KAPITEL 30
Niedrigere Ethik-Zustände

Eine Woche nach dem Begräbnis meiner Großmutter erhielten Dallas und ich die Nachricht, unsere Arbeit in Australien sei beendet. Wir flogen umgehend nach Hause, wo wir herausfanden, dass man unser Zimmer in der FLO-Base an jemand anderen gegeben hatte. Wir hatten diesen Raum von unserem eigenen Geld gestrichen, mit Teppichboden und Kacheln wohnlicher gemacht, und dennoch hatte man ihn einfach weggegeben. Unser neues Zimmer lag im siebten Stock, besaß einen alten zerbröselnden Linoleumboden und roch modrig. Kleine Sägemehlhäufchen waren über den gesamten Boden verstreut, und für uns beide stand nur eine einzige winzige Kommode zur Verfügung. Der Abfluss der Badewanne war verstopft und die Wanne offensichtlich irgendwann übergelaufen. Repariert worden war sie nicht. Trotzdem waren wir froh, wieder zu Hause zu sein. Unser Jahr in Australien hatte viel Unerwartetes und Merkwürdiges mit sich gebracht, und jetzt war es einfach angenehm, wieder in unseren Alltag zurückzukehren. Wir wussten, dass es schwierig sein würde, die Freiheiten, die wir dort gehabt hatten, aufzugeben, aber wir waren zuversichtlich, uns schnell wieder anpassen zu können. Doch da irrten wir uns. Es bereitete uns wesentlich mehr Probleme, als wir gedacht hatten, nicht nur wegen unserer Erfahrung auf dem fünften Kontinent, sondern auch weil es auf der Base schlimmer zuging denn je.

Wir hatten uns am nächsten Vormittag um elf Uhr auf der Base einzufinden, und vom ersten Moment an war klar, dass die Dinge erheblich strikter gehandhabt wurden als früher. Wie wir erfuhren, hatte sich der gesamte Tagesablauf auf dem Stützpunkt geändert. Alle Zeiten für den individuellen Sport waren gestrichen, Essenspausen auf fünfzehn Minuten begrenzt, das Projekt Klar Schiff – der einzige Termin in der Woche, an dem wir Wäsche waschen und unsere Zimmer putzen konnten – auf zwei Stunden reduziert und sämtliche Kantinenvergünstigungen abgeschafft worden, was bedeutete, dass wir in der Kantine keine zusätzlichen Speisen mehr kaufen durften. Jeder auf der Base war mit der Zuweisung eines niedrigen Ethik-Zustands bestraft worden, und das schon seit drei Monaten.

Diesmal hatte nicht nur ich ein Problem damit, auch Dallas setzte das Ganze ziemlich zu. Seit unserem Aufenthalt in Australien lagen wir mit unseren Meinungen zur Church noch deutlicher auf einer Wellenlänge. Daher war ich ein wenig überrascht, als Dallas bei den nach einem Missionsende obligatorischen Security-Checks gestand, dass wir uns Filme und andere Sendungen angesehen hatten. Ich selbst hatte mir vorgenommen, so wenig wie möglich zu erzählen, vor allem von den Dingen, die der Church gar nicht bekannt sein konnten, aber das Geständnis von Dallas hatte das natürlich zunichtegemacht. In meinem Security-Check wurde ich gefragt, wie hoch ich den finanziellen Schaden für die Org einschätze, den wir durch Unproduktivität und Budgetverschwendungen verursacht hätten. Also summierte ich einfach die Kosten für drei Monate Miete, Busfahrgeld und Lebensmittel, denn so funktionierten Geständnisse nun einmal. Hätte ich gesagt, die Org verschwende ihr Geld schon selbst und wir hätten sogar noch 75 000 Dollar eingenommen, wäre ich nur nach weiteren Withholds befragt worden.

