18
Jacen Solo schlug die Augen auf und wusste einen Moment lang nicht, wo er war. Er wusste, er war auf Belkadan, stellte jedoch überrascht fest, dass er sich wieder in der ExGal-Station befand. Weshalb ihn dies überraschte, vermochte er nicht auf Anhieb zu sagen. Er stieß die leichte Decke von sich, die über ihm lag, schwang die Beine über den Rand des Feldbetts und stand auf.
Jacen fuhr sich mit den Fingern durch das lange braune Haar und rieb sich mit den Handrücken die Augen. Vor dem Erwachen war er in einem Dorf der Yuuzhan Vong gewesen, dem Dorf, in dem die Villips gezüchtet wurden. Er war dorthin gegangen, um die Sklaven zu befreien. Er war in das Wasser gewatet und hatte sie zu sich gerufen. Sie waren gekommen, und ihr Herr war ihnen gefolgt. Und so wie der Sklaventreiber den alten Mann hatte Jacen den Yuuzhan-Vong-Krieger langsam in dem morastigen, stillen Wasser versinken lassen.
Es kommt mir so real vor. Jacen löste die Hände von den Augen und konzentrierte sich, bis seine Hände als gespenstische Schatten im Dämmerlicht sichtbar wurden. Seine Finger kribbelten noch bei der Erinnerung daran, wie er sein Lichtschwert im Kampf gegen den Yuuzhan-Vong-Krieger geführt hatte. Auf der Suche nach einem Anzeichen für irgendwelche Schmerzen, die ihn von der Wirklichkeit dessen, was er gesehen hatte, überzeugen könnten, bewegte er die Schultern vor und zurück und drückte den Rücken durch.
Ihm war klar, dass er höchstwahrscheinlich nur geträumt hatte. In der Woche, die vergangen war, seit sie den Mord an jenem alten Mann beobachtet hatten, hatten sie einige weitere Erkundungen durchgeführt. Die Yuuzhan Vong hatten Belkadan, oder zumindest diesen Teil des Planeten, wahrhaftig in eine einzige große Raumschiffwerft verwandelt. Überall züchteten sie ihre Villips, Korallenskipper und Dovin Basale. Ihre Arbeiter waren dem Anschein nach allesamt Sklaven, obwohl einige ihrer Aufseher Helfer hatten, bei denen es sich nach Jacens Eindruck um Menschen zu handeln schien, die mit ihnen zusammenarbeiteten. Alle besaßen die seltsamen Auswüchse, doch die Kollaborateure überfluteten die Macht nicht mit statischen Störungen, sondern minderten sie nur beträchtlich.
Dass Jacens Vision lediglich ein Traum gewesen sein sollte, ergab durchaus einen Sinn. Es handelte sich ohne Frage um eine Fantasie, die sich gewissermaßen erfüllt hatte, um ihn von seiner Frustration zu entlasten. Er war fast schon bereit, sein Erlebnis als einen Traum abzutun und sich wieder schlafen zu legen.
Doch zwei Dinge hielten ihn davon ab. Das eine war ein Gefühl der Dringlichkeit, das seine Vision gleichsam umgab. Obwohl er gerne zugeben wollte, dass seine Frustration ausreichte, um einen derartigen Traum entstehen zu lassen, war dieses Gefühl in der Nacht, nachdem sie den brutalen Mord beobachtet hatten, am stärksten gewesen. Und seitdem waren sie nicht an diesen Ort zurückgekehrt.
Das zweite war die Wahrhaftigkeit der Vision. Das Erlebnis war eigentlich nichts, an das er sich erinnerte, es fühlte sich vielmehr an wie der Ausblick auf etwas, das er erst noch tun musste. Ihm war sehr deutlich bewusst, dass sich einem Jedi, der sich der Macht geöffnet hatte, mitunter kurze Einblicke in die Zukunft auftaten. Der Meister seines Onkels, Yoda, war gleichermaßen für seine Weisheit sowie für die Fähigkeit bekannt gewesen, in gewissen Grenzen die Zukunft vorhersehen zu können. Jacen hatte noch nie zuvor das Gefühl gehabt, das die Macht ihm eine Vision beschert hatte, doch jetzt kam es ihm so vor, als wäre sein momentaner Zustand exakt die Folge, die eine derartige Vision mit sich bringen würde.
