KAPITEL 13
Das goldene Zeitalter der
Technologie
Mit neuem Selbstvertrauen kehrte ich auf die Ranch zurück. Ich konnte kaum sagen, ob es daran lag, dass ich endlich den Key to Life- und den Life Orientation-Kurs erfolgreich abgeschlossen, dass ich auf der Flag das aufregende Leben innerhalb der Sea Org miterlebt hatte, oder daran, dass ich einfach älter wurde. Ich war so zuversichtlich wie noch nie zuvor.
Teilweise kam mein Enthusiasmus wohl auch daher, dass ich am Ende meines LOCs beauftragt worden war, mein Lebensziel zu finden oder, wie die Scientologen sagen, meinen Hat in Life – meinen Hut im Leben. Ich hatte mit Mom darüber gesprochen und ihr viele Fragen zu den unterschiedlichen Posten gestellt, die sie in der Sea Org bereits innegehabt hatte. Aufgrund dieser Gespräche hatte ich beschlossen, im Commodore’s Messenger Office, dem CMO, zu arbeiten. Nach dieser Entscheidung ging ich mit neuer Klarheit und Konzentration an alles andere. Obwohl ich noch meinen Abschluss auf der Ranch schaffen musste, bevor ich zum CMO konnte, wusste ich zum ersten Mal, was ich mit meinem Leben anfangen wollte, jetzt musste ich nur noch das tun, was man von mir erwartete.
Tatsächlich fiel es mir mittlerweile leichter, die Regeln zu beachten – selbst die Decks waren nicht mehr so schwer für mich, obwohl ich auf der Flag viele Monate davon verschont geblieben war. Ich war jetzt etwa doppelt so alt wie bei meiner Ankunft auf der Ranch und damit der schweren Arbeit körperlich eher gewachsen. Mittlerweile wurde ich sogar als harter Arbeiter gelobt, was für mich etwas ganz Neues war. Während meiner Abwesenheit hatte ein anderer meinen Posten als Medical Liaison Officer übernommen, daher gab man mir einen neuen Posten, bei dem ich dafür sorgen musste, dass bestimmte Felder korrekt abgeerntet wurden. Doch schon bald bekam ich als Head der Division 2 eine Führungsposition und war für die Gruppe der Kinder verantwortlich.
Mittlerweile gab es die Gruppe der Precadets nicht mehr, sondern nur noch Kadetten und Kinder. Zu meinen Pflichten gehörte es, dafür zu sorgen, dass die Kinder in meiner Obhut es pünktlich zum Morgenappell schafften, sich um ihre Körperpflege kümmerten, sich ethisch verhielten und ihre Decks machten. Einige von ihnen benahmen sich gut, andere weniger. Aber ich wollte zu allen eine gute Beziehung aufbauen. Schließlich hatte ich nicht vergessen, wie sich das Leben auf der Ranch in ihrem Alter anfühlte. Ich kümmerte mich so gut wie möglich um sie. Wenn sie sich bei mir beklagten, dass sie den Posten, den man ihnen zugewiesen hatte, nicht mochten, versuchte ich, ihnen einen zu verschaffen, der besser zu ihnen passte. Ihre Posten waren ziemlich anspruchslos, zum Beispiel mussten sie die Schlafräume mit Toilettenpapier versorgen, Müll sammeln oder Gemüse holen, aber ich versuchte es so hinzubekommen, dass alle zufrieden waren. Ich nahm meinen Posten sehr ernst und wurde sogar einmal Kadett der Woche.
Aber mit meiner Schulbildung haperte es ziemlich. Ich lag fast zwei Jahre hinter meinen Altersgenossen zurück, da ich auf der Flag keinerlei Schulbildung bekommen hatte. Wegen meiner Erfahrungen auf der Flag wollte ich mich nur noch scientologischen Studien widmen, da ich wusste, dass nur die in der Sea Org wirklich von Bedeutung waren. Als ich mit meiner Kursleiterin darüber stritt, ob Schulbildung wichtig sei oder nicht, führte sie mich in ein kleines Zimmer, wo die Bücher aufbewahrt wurden. Sie war erst achtzehn oder neunzehn, aber wesentlich größer als ich. Ich wehrte mich und wollte hinaus, aber sie schlug mich ziemlich heftig ins Gesicht. Ich behielt davon nur einen kleinen blauen Fleck zurück und meldete es niemandem auf der Ranch. Doch als ich es meiner Mutter erzählte, fragte sie nur, womit ich das verdient hätte. Ich wusste nicht, ob sie es jemandem melden würde, traute mich aber nicht nachzufragen, weil sie wirklich davon auszugehen schien, dass ich selbst schuld war.