Die alljährliche Feier zum Geburtstag von L. Ron Hubbard am 13. März führte uns dann schonungslos vor Augen, dass die Lage noch viel schlimmer war, als wir befürchtet hatten. Zu solchen Ereignissen wurde von uns allen erwartet, den Leuten mit dem Spruch »Bar oder mit Karte?« neue oder wiederveröffentlichte LRH-Bücher oder LRH-Kongressvorträge zu verkaufen. Während dieser Kampagnen musste jeder die von ihm verlangten Stückzahlen erreichen, was schon immer unmöglich gewesen war. In diesem Jahr nun verbrachten alle fünfhundert Leute der Base eine ganze Nacht im opulenten Shrine Auditorium und führten Telefonate rund um den Erdball, um die Vorträge zu verkaufen. Sobald wir den Hörer aus der Hand legten, wurden wir aufgefordert weiterzumachen. Es gab nichts zu essen und nichts zu trinken, und wir durften uns auch nichts kaufen. Sicherheitspersonal bewachte sämtliche Türen und sorgte dafür, dass niemand vor halb acht Uhr morgens den Raum verließ.

Einigen wenigen gelang es dennoch, früher zu gehen, etwa einer lungenkranken Siebzigjährigen. Beim Appell am nächsten Tag mussten diese Leute sich allerdings harsche Zurechtweisungen gefallen lassen. Sie wurden vor die Gruppe zitiert und öffentlich gemaßregelt, sie seien verachtenswert und ihr Verhalten widerlich. Zur Strafe mussten sie eine Stunde lang einen Müllcontainer von innen und außen reinigen. In der folgenden Woche erhielten wir alle die Warnung, dass die ganze Gruppe zu Strafarbeit verdonnert und Müllcontainer schrubben würde, sobald auch nur einer von uns sich einen Fehltritt erlauben würde.

Nach der Veröffentlichung der neuen Kongressvorträge versammelte sich die gesamte Base jeden Abend um elf in der Kantine, um sich die Aufzeichnungen anzuhören. Jede dieser Vorlesungen dauerte mindestens eine Stunde und wurde eingeleitet von einer Erklärung, wie unethisch wir doch alle seien und dass wir aufmerksam zuhören sollten, um zu erfahren, was Scientology wirklich bedeutete.

Während der Vorträge ging das Aufsichtspersonal herum und notierte jeden, der einschlief. Die Liste der Namen wurde am nächsten Tag öffentlich ausgehängt. Anschließend musste jeder von ihnen zur Strafe Müllcontainer säubern. Ich war ständig damit beschäftigt, meine Freunde und Dallas während dieser Veranstaltungen wachzuhalten, um sie vor weiterer Bestrafung zu bewahren.

Beim Anblick all der übermüdeten und erschöpften Menschen musste ich an unsere Erfahrungen mit dem Spendensammeln in Australien denken und daran, dass hier wie dort dem Geldeintreiben offenbar weit mehr Gewicht beigemessen wurde als dem Wohl der Menschen oder der Verbreitung von Scientology. Wie es den Sea Org-Mitgliedern selbst dabei erging, schien sogar das Unwichtigste überhaupt zu sein. Bis zu einem gewissen Grad war es mir bereits früher aufgefallen, aber erst die Zeit in Australien hatte mir richtig zu Bewusstsein gebracht, welchen Stellenwert die Geldbeschaffung bei unseren Pflichten innerhalb der Sea Org inzwischen einnahm.

Hier in dieser Umgebung begriff ich, wie stark die dauerhafte Wirkung all dieser kleinen Einsichten war, die wir in Australien gemacht hatten. Plötzlich sahen wir um uns herum nicht länger die Regeln, die wir zu befolgen hatten, sondern die Freiheiten, die sie uns aufzugeben zwangen. Kurz nach unserer Ankunft wurde anhand von Fragebögen überprüft, ob jemand ein Handy besaß, mit ehemaligen Sea Org-Mitgliedern gesprochen hatte oder über einen Internetanschluss verfügte, mit dem Anti-Scientology-Seiten besucht werden konnten. Auf der Base wurden alle Computer in einem separaten Raum unter Verschluss gehalten, und einen Schlüssel erhielt nur, wer eine spezielle Erlaubnis des OSA vorweisen konnte. Die Computer selbst waren mit Software vollgestopft, die bekannte Anti-Scientology-Seiten blockierte. Uns wurde unmissverständlich gesagt, dass jeder mit gravierenden Strafen rechnen müsse, der etwas verschwieg.

