KAPITEL 2
LRH legt seinen Körper ab

Der Umzug nach Kalifornien war auch eine Art Familienzusammenführung, da Dads Vater Ron und sein Bruder Dave bereits dort lebten. Im Jahr zuvor war mein Grandpa ebenfalls der Rekrutierungskampagne gefolgt, hatte beschlossen, Philadelphia zu verlassen und der Sea Org beizutreten. Onkel Dave hingegen, der jahrelang ein neuer Stern am Himmel der Church war, wurde schon bald einer der mächtigsten Männer bei Scientology und sollte, was damals noch niemand von uns wusste, in naher Zukunft dessen Oberhaupt werden.

Am 11. Dezember 1985 kamen wir nach einer langen Reise quer durch das Land in unserer neuen Heimat an, der Pacific Area Command Base – kurz PAC – in Los Angeles. Die erste Church of Scientology war 1954 in dieser Stadt gegründet worden, und L. A. war immer noch die absolute Hochburg der Scientologen. Die PAC-Base bestand aus mehreren, nicht weit voneinander entfernt liegenden Gebäuden, die sich größtenteils auf der Fountain Avenue, der Franklin Avenue und dem Hollywood Boulevard befanden. Das Blue Building in der Fountain Avenue 4833 war das Herzstück der PAC-Base, während das einstige Cedars of Lebanon Hospital als das Wahrzeichen der Church galt. Hoch oben auf dem Dach sah man ein Kreuz mit acht Spitzen, das religiöse Symbol der Kirche, und in riesigen Buchstaben das Wort Scientology. Nachts war es beleuchtet und mehrere Blocks weit zu sehen. Das siebenstöckige Gebäude beherbergte jetzt die Verwaltung der Church, Unterkünfte für Mitarbeiter und die Galley and Mess Hall, der mit den nautischen Begriffen bezeichnete Küchen- und Speisebereich. Onkel Dave und seine Frau, meine Tante Shelly, hatten eine Wohnung im Blue Building, obwohl ihr Hauptwohnsitz zweieinhalb Stunden entfernt im internationalen Hauptquartier in Hemet, Kalifornien, lag.

Unsere erste Wohnung befand sich im Fountain Building auf der Fountain Avenue, einen Block vom Sunset Boulevard entfernt. Es war eine etwas dubiose Gegend in Hollywood, wo Gangs ihr Unwesen trieben. Die Wohnung bestand aus zwei schmuddeligen, dunklen Räumen von knapp fünf Quadratmetern und einem Badezimmer. Es roch nach Schimmel. Um sie etwas netter aussehen zu lassen, hatten meine Eltern Teppichboden über das ursprüngliche alte Linoleum gelegt. Sie gingen auch in einen nahe gelegenen Billigladen und kauften für Justin und mich ein Stockbett und ein paar andere Möbel. Das Stockbett kam in das eine Zimmer und ihr Bett in das andere. Ich schlief immer noch lieber mit meinen Eltern in einem Bett.

Diese nächtlichen Stunden mit meinen Eltern waren fast die einzige Zeit, in der ich mit ihnen zusammen sein durfte. Jedes Sea Org-Mitglied war verpflichtet, mindestens vierzehn Stunden täglich Dienst zu leisten, von etwa neun Uhr morgens bis halb zwölf Uhr nachts, sieben Tage die Woche, mit einer Stunde Pause Familienzeit am Abend, in der Eltern ihre Kinder sehen durften, bevor sie wieder zur Arbeit gingen. Gelegentlich bekamen sie einen Tag zur freien Verfügung, aber dafür gab es keine Garantie. Es war alle zwei Wochen höchstens ein Tag, und der galt als Belohnung für gute Leistungen.

Aber meine Eltern beklagten sich nicht über ihre langen Arbeitstage. Dads Büro lag günstigerweise direkt gegenüber unserer Wohnung. Er hatte eine leitende Stelle in einer Abteilung namens INCOMM bekommen, die sich um die Computerisierung von Scientology kümmerte. Bei den Scientologen bekam fast jede Abteilung, jedes Gebäude, jedes Büro, jedes Department und jeder Stützpunkt ein Akronym zur Identifizierung. Selbst die Jobs, Posten und Seminare, die wir bekamen, hatten welche. Sogar L. Ron Hubbard lief unter dem Akronym seiner Initialen: LRH.