An den Abenden wurde ich einem Mädchen namens Trisha als Auditor am Clay Table zugewiesen. Wir fuhren beide gemeinsam mit dem Essenslieferanten zur Int Base, und nach dem Abendessen gab ich ihr ein Auditing. Es fiel mir nicht besonders schwer, weil sie meine Freundin und ziemlich unkompliziert war. Da ich abends meistens auf der Int war, lief ich auch öfter Onkel Dave über den Weg. Einmal holte er mich nach dem Kurs mit seinem Motorrad ab. Wir fuhren zu seinem Büro, wo ich mit Tante Shelly plauderte und mit seinen Hunden spielte. Er schoss auch Fotos von mir, während ich so tat, als würde ich an seinem Schreibtisch telefonieren, so als würde ich die Welt regieren.
Obwohl er das Oberhaupt von Scientology und ein mächtiger und furchteinflößender Mann war, zeigte er sich in Momenten wie diesen von seiner menschlichen Seite. Bei solchen Gelegenheiten merkte ich, dass er einfach nur ein normaler, lustiger Onkel sein wollte, der mit seiner Nichte herumalberte, und dann konnte man fast eine Art Sehnsucht nach Familie bei ihm erahnen, eine Seite, die bei ihm sonst fast immer verborgen blieb. Sein Verhalten zeigte mir, dass ich keine Angst vor ihm haben sollte – so wie die meisten Erwachsenen. Leider wurden diese Momente immer seltener. Im Laufe der Jahre bekam ich immer weniger diese Seite von ihm zu sehen. Und wenn man bedenkt, wie alles endete, scheint sie irgendwann vollkommen untergegangen zu sein. Aber ich habe diese liebevolle, menschliche Seite von Onkel Dave nie vergessen.
Mit meinen Freunden auf der Flag blieb ich über Briefe in Kontakt, vor allem mit Valeska, Tom, Jenny und sogar Don und Pilar. Mein Dad gab manchmal Bemerkungen von sich, wenn ich Briefe von Don bekam. Zum Beispiel fragte er: »Hast du den Brief von deinem besten Freund Don bekommen?«, und zwar in einem ziemlich eifersüchtigen Tonfall, aber das überhörte ich einfach. Es waren nicht nur diese Bemerkungen, die mir komisch vorkamen, ich fand auch, dass meine Eltern sich ziemlich häufig und immer heftiger stritten.
In diesem Jahr wollten wir Weihnachten in Onkel Daves Wohnung auf der Int feiern. Mom und Dad schenkten Dave einen teuren Füllfederhalter, und Mom bekam von ihm und Tante Shelly einen hübschen grünen Hosenanzug von Ann Taylor. Tante Shelly meinte zu mir, ich sollte auf so etwas wie Mode nicht allzu viel geben, weil das eine Art Falle sein könnte. Sie setzte sich auch mit mir zusammen, um über Hautpflege und Akne zu reden. Ich hatte ziemlich viele Pickel und Rötungen und wusste nicht, was ich dagegen machen sollte. Tante Shelly schlug mir vor, mit natürlichen Mitteln dagegen vorzugehen. Das war mir zwar peinlich, aber ich war ihr trotzdem dankbar.
