35
Jacen Solo wandte sich von der Brüstung des Balkons, über die er sich gelehnt hatte, ab und sah seinen kleinen Bruder an. »Kannst du nicht schlafen?«
Anakin schüttelte den Kopf, während er auf den Balkon der Solos trat. »Albträume.«
»Wovon?«
»Dantooine.« Anakin rieb sich den Schlaf aus den Augen. »Ich träume immer wieder davon, wie ich links und rechts diese Reptiliensoldaten niedermache, aber es sind immer zu viele, und sie überrennen das Flüchtlingslager trotzdem. Und wenn wir dort ankommen – du kommst nämlich auch in dem Traum vor –, stoßen wir nur noch auf einen Haufen Leichen. Und Chewie und Mom und Dad sind auch darunter.«
Jacen seufzte. »Ein übler Traum.«
»Was, denkst du, bedeutet er?«
Der ältere Bruder schüttelte den Kopf, drehte sich um und lehnte sich auf das Balkongeländer. »Nach meinen Erlebnissen auf Belkadan habe ich es aufgegeben, mir über den Sinn von Träumen Gedanken zu machen. Deiner könnte alles Mögliche bedeuten. Du schlägst dich anscheinend immer noch mit Chewies Tod herum. Aber da Mara nicht unter den Toten ist, könnte es auch sein, dass du dich im Traum zu ihrer erfolgreichen Rettung beglückwünschst. Ich weiß es nicht.«
Anakin stellte sich neben seinen Bruder an das Geländer und starrte den vielen Lichtern nach, die über die Skyline von Coruscant huschten. Es fiel ihm schwer zu glauben, dass bereits ein ganzer Monat vergangen war, seit er Dantooine zusammen mit Mara verlassen hatte. »Ich habe eindeutig nur geträumt, aber du hast eine Vision gehabt. Onkel Luke glaubt jedenfalls, dass es so war.«
»Richtig, aber die Zukunft hat sich verändert, sodass ich fast ertränkt und gefoltert wurde.« Er schenkte seinem Bruder ein halbes Lächeln. »Und da wir Belkadan verlassen haben, um dir zu Hilfe zu eilen, warst vermutlich du derjenige, der die Zukunft verändert hat, von der ich dann erfasst wurde.«
»Dann könnte ich also auch tot sein, und dir ginge es jetzt besser?«
»Das habe ich nicht gesagt, Anakin.« Jacen fing ein kurzes Aufflackern von Traurigkeit in seinem kleinen Bruder auf. »Und Dad ginge es nicht gut, weil du tot wärst.«
Anakin schnaubte. »Hast du ihn gesehen?«
»Nein, du?«
»Nein. 3-PO meint, er würde die Bars in der Gegend inspizieren. Aber er inspiziert wohl eher den Boden der Gläser.«
Jacen seufzte. »Ich bin nicht sicher, ob ich ihn nicht sogar beneide.«
»Bitte?«
»Ich habe auch Albträume, Anakin. Albträume von Dantooine.«
»So wie ich?«
»So ähnlich.« Jacen kratzte sich mit der Rechten im Nacken. »Ich bin dort, genau wie du, und töte und töte und töte. Ich bin eine Art Torwächter, und die Reptilien müssen unbedingt auf die andere Seite meines Tors, aber ich lasse sie nur in ihren Einzelteilen durch.«
»Das war es, was du tun musstest.«
»Musste ich?« Jacen zog den Kopf ein, als ein offenbar betrunkener Flitzerpilot dicht an ihnen vorbeisauste. »Was wir getan haben, war nicht ehrenvoll; es war nichts als Schlächterei. Solange die Soldaten unter der Kontrolle des Bodenfahrzeugs standen, marschierten sie wie Droiden, und wir haben sie einfach auseinander genommen. Aber nachdem Onkel Luke das Kontrollfahrzeug zerstört hatte, drehten sie durch. Sie wurden zu Bestien, und wir haben sie niedergemetzelt.«