Ich gab an, ein Handy zu besitzen, das die Eltern von Dallas uns gegeben hatten und mit dem wir einmal in der Woche unsere Eltern anriefen. Ich hatte mir damals die Annahme des Handys vorab genehmigen lassen, doch nun meinten sie zu mir, diese Genehmigung sei irrtümlich erfolgt und ich müsse das Telefon abgeben. Zugleich traten noch andere neue Vorschriften in Kraft: Unsere Schreibtischschubladen durften keine Snacks oder andere Speisen enthalten, obwohl wir nächtelang arbeiten mussten und die Essenspausen nur fünfzehn Minuten dauerten. Es durfte keine Musik bei der Arbeit gehört werden, der Tag in der Woche, an dem wir zivile Kleidung tragen durften, entfiel, und niemand durfte vor Mitternacht nach Hause gehen. Mitarbeiterversammlungen verkamen zu einer endlosen Beschimpfung und Demütigung von jedem, der Anstoß erregte.

Ich weigerte mich, mein Handy abzugeben. Fünf Leute vertrauten mir an, ihre Mobiltelefone ebenfalls nicht herzugeben, daher dachte ich, wir könnten zumindest in diesem Einzelfall gemeinsam Widerstand leisten. Doch am Ende war ich die Letzte auf der Base, die noch ein Handy hatte. Mir wurde gesagt, der Grund für die überarbeitete Anweisung zum Verbot aller Handys und Laptops liege darin, dass Außenstehende die Übertragungswellen abfangen und unsere Unterhaltungen mithören könnten, um die Church mit diesem Wissen dann zu unterwandern. Die Sache diene also unserer eigenen Sicherheit. Ich hielt diese Argumentation für lächerlich und paranoid und sagte es ihnen auch. Als nächste Begründung wurde mir angeboten, dass einige Leute sich pornografisches Material auf ihren Handys ansähen. Ich erwiderte, das sei ebenso lächerlich und selbst wenn es zuträfe, würde es niemanden etwas angehen. Schließlich erklärten sie noch, sie wollten vermeiden, dass Familienangehörige mit verstörenden Nachrichten anriefen. Keines ihrer Argumente überzeugte mich, mein Telefon abzugeben.

Diese Ausflüchte belegten einmal mehr, wie sie Bestrafung und Entzug allein zur Durchsetzung ihrer eigenen Ziele verwendeten. Das Handy selbst interessierte sie überhaupt nicht und mich ehrlich gesagt genauso wenig. Mir ging es nicht um das Telefon, mir ging es ums Prinzip. Sie versuchten, sich etwas zu nehmen, das Dallas und mir gehörte. Es war unser Eigentum, trotzdem fühlten sie sich befugt, es uns wegzunehmen. Sie hatten uns bereits unser Zimmer genommen, unseren Fernseher beschlagnahmt und Lebensmittel aus unseren Schubladen geholt. Besonders verlogen an der Sache war, dass sie zugleich die mangelnde Achtung vor persönlichem Eigentum als einen zentralen Charakterzug jeder Antisozialen Person verdammten.

Bei solchen Anlässen und solchen Streitpunkten hielten Dallas und ich unwillkürlich inne und mussten an unsere Erfahrungen in Australien denken und daran, auf wie viel wir durch unser Leben in der Sea Org verzichteten. Wenn sie schon etwas so Unbedeutendes wie ein Handy einfach wegnehmen konnten und unser Eigentum behandelten, als sei es ihres, was würde dann erst bei wichtigeren Dingen geschehen? Was mit unserer Beziehung? Sie hatten schon einmal versucht, uns auseinanderzubringen. Dallas hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sie eines Tages das Verbot, Kinder zu kriegen, aufheben würden, doch was, wenn nicht? Wir hatten inzwischen erfahren, dass es draußen eine Unmenge von Leuten gab, die Einwände gegen Scientology hatten. Womöglich sollte uns das Handy tatsächlich nur abgenommen werden, um uns von der Außenwelt abzuschneiden und um zu kontrollieren, welche Informationen wir überhaupt noch erhielten.

Kurz nach unserer Rückkehr aus Australien erfuhr ich, dass ich nicht länger in der Immobilienverwaltung arbeiten konnte. Die gesamte Abteilung wurde auf die Int Base versetzt, auf der ich nicht arbeiten durfte, da meine Eltern die Sea Org verlassen hatten. Als ich gefragt wurde, welchen Posten ich mir stattdessen wünschen würde, fiel meine Wahl auf Auditor.