Kurz nach Weihnachten trat eine neue Richtlinie in Kraft, nach der Kinder am Samstagabend nicht mehr im Quartier ihrer Eltern übernachten durften. Ich hatte zwiespältige Gefühle deswegen. Mir hatte es immer gefallen, bei meinen Eltern zu übernachten, denn in ihrer Wohnung war es so viel angenehmer als auf der Ranch. Ein paar Jahre zuvor wäre ich noch am Boden zerstört gewesen. Doch da meine Eltern jetzt nicht weit weg von mir auf der Int Base lebten, verbrachte ich die Wochenenden in jedem Fall mit ihnen, daher fand ich die Veränderung nicht so schlimm. Doch mein Dad war fuchsteufelswild. Die Familienzeit wurde dadurch noch mehr begrenzt, und wenn Eltern ihre Kinder sehen wollten, mussten sie zur Ranch kommen, was für die meisten schwierig war, weil sie mit dem Bus fahren mussten. Außerdem konnten sie sonntags morgens nicht mehr mit ihnen das einkaufen, was man zum Leben brauchte. Ich allerdings durfte sonntags noch zur Int kommen, wenn auch nicht mehr so oft.
Justin und ich sahen uns auch kaum noch. Er war jetzt offizielles Mitglied der Sea Org und wohnte und arbeitete auf der Int. Wenn wir uns trafen, hatte er mir kaum etwas zu sagen. Daher überraschte es mich, als Taryn eines Nachmittags zu mir kam und mir aufgeregt Neuigkeiten über Justin erzählte. Sie arbeitete genau wie Justin als vollwertiges Sea Org-Mitglied auf der Int Base.
»Freust du dich nicht auch, dass Justin bleiben will?«, rief sie und sah mich erwartungsvoll an. Als ich verblüfft zurückblickte, merkte sie, dass ich keine Ahnung hatte, wovon sie sprach. Also nahm sie mich beiseite.
»Justin will schon seit ein paar Jahren die Sea Org verlassen«, sagte sie leise zu mir, »aber dein Dad hat ihn endlich überzeugt, doch zu bleiben.«
Als ich das hörte, wusste ich nicht, was mich mehr schockierte: die Tatsache, dass mein Bruder gehen wollte, oder die, dass Taryn mir davon erzählte. Bei der Sea Org ist es verboten, darüber zu sprechen, dass man aus der Organisation austreten will. Es ist sogar verboten, davon zu hören. Jegliches Gespräch darüber wird als Suppressive Act betrachtet – als Antisozialer Akt –, Taryn ging damit also ein großes Risiko ein. Es gab noch weitere Schwerverbrechen, zum Beispiel, negativ über Scientology zu sprechen, Scientology außerhalb der Organisation zu praktizieren, sein Geld zurückzuverlangen, gegen Scientology vor Gericht zu gehen oder gegenüber Vertretern der Medien negativ über Scientology zu sprechen oder zu schreiben. Solche Aktivitäten konnten dazu führen, dass man zur Suppressive Person, kurz SP, erklärt wurde. Als solch eine Antisoziale Persönlichkeit war man böse, und alle Scientologen mussten jeglichen Kontakt mit einem abbrechen, sonst wurden sie ebenfalls zur SP.
Je länger ich über Taryns Äußerungen nachdachte, desto einleuchtender kamen sie mir vor. Ich wusste, dass Justin unzufrieden gewesen war. Irgendwie war er immer in Schwierigkeiten geraten – auch wenn er gar nichts falsch machte –, also kam mir die Vorstellung, dass er hatte weggehen wollen, nicht vollkommen abwegig vor. Aber es bestand doch ein himmelweiter Unterschied zwischen Absicht und Umsetzung. Bis jetzt war mir nicht klar gewesen, wie groß die Gefahr gewesen war, ein Familienmitglied zu verlieren. Ich hätte meine Beziehung zu ihm nicht mehr aufrechterhalten können. Es erfüllte mich mit Schrecken, dass ich fast einen geliebten Menschen verloren hätte.
Letzten Endes war ich erleichtert, dass es nicht passiert war, allerdings hatte ich gar nicht die Zeit gehabt, mir wirklich Sorgen darüber zu machen. Alle außer mir schienen von seiner Unzufriedenheit gewusst zu haben. Zum ersten Mal hörte ich von einer Person, die mir sehr nahestand, dass sie an der Bindung zur Sea Org zweifelte. Es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein.