Meine Mutter arbeitete beim Ship Project, einem riesigen Unternehmen, das mit dem Ankauf eines Schiffes betraut war, welches als Stützpunkt auf dem Meer dienen sollte. Es sollte Freewinds heißen und ähnlich wie das ursprüngliche Flaggschiff Apollo während der Anfangsjahre der Sea Org operieren.

Da meine Eltern Tag und Nacht arbeiteten, wurden Justin und ich von Fremden beaufsichtigt. In unserer Anfangszeit in L. A. verbrachte ich meine Tage in einer Kinderbetreuung im Fountain Building, bis meine Eltern mich zum Abendessen in der Mess Hall abholten. Danach gingen Mom, Dad, Justin und ich zur Familienzeit in unsere Wohnung. Wenn Mom und Dad wieder zur Arbeit gingen, musste ich zurück in die Kinderbetreuung. Dort gab es viele große und kleine Betten, wo die Kinder schlafen konnten, bis sie abgeholt wurden, meistens um dreiundzwanzig Uhr oder später.

Tagsüber, wenn ich in der Kinderbetreuung war, ging Justin zur Apollo Training Academy, kurz ATA, in einem anderen Gebäude auf der Fountain Avenue. Die ATA war für ältere Kinder von Sea Org-Mitgliedern gedacht. Diese wurden als Kadetten bezeichnet, also als Sea Org-Mitglieder in der Ausbildung. Ich weiß nicht, was sie den ganzen Tag machten, aber Justin hasste es so, dass er meine Eltern anflehte, ihn zurück zu seinen Freunden nach New Hampshire gehen zu lassen.

Doch unser Tagesablauf wurde bald normale Routine. Ich war zu jung, um zu begreifen, dass es höchst ungewöhnlich war, wenn man seine Eltern nur eine Stunde pro Tag sah. Ich wusste nicht, was Eltern tun sollten, sondern nur, dass meine selten da waren.

Am 24. Januar 1986, nur sechs Wochen, nachdem wir in Los Angeles angekommen waren, starb L. Ron Hubbard im Alter von zweiundsiebzig Jahren. Er hatte die letzten sechs Jahre völlig zurückgezogen auf einem einsamen Fleckchen der kalifornischen Wüste gelebt und war von seinen engsten Vertrauten, einem Ehepaar namens Pat und Anne Broeker, betreut worden. Seit Jahren hatte er sich weder an einem der Stützpunkte noch in der Öffentlichkeit gezeigt, doch jeder behauptete, er arbeite eifrig an neuen, bahnbrechenden Forschungen, daher war seine Isolation verständlich.

Scientologen hatten LRH stets als Wissenschaftler und Philosophen geachtet, dessen Erzählungen über seine Entdeckungen für die Church durchsetzt waren mit Geschichten über seine Reisen und sein bewegtes Leben. Zum Zeitpunkt seines Todes galt er als charismatische, fast gottgleiche Führerfigur, die allen Scientologen den Weg zur Erlösung geebnet hatte. Alle betrachteten ihn als persönlichen Freund, ob sie ihn nun kannten oder nicht. Für uns sah er in allen Menschen das Gute.

L. Ron Hubbard hatte fünfzehn Jahre lang massenhaft Kurzgeschichten für Schundblätter geschrieben, bevor er 1950 sein erstes ernstzunehmendes Werk veröffentlichte: Dianetik: Der Leitfaden für den Menschlichen Verstand, ein Selbsthilfebuch, dessen Philosophie besagt, dass Menschen sich von ihrem persönlichen Leiden befreien müssten, um ihr persönliches Wachstum nicht zu behindern. Dieses Leiden begrenze uns, gefährde unsere Gesundheit und mindere unsere Lebensqualität. Doch wenn wir es direkt angehen und überwinden würden, könnten wir fast alles besiegen, was uns Leid bescherte.

Schon direkt nach seinem Erscheinen verkaufte sich Dianetik millionenfach, Leser wurden über Nacht zu fanatischen Anhängern, die behaupteten, dieser neue Ratgeber für geistige Gesundheit biete hervorragende Mittel, um sich zu heilen und sein Leben zu verbessern. Natürlich hatte Dianetik auch skeptische Leser und ausgemachte Kritiker, die die angeblich wissenschaftlichen Methoden von LRH in Frage stellten. LRH seinerseits unterstellte diesen Kritikern, sie fühlten sich nur durch seine neuen Perspektiven bedroht.