Anakin griff nach Jacens linkem Handgelenk. »Aber du hattest doch keine andere Wahl. Wenn du sie nicht getötet hättest, hätten sie noch viel mehr Flüchtlinge umgebracht.«
»Ja, das weiß ich. Ich nehme es zur Kenntnis. Ich übernehme die Verantwortung dafür, doch muss ich mich trotzdem fragen, was das damit zu tun hat, dass ich ein Jedi-Ritter werden will.« Er kniff die Augen fest zu. »Wie hat mich das dem Verständnis der Macht näher gebracht? Wodurch bin ich jetzt ein besserer Jedi, als ich es vorher war?«
Anakin ließ Jacens Handgelenk los. »Aber es ist doch die Aufgabe eines Jedi, andere zu beschützen. Es gibt keinen ehrenvolleren Grund, irgendwas zu tun. Du hast dein Leben riskiert, um das anderer zu bewahren.«
»Wirklich? Glaubst du wahrhaftig, dass einer dieser Reptiliensoldaten uns etwas hätte anhaben können? Über die Hälfte von Colonel Bril’nilims Bodentruppen hat den Angriff überlebt. Und das waren keine Jedi. Wir hätten unsere Lichtschwerter dort überhaupt nicht einsetzen müssen, Anakin. Wir hätten ganz einfach Vibromesser oder sogar Knüppel nehmen können.«
Er wandte sich ab und breitete die Arme aus. »Und war es etwas so Besonderes, diese Flüchtlinge zu retten? Wir haben verhindert, dass noch mehr starben, aber zu welchem Zweck? Macht das die Überlebenden zu besseren Individuen als jene, die gestorben sind? Besitzen sie dadurch mehr Ehre? Werden sie aus dieser Erfahrung etwas lernen und das Universum zu einem besseren Ort machen?«
»Das weiß ich nicht, Jacen. Das alles wird die Zukunft zeigen…«
»… die bekanntlich ständig in Bewegung ist.«
»Richtig. Ich weiß nur, dass wir einigen Flüchtlingen das Leben gerettet haben. Und das genügt mir.«
Jacen nickte bedächtig. »Das ist mir klar, Anakin, ich wünsche mir bloß, dass es mir auch genügen würde.«
»Ich verstehe nicht.«
»Ich weiß.« Jacen senkte die Stimme zu einem Flüstern, als er Kummer von Anakin ausgehen fühlte. »Schau, Anakin, du hast dich auf Dantooine großartig geschlagen. Du hast dort viel gelernt. Du hast gut auf Mara Acht gegeben. Und du hast unter sehr schwierigen Umständen dafür gesorgt, dass sie überlebt. Du bist wirklich ein Held, deswegen und wegen allem, was du getan hast, um die Reptilien zurückzuschlagen. Ich versuche also nicht, dir oder dem, was du getan hast, irgendetwas abzusprechen. Ich will, dass du das begreifst.«
»Ja, gut.« Anakin verschränkte die Arme vor der Brust. »Und was ist mit dir?«
»Darum geht es ja. Ich habe keine Ahnung.« Er presste die Fingerspitzen gegen die Schläfen. »Ich hatte gedacht, wenn ich weggehe, für mich allein bleibe, dann würde ich den Schlüssel zur Macht schon finden, aber dann sah ich diese Sklaven und musste etwas unternehmen. Da schickt mir die Macht eine Vision, und ich handele danach, doch alles läuft falsch. Doch aus dem Falschen entstand etwas Richtiges. Wir haben dich und Mara auf Dantooine gerettet, und ich konnte bei der Verteidigung gegen die Reptilien dabei sein. Es ist, als würde ich mich im Kreis bewegen, als würde ich um das ersehnte Ziel nur kreisen. Zu manchen Zeiten scheint es, als müsste ich allein bleiben, und zu anderen treibt es mich in den heroischen Schmelztiegel, der Onkel Luke geformt und verschlungen hat. Ich weiß, dass es andere Wege gibt, ich weiß nur nicht, ob sie die richtigen Wege für mich sind.«
