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Leia wandte sich von ihrem Gepäck ab und warf einen Blick zur Tür der Zimmerflucht, als C-3POs öffnete und Elegos A’Kla kündigte. Der Caamasi hatte einen goldenen Umhang über seine Schultern gebreitet. Die feinen Purpurfäden darin ahmten die Streifen in seinem Gesicht und an den Schultern nach. Er schenkte ihr ein knappes Lächeln und schlug mit einer Geste C-3POs Anerbieten aus, ihm den Umhang abzunehmen.
Leia seufzte. »Ich dachte, ich wäre um diese Zeit längst bereit, dabei bin ich gerade erst mit dem Packen fertig geworden. Ich habe keine Ahnung, wann ich wieder hier sein werde, da wollte ich einfach ein paar Sachen mitnehmen.«
»Bitte, lassen Sie sich Zeit.« Elegos zuckte die Achseln. »Wenn meine Verpflichtungen als Senator nicht wären, hätten wir schon vor einer Woche von hier abreisen können.«
Leia winkte ihn in den zentralen Raum der zweistöckigen Zimmerflucht, und der Caamasi ließ sich in einem der Sessel aus Nerfleder nieder, die schräg vor dem großen Panoramafenster standen, von dem aus man die Stadtlandschaft von Coruscant überblickte. Ein Flur auf der Südseite führte in ihr Arbeitszimmer, das früher einmal das Kinderzimmer für ihre beiden Jungs gewesen war, und zu einem kleineren Schlafzimmer, das zunächst Jaina überlassen und später, während ihrer Zeit auf der Akademie, in ein Gästezimmer verwandelt worden war. Das Elternschlafzimmer lag auf der zweiten Etage und konnte über eine Wendeltreppe an der gegenüberliegenden Wand erreicht werden. Die Küche war am Nordende des Wohnzimmers eingerichtet worden, und zwischen beiden Räumen befand sich ein kleiner Essbereich.
Leia stopfte einen kleinen Holowürfel in eine Tasche und machte sich an den Verschlüssen zu schaffen. »Der Senat wollte Sie also nicht auf der Stelle aufbrechen lassen?«
»Ich bezweifle, dass die Senatoren mich überhaupt gehen lassen wollen, aber sie hatten keine andere Wahl. Stattdessen haben sie mir Ausschussaufträge erteilt und mir dringende Arbeiten aufgehalst. Jetzt kümmert sich meine Tochter um die meisten Dinge. Und während meiner Abwesenheit wird mir Releqy als Verbindung zum Senat zur Verfügung stehen. Das ist der Grund, warum ich mich nicht eingehender mit Ihnen besprochen habe.«
»Auch das hat Ihre Tochter übernommen. Ich wusste also, dass Sie aufgehalten wurden.« Leia richtete sich auf und musterte die drei roten Stofftaschen, die sie bis zum Bersten mit Kleidungsstücken und anderen Dingen voll gestopft hatte, die sie unmöglich zurücklassen konnte. Ich habe Alderaan sogar mit noch weniger als dem hier verlassen. Und jetzt stehe ich ein Vierteljahrhundert später hier und bin abermals auf der Flucht – dieses Mal allerdings wegen meines eigenen Gewissens und nicht aufgrund äußerer Einwirkung. »Ich hätte schon früher bereit sein sollen, aber die Ereignisse überschlagen sich.«
Noch ehe sie einen Versuch unternehmen konnte, ihre Worte zu erläutern, sah sie Elegos’ Nüstern beben und seinen Blick plötzlich an ihr vorbei zu dem oberen Treppenabsatz zucken. Sie drehte sich um und entdeckte Han, ihren Mann, der schlaff im Türrahmen hing und sich mit den Händen an den Türpfosten festhielt. Sie fröstelte, da der verhärmte Ausdruck seines Gesichts und die Haltung seiner Hände sie allzu sehr an die Zeit erinnerten, als er in Karbonid eingefroren gewesen war. Sie hätte gerne geglaubt, dass die dunklen Ränder unter seinen Augen bloß Schatten waren, aber so sehr vermochte sie sich nicht selbst zu täuschen.
Sie hörte, wie Elegos von seinem Platz aufstand. »Captain Solo.«
Han hob langsam den Kopf, und seine Augen wurden schmal, während er sich der Stimme zuwandte. »Ein Caamasi? Elegos, nicht wahr? Ein Senator?«
»Ja.«
Han tat einen strauchelnden Schritt nach vorne und wäre um ein Haar die Treppe hinabgestürzt. Er fing sich am Geländer, schaffte noch ein paar Stufen und schlitterte um die Biegung. Er fand abermals festen Halt, nahm die letzten Stufen springend und marschierte schnurstracks an Leia vorbei. Schließlich glitt er weich wie Gallert und grunzend in einen der Sessel, die gegenüber von Elegos’ Sitzplatz standen. Im Licht, das durch das Panoramafenster fiel, war der Regenbogen aus Flecken auf Hans ehemals weißer Hemdbluse ebenso wenig zu übersehen wie der Schmutz an den Ärmeln, dem Kragen und den Ellbogen. Seine Stiefel waren furchtbar abgewetzt, die Hose verknittert und sein Haar seit langem ungekämmt. Er fuhr sich mit der Hand über die Bartstoppeln und ließ dabei seine dreckigen Fingernägel erkennen.
