KAPITEL 25
Im Celebrity Center

Es dauerte nicht lange, und ich war fest mit Dallas zusammen. Er war intelligent, freundlich und brachte mich ständig zum Lachen. In seiner Nähe konnte ich ganz ich selbst sein. Er war ein absoluter Familienmensch und erzählte mir von seinen Eltern, seinem älteren Bruder, seiner jüngeren Schwester und davon, wie er gemeinsam mit seinen Cousins aufgewachsen war. Er liebte seine Familie über alles, das war offensichtlich. Er hatte eine sorgenfreie Kindheit gehabt und war stolz auf sein Elternhaus.

Die Geschichten, die ich ihm über meine Familie erzählte, waren voller Leerstellen. Da ich ihm nicht sagen durfte, wo meine Eltern lebten, und ich den Aufenthaltsort meines Bruders gar nicht kannte, versuchte ich, Einzelheiten nach Möglichkeit zu vermeiden.

Mr. H missbilligte mein Verhältnis zu Dallas und konnte nicht verstehen, warum ich nicht einfach Single blieb. Streng genommen mussten Liebesbeziehungen nicht offiziell abgesegnet werden. Es gab zwar grundsätzliche Regeln, Sea Org-Mitglieder durften beispielsweise nur Partner aus ihrer Base haben, das Gleiche galt für CMO, aber wer genau mit wem ging, bedurfte keiner gesonderten Genehmigung, solange die allgemeinen Vorgaben für Dates eingehalten wurden. Da sie meine tägliche Kontaktperson war, hatte Mr. H das Recht, sich in meine Beziehungen einzumischen. Anschließend würde sie ihren Vorgesetzten, wahrscheinlich also Tante Shelly oder Mr. Rathbun, Bericht erstatten. Ich war eine Miscavige, und in meinem Verhalten wurde auch immer eine Vertretung des Namens Miscavige gesehen.

Es machte mir nichts aus, dass Mr. H mich wegen Dallas aufzog. Ich glaubte sogar, dass sie mir auf diese Weise auch ihre Zustimmung signalisieren wollte. Seit Mr. Rodriguez auf die Flag versetzt worden war, verstanden wir uns besser. Im Grunde war Mr. H ein guter Mensch, obwohl sie auch gnadenlos hart sein konnte. Sie war etwa in Taryns Alter und stellte damit so etwas wie eine ältere Schwester für mich dar. Tatsächlich hatte sie eine jüngere Schwester, von der sie viel erzählte und die wie ich gerne zeichnete. Ihre Schwester war nicht in der Sea Org, und Mr. H vermisste sie offenbar sehr. Zu Weihnachten bekam ich stets ein Geschenk von Mr. H, und als ich noch mit ihr gemeinsam essen musste, erzählte sie mir häufig von Filmen, die sie gesehen, und von Büchern, die sie gelesen hatte. Ich glaube, sie war traurig, als ich schließlich an anderen Tischen essen durfte, weil sie nun ganz alleine saß. Dass ich mich über diese Freiheit auch noch freute, dürfte ihre Traurigkeit noch verstärkt haben. Aber als RTC-Abgeordnete musste sie natürlich ihr Gesicht wahren. Ihre Stellung beim RTC verlieh Mr. H eine Menge Autorität, sie verbot ihr jedoch zugleich, Freundschaften zu schließen. Es wurde wirklich einsamer, je höher man kletterte.

Meine Freunde fanden alle schnell Gefallen an Dallas. Da er jetzt an meinem Tisch aß, lernten sie ihn schnell kennen. Er war einfach ein richtig netter Kerl, unkompliziert und offen im Gespräch und dazu extrem höflich. Stets öffnete er vor mir die Tür und bot seine Hilfe an, wo immer jemand sie brauchte. Nach Feierabend saßen wir oft draußen auf der Feuertreppe neben meinem Zimmer und unterhielten uns die halbe Nacht. Er war Jahrgang 1980 und damit vier Jahre älter als ich. Seine Eltern waren Scientologen, aber nicht in der Sea Org. Bei seiner Geburt hatten sie gerade für eine örtliche Mission in San Diego gearbeitet. Sie waren keine Anwerber im engeren Sinne, aber sein Vater verstand sich darauf, Leute als feste Anhänger der Church zu gewinnen. Die Eltern von Dallas waren beide mit achtzehn zur Scientology gekommen. Auch wenn sie nicht der Sea Org direkt angehörten, so waren sie doch bedeutende Geldspender der Kirche und sehr umtriebige Anwerber.

Verglichen mit meiner wirkte Dallas’ Kindheit ungeheuer traditionell. Er erzählte mir Geschichten aus seinem Elternhaus und von Familienausflügen mit Tanten, Onkels und Cousins, von denen nur wenige Scientology angehörten. Besonders angetan hatte es ihm das Meer, und er schwärmte von einer Reise nach Mexiko, während der er mit seinen Cousins hatte surfen können. Snowboarden gefiel ihm ebenfalls, und er versprach, es mir eines Tages beizubringen. Ich hatte diese Art von Familienleben oder auch nur diesen Luxus an Freizeit in meiner Kindheit nie erlebt. Nachts im Bett durchlebte ich die Geschichten von Dallas noch einmal in meinem Kopf und wünschte mir, es wären meine eigenen.

Er war auch mit Scientology ganz anders in Berührung gekommen. In Dallas’ Kindheit hatte Scientology nicht im Vordergrund gestanden, sondern nur eine Nebenrolle gespielt. Bis zur sechsten Klasse war er sogar in eine öffentliche Schule in San Diego gegangen. Dann hatte er wegen einer schlechten Note Streit mit einem Lehrer bekommen, und seine Eltern hatten ihn ab der siebten auf eine lokale Scientology-Schule geschickt. In einem einzigen Klassenraum wurden hier gerade mal zwölf Schüler der Stufe sechs und höher gemeinsam unterrichtet. Daneben gab es noch einen Zweig für dreißig bis fünfzig jüngere Kinder der ersten Klassen, in den seine Schwester gegangen war.

Ich musste lachen, als Dallas mir erzählte, wie er mehr als eine Woche gebraucht hatte, um die Bedeutung seines ersten Scientology-Worts »Beingness« (»Sein«) zu erfassen. Ihm war nicht klar gewesen, dass Scientology eine eigene Sprache besaß, deren Terminologie oftmals sehr verwirrend sein konnte. Die Highschool absolvierte er auf einem kleinen Scientology-Internat, das zwei ehemalige Sea Org-Mitglieder in ihrem Haus etwa eine Autostunde außerhalb von L. A. leiteten. Es gelang ihm bei diesem Ehepaar, den Lehrstoff von vier Jahren in bewundernswert kurzer Zeit von nur zwei Jahren zu bewältigen. Wie er berichtete, besuchten Anwerber der Sea Org die Schule regelmäßig, um Kinder für ihre Organisation zu gewinnen, aber er hatte immer abgelehnt, weil er eigentlich Schauspieler werden wollte.

Für das College war Dallas nach seinem Highschool-Abschluss mit sechzehn Jahren noch