KAPITEL 21
Security-Checks
An diesem Abend kam ich nach Hause und erzählte all meinen Mitbewohnerinnen, dass Martino mich geküsst hatte. Ich war so glücklich, ich konnte mich einfach nicht bremsen. Trotz des Risikos trafen Martino und ich uns jetzt häufiger. Streng genommen war uns das erlaubt, da er kein Kadett mehr war, aber Tante Shelly und Anne Rathbun hatten mir durch ihre Ermahnungen eindeutig zu verstehen gegeben, dass sie uns beide nicht zusammen sehen wollten. Werktags konnten wir uns nur heimlich treffen. Wenn jemand unerwartet hereinkam, blieb uns gerade noch Zeit für einen raschen Händedruck, bevor ich mich davonschlich.
Ende September ging es mir besser denn je. Ich liebte meinen Job, hatte massenweise Freunde sowohl innerhalb als auch außerhalb der CMO, auch wenn die Kontakte im Verborgenen liefen, und all meine alten Freunde von der Ranch waren jetzt auf der Flag. Und zur Krönung von allem war ich endlich mit Martino zusammen. Ich hätte mir denken können, dass es schon zu viel des Guten war. Vor allem hätte ich auf meine Freunde hören sollen, die Martino und mich zur Vorsicht mahnten, da wir zu der exakt gleichen Zeit schon im Vorjahr aufgeflogen waren.
Ein paar Tage später rief Mr. Rathbun mich in ihr Büro. Sie erklärte, ein E-Meter-kontrolliertes Interview mit mir durchführen zu wollen, und stellte alle möglichen sonderbaren Fragen, etwa über die Münzsammlung meiner Eltern oder darüber, ob ich die Fotos kannte, die sie mir vorlegte. Laut Mr. Rathbun stammten die Aufnahmen von einer Filmrolle, die ich meinem Vater geschickt hatte. Auf einem der Bilder war meine Mitbewohnerin Mayra versehentlich in Unterwäsche und T-Shirt zu sehen. Über mehrere Monate hinweg hatte ich eine Reihe von Fotos gemacht und die volle Rolle anschließend meinem Vater zum Entwickeln geschickt. Ich war ein wenig irritiert, woher sie die Bilder hatte, aber mehr als ihre eigentümlichen Fragen wunderte mich noch, dass sie mich überhaupt nicht nach Martino fragte. Ich nahm mir vor, so gut ich nur konnte zu kooperieren, um ihre Aufmerksamkeit nicht auf ihn zu lenken.
Alles in allem verlief das Interview ungewöhnlich reibungslos, und Mr. Rathbun erklärte am Ende, sie würde sich bei mir melden, wenn sie noch weitere Fragen hätte. Am besten gefiel mir, dass sie keine einzige Frage zu Martino gestellt hatte.
Unglücklicherweise rief sie mich am folgenden Tag erneut zu sich. Diesmal wurde sie schnell persönlicher und wollte wissen, ob ich etwas verheimlichen würde, also genau die Fragen, von denen ich am Tag zuvor zu meiner Freude verschont geblieben war. Die Geschichte mit Martino schien ihr noch nicht zu Ohren gekommen zu sein, stattdessen fragte sie mich über meine Eltern aus. Ich versuchte ihren Fragen auszuweichen, womit ich jedoch weder bei ihr noch beim E-Meter durchkam.
»Ich werde herausfinden, was du verheimlichst«, erklärte sie in Unheil verkündendem Ton.
Nach diversen Stunden eindringlicher Befragung brach ich schließlich zusammen und gestand, Martino geküsst zu haben. Zuerst wollte sie wissen, warum ich glaubte, das verheimlichen zu müssen. Ich hielt das für eine ziemlich dämliche Frage. Dann quetschte sie jede kleinste Einzelheit aus mir heraus: Wie nah wir uns gekommen waren, als wir uns geküsst hatten. Wie lange es gedauert hatte. Was meine Absichten waren. Wie es dazu hatte kommen können. Jede noch so winzige Überlegung und Handlung. All diese Details über einen solch intimen Moment preiszugeben, tat unglaublich weh. Derart persönliche Dinge sollten außer mir niemanden etwas angehen. Ganz abgesehen davon, dass uns ohne Tante Shelly und Mr. Rathbuns voreingenommene Haltung gegen Martino das Küssen ja erlaubt gewesen wäre. Out 2D betraf nur heftiges Petting und Sex, daher wusste ich gar nicht, warum ich dieser eingehenden Vernehmung unterzogen wurde.