»Ich will Sie mal was fragen, Elegos.«
»Wenn ich Ihnen dienen kann.«
Han nickte, als würde sein Kopf nur auf dem Hals aufliegen und wäre nicht durch Muskeln mit ihm verbunden. »Wie ich höre, besitzen die Caamasi Erinnerungen, mächtige Erinnerungen.«
Leia streckte eine Hand aus. »Verzeihen Sie, Elegos, ich habe durch Luke davon erfahren und dachte, mein Mann…«
Der Caamasi schüttelte den Kopf. »Ich habe keinen Zweifel, dass das Wissen über unsere Memnii bei Ihnen allen gut aufgehoben ist. Bestimmte Augenblicke unseres Lebens hinterlassen Erinnerungen, und wir sind in der Lage, diese Erinnerungen auf andere Angehörige unseres Volkes oder auf Jedi-Ritter zu übertragen. Aber es muss sich um starke, machtvolle Erinnerungen handeln, damit sie zu Memnii werden können.«
»Ja, die starken Erinnerungen lassen einen nicht los.« Han richtete den Blick auf eine Stelle irgendwo zwischen der Wand und dem Rand des Panoramafensters. Er verstummte einen Moment lang und starrte Elegos dann unumwunden an. »Was ich wissen will, ist Folgendes: Wie werden Sie diese Erinnerungen wieder los? Wie kriegen Sie sie raus aus Ihrem Kopf?«
Der gequälte Tonfall von Hans Stimme trieb Leia ein Vibromesser ins Herz. »Oh, Han…«
Er hob eine Hand, um sie zurückzuhalten. Seine Miene wurde unnachgiebiger. »Wie stellen Sie das an, Elegos?«
Der Caamasi reckte das Kinn. »Wir können sie nicht loswerden, Captain Solo. Indem wir sie mit anderen teilen, teilen wir auch den Schmerz. Aber loswerden können wir sie niemals.«
Han knurrte, dann kippte er auf seinem Platz nach vorne und rieb sich die Augen mit den Knöcheln seiner Hände. »Ich würde sie mir ausreißen, wenn ich dann nichts mehr sehen müsste, wissen Sie, das würde ich… das würde ich wirklich. Ich kann nichts dagegen tun, dass ich es sehe. Ihn sehe, sehe, wie er stirbt…«
Die Stimme des Mannes sank zu einem tiefen Grollen herab, rau, ungeschliffen und ausgefranst wie geborstener Stahlbeton. »Er stand einfach da. Er hatte gerade meinem Sohn das Leben gerettet. Er hatte Anakin gerettet, ihn in meine Arme geworfen. Und als ich ihn wieder sah, riss ihn ein Windstoß von den Beinen und brachte über ihm ein Gebäude zum Einsturz. Aber er kam wieder hoch. Er war blutverschmiert und ganz zerzaust, aber er kam wieder hoch. Kam auf die Beine, stand auf und hob die Hände und streckte sie nach mir aus. Er streckte die Hände nach mir aus, damit ich ihn rette. So wie er Anakin gerettet hatte.«
Hans Stimme verstummte mit einem heiseren Quieken.
»Ich habe ihn gesehen, verstehen Sie mich nicht? Ich habe ihn da stehen sehen, und dann stürzte der Mond auf Sernpidal. Die Luft begann einfach zu brennen. Und er stand da und brüllte und schrie. Er sah vor den Flammen ganz schwarz aus. Nur noch eine Silhouette. Dann fraß sich das Feuer durch ihn hindurch. Ich konnte seine Knochen sehen. Sie wurden zuerst auch schwarz, dann weiß, so weiß, dass ich nicht hinsehen konnte. Dann nichts mehr.« Han wischte sich die Nase mit der Hand. »Mein bester Freund, mein einziger echter Freund, und ich habe ihn sterben lassen. Wie kann ich damit weiterleben? Wie kriege ich das aus dem Kopf? Sagen Sie mir das!«
Elegos’ Stimme kam ganz leise, aber mit einer Kraft, die den sanften Tonfall Lügen strafte. »Woran Sie sich erinnern, besteht zum Teil aus dem, was Sie gesehen haben, und zum Teil aus Ihren Ängsten. Sie glauben, Sie hätten ihn im Stich gelassen, und Sie meinen, er hätte Sie zuletzt auch so gesehen, aber dessen können Sie sich nicht sicher sein. Erinnerungen sind nicht immer klar und deutlich genug.«
»Sie haben keinen Schimmer, Sie waren ja nicht dabei.«
»Nein, aber ich habe vergleichbare Situationen erlebt.« Der Caamasi ging in die Hocke, und sein Umhang breitete sich rings um ihn aus. »Als ich zum ersten Mal einen Blaster benutzte, habe ich drei Männer erschossen. Ich sah, wie sie zuckten und zusammenbrachen. Ich sah sie sterben und wusste, dass ich diese Erinnerung auf ewig mit mir herumtragen würde, die Erinnerung daran, wie ich sie umbrachte. Anschließend erklärte mir jemand, dass der Blaster darauf eingestellt war, sie nur vorübergehend zu lähmen. Ich hatte falsch gedacht, und vielleicht irren Sie sich auch.«