Er erhob sich von seinem Feldbett und wankte aus dem Zimmer, das früher mal Danni gehört hatte. Fast alles darin war zerstört, doch es war ihm gelungen, ein paar statische Holografien und eine Hand voll anderer Erinnerungsstücke zu retten, die er ihr mitbringen wollte. Er schob den Müll auf dem Gang mit den Füßen zur Seite und lehnte sich gegen den Rahmen der Tür, die in das Zimmer führte, das sein Onkel bezogen hatte.
Eine kleine Glühlampe erhellte den rückwärtigen Winkel des Zimmers mit einem warmen goldenen Licht. Sein Onkel saß auf dem Boden, das Gesicht der Tür zugewandt, und war in dem schwachen Schein nur in seinen Umrissen auszumachen. Jacen wollte etwas sagen, doch der Eindruck von Frieden und Konzentration, den er von seinem Onkel auffing, hielt ihn zurück.
Es war nicht das erste Mal, dass er sah, wie sein Onkel sich in eine Jedi-Trance versenkte, um seine Bindung an die Macht zu festigen. Seit dem Friedensschluss mit den Imperialen Restwelten und seit Luke gewisse Veränderungen im Gefüge der Akademie vorgenommen hatte, machten manche Schüler Witze darüber, dass ihr Meister alt geworden sei und seine gelegentlichen Machtnickerchen brauche. Jacen hatte darüber gelacht, doch in Wirklichkeit beneidete er seinen Onkel um dessen starke Verbindung zur Macht. Er wünschte sich diese Intimität für sich selbst, und er kannte den Preis, den sein Onkel bezahlt hatte, um sie sich zu verdienen. Aber obwohl er wusste, dass eine solche Verbindung nur schwer erworben werden konnte, hoffte er doch mit Leidenschaft, dass der Weg, den er eingeschlagen hatte, um es so weit zu bringen, weder so lang noch so steinig sein würde wie der seines Onkels.
Er wandte sich von der Tür ab und stand mit flach gegen die Wand gepresstem Rücken da. Die Erfahrung, hatte sein Onkel gesagt, lehrte einen, dass harte Entscheidungen zuweilen unumgänglich waren, und die Entscheidung darüber, ob das, was er gesehen hatte, real war oder nicht, erfüllte gewiss das Kriterium einer harten Entscheidung. Während sein Verstand ihm gebot, das Gesehene zu bezweifeln, drängte ihn sein Herz, sofort loszuziehen.
Dieser Entschluss fühlt sich ganz richtig an, und in der Macht kommt es mehr auf die Gefühle an als auf das Denken. Jacen atmete ruhig aus, dann kehrte er in Dannis Zimmer zurück und zog langsam seinen Kampfanzug an. Er befestigte ein Komlink am Revers, um die Daten seines Ausflugs aufzeichnen zu können. Auf diese Weise diene ich wenigstens Onkel Lukes Ziel, auch wenn ich mein eigenes nicht erreiche. Er sagte R.2-D2 nichts von seinem Aufbruch, da er wusste, dass der Droide sofort seinen Onkel wecken und die Mission beenden würde, ehe sie überhaupt richtig begonnen hatte.
Als er an Lukes Tür vorbeikam, verneigte er sich einmal vor seinem Meister, dann verließ er, in einen langen Jedi-Umhang gehüllt, die ExGal-Station und marschierte in die Nacht hinaus.
Jacen sah sich mit jedem weiteren Schritt tiefer in die Erinnerung an seine Vision verstrickt. Jedes Blatt, jeder Wolkenfetzen, das Summen der Insekten, das Prasseln von Geröll, das hinter ihm einen Abhang hinunterrollte – all das fügte sich bruchlos in seine Erinnerungen. Er hörte auf zu denken, konzentrierte sich stattdessen auf seine Gefühle und setzte seine Schritte beinahe willkürlich, gleichwohl wusste er, dass er die richtige Wahl getroffen hatte.
Er schlich durch die Nacht, gab sorgfältig auf alles Acht und überließ sich doch einem wachsenden Gefühl der Unverwundbarkeit, das ihm von dem Wissen um seine bevorstehenden Taten eingegeben wurde. Seine Vision bewahrheitete sich. Er näherte sich Schritt um Schritt einer Konfrontation, die den Sklaven die Freiheit bringen und den erzwungenen Rückzug der Yuuzhan Vong einleiten würde. Ihm war klar, dass Luke ihn nicht verstehen und sein Unternehmen vermutlich auch nicht billigen würde, doch Jacen fühlte sich verpflichtet, das Schicksal zu erfüllen, das ihm die Macht gewiesen hatte.
