbargen, während jene, die hinsahen, in erster Linie kriecherische Schwachköpfe waren. Sie glaubten offenbar, durch andere Mittel als Tapferkeit und Erfolg im Kampf weiterkommen zu können.
Diejenigen, die während ihrer Arbeit verstohlene Blicke auf mich werfen, sind von Natur aus neugierig, aber auch ehrerbietig und pflichtbewusst. Er merkte sich, wer diese waren, und pickte einen heraus, der offenbar beschlossen hatte, dem Ngdin keine Beachtung zu schenken, der allmählich alle Spuren der Eindringlinge auslöschte, die den Grashai entweiht hatten. Shedao Shai wartete, bis sein Auserwählter aufsah, dann winkte er ihn mit einer sparsamen Bewegung eines gekrümmten Fingers heran.
Der Krieger hob den Ngdin auf und hielt das schleimige Geschöpf in beiden Händen, obwohl die feinen Flimmerhärchen, auf denen es sich fortbewegte, seinen Händen lähmende Stiche zufügen konnten. Dann setzte er ihn wieder auf dem Boden des Grashai ab und ließ ihn einen weiteren purpurroten Fleck angreifen. Er sank schließlich vor seinem Herrn auf ein Knie und schlug die rechte Faust gegen die linke Schulter.
Shedao Shai blickte auf ihn hinunter. »Sie haben die Erlaubnis, mich anzusehen, Krag Val.«
»Wenn ich dieser Ehre würdig wäre, Kommandant Shai, hätte ich mich meiner Aufgabe hier längst entledigt.«
Sehr gut. Der Yuuzhan-Vong-Krieger senkte die Lider und nickte langsam. »Ich möchte, dass Sie mir berichten, was hier geschehen ist.«
»So gut ich es vermag, Kommandant.« Der Krieger erhob sich, wandte sich um und wies mit einer Geste auf die Gestelle. »Ich glaube, dass zwei der Menschen auf dieser Welt in der Umarmung des Schmerzes gefangen waren. Dann kamen zwei Individuen, mindestens zwei, um sie zu befreien. Die Schnitte an der Umarmung, auf dem Boden und an den Überresten Ihrer Verwandten lassen mich vermuten, dass es sich um Jeedai gehandelt hat. Ich glaube, dass Neira Shai zuerst im Kampf getötet wurde. Sein Schädel weist in einer Augenhöhle Verbrennungen auf. Dranae Shai hat seinen Gegner schwer verletzt, aber Verbrennungen an den Knochen seines Hüftgelenks legen den Schluss nahe, dass er im Gegenzug selbst verwundet wurde. Aber ich habe an seinen Überresten keinen Hinweis auf einen tödlichen Schlag entdeckt.«
Krag Val senkte die Stimme. »Das heißt, an den Überresten, die wir bergen konnten.«
In Shedao Shai staute sich allmählich Wut, doch er behielt die Kontrolle. Was Krag Val ihm da meldete, entsprach weitgehend dem Inhalt des Berichts, den er auf der Überfahrt von Dantooine hierher erhalten hatte. Dank der Schlachten, die er dort und auf Dubrillion geschlagen hatte, konnte er seine Feinde immer besser verstehen. Er hatte sie in einzelnen Fällen als durchaus einfallsreich und tapfer erlebt. Ich hätte sie beinah für würdige Gegner gehalten. Doch was er jetzt über ihr Betragen auf Bimmiel erfuhr, bekräftigte seine Auffassung, dass sie jenseits der Erlösung lebten.
»Was ist mit den Überresten des Jeedai, der sein Blut hier vergossen hat?«
Krag Val hielt den Blick zu Boden gesenkt und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. Dann beugte er sich nach vorne und gewährte seinem Herrn in seiner Wehrlosigkeit die Möglichkeit, ihn zu züchtigen, falls er dies wünschte. »Von ihm haben wir keine Überreste. Aber es gibt Blutspuren, die vermuten lassen, dass er aufgehoben und weggebracht wurde.«
Shedao Shai ballte die Hände zu Fäusten, deren Knöchel mit Hornbeulen übersät waren. »Wollen Sie damit sagen, dass sie die Leiche ihres Gefallenen mitgenommen und unsere Toten als Aas für das Ungeziefer zurückgelassen haben?«
»Das fürchte ich, Kommandant.«
Shedao Shai knurrte und hob die rechte Faust an sein missgestaltetes Gesicht. Das ist die Schuld von Nom Anor, diesem gottverfluchten Abkömmling einer Maschine. Nom Anor hatte die Neue Republik unterwandert und ihnen zahlreiche Informationen über die Feinde übermittelt, mit denen es die Yuuzhan Vong hier zu tun bekommen würden, aber er hatte dabei offenbar nicht alles berücksichtigt, was notwendig gewesen wäre. Darüber hinaus hatte er nach der Macht gegriffen, die es seiner politischen Gruppierung erlaubte, die Angriffe auf Dubrillion und Belkadan durchzuführen. Wenn seine Leute diese Schlachten gewonnen hätten, hätte er den weiteren Verlauf unserer Invasion diktiert. Aber seine Fehler haben meine ersten Schritte bestimmt, schließlich konnten wir unmöglich zulassen, dass seine Niederlagen unseren Endsieg nachhaltig besudeln würden. Also habe ich seine Arbeit beendet, doch jetzt haben meine Angehörigen seine Unfähigkeit mit dem Leben bezahlt.