Am 9. Mai 1996, dem Jahrestag der Dianetik, wollte Onkel Dave die nächsten großen Schritte für die Zukunft von Scientology verkünden. Er erklärte, Scientology erlebe eine Art Renaissance, und dass er festgestellt habe, dass es beim Auditing noch Verbesserungsbedarf gebe. Daher wolle er das Ausbildungsprogramm für Auditoren mit E-Metern auf den neuesten technischen Stand bringen und die Auditing-Übungen perfektionieren, damit Scientologen den Aufgang zur Brücke der vollkommenen Freiheit bewusster und effizienter vollziehen konnten. Diese Verbesserungen wurden unter dem Begriff Goldenes Zeitalter der Technologie zusammengefasst. Sie sollten in Zukunft allen Scientologen ermöglichen, perfekte Auditoren zu werden.
Eine Folge dieses Goldenen Zeitalters war die Entwicklung neuer E-Meter für auszubildende Auditoren. In der Vergangenheit hatten noch Trainer den E-Meter-Check mit den Blechdosen gemacht, um E-Meter-Checks für den Auszubildenden zu simulieren. Jetzt gab es einen richtigen Apparat, auf dem man Knöpfe drücken konnte und sich dadurch die gewünschten Resultate zeigten. Mit diesen moderneren E-Metern und den verbesserten Übungsmethoden würde die Auditoren-Ausbildung zum ersten Mal fehlerfrei verlaufen, sodass auch die Auditoren selbst keinerlei Fehler mehr machen würden.
Ich war sehr aufgeregt, als ich mit ein paar anderen Kadetten dazu ausgewählt wurde, die neuen E-Meter des Goldenen Zeitalters zu prüfen. Sie trugen die Bezeichnung Mark Super VII Quantum und wurden von einer Abteilung der Golden Era Productions hergestellt. Die Golden Era Productions, oder kurz Gold, waren verantwortlich für die weltweite Verbreitung der scientologischen Lehre mit Hilfe von Filmen und Videos, Fernsehen, Internet und internationalen Events. Sie produzierten auch Aufnahmen von LRHs Vorträgen und anderes, wie zum Beispiel E-Meter, Lehrmaterialien und Instrumentarien, um Scientology der Öffentlichkeit und den Anhängern zugänglich zu machen. Die Gold war auf der Int Base untergebracht und wurde von mehreren Hundert Sea Org-Mitgliedern betrieben. Die Eltern etlicher Kinder auf der Ranch arbeiteten dort.
Am ersten Morgen wurden wir nach dem Frühstück mit dem Bus zur Base gebracht. Unser Team sollte die neuen E-Meter in Gebäude 36, das auch Hubbard E-Meter Manufacturing oder HEM genannt wurde, abholen. Da die Apparate zum 9. Mai fertig werden sollten, wimmelte es in dem Gebäude wie in einem Bienenstock. Unzählige Mitarbeiter, auch aus anderen Bereichen, waren nur mit der Produktion der neuen E-Meter beschäftigt. Wir wurden in verschiedene Abschnitte der Produktionskette eingeteilt und wechselten nach einigen Wochen unseren Posten, sodass ich im Verlauf des fast ein Jahr dauernden Herstellungsprozesses fast jede Abteilung einmal zu sehen bekam.
Ich begann damit, in die Plastikgehäuse der E-Meter Ziffern und Buchstaben zu stanzen, und endete in der Qualitätskontrolle, wo ich das fertige Produkt auf mögliche Mängel prüfen sollte. In der Qualitätskontrolle waren nur drei Mitarbeiter, und wir mussten die fertigen E-Meter an alle möglichen Apparate anschließen und verschiedene Tests durchführen. Das HEM hatte eine bestimmte Quote zu erfüllen, der wir mit Heranrücken des 9. Mais immer näher kamen. Jedes Mal, wenn ein E-Meter die Qualitätskontrolle bestand, drückten wir auf einen Klingelknopf, und alle Mitarbeiter applaudierten.
Die Arbeit in der Qualitätskontrolle war manchmal aufregend und manchmal nervenaufreibend. Den gesamten Tag kamen Führungskräfte und sahen uns über die Schulter. In einer gewissen Zeitspanne schickte ich so viele E-Meter zurück, dass man mir einen Techniker zur Seite stellte, um herauszufinden, ob das Problem bei den E-Metern lag oder bei meiner Prüfung. Da der Techniker befand, dass die E-Meter einwandfrei waren, lag das Problem offensichtlich bei mir. Aber ich beharrte darauf, dass die E-Meter aufgrund der Standard-Tests fehlerhaft gewesen seien. Ich führte das Problem sogar mehreren Führungskräften vor, und als sich erwies, dass ich Recht hatte, wurde ich für meine Beharrlichkeit sogar gelobt.