Anakin zog einen Moment lang die Stirn kraus. »Das hört sich an, als wolltest du einen Kurs festlegen, ohne den Endpunkt deiner Reise zu kennen.«
»Wie bitte?«
Der jüngere Solo beschrieb mit dem rechten Zeigefinger einen Kreis in der Luft. »Du sagst, du kreist um dein Ziel, aber dieses Ziel hast du doch noch gar nicht bestimmt. Du hast mir nie gesagt, was dein Ziel ist. Ich will ein Jedi-Ritter sein, so wie Onkel Luke und die anderen vor ihm. Was du willst, weiß ich nicht, und ich glaube, du weißt es selbst nicht.«
Jacen nickte. »Genauso fühle ich mich auch, aber ich denke, das ist so, weil ich mehr sein will. Ich habe keine Ahnung, was das sein soll, aber ich schätze, ich bin wohl der Meinung, dass der Jedi-Orden mehr ist als das, was uns wieder zu beleben gelungen ist. Ich weiß, es ist irgendwo da draußen, aber ich weiß nicht, was es ist.«
»Dann könnte es natürlich sein, dass du deinem Ziel, wenn du dich zurückziehst und nachdenkst, auch nicht näher kommst.«
Jacen sah Anakin mit einer hochgezogenen Braue an. »Wie kommt es, dass du auf einmal so philosophisch wirst?«
Der Jüngere wurde rot. »Nachdem Mara mich auf Dantooine dazu gebracht hatte, die Macht nicht länger wie eine Krücke zu benutzen, fand ich jede Menge Zeit zum Nachdenken. Mir wurde klar, dass ich die Macht zu häufig eingesetzt hatte. Onkel Luke setzt sie wie eine Ratgeberin oder manchmal auch wie eine Kraftquelle ein. Manche benutzen sie wie ein Vibromesser, andere wie eine Art Meinungsumfrage und wieder andere wie einen ganzen Werkzeugkasten. Ich habe viel über diese Dinge nachgedacht und glaube, ich habe mich entschieden, in Onkel Lukes Fußstapfen zu treten.«
»Kein leichter Weg.«
»Einem Jedi wird es nie leicht gemacht.« Anakin lächelte. »Aber natürlich ist es noch viel schwerer, den eigenen richtigen Weg zu finden. Vielleicht solltest du dich ein wenig auf den Wegen der anderen umsehen, um herauszufinden, wie du einzelne Abschnitte miteinander verknüpfen kannst.«
Anakins Worte waren wie ein Nachhall von Lukes Ermahnung, dass Jacen noch jung sei und es ihm an Erfahrung fehle. Vielleicht muss ich die Lebensweise der Jedi erst noch genauer erkunden und mich selbst besser kennen lernen. Ihm wurde klar, dass er, obwohl er umsichtiger mit der Macht umging als Anakin, eigentlich keine Ahnung hatte, wie er ohne sie zurechtkommen sollte. Kann ich wirklich herausfinden, wie ich mich mit der Macht verbinden kann, wenn ich nicht einmal weiß, wer ich ohne sie bin?
Jacen streckte eine Hand aus und zerzauste Anakins Haare. »Hör zu, eines ist ganz klar, gleichgültig, wie ich über das, was wir auf Dantooine getan haben, denken mag. Ich war froh, dass du bei mir warst. Ich kann nicht sagen, was in Zukunft aus mir wird, Anakin, aber ich bin sicher, aus dir wird ein großer Jedi-Ritter. Ich bin davon überzeugt, dass du Erfolg haben wirst, ganz gleich, was das Leben noch für dich bereithält.«
Anakin fokussierte seinen Blick. »Bist du das wirklich, Jacen, oder irgendein Yuuzhan Vong in einer Ooglith-Maske?«
Jacen legte seinem kleinen Bruder einen Arm um die Schulter. »Fürs Erste bin ich Jacen Solo.« Was ich in der Zukunft sein werde, steht noch auf einem anderen Blatt.