Trotz aller Kritik wurde Dianetik eine solche Sensation, dass LRH in ganz Amerika Dianetik-Center eröffnete, damit die Menschen sich Einzelgesprächen mit ausgebildeten, von LHR als Auditor bezeichneten Coachs unterziehen konnten. In diesen Auditing-Sitzungen wurde der Schüler, oder auch Preclear, zu leidvollen Erfahrungen in seinem Leben zurückgeführt. Das konnte alles Mögliche sein: eine traumatische Geburt, ein Autounfall oder Momente körperlicher Schmerzen genauso wie Bilder, Gerüche, Gefühle oder Worte, die mit dieser leidvollen Erfahrung verbunden waren. L. Ron Hubbard glaubte, es gebe ganze Ketten leidvoller Erfahrungen und mit Hilfe des Auditors würden sie nacheinander verschwinden. Das Ziel war, sich mit jeder einzelnen zu konfrontieren, bis der Geist schließlich Cleared war: von der gesamten Kette befreit. Es war ein kontinuierlicher Prozess, einzelne Glieder dieser Kette aufzuspüren, von denen es Tausende geben konnte, und die Kette bis zum Ursprung zurückzuverfolgen. Erst dann würden sie verschwinden und den Preclear näher an den Zustand eines Clear bringen. Wenn man Clear war, galt das Ziel von Dianetics als erreicht und man hatte keine psychosomatischen Erkrankungen, Neurosen oder Psychosen mehr. Außerdem erlebte man einen erheblichen Anstieg seines Intelligenzquotienten und konnte sich komplett an seine Vergangenheit erinnern. Man war frei von dem, was LRH als Reactive Mind – den Reaktiven Verstand – bezeichnete.

1952 betrachtete L. Ron Hubbard Dianetik nicht mehr als einfaches Selbsthilfeprogramm. Bei seinen Untersuchungen hatte er entdeckt, dass Preclears Ketten mit Schmerzerfahrungen aufwiesen, die über ihr aktuelles Leben hinausgingen. Tatsächlich konnten sie bis in mehrere Leben zurückreichen, was natürlich die Wiedergeburt nahelegte und die Tür zu dem Bereich des menschlichen Geistes aufstieß. Das führte LRH zu einer weiteren Entdeckung: Menschen bestanden aus drei Teilen – dem Körper, dem Verstand und dem Geist. Diesen Geist nannte er Thetan. Der Thetan war unsterblich und außerdem der wichtigste Teil des Menschen. Ohne diesen Teil gab es weder Körper noch Verstand. Ein Thetan war nichts Fassbares, sondern eher der Schöpfer alles Fassbaren und die belebende Kraft des Körpers. Der Verstand war der Computer, der Körper die Hülle für den Thetan, und der Thetan war die Lebenskraft. Damit war Scientology geboren.

Der Thetan wurde rasch ein wesentlicher Bestandteil von Scientology. Als LRH seine Lehre um eine spirituelle Komponente erweiterte, unternahm er den ersten Schritt, Scientology in eine Religion zu verwandeln, eine Bezeichnung, die eine Vielzahl von Vorteilen mit sich brachte. Plötzlich waren alle Zweifel an den wissenschaftlichen Methoden der Dianetik irrelevant. Wenn Dianetik Teil einer religiösen Praxis war, musste sie nicht wissenschaftlich bewiesen werden. Die Umwandlung in eine Religion brachte auch finanzielle und steuerliche Vorteile. Der wichtigste Grund jedoch war der, dass diese Religion mit ihrer allumfassenden spirituellen Komponente und ihren Reisen in vergangene Leben Menschen unbegrenzt an Scientology binden konnte, während bei der Dianetik Schüler einfach geheilt wurden und nie wieder zu einer Auditing-Sitzung zurückkamen.