Allzu bald stieg er die Uferböschung des flachen Sees hinab. Das Mondlicht tauchte die Täler zwischen den sanften Wellen in funkelndes Silberlicht, das im Wasser über den Villip-Blättern größere helle Flecken bildete. Sklaven bewegten sich zwischen den Stängeln und begossen die Villips mit schwarzem Seewasser. Die einzigen Geräusche in dem Becken kamen von dem spritzenden Wasser und dem schauerlichen Wispern der Villips.
Jacen blieb am Rand des Sees stehen und warf seinen Umhang zurück. Er holte tief Luft und ließ sich von einer tiefen Ruhe durchströmen. Er lächelte, nur ein wenig, und setzte dann ein freundliches Gesicht auf. Schließlich öffnete er die Arme und breitete sie weit aus.
»Kommt zu mir, Leute. Ich werde euch befreien.« Die Sklaven hoben fast wie ein Mann die Köpfe und sahen sich nach ihm um. Eine Reihe schriller Pfiffe ging hin und her, die von manchen Villips aufgegriffen und zurückgeworfen wurden. Jacen erkannte das Geräusch als die Art von Lauten, die R2-D2 ausstieß, wenn der Droide verwirrt war, also lächelte er noch breiter und winkte die Sklaven zu sich.
»Kommt zu mir. Eure Zeit als Sklaven ist vorbei.« Die Sklaven setzten sich in Bewegung, allerdings nicht in Übereinstimmung mit seiner Vision. Sie wenden sich von mir ab! Tatsächlich wichen die Sklaven in geduckter Haltung, als wären sie auf irgendeine Strafe gefasst, zurück, wobei die in der ersten Reihe ihn nicht aus den Augen ließen, während sie nach ihren Hintermännern griffen. Die anderen, die sich weiter hinten befanden, drehten sich um, rannten, so schnell sie konnten, davon und bespritzten sich mit Wasser.
Dann bildete sich in der Gruppe der Sklaven eine Gasse, und ein mit einem Amphistab bewaffneter Yuuzhan-Vong-Krieger in voller Rüstung stapfte ins Wasser und starrte Jacen an. Er wirbelte den Amphistab im Kreis herum, zuerst in Höhe der Sklaven, dann über dem Kopf und schließlich hinter seinem Rücken. Einen Lidschlag später hielt er inne, klemmte sich den Stab zwischen seinen rechten Unterarm und den Brustkorb und ging in die Hocke.
Jacen watete bis zu den Unterschenkeln ins Wasser und zog sein Lichtschwert. Er aktivierte die Klinge und übertönte mit ihrem Knistern das Furcht erregende Jammern der Sklaven. Die grüne Laserklinge warf ein gespenstisches Licht auf die Villips. Jacen führte die summende Klinge in einem lässigen unendlichen Kreis herum, durchtrennte zuerst die Stängel der Villips und zerteilte anschließend auch noch die fallenden Blätter.
Der Krieger brüllte und setzte zum Spurt auf Jacen an. Wasser spritzte hoch, schien ihn jedoch kaum zu bremsen. Der Amphistab drehte sich wieder, und bei jeder Umdrehung tauchte die Spitze kurz in den See ein.
Auch Jacen warf sich jetzt auf seinen Gegner, doch weil er kleiner war, machte ihn das Wasser langsamer. Der junge Jedi nahm sich zusammen und hob die Klinge hoch über die rechte Schulter. Als der Krieger näher kam, neigte Jacen seine Handgelenke so, dass die Klinge in Laufrichtung wies, und machte sich zum Sprung bereit.
Genau wie in meiner Vision!
Der Yuuzhan-Vong-Krieger scherte sich allerdings wenig um diese Vision. Er drehte nach rechts ab und glitt an der grünen Energieklinge vorbei. Dann zog er Jacen den Amphistab quer über den Rücken. Einer der Dämpfer seines Kampfanzugs verhinderte größere Schäden, doch die Wucht des Schlages ließ ihn trotzdem nach vorne stolpern. Er sank auf ein Knie, wirbelte herum und hob das Lichtschwert, um den nächsten Hieb zu parieren.
Die Klinge fing den Schlag auch wirklich ab, erzielte jedoch nicht ganz die Wirkung, die Jacen erwartet hatte. Meine Parade hätte dreißig Zentimeter von diesem Stab abtrennen müssen! Der junge Mann kam wieder auf die Beine, wehrte einen weiteren Angriff nach links unten ab, drehte die Handgelenke und führte einen Schlag, der den Yuuzhan Vong eigentlich von der rechten Hüfte bis zur linken Schulter hätte spalten müssen.