Ich war mir sicher, tief in Schwierigkeiten zu stecken, aber am Ende sagte Mr. Rathbun nur, ich könne an meine Arbeit zurück. Keineswegs beruhigt erzählte ich Martino von der Sitzung. Er schien sich zwar ein wenig Sorgen um mich zu machen, gab jedoch ansonsten vor, sich nicht weiter für ihre Meinung zu interessieren. Er fand, wir taten nichts Falsches, also bestand auch kein Anlass, etwas zu befürchten. Zwei Tage gingen vorüber, und ich glaubte schon, clear zu sein, da wurde ich erneut einbestellt. Diesmal teilte Mr. Rathbun mir mit, ich würde einen weiteren mehrwöchigen Security-Check durchlaufen.
Der erste Withhold, den ich für den Sec-Check gestand, war das Bauchnabelpiercing, das ich mir ein paar Wochen zuvor während meines ersten freien Tags seit Monaten hatte machen lassen. Ich hatte es mir zum sechzehnten Geburtstag gewünscht und war von meinen Cousins, einigen von deren Freunden sowie von meiner Tante Denise begleitet worden, die sich als meine Mutter ausgegeben und die Einwilligung unterschrieben hatte. Meine Großmutter hatte mich noch gewarnt, dass ich Ärger bekommen würde, aber ich hatte es trotzdem getan.
Merkwürdigerweise schien Mr. Rathbun keine Einwände zu haben, und ihre Aussagen zu Martino klangen sogar noch besser.
»Leg einfach nur eine kleine Pause mit ihm ein, Jenna«, erklärte sie mir. »Nur solange der Security-Check läuft, danach könnt ihr beide wieder da weitermachen, wo ihr aufgehört habt.«
Ich konnte nicht fassen, dass sie das tatsächlich gesagt hatte. So schmerzlich es auch sein würde, ihn eine Weile nicht treffen zu dürfen, wenn das im Gegenzug bedeutete, dass Martino und ich in ein paar Wochen diese Heimlichtuereien endlich aufgeben konnten, dann war es das allemal wert. Bei der nächsten Gelegenheit überbrachte ich Martino die Neuigkeit. Er war genervt und niedergeschlagen, dass wir warten mussten, aber ich versicherte ihm, ich würde die Sache so schnell wie möglich hinter mich bringen. Ohne große Begeisterung willigte er ein.
Ein paar Tage später sah ich ihn in Begleitung seiner Mutter, einer temperamentvollen Italienerin mit einer beeindruckenden Ausstrahlung. Sie flüsterte mir ins Ohr, ich solle stark bleiben und mich nicht verunsichern lassen, weil schlechte Menschen sich als Zielscheibe immer die guten aussuchen würden. Nachdem sie mich umarmt hatte, drückte Martino mir mit einem traurigen Lächeln die Hand, bat mich, den Security-Check schnell hinter mich zu bringen, und ging davon. Es war das letzte Mal, dass ich ihn sehen sollte.
An diesem Nachmittag hatte Mr. Rathbun eine Überraschung für mich. In ihrem Büro warteten bereits meine beiden Vorgesetzten, mein CO und der Betriebsleiter. Mr. Rathbun fuhr mich auf die gleiche Weise an wie Tante Shelly einst und sagte, ich sei völlig out ethics und gehöre ins RPF. Ich verstand überhaupt nicht, was sich seit unserem letzten Treffen geändert hatte. Sie war plötzlich von verletzender Schärfe. In unmissverständlichen Worten machte sie mir klar, dass meine sogenannten Freunde mich nur wegen meines Namens mochten und dass ich in meinem Innersten ein Rock Slammer sei, der bislang bloß unentdeckt geblieben wäre. Sie war nicht wiederzuerkennen. Ich fühlte mich von ihr getäuscht.
Mr. Rathbun ordnete an, dass ich mit sofortiger Wirkung rund um die Uhr unter Beobachtung stand und wieder eine CMO EPF-Uniform tragen musste, obwohl ich eigentlich nicht im EPF war.
Unter den Augen der neuen Leiterin der Abteilung musste ich daraufhin endlos Toiletten und Treppenaufgänge putzen. Stundenlang stand sie im Treppenhaus oder den Toilettenräumen herum, während ich saubermachte. Später verlor sie jedoch ihren Posten und wurde ersetzt, weil herausgekommen war, dass sie sich mit mir anzufreunden begann und mir zum Zeitvertreib sogar Geschichten aus Harry Potter erzählte.