Han schüttelte trotzig den Kopf. »Chewie war mein Freund. Er hat mir vertraut, und ich habe ihn im Stich gelassen.«
»Ich glaube nicht, dass er es so sehen würde.«
Han brummte. »Sie haben ihn nicht gekannt. Woher wollen Sie das wissen?«
Elegos legte dem Mann eine Hand aufs Knie. »Ich habe ihn nicht gekannt, aber ich habe seit Jahrzehnten von ihm gehört. Auch was Sie mir eben erzählt haben, wie er Ihren Sohn gerettet hat, verrät mir, wie sehr er Sie geliebt hat.«
»Er konnte mich nicht lieben. Als Chewie starb, hat er mich gehasst. Ich habe ihn im Stich gelassen, ich habe ihn dort sterben lassen. Seine letzten Gedanken waren von Hass gegen mich erfüllt.«
»Nein, Han, nein.« Leia ging neben Hans Sessel in die Knie und umklammerte seinen linken Unterarm. »Das kannst du nicht wirklich glauben.«
»Ich war dort, Leia, ich stand kurz davor, Chewie zu retten, und ich habe versagt. Ich habe ihn da sterben lassen.«
»Ungeachtet dessen, was Sie glauben, Captain Solo, war Chewie ganz sicher nicht Ihrer Auffassung.«
»Was? Wie können Sie wissen, was er gedacht hat?«
Die violetten Augen des Caamasi blinzelten. »Er hat Ihren Sohn gerettet. Und in Chewbaccas Augen hat Anakin Sie gerettet, indem er den Millennium Falken in Sicherheit brachte. Chewbacca hat Ihnen einmal mehr das Leben gerettet, diesmal durch Ihren Sohn. Das ist Ihnen jetzt noch nicht klar, aber früher oder später werden Sie erkennen, dass es die Wahrheit ist. Denken Sie darüber nach, während Sie diese Erinnerung immer neu durchleben. Ein so nobler Held wie Chewbacca konnte bei dem Wissen, dass Sie überleben würden, nichts anderes als Glück empfinden. Weniger als das von ihm zu denken würde ihn herabsetzen.«
Han sprang auf die Füße und stieß den Sessel nach hinten. »Wie können Sie es wagen? Wie können Sie es wagen, in mein Haus zu kommen und mir zu sagen, ich würde meinen Freund herabsetzen? Was gibt Ihnen das Recht dazu?«
Elegos stand langsam auf und spreizte begütigend die Hände. »Wenn ich Sie gekränkt habe, tut es mir Leid, und ich entschuldige mich, Captain Solo. Ich habe mich Ihnen in Ihrer Trauer aufgedrängt. Das stand mir nicht zu.«
Er verneigte sich vor Leia. »Ich entschuldige mich auch bei Ihnen. Ich werde Sie jetzt allein lassen.«
»Lassen Sie sich nicht stören.« Han trat vor und ging zwischen ihnen hindurch zur Tür. »C-3PO, ich will, dass du bei der Polizei von Coruscant in Erfahrung bringst, welche Kneipen auf der Liste besonderer Zwischenfälle ganz oben stehen. Gib mir die Liste über Komlink durch.«
Leia erhob sich. »Han, geh nicht. Ich werde in Kürze abreisen.«
»Weiß ich. Ziehst mal wieder los, um die Galaxis zu retten. Ganz meine Leia.« Er drehte sich nicht zu ihr um, sondern zog nur die Schultern hoch. »Ich hoffe, du hast mehr Glück als ich. Ich habe nicht mal eine Person retten können.«
Die Tür der Zimmerflucht schloss sich hinter Han Solos Rücken.
C-3PO legte den Kopf schief und sah Leia an. »Mistress, was mache ich jetzt?«
Leia schlug die Augen nieder und seufzte. »Besorg diese Liste und gib sie ihm. Du kannst auch Wedge oder einen der anderen Renegaten im Ruhestand anrufen. Hobbie oder Janson müssten eigentlich verfügbar sein. Vielleicht können die ihn im Auge behalten. Und pass gut auf ihn auf, wenn er zurückkommt.«
Sie spürte eine Hand auf der Schulter. »Leia, ich kann auch allein zum Rand aufbrechen. Sie können hier bleiben und sich um Ihren Mann kümmern. Ich werde Ihnen Bericht erstatten.«
Sie öffnete die Augen und bedeckte Elegos’ Hand mit ihrer eigenen. »Nein, Elegos, ich muss reisen. Han hat trotz seiner tiefen Trauer ganz Recht. Ich möchte bleiben, jede Faser von mir möchte bleiben, aber ich muss fort. Andere sind dazu nicht in der Lage, also ist es an uns, sie zu retten. Han kann auf sich selbst aufpassen – er wird es müssen.«