LRH entwickelte einen Lehrplan, der festlegte, in welcher Reihenfolge Scientology gelehrt werden sollte. Dieses Programm wurde die Brücke zur vollkommenen Freiheit genannt und war in zwei Bereiche unterteilt: das Auditing, eine Art Einzelberatung; und das Training, ein Ausbildungsprogramm für Auditoren. Nach dieser Landkarte für die Reise zur spirituellen Freiheit musste jeder Scientologe ganz unten anfangen und sich schrittweise ein Level nach dem nächsten hinaufbewegen. Man konnte sich dabei erst einem Bereich widmen oder beiden gleichzeitig. Es gab auch viele Seminare für Scientologen, die nicht wirklich zur Brücke gehörten. Doch für den Aufstieg musste man erst ein gewisses Maß an Bewusstsein erreichen, bevor man zum nächsten Level wechseln und schließlich die Brücke zur vollkommenen Freiheit überqueren konnte.

Die einzelnen Level der Brücke bis zum State of Clear – der völligen geistigen Klarheit – basierten auf LRHs Dianetikforschungen. Doch mit der Entdeckung des Thetan musste er die spirituellen Level jenseits des State of Clear entschlüsseln. Diese wurden zu den höchsten Level der Brücke und hießen Operating Thetan Levels oder OT Level. Es gab acht Level, das letzte – OT VIII – wurde verlockenderweise Enthüllte Wahrheit genannt.

LRH warnte, dass niemand unter Umgehung eines Levels zu diesem letzten Geheimnis vordringen könne, und erklärte, es sei zwingend notwendig, sich umfassend darauf vorzubereiten. Unkontrolliertes Absolvieren der Level, behauptete er, könne zu schweren Störungen und sogar zum Tod führen. Aus diesem Grund durften Menschen des obersten Levels unter keinen Umständen ihr Wissen mit anderen teilen, die sich weiter unten auf der Brücke befanden. Außerdem konnten OT-Seminare nur von speziell ausgebildeten Sea Org-Mitgliedern erteilt werden. Eine Reihe Sea Org-Stützpunkte in der ganzen Welt konnten OT-Level bis zu Level V anbieten. Die Flag Base in Clearwater bot die Level VI und VII. Die Freewinds aber, das Schiff, mit dessen Kauf und Umbau meine Mutter beschäftigt war, würde der einzige Ort auf der Welt sein, wo man OT VIII, das höchste, gerade entschlüsselte Level erfahren könnte.

Obwohl LRH seine letzten Jahre im selbst auferlegten Exil verbrachte, ließ er über die Broekers übermitteln, dass er hart daran arbeitete, fortgeschrittene, noch nie zuvor enthüllte Level über OT VIII hinaus zu entschlüsseln.

Am Tag nach LRHs Tod sprachen mein Onkel Dave und Pat Broeker vor einem riesigen, nur aus Scientologen bestehenden Publikum im Hollywood Palladium, dem 40 000 Quadratmeter großen Konzertsaal auf dem Sunset Boulevard. Onkel Dave erklärte in dem im Art-déco-Stil gehaltenen Saal, dass LRH sich auf ein »neues Level seiner Forschungen« begeben habe. Man hörte ein paar ungläubige Aufschreie und hier und da verhaltenen Applaus, aber ansonsten vollkommene Stille. Dave erklärte weiter, L. Ron Hubbard habe entschieden, »sich seines Körpers zu entledigen«, da er »ihm nicht mehr genutzt habe, sondern vielmehr ein Hindernis für seine Arbeit sei, die er nun jenseits seiner Grenzen verrichten müsse«.

»Das Wesen, das wir als L. Ron Hubbard kennen, existiert immer noch«, verkündete er seinen Anhängern, um ihren Schock zu mildern.

Der Umstand, dass LRH sein eigenes Ableben derart gedeutet hatte, sowie die Tatsache, dass ihn seit Jahren niemand mehr gesehen hatte, machten seinen Tod erträglich.

Da sowohl mein Onkel als auch Pat Broeker an diesem Tag auf der Bühne standen, war nicht sofort klar, wer LRHs Nachfolger werden würde. Angeblich gab es zwischen den beiden einen Machtkampf um die Führung der Church. Man hörte widersprüchliche Geschichten zu dem, was genau geschah. Mein Onkel wurde beschuldigt, Pat mit fragwürdigen Methoden aus seiner führenden Position verdrängt zu haben. Ganz gleich, wie es geschah, letztlich wurde mein Onkel das Oberhaupt der Kirche, sein offizieller Titel lautete Chairman of the Board, Religious Technology Center. Von diesem Zeitpunkt an nannten alle in der Church ihn COB, doch für mich blieb er einfach Onkel Dave.