So verärgert ich auch war, ich hatte meine Emotionen weitaus besser unter Kontrolle als nach dem Brief an Tante Shelly, in dem ich um Rückversetzung zu den Kadetten gebeten hatte. Ich war gerade so zufrieden mit meiner Lebenssituation gewesen, dass ich schon allein deswegen nur meine Aufgaben erfüllen und möglichst rasch zur Normalität zurückkehren wollte. Ich tat einfach, was ich tun musste, damit sie mich früher oder später wieder zu Martino und meinem alten Leben zurückkehren ließen.
Eine Sache machte mir bei meiner Bestrafung allerdings doch zu schaffen: Ich verstand nicht, womit ich sie verdient hatte. Ich mochte die Sache mit Martino verheimlicht haben, zugegeben, aber auch hier stand die Tat erneut in keinem Verhältnis zur Strafe. Kein Scientology-Gesetz war verletzt worden, ich hatte lediglich die Bemerkungen von Tante Shelly und Mr. Rathbun nicht beherzigt. Ja, ich hatte Martino getroffen, und ja, ich hatte mir den Nabel piercen lassen, aber das alles verstieß nicht gegen die Regeln. In meinem Job hatte ich gelegentlich ein wenig gebummelt, statt zu arbeiten, aber nie mehr als die anderen. Doch denen hing das RTC nicht ständig im Nacken, um bei jeder Unaufmerksamkeit gleich Security-Checks anzuordnen. Warum also mir?
Wenn ich nicht putzte, absolvierte ich zermürbende Sitzungen bei Mr. Rathbun. Ein Großteil der Fragen war extra auf mich zugeschnitten: Hast du deinen Namen in unangemessener Weise dazu benutzt, deinen Willen durchzusetzen? Verfolgst du böse Absichten hinsichtlich deines Onkels? Für die Church stellten Security-Checks den wichtigsten Kontrollmechanismus dar. Sämtliche Sitzungen wurden auf Video aufgezeichnet. Meist benutzten sie Security-Checks, um jemanden für eine Rückkehr auf die Brücke vorzubereiten. In meinem Fall sollte sie mich jedoch davon abhalten, aus der Reihe zu tanzen. Ich erhielt Checks, weil ich zu viel redete, widersprach, schwierig war oder mich regelmäßig aufregte, was ARC Breaky genannt wurde. Zwischen zwölf und fünfzehn durchlief ich wenigstens acht Security-Checks. Ich kannte niemanden in meiner Umgebung, der in einem solch kurzen Zeitraum auf diese hohe Zahl gekommen war, abgesehen natürlich von denen, die im RPF gelandet waren. Ich hasste Security-Checks und begriff nie, warum ich so viele davon bekam.
Sobald sich jemand ärgerte oder mit Dingen innerhalb der Organisation nicht einverstanden war, erklärte die Church, derjenige hätte Withholds. Jede Kritik, die man vorbrachte, alles, worin man nicht übereinstimmte, letztlich also jede abweichende Meinung, lag darin begründet, dass man irgendwann etwas Schlechtes getan hatte. Auf diese Weise brachten sie die Menschen zum Schweigen. Neben der Suche in meinem jetzigen Leben riet und erwartete man von mir, dass ich auch meine ehemaligen Leben nach Withholds durchforschte, die bei mir schon früher vergleichbare Reaktionen hervorgerufen hatten.
Ich durfte jedoch nicht einfach in frühere Leben springen. Es war ein langsamer Prozess, in dem ich alle Fragen meines Auditors in der gestellten Reihenfolge beantworten musste. Erst wenn mein E-Meter angab, dass ich mich auf einem früheren, ähnlich gelagerten Weg befand, wurde ich zum nächsten Schritt aufgefordert. Bei dieser Konzentration auf frühere Leben hatte ich immer das Gefühl, Antworten nur zu erfinden. Aber es erleichterte die Dinge auch. Wenn mir einfach keine tatsächlichen Withholds einfallen wollten, was meist der Fall war, konnte ich sehr bequem in die Fantasiewelt früherer Leben abtauchen, in denen dann alles möglich war. Manchmal fühlte ich mich dabei sogar besser, aber das dürfte vor allem daran gelegen haben, dass ich nicht über mein tatsächliches Leben sprechen musste, sondern Withholds aus einer erträumten Biografie schildern konnte, die mich nicht weiter berührten. Solange der Auditor sagte, der E-Meter zeige mich auf dem richtigen Weg, wurde nichts von meinen Erzählungen in Zweifel gezogen. Niemand überprüfte die Glaubwürdigkeit meiner Geschichten etwa mit wissenschaftlichen Mitteln.