Im Nachhinein mag diese Entscheidung irgendwie sonderbar klingen, aber damals fand ich sie naheliegend. In den Vorjahren hatte ich mich ständig über die Sea Org, ihre Regeln und über ihren Umgang mit mir geärgert. Ich hatte das Gefühl, dass Scientology sich von dem Auftrag, den Menschen zu helfen, immer weiter entfernte und es zunehmend um bloße Geldeinnahme ging. Mitarbeiter wurden in erniedrigender Weise behandelt, obwohl sie es doch waren, die ihr Leben der Church widmeten. Onkel Dave hatte ein paar Monate zuvor Tom Cruise als »engagiertesten Scientologen der Welt« ausgezeichnet, ungeachtet all der Mitarbeiter und Sea Org-Mitglieder, die alles für die Kirche geopfert hatten. Verschlimmert wurde die Sache noch dadurch, dass wir uns während unserer fünfzehnminütigen Essenspausen Ausschnitte aus Interviews mit Tom Cruise anschauen mussten, in denen er die Großartigkeit von Scientology pries. Alles verschlechterte sich, wurde auf den Kopf gestellt. Nichts orientierte sich mehr am höchsten Wohl für die größte Anzahl von Dynamiken. Die Situation auf der Base war so trostlos, dass ich von verschiedenen Leuten hörte, die ernsthaft mit dem Gedanken spielten, sich umzubringen, und deshalb aus der Sea Org entfernt wurden.

Trotz all meiner Bedenken über die Art, in der die Church geführt wurde, bewahrte ich irgendwo in meinem Hinterkopf weiterhin positive Empfindungen zu Scientology. Selbst wenn ich frustriert war, wenn ich alles in Frage stellte, ermutigte mich der Gedanke an all die Siege, von denen ich in der Vergangenheit gehört hatte, an all die Male, bei denen Scientology den Menschen angeblich geholfen hatte. Die Erinnerungen daran waren das einzig Positive, das mir von Scientology geblieben war. Und ermöglicht hatte diese Erinnerungen das Auditing. Auditing verkörperte für mich inzwischen alles, woran ich noch glaubte.

Folgerichtig nahm ich an, als Auditor endlich in der Position zu sein, anderen Menschen so unmittelbar wie möglich helfen zu können. Auditing-Sitzungen unterschieden sich von Security-Checks darin, dass der Auditor stets freundlich zu den Leuten war, einem Preclear niemals mit Wut begegnete. Beim Auditing stand das Zuhören und Hilfeleisten im Mittelpunkt, während Sec-Checks mit ihren bohrenden Nachforschungen wesentlich unangenehmer waren. Durch das Auditing würde ich nicht nur nach und nach zum Clear des Planeten beitragen, sondern die Leute auch dabei unterstützen, sich selbst zu helfen.

Als mein Auditor-Posten genehmigt wurde, war ich begeistert. Bevor es losgehen konnte, musste ich noch angelernt werden und über die nächsten Monate hinweg ein paar Stufen hinaufklettern. Zum ersten Mal seit langem machte mir das Lernen Spaß, weil es einem konkreten Ziel diente. Zu meiner eigenen Weiterentwicklung absolvierte ich Auditing-Sitzungen. Allerdings begannen mich die Sitzungen, in denen ich selbst befragt wurde, immer stärker zu verunsichern. Das Maß an Selbstbeobachtung darin war mir viel zu groß, und bisweilen hatte ich das Gefühl, gleich durchzudrehen. Verlief eine Sitzung schlecht, dann wertete der Auditor Liste für Liste aus, was ich falsch gemacht hatte, bis mir der Kopf davon schwirrte. Dieses Gefühl sollte das Auditing mir eigentlich nicht vermitteln.