Mein Vater, Ronnie Miscavige Jr., war drei Jahre älter als Onkel Dave und damit der Älteste, gefolgt von Onkel Dave und seiner Zwillingsschwester Denise und zuletzt von Lori, dem Nesthäkchen. Als Kinder hatten mein Dad und Onkel Dave sich ein Zimmer geteilt und sich sogar oft zusammengetan, um ihren Schwestern Streiche zu spielen. Dad war sehr sportlich, und obwohl er in der Schule Football spielte, galt seine wahre Leidenschaft dem Turnen. Er kam sogar in die Jugendolympiamannschaft seiner Region. Dave hatte auch Spaß am Sport, aber wegen seiner Asthma-Erkrankung durfte er manchmal keinen Sport oder andere körperliche Tätigkeiten ausüben. Denise war freundlich, aufgeschlossen und tanzte gern, hatte aber oft Streit mit meinen Großeltern, weil die einige ihrer Freunde ablehnten. Die kleine Lori liebte es, zusammen mit ihrer großen Schwester tanzen zu gehen.

Ihr Vater, mein Großvater, Ron Miscavige Senior, war geboren und aufgewachsen in Mount Carmel, einer kleinen Bergbaustadt im Südwesten Pennsylvanias, wo er katholisch erzogen worden war. Er arbeitete als Vertreter und verkaufte alles, von Kochgeschirr bis hin zu Versicherungen. Groß war er nicht, aber laut, schroff, gesellig und etwas einschüchternd. Mit knapp achtzehn ging er zu den Marines, und 1957, ein Jahr nach seiner Entlassung, heiratete er meine Großmutter, Loretta Gidaro, eine schöne, junge Frau mit dicken, braunen Haaren, olivfarbener Haut und strahlend blauen Augen. Grandma Loretta war die Tochter eines Bergarbeiters deutsch-italienischer Abstammung. Sie war witzig, freundlich und sorgte sich stets um das Wohl der Familie. Die beiden ließen sich in Cherry Hill bei Philadelphia in New Jersey nieder, wo sie als Krankenschwester arbeitete, bis ihre Kinder geboren wurden: Dad 1957, David und Denise 1960 und Lori 1962.

Als Vertreter war Grandpa ein sehr geselliger Mensch. Er lud häufig Gäste zum Abendessen im Familienkreis ein, wo sie bei einem schönen Essen unterhaltsame Geschichten erzählten. Von einem Kollegen hörte er zum ersten Mal von der Church of Scientology. Scientology interessierte ihn nicht, weil er irgendein spezielles Problem hatte, sondern eher, weil er immer nach Antworten zum Thema Geist und Spiritualität suchte. Damals war er vierunddreißig, aber er hatte sich seit jeher für Philosophie interessiert. Schon als Kind hatte er Der Prophet von Khalil Gibran gelesen und war fasziniert gewesen von den Fragen, die das Buch zur Spiritualität und zum Leben des Menschen aufwarf. Schon früh weckte die Anthropologie seine Neugier; Fragen danach, wie die Menschen hierhergekommen waren und warum wir taten, was wir taten.

Sein Interesse für die Ursprünge des Menschen veranlasste ihn, eine in Cherry Hill ansässige Scientology Mission zu besuchen und eines von L. Ron Hubbards Büchern zu kaufen. Wie Grandpa später selbst sagte, musste er nach diesem Besuch nicht mehr überzeugt werden – er hatte Feuer gefangen. Er kaufte weitere Bücher, ging zurück zur Mission und fing mit dem Auditing-Prozess an. Er sagte, in den nächsten Monaten hätten ihn die positiven Auswirkungen von Scientology zum Topverkäufer seiner Firma gemacht. Er behauptete sogar, wegen seines Erfolgs hätte es in der Newsweek einen Artikel über ihn gegeben. Sein Chef war so beeindruckt, dass er die gesamte Firma mit etwa zwanzig Angestellten zur Mission in Cherry Hill schickte, denn wenn Ron davon profitierte, sollten sie es auch versuchen.