Doch stattdessen sprühten Funken, und Rauch stieg von der Rüstung des Fremden auf. Der Krieger stolperte einen oder zwei Schritte zurück, drang aber sofort wieder mit seinem Amphistab vor. Jacen schlug die Attacke zurück und zielte anschließend auf das rechte Handgelenk des Yuuzhan Vong. Wieder Funken und Rauch, die diesmal von einem knisternden Geräusch begleitet wurden, doch die Hand ließ sich nicht abtrennen.
Jacen riss die grüne Klinge überrascht zu einem erneuten Angriff auf denselben Arm hoch, aber der Yuuzhan Vong hatte ihn bereits weit zurückgenommen. Jacen konnte seine Attacke in einen Hieb nach dem Bauch des Kriegers umwandeln, doch da holte der Yuuzhan Vong mit der linken Faust aus und traf den jungen Mann am Hals.
Der mächtige Schlag ließ Jacen straucheln und zurückweichen. Wenn er nicht gegen eine Villip-Pflanze geprallt wäre, die ihn aufhielt, wäre er gewiss ins Wasser gefallen. Er schüttelte den Kopf, um wieder klar sehen zu können, und duckte sich, als der Yuuzhan Vong zu einem mächtigen Tritt ansetzte. Der Tritt ging fehl, brachte aber einen der Villips zur Explosion und übergoss den Jungen mit einer kompakten, zähen Brühe, die ihm in den Augen und in Mund und Nase brannte. Jacen ging hustend und würgend hinter der Villip-Pflanze in Deckung und wechselte sofort zur nächsten. Er spritzte sich eine Hand voll Wasser ins Gesicht, um die zähe Masse abzuwaschen, wich nach links aus und führte zwei kurze Schläge gegen den Yuuzhan Vong. Die Hiebe hielten seinen Gegner einen Moment lang auf, doch Jacen konnte im Licht der Laserklinge erkennen, dass die Furche, die er in die Rüstung des Yuuzhan Vong getrieben hatte, sich in kaum mehr als eine leicht verfärbte Narbe verwandelt hatte.
Ihre Rüstungen werden nicht nur gezüchtet, sie bleiben sogar lebendig.
Der Yuuzhan Vong hob den Amphistab und ließ ihn in einem vernichtenden Schlag herabsausen, der auf Jacens Kopf zielte. Der Jedi riss sein Lichtschwert hoch, um den Hieb abzuwehren, doch der Amphistab erschlaffte plötzlich und wickelte sich wie eine Peitsche um sein rechtes Handgelenk. Ein kurzer Ruck zog Jacen nach vorne, ließ ihn das Gleichgewicht verlieren und gegen das rechte Knie des Yuuzhan Vong prallen. Das Knie traf ihn in den Unterleib und warf ihn um.
Jacen spürte, wie sich der an einen Schraubstock erinnernde Griff des Yuuzhan Vong um seinen Hals schloss, im nächsten Moment wurde sein Kopf unter das dickflüssige Wasser gedrückt. Das Wasser begann rings um sein Lichtschwert zu brodeln, doch die Peitsche hielt seinen Waffenarm so in ihrer Gewalt, dass er keinen weiteren Schlag landen konnte.
Der junge Mann verdrängte die aufsteigende Panik und sammelte unverzüglich seine Machtkräfte. Er griff hinaus, um den Yuuzhan Vong loszuwerden – so wie er es schon unzählige Male mit seinen Geschwistern oder Gefährten getan hatte, wenn sie an der Akademie herumalberten. Doch er erkannte den Irrtum seines Vorgehens in demselben Augenblick, als der Mangel an Sauerstoff in seinen Lungen zu brennen begann.
Ich kann den Yuuzhan Vong in der Macht nicht finden. Also kann ich nichts gegen ihn ausrichten.
Als Jacen den ersten Schwall Wasser einatmete, ging ihm auf, dass er die Macht einsetzen konnte, um sich selbst aus dem Wasser zu ziehen. Doch die Konzentration, die erforderlich war, um diesen Plan durchzuführen, erstarb mit seinem Körper, während er hustete und ihm die Luft wegblieb. Der letzte Atemzug in seiner Lunge entwich gurgelnd, sein Körper versuchte unwillkürlich, Luft zu schöpfen, sog aber nur neues Wasser ein, das weitere erstickte Hustenanfälle auslöste.
O nein, dachte Jacen, als die Welt in Schwärze versank, das war keine Vision. Auch kein Traum, sondern ein Albtraum…