Das E-Meter-Projekt dauerte mehrere Monate. Oft war Mom einer der Inspekteure. Sie umarmte mich kurz, warf einen prüfenden Blick auf meine Arbeit und ging wieder. Ich war beeindruckt, dass alle sie zu lieben und zu respektieren schienen, sie gleichzeitig aber auch fürchteten. In der Sea Org wurde so etwas als Ethik-Präsenz bezeichnet, im Wesentlichen eine Kombination aus Furcht und Respekt, die beide als notwendig für die Kooperationsbereitschaft betrachtet wurden. Da wir bereits an lange Arbeitszeiten gewöhnt waren, empfand ich die Arbeit nicht als Mühe. Außerdem war der Schreibtischjob viel einfacher als die Decks auf der Ranch. Wenn wir in der HEM zu tun hatten, blieben wir den ganzen Tag dort und kamen erst zum Abendessen zur Ranch, um anschließend zu lernen. Zusätzlich musste ich mich noch um die Kinder meiner Division kümmern, bis sie zu Bett gingen.
Nachdem die Nachfrage nach den neuen E-Metern nach dem Dianetik-Tag auf ein normales Maß gesunken war, gingen wir wieder unseren üblichen Aufgaben auf der Ranch nach. Die Arbeit mit den E-Metern hatte mich in meinem Gefühl bestärkt, dass es mit großen Schritten voranging. Allerdings verpuffte dieses Gefühl plötzlich, als ich mich wieder auf der Ranch eingelebt hatte.
Denn eines Tages wurde ohne Vorwarnung verkündet, dass von nun an alle Kadetten auf einer höheren Stufe der Brücke stehen müssten, bevor sie die Ranch verlassen und Sea Org-Mitglieder werden könnten. Dies war eine weitere Maßnahme der Church, perfekte Auditoren zu bekommen. Das Problem für mich war nur, dass es Jahre dauern konnte, ein Klasse V-Auditor zu werden und meinen Abschluss zu machen. Diese Neuigkeit überraschte und deprimierte alle, aber ich empfand sie als besonders hart.
Seit meiner Rückkehr von der Flag hatte ich kontinuierlich Fortschritte gemacht. Ich hatte mehr Verantwortung bekommen und auch das Gefühl, dass es schneller voranging. Monatelang hatte ich Kraft aus meinem Plan gezogen, nach meinem Abschluss zur CMO zu gehen. Dieser Plan hatte mir eine Perspektive gegeben und mir eine aufregende Zukunft versprochen.
Aber dass ich jetzt ein Klasse V-Auditor werden musste, änderte alles. Möglicherweise vergingen nun Jahre, bevor ich meinen Plan in die Tat umsetzen konnte. Das war sehr bitter für mich, aber die meisten Scientologen erfahren irgendwann, dass solche Anpassungen vollkommen normal sind. Gerade als ich mich in die Regeln eingefunden hatte, wurden sie geändert.
Bei der Hochzeit meines Bruders Sterling ein paar Wochen später hatte ich die Möglichkeit, darüber mit Tante Shelly zu reden. Ich erzählte ihr, dass ich mich sehr über die neuen Abschlussbedingungen ärgern würde. Sie erklärte mir, ihrer Meinung nach sei die Auditorenausbildung das Beste auf der Welt, wenn man wirklich lernen wollte, anderen Menschen zu helfen. Sie meinte, die besten CMO-Messenger seien ausgebildete Auditoren und auch Onkel Dave sei schon sehr jung Auditor geworden. So, wie sie es darstellte, klang alles sehr vernünftig, und ich beruhigte mich ein wenig. Zumindest klang es aus ihrer Sicht ziemlich aufregend. Schließlich strebte man das Clearing des gesamten Planeten mit Hilfe scientologischer Auditoren an, und unser Ziel als Sea Org-Mitglieder war es, jeden einzelnen Menschen auf der Erde in den Zustand eines Clear zu bringen. Erst dann konnten wir Frieden finden. Trotzdem sah das Ganze nach viel mehr Schweiß und Tränen aus.