Von da an wurde es immer schlimmer. Wenn ich zu Beginn einer Sitzung gefragt wurde, ob ich über irgendetwas verärgert sei, brach ich sofort in Tränen aus und fing an, ihr zu erzählen, wie sehr ich unter all den Vorschriften und Restriktionen auf der Base litt. Meine Geschwätzigkeit führte dann prompt dazu, dass der Auditor wissen wollte, ob ich ein unentdecktes Withhold habe. Mit dieser Reaktion gelang es ihr unweigerlich, mich völlig zu frustrieren. Gewöhnlich hätte ich an dieser Stelle einfach ein paar Withholds erfunden, aber nach einer ganzen Reihe solcher Sitzungen hatte ich keine Lust mehr, das Spielchen mitzuspielen. Ich hatte es satt, mich einschüchtern zu lassen. Eine Stunde lang saß ich nur da und antwortete auf alle Fragen mit Nein, während sie mich immer stärker bedrängte.

»Wir werden dieser Sache auf den Grund gehen«, warnte sie mich. Mir lag nichts daran.

Ich stand auf, um zu gehen, und sie stellte sich mir in den Weg. Ich wollte sie zur Seite schieben, aber sie versuchte weiter, mich in den Stuhl zurückzuzwingen. Nach zwei Stunden schleuderte ich die Dosen auf den Boden und zertrat sie mit dem Fuß. Gehen ließ sie mich immer noch nicht. Sie wollte mir zwei neue Dosen geben, aber die zerknüllte ich ebenfalls. Ich warf meine Hängemappe über den Tisch, und die Papiere daraus flogen im ganzen Raum herum. Sie hielt meinen Arm fest und ließ mich nicht aus dem Zimmer. Ich stieß sie fort, trat sie, versuchte alles, um sie abzuschütteln. Ich schrie sie an, flehte sie an, aber sie wiederholte nur ständig: »Wir werden dieser Sache auf den Grund gehen. Was hast du getan, worüber du nicht mit mir reden kannst?« Sie ließ mich nicht auf die Toilette. Zweifellos hatten die Leute draußen auf dem Gang etwas von dem Tumult mitbekommen, aber niemand kam, um nachzusehen. Nach einigen Stunden erklärte sie mir, dass wir ein wenig spazieren gehen würden. So liefen wir den Rest des Tages herum und bauten Druck ab.

Erschöpft, gereizt und voller blauer Flecken wachte ich am nächsten Morgen auf. Aufgrund meines Verhaltens, so wurde mir mitgeteilt, käme ich für die Arbeit als Auditor nicht in Frage. Ich bekam einen niedrigeren Ethik-Zustand. Durch meine Versuche, aus dem Raum zu stürmen, hätte ich die Sitzungen anderer Leute in den benachbarten Auditing-Räumen gestört, was als antisozialer Akt gewertet wurde. Ich verwies darauf, dass mir den Richtlinien nach das Recht zu auditieren nicht einfach entzogen werden konnte, aber das schien niemanden zu interessieren.

Währenddessen wurde Dallas mehrmals am Tag gebeten, das Handy abzugeben, das ich immer noch hatte. Er sagte ihnen, dass es nicht seine Angelegenheit sei und er mich nicht zwingen würde. Doch sie ließen nicht locker.

Schließlich kam jemand wegen des Handys direkt zu mir. Als ich mich weiterhin weigerte, es herauszurücken, wurde mir gedroht, mich mit physischer Gewalt dazu zu bringen. Ich drohte, die Polizei zu rufen. Allein die Androhung, Außenstehende zur Klärung interner Probleme heranzuziehen, stellte eine gravierende Tabuverletzung dar, die nicht folgenlos bleiben konnte. Nach tagelangem Hin und Her mit der Ethikabteilung erklärte ich mich zähneknirschend damit einverstanden, Schadensersatz zu leisten, indem ich für die Dosen bezahlte, den Raum in Ordnung brachte und mich bei meinem und den anderen Auditoren entschuldigte. An dem Verbot, selbst als Auditor arbeiten zu dürfen, änderte sich damit gar nichts.

In diesem Moment stand für mich fest, dass ich die Sea Org verlassen wollte. Endlich war ich auf dem Weg gewesen, ein Auditor zu sein, nur um festzustellen, dass auch dafür die Bedingungen keinen Funken besser waren als für alles andere. Plötzlich kam alles, was sich über die vergangenen Jahre aufgestaut hatte, zusammen und ließ die Sache einfach kippen. Ich wollte weg.