Der Yuuzhan-Vong-Kommandant sprach mit gleichmäßiger Stimme weiter, obwohl er die Worte zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorstieß. »Und was ist mit Mongei Shai?«
Krag Val fiel auf die Knie und warf sich am Fuß der Treppe nieder. »Es gibt Anzeichen dafür, dass einige Menschen die Höhle gefunden haben, in der er auf uns gewartet hat. Sie… ich fürchte mich, es auszusprechen, Meister…«
Shedao Shais Körper wurde von einem Beben erfasst, das er indes nicht bis in seine Stimme dringen ließ. »Deren Verbrechen sind nicht die Ihren, Krag Val.«
»Sie haben seine Ruhe gestört, Meister. Sie benutzten… sie haben dort, wo sie ihn fanden, ihre mechanischen Scheußlichkeiten zurückgelassen.« Der Yuuzhan-Vong-Kommandant wandte das Gesicht von den Kriegern ab, die unter ihm arbeiteten. Die Vorstellung, dass die Überreste seines Großvaters von diesen weichen Menschen berührt wurden, dass seine Totenruhe gestört wurde, die Hinweise darauf, dass seine flüchtige Hülle vernichtet worden war – das alles war zu viel für ihn. Shedao Shais Atem wurde sauer, sein Speichel zäh.
Mongei Shai gehörte vor fünfzig Jahren einer Gruppe an, die sich mit ihrem Weltenschiff in diese neue Galaxis vorgewagt hatte. Er war nicht mit den anderen zurückgekehrt, sondern auf Bimmiel zurückgeblieben, um ihnen mithilfe von Villips Bericht zu erstatten, bis sich die Entfernung als zu groß erweisen würde. Sein Opfer hatte der Domäne Shai große Ehre gemacht, und Shedao hatte geglaubt, seine Vettern könnten noch mehr Ehre für die Familie anhäufen, wenn sie den Leichnam bargen und zurückbrachten.
Aber sie haben versagt, und der Feind hat seine Überreste mitgenommen. Der Feind hat uns mit seiner Verwegenheit verhöhnt.
Shedao Shai blickte abermals auf seine Untergebenen hinunter, dann setzte er einen Fuß auf Krag Vals Kopf und drückte ihn zu Boden. »Warum haben Neira und Dranae Mongeis Überreste nicht zuerst gefunden?«
»Die alten Koordinaten basierten auf dem Magnetfeld dieser Welt. Das Feld hat sich verändert. Sie kamen mit ihrer Suche nur langsam voran und hätten die richtige Stelle erst vierzehn Revolutionen nach ihrem Tod gefunden. Ihr Verhalten war über jede Schande erhaben.«
»Und über jede Vorstellungskraft.« Shedao Shai deutete in die Richtung des im Westen gelegenen Minshal-Dorfs. »Hat das Ungeziefer die Sklaven vernichtet?«
»Es scheint so, Meister.«
»Und deren Überreste haben die Jeedai nicht mitgenommen?«
»Nein, Meister.«
Shedao Shai nahm den Fuß von Krag Vals Kopf und betrat den Boden des Grashai. Er ging über dem Ngdin, der die von den Jeedai auf dem Boden hinterlassene Blutspur bearbeitete, in die Hocke.
Er sah zu, wie das kleine Wesen das Blut aufsaugte, dann blickte er an ihm vorbei auf Krag Val.
»Auf der Welt, die sie Dantooine nennen, haben sie ihre Toten nicht geborgen. Diese Leute haben keinen Sinn für das, was angemessen oder ehrenhaft ist. Aber dass sie diesen Jeedai von hier weggebracht haben, verrät mir etwas sehr Wertvolles.«
Krag Val, der noch immer den Kopf gesenkt hielt, schielte zu Shedao Shai hinauf. »Was verrät es Ihnen, Meister?«
»Dass dieser Jeedai noch am Leben ist.« Shedao Shai pflückte den plumpen Ngdin vom Boden und hielt ihn in die Höhe. Am Bauch schimmerten im blutigen Schleim zahllose Flimmerhärchen. Shedao Shai beugte sich vor und biss tief in den Ngdin, kostete das Blut und spürte die Stiche. Er riss Fleisch aus dem Körper des Wesens und verschlang es. Der kalten Flüssigkeit, die ihm über das Kinn rann, schenkte er keine Beachtung.
»Dieser Jeedai lebt noch, und ich werde erneut sein Blut schmecken, wenn er stirbt.«