Obwohl ich immer noch frustriert war, konzentrierte ich mich jetzt auf die Hochzeit von Sterling und Suzette. Suzette war Tante Shellys Halbschwester. Aus irgendeinem Grund mochte meine Mutter sie nicht besonders. Ich hingegen verstand mich besser mit ihr als mit Sterling, wir hatten uns auch nie besonders nahegestanden. Er hatte die Ranch schon vor Jahren verlassen, um in der Sea Org zu arbeiten, und davor, noch auf der Ranch, hatte er vor allem mit seinem jüngeren Bruder Nathan zu tun gehabt. Ich war das Blumenmädchen und Justin der Trauzeuge. Aber eigentlich fand ich mich für ein Blumenmädchen zu alt.
Die Trauung fand, wie die meisten Sea Org-Hochzeiten, im Celebrity Center in Los Angeles statt. An diesem Sonntagmorgen probte Justin während der gesamten Fahrt von der Int seine Rede als Trauzeuge. Nach unserer Ankunft ging ich ins Ankleidezimmer, wo sich alle Brautjungfern versammelten. Tante Shelly half mir beim Anziehen und setzte mir den Blumenkranz auf. Ihre anderen Schwestern Clarisse und Camille kümmerten sich um Suzette. Die Hochzeit von Sterling und Suzette war eine traditionelle Feier mit einer Braut in Weiß und dem Ehegelübde. Ungefähr hundert Gäste waren geladen. Zu einer scientologischen Hochzeit gehörte aber auch das ARK-Dreieck. Die Buchstaben standen für ›Affinität‹, ›Realität‹ und ›Kommunikation‹. Das ARK-Dreieck war ein grundlegendes scientologisches Konzept zum Umgang mit Menschen und zum Aufbau verständnisvoller Beziehungen. Die Bedeutung der Kommunikation wurde bei Eheschließungen dadurch unterstrichen, dass Braut und Bräutigam während der Zeremonie versprachen, nie im Streit zu Bett zu gehen. Nach der Feier sahen wir zu, wie Sterling und Suzette ihre Geschenke auspackten.
Eines Sonntagmorgens nach der Hochzeit erzählte ich meiner Mom, ich würde meine Freunde auf der Flag sehr vermissen und sei auch ziemlich frustriert, weil ich erst nach meiner Ausbildung zum Auditor die Ranch verlassen könne. Zu meiner Überraschung antwortete sie, ich könne meine Freunde doch besuchen und sogar länger bleiben, um einen Kurs zu absolvieren. Ich fand die Vorstellung ziemlich faszinierend, aber wirklich begeistert war ich, als sie mir vorschlug, meine gesamte Ausbildung zum Auditor auf der Flag zu machen. Sie meinte, das Auditoren-Training der Flag sei das weltweit beste, allerdings müsse ich dann wahrscheinlich ein Jahr in Florida verbringen. So lange hatte ich eigentlich nicht bleiben wollen, aber ich dachte, man würde mich schon nicht darauf festnageln. Deshalb stimmte ich sofort zu. Meinem Vater gefiel die Vorstellung gar nicht, mich für eine so lange Zeit gehen zu lassen. Er meinte, ich würde ihm zu sehr fehlen. Doch er hielt mich auch nicht davon ab. In den nächsten Wochen zählte ich auf der Ranch nur noch die Stunden und Minuten, bis ich endlich zur Flag fliegen konnte.
Während ich auf den Abreisetag wartete, sorgte Mr. C dafür, dass ich mich noch mehr auf die Ausbildung freute. Denn er versprach mir, das Training sei eine aufregende Zeit mit vielen persönlichen Wundern. Eine seiner Geschichten behielt ich besonders in Erinnerung: Er erklärte, am Ende eines Kurses habe er plötzlich Klavier spielen können, obwohl er sich noch nie zuvor an ein Klavier gesetzt habe. Ich fand die Vorstellung, verborgene Talente zu entdecken, sehr reizvoll. Ich hatte den Eindruck, nach der Ausbildung sei alles möglich.