Grandma Loretta hatte nichts gegen sein Interesse für Scientology; im Gegenteil, es gefiel ihr, und sie ging ebenfalls zur Mission. Schon bald brachte Grandpa alle vier Kinder zum Auditing, angefangen mit meinem Vater, als er zwölf war. Außerdem hatte mein Vater davon gehört, dass die Scientologen vielversprechende Ergebnisse bei der Behandlung von Krankheiten wie Asthma erzielten. Daher meinte er, Dave sei dort gut aufgehoben. Laut Grandpa verbesserte sich Daves Zustand beträchtlich, was ihn noch mehr davon überzeugte, dass Scientology die Antworten hatte, nach denen er suchte. Er war bei der Arbeit erfolgreicher, konnte leichter wichtige Entscheidungen treffen und jetzt schien sich auch der Gesundheitszustand seines Sohnes zu verbessern.

Letztlich gefiel es Grandpa, dass Scientology eher eine Philosophie der Selbsthilfe als eine Religion war. Statt über Himmel, Hölle und Sünde zu reden, versprach Scientology bahnbrechende Verbesserungen in Beziehungen und Ehen, im Beruf, in der Kommunikation und beim physischen und psychischen Befinden. Er mochte auch das Utopische daran. Der Mensch wurde grundsätzlich als gut betrachtet, als verantwortlich für sein Seelenheil, doch dieses Seelenheil hing von der Kooperation mit dem Universum ab. L. Ron Hubbard meinte, es sei möglich, die Welt von menschlichem Elend zu befreien, Kriege zu beenden und allumfassende Harmonie zu erzeugen. Es war gleichzeitig idealistisch und rational, und diese Kombination sprach Grandpa an. Es störte ihn nicht im Mindesten, dass Scientology ganz anders war als jede Religion oder Glaubensrichtung, die er bis dahin kennengelernt hatte.

Zwei Jahre, nachdem er die Church für sich entdeckt hatte, entschloss er sich zu dem gewagten Schritt, verkaufte seine drei Wagen und zog von dem Geld mit der gesamten Familie nach Saint Hill Manor ins englische Sussex, wo sich seit über zehn Jahren das Hauptquartier der Scientologen befand.

1959 waren L. Ron Hubbard und seine Familie dorthin gezogen und hatten vom Maharadscha von Jaipur ein fünfzig Hektar großes Stück Land mit einer kleinen Burg gekauft, die zur Zentrale der Church of Scientology wurde. Saint Hill wurde bald Sammelplatz für Scientologen aus aller Welt. LRH war oft dort, arbeitete weiterhin an seinen Forschungen und präsentierte sie, wodurch die Anhänger das Gefühl bekamen, an etwas Neuem und Bedeutsamem teilzunehmen.

Trotz Grandpa Rons Wunsch, in der Nähe des scientologischen Mittelpunkts in Saint Hill zu leben, war mein damals vierzehnjähriger Vater skeptisch. Verständlicherweise war er kaum daran interessiert, aus Pennsylvania nach England zu ziehen und mitten in der Highschoolzeit all seine Freunde zurückzulassen. Schwerwiegender war es jedoch, dass er das Turnen und seinen Traum von Olympia aufgeben musste. Doch mein Großvater tat das, was er für das Beste hielt, und mein Dad folgte ihm, wenn auch widerstrebend.

Die Jahre in England endeten damit, dass mein Vater sich vollkommen Scientology verschrieb. Nachdem er fast ausschließlich von Scientologen umgeben war, widmete er sich immer eifriger der Sache, sodass er mit siebzehn in die Sea Org eintrat und in die Flag Land Base nach Clearwater zog.

Onkel Dave folgte ihm 1976, nachdem er an seinem sechzehnten Geburtstag die Highschool abbrach, um sich ganz der Religion zu widmen. In Clearwater begann Onkel Dave, eng mit L. Ron Hubbard zusammenzuarbeiten, und wurde dafür mit wichtigen Posten belohnt. Schließlich kam er zur internationalen Zentrale in Hemet, Kalifornien, wo er so rasch aufstieg, dass er während L. Ron Hubbards selbst gewähltem Exil zu einer mächtigen Persönlichkeit wurde. Und nun, nach L. Ron Hubbards Tod, war er nicht mehr nur ein bekanntes Gesicht, sondern der Kopf der Church of Scientology.