Viele Leute erfanden die wildesten Storys. Sie dachten sich Overts aus, in denen sie zugaben, Planeten mit Bomben in die Luft gesprengt zu haben und ähnlich haarsträubendes Zeug. Sie fantasierten sich ausgeklügelte Plots und komplexe Charaktere zusammen, die häufig kaum glaubhaft waren. Ich hielt mich da eher zurück und mied voll ausgeprägte Figuren oder vielschichtige Stories. Mir fehlte die Dreistigkeit, auf Dauer so zu tun, als wäre ich mir bei der ganzen Sache wirklich sicher. Ich verwendete meine Erinnerungen an frühere Leben gezielt dazu, eine Sitzung schneller zu Ende zu bringen.
Oft trat in meinen vergangenen Leben bloß eine Art Kopie meiner selbst auf. Dann war ich nur ein Mädchen in einer kurzen Szene, ein kleiner Ausschnitt eines früheren Lebens, das ich in seiner Gesamtheit nie sah. Beispielsweise lebte ich angeblich vor Hunderten von Jahren als armes Mädchen, das etwas stehlen musste. Oder ich erinnerte mich, als Mädchen von einem bösen, furchteinflößenden Mann die Straße hinabgejagt zu werden, den ich am Ende umbrachte. Seinerzeit stellte ich mir tatsächlich vor, dieser Bösewicht sei ein Zeugnis aus einem früheren Leben und der Grund dafür, dass ich mich nachts fürchtete und mir ständig einbildete, verfolgt zu werden. Manchmal übernahm ich auch einfach etwas aus einem Film, den ich gesehen, oder einem Buch, das ich gelesen hatte, und gab es als mein Leben aus. Sofern meine Nadel am Ende schwebte, war ich damit zufrieden. Mit der Genauigkeit meiner Geschichten hatte der Nadelausschlag meiner Meinung nach nicht wirklich etwas zu tun. Mir wurde erklärt, meine Erinnerung an frühere Leben würde sich kontinuierlich verbessern, je höher ich auf der Brücke stieg.
Obwohl ich mich durch die früheren Leben hindurchfantasierte, stand ich dem ganzen Ansatz keineswegs skeptisch gegenüber. Mein ganzes Leben hatte ich von vergangenen Leben gewusst. Da ich sie nicht richtig nachempfinden konnte, kam ich mir zwar ein wenig wie eine Schwindlerin vor, aber mitunter redete ich mir selbst ein, dass das tatsächlich meine früheren Leben waren, vor allem, wenn es mir dadurch gelang, die Sitzung schneller hinter mich zu bringen.
Frühere Leben hin, frühere Leben her, die Sitzungen selbst waren grauenhaft und dauerten bis zu sechs Stunden. Mehrmals spielte ich ernstlich mit dem Gedanken, den E-Meter aus dem Fenster zu schleudern. Ständig legte Mr. Rathbun mir Worte in den Mund und zwang mich, Dinge zu gestehen, die ich überhaupt nicht getan hatte, nur damit ich ihre Fragen endlich irgendwie beantworten konnte. Reagierte meine Nadel zu langsam, musste ich essen, ob ich hungrig war oder nicht, wahrscheinlich weil die Nadel bei satten Menschen angeblich schneller reagierte.
Besonders verstörend fand ich, dass Mr. Rathbun sich in den Pausen manchmal wie eine Freundin mit mir unterhielt. Ihrer Meinung nach war mein Hauptproblem, dass ich übertriebene Ansprüche stellte. Da ich von der Int stammte und den Nachnamen Miscavige trug, würde ich mir einbilden, bevorzugt behandelt werden zu müssen. In Wahrheit war es völlig anders. Ich betrachtete nämlich nicht die Miscaviges als meine Familie, sondern meine Freunde in der Sea Org. Und ich war hier zu Hause, auf der Flag.