Als Erstes lief ich zum Büro von Dallas und erzählte ihm von meiner Absicht. Wie ich mir schon gedacht hatte, war er damit einverstanden und wirkte sogar ein wenig erleichtert darüber, dass ich es ausgesprochen hatte. Doch während ich direkt gehen wollte, war Dallas dafür, sich mit einem ordentlichen Austritt in gutem Einvernehmen von der Church zu trennen. Nur auf diese Weise würde es uns möglich sein, die Verbindung zu Verwandten innerhalb der Kirche aufrechtzuerhalten und öffentliche Scientologen zu bleiben, die für die Angebote zahlten, die sie in Anspruch nehmen wollten. Ich erklärte mich um seinetwillen damit einverstanden, und er sagte, unter diesen Umständen gemeinsam mit mir austreten zu wollen.

In den folgenden Wochen suchten diverse Leute das Gespräch mit mir. Ein paarmal wurde ich zu Sitzungen gerufen, in denen man versuchte, mich zum Bleiben zu überreden. Sie beschlossen sogar, Dallas und mich auf die PAC Base zu verlegen, weil es dort freie Tage und mehr Freizeit gab und alles ein wenig lockerer genommen wurde. Es änderte nichts. Ich wusste einfach, dass ich rausmusste.

Meine Eltern erwiesen sich bei meinen heimlichen Anrufen als große Stütze. Wie sie erzählten, war die Desillusionierung hinsichtlich der Sea Org bei ihnen ganz ähnlich verlaufen wie bei mir. Sie wollten nicht in Einzelheiten gehen und blieben in ihren Bemerkungen lieber vage und vorsichtig, da sie wussten, dass scharfe Kritik an der Church mich abschrecken und von meiner Idee abbringen konnte. Sie versicherten mir allerdings, ich könne sie jederzeit anrufen.

Über die nächsten ein, zwei Wochen hinweg begann ich regelmäßiger mit ihnen zu reden. Sie erzählten mir von Leuten, die zu SPs erklärt worden waren, darunter meine alte Freundin Claire Headley und deren Ehemann Marc, die beide die Sea Org verlassen hatten. Auch Teddy Blackman, der Freund meines Bruders, war ausgetreten. Ich wusste, dass Marc, Claire und Teddy keine Antisozialen Personen waren. Sie als SPs zu deklarieren, war lächerlich. Nachdem meine Tante Sarah vor kurzem ebenfalls deklariert worden war, hatte ich das Gefühl, dass sie einfach alle zu SPs erklärten, die sie nicht länger kontrollieren konnten, gleichgültig ob sie nun antisozial waren oder nicht.

Meine Eltern begannen mit der Zeit, offener über ihre Erfahrungen bei ihrem Austritt aus der Church zu sprechen. All die Jahre, die seitdem vergangen waren, hatte ich mich gefragt, welche Gründe es gegeben haben mochte. Angesichts des großen Engagements, das sie für die Church gezeigt hatten, musste etwas Schwerwiegendes vorgefallen sein, doch ich wusste nichts von der wichtigen Rolle, die Onkel Dave dabei spielte. Marc Headley hatte meinen Eltern nach seinem Austritt berichtet, dass mein Onkel seine Mitarbeiter körperlich züchtigte. Mom glaubte ihm, da sie selbst einmal beobachtet hatte, wie er jemanden schlug. Diese Erfahrung war einer der entscheidenden Wendepunkte, die sie zum Austritt aus der Sea Org veranlassten.

Aus dem Mund von Menschen, denen ich wirklich vertraute, hatte ich Anschuldigungen dieser Art gegen Onkel Dave noch nie gehört. Ich fand das Ganze eher verstörend als schockierend. In meinen Kreisen wurde zwar nie schlecht über Onkel Dave gesprochen, aber die Leute fürchteten ihn. Mein Onkel konnte leicht aufbrausen, das wusste ich, doch in der Scientology galt solche Leidenschaft auch als Zeichen von Engagement. Trotz der ängstlichen Reaktionen, die er auslöste, und seiner dominanten Persönlichkeit hätte ich ihn nicht für fähig gehalten, anderen Menschen körperlich wehzutun.