Nach ein paar Wochen wurde Mr. Rathbun die ganze Farce leid und erklärte mir in ihrem feindseligsten Ton, ich hätte derart viele Withholds, dass ich sie besser am Computer aufschreiben würde. Auf diese Weise konnte sie alles ausdrucken und zuschicken, wem auch immer sie es zuschicken musste. Einem Computer zu beichten, fiel weitaus leichter als ihr. Immerhin konnte ich Dinge aufschreiben, die tatsächlich geschehen waren, ohne dafür gleich in die Mangel genommen zu werden. Das Verfahren wurde allerdings von Meter-Checks begleitet. Und sobald der Drucker nicht genügend Seiten auswarf, bekam sie einen Wutanfall und schrie, was mir einfiele, ihr so die Zeit zu stehlen. Es dauerte nicht lange, und die Security-Checks wurden wieder ohne Computer durchgeführt.
Gab es keine Sitzungen, musste ich mir erneut die gefürchteten State of Man-Kongressvorträge anhören oder die Toiletten und die Fliesenfugen mit einer Zahnbürste schrubben. Wenn sich Onkel Dave oder Tante Shelly in dem Gebäude aufhielten, in dem ich putzte, wurde ich angewiesen, meine Mahlzeiten ebenfalls in den Toilettenräumen einzunehmen, damit sie mir nicht versehentlich auf dem Gang begegnen und von mir aus dem Gleichgewicht gebracht werden konnten, was wiederum Scientology geschadet hätte.
Ich fühlte mich von morgens bis abends gefangen. Entweder war ich in den Toiletten der WB eingesperrt, oder ich saß im Auditing-Raum bei Mr. Rathbun oder in einem anderen Büro, wo ich mir LRH-Kassetten anhörte. Es war mir verboten, mit dem Bus nach Hause zu fahren, stattdessen brachte man mich mit dem Auto, um mich von meinen Freunden fernzuhalten. Fünf Minuten lang durfte ich duschen, dann musste ich ins Bett gehen. Meist konnte ich abends nicht einschlafen, aber aufstehen war unmöglich, da ständig jemand vor meiner Tür postiert war. Selbst die Briefe meiner Freunde wurden konfisziert.
Nachdem ich monatelang Toiletten geschrubbt hatte, erschien Mr. Rathbun eines Abends an meiner Tür, um mir etwas Wichtiges mitzuteilen. Wie üblich stand mein CO unmittelbar hinter ihr.
»Dein Ethik-Programm ist abgeschlossen«, sagte sie. »Du hast die Fehler deines Tuns eingesehen, daher kommst du heute Abend nach Hause.« Die Bemerkung war irgendwie absurd, schließlich war ich bereits auf der Flag Base, meinem Zuhause.
»Was heißt nach Hause?«, fragte ich, da ich annahm, sie würde vielleicht ein anderes Zimmer meinen.
»Int«, erwiderte sie. Diese eine Silbe genügte, um mir alle meine hoffnungsvollen Erwartungen zu rauben. Die Flag war mein Zuhause. Meine Großmutter, Tante Denise und meine Cousins wohnten alle in Clearwater. Hier hatte ich endlich Verwandte in der Nähe. All meine Freunde lebten auf der Flag, und vor allem war Martino hier. Neben den vielen Problemen, mit denen ich hier in den letzten Jahren gekämpft hatte, war ich hier auch glücklicher gewesen als irgendwo sonst. Und jetzt sollte ich all das zurücklassen und damit auch die Hoffnung, jemals wieder dieses Glück zu erleben.
»Darf ich zurückkommen?«, flehte ich. »Darf ich mich von meiner Großmutter verabschieden?« Ich wagte erst gar nicht, um einen Abschied von meinen Freunden zu bitten oder gar von Martino.
»Wir werden ihr deinen Gruß ausrichten«, säuselte mein CO aus dem Hintergrund.
»Okay«, sagte ich fassungslos und versuchte mich mit dem Gedanken zu trösten, dass ich in einigen Tagen wahrscheinlich wieder zurück sein würde. Ohne weitere Vorreden schoben sich die beiden in mein Zimmer und halfen mir dabei, alle meine Habseligkeiten in ein paar Taschen zu verstauen. Ich sagte, ich brauche nicht alles mitzunehmen, aber sie erklärten, ich solle es tun, für alle Fälle. Ich verstand nicht, was sie damit meinten, aber es jagte mir Angst ein. Sie umarmten mich, als wären wir stets beste Freunde gewesen, und verabschiedeten sich. Tom brachte mich zum Flughafen. Ich bat ihn, Martino von mir zu grüßen, und er versprach, es ihm auszurichten.