Meinen Eltern zufolge scheute er auch nicht davor zurück, seine Ziele mit Hilfe von Geld zu erreichen. So bot Onkel Dave meinem Vater offenbar an, meiner Mutter einhunderttausend Dollar zu geben, wenn sie allein ging und mein Vater in der Sea Org blieb. Er richtete dieses Angebot bezeichnenderweise nicht an meine Mutter direkt, sondern an meinen Vater, den er anscheinend für empfänglicher hielt. Natürlich lehnte mein Vater ab, aber sie waren beide angewidert von der Unverfrorenheit, mit der mein Onkel glaubte, die Menschen kaufen zu können.

In den kommenden Wochen und Monaten erfuhr ich immer mehr über die Gründe, warum meine Eltern ausgetreten waren. Meine Mutter erzählte mir von einem Mädchen namens Stacy Moxon, die einige Jahre zuvor gestorben war. Ihr Tod wurde als Unfall dargestellt, obwohl die Umstände eher für Selbstmord sprachen. Die Schwester von Stacy war nur schwer über den Verlust hinweggekommen. Ich fragte mich, ob sie nicht gewusst hatte, wie verzweifelt und deprimiert Stacy gewesen war. Geschichten wie diese gingen mir ungeheuer nahe, denn die ganze Atmosphäre in der Sea Org mit all den Vorschriften und Verboten machte es unmöglich, sich nicht deprimiert und hoffnungslos zu fühlen. Da jede Art von psychischer Erkrankung mit Vorbehalt aufgenommen oder ignoriert wurde, konnten sich Menschen mit solchen Schwierigkeiten an niemanden wenden.

Mom erzählte noch andere Geschichten, wie die von einem Ehepaar, deren Kinder ich auf der Ranch kennengelernt hatte. Man hatte sie zur Scheidung gezwungen, weil einer von beiden in einer niedrigeren Org arbeitete. Am Ende erwähnte sie noch diverse Leute, die sich zwischen einer Abtreibung und der Sea Org hatten entscheiden müssen. Im Verlauf dieser Telefonate mit meinen Eltern erfuhr ich von meinem Vater auch, dass Onkel Dave höchstpersönlich das Auditing von Lisa McPherson kurz vor deren Tod beaufsichtigt und die Anweisung erteilt hatte, ihr den Status des Clear zu attestieren. Er selbst hatte es meinem Vater erzählt. All diese Informationen untermauerten meine Vermutungen. Ich glaubte meinen Eltern, da für sie kein Anlass bestand, mich zu belügen, und ich es mir auch kaum vorstellen konnte, wie man solche Geschichten erfinden konnte.

Je mehr sie mir erzählten, desto mehr bestätigte sich, was ich bereits wusste oder geahnt hatte. Diese Ausübung von Zwang geschah flächendeckend. Ich war auf der Int Ranch gewesen, in Australien, auf der PAC, der Flag und hatte gesehen, wie die Zustände waren und wie die Menschen behandelt wurden. Ich war froh, meine Entscheidung getroffen zu haben. Selbst Justin, mit dem ich so lange nicht mehr gesprochen hatte, begann wieder anzurufen und bot mir seine Hilfe an, falls ich Probleme haben sollte herauszukommen.

Tag für Tag wurde ich bedrängt zu bleiben. Ein hochrangiges Mitglied der OSA wie Linda versuchte mir einzureden, ich sei eine wichtige Kraft in der Sea Org und würde gerade nur eine schwierige Phase durchlaufen. Als ich ihr ein paar der Dinge erzählte, die ich von meinen Eltern erfahren hatte, antwortete sie nur: »Wenn es ihrer Sache dient, erfinden die Leute eben Lügengeschichten.«

Die Church schickte auch Freunde vorbei, die mich zum Einlenken bewegen sollten, aber ich empfahl ihnen, sich aus der Sache rauszuhalten. Ich hatte meine Schwierigkeiten mit der Church, nicht mit ihnen, und wollte nicht, dass unsere Freundschaft darunter litt. Nachdem mich tagelang jemand aufsuchte und bearbeitete, wusste ich, dass ich nicht länger auf ein gutes Einvernehmen warten konnte. Ich wollte einfach nur raus, und Dallas würde mitkommen. Also vergrub ich mich in unserem Zimmer, bis sie sich dazu durchrangen, mich für meinen abschließenden Security-Check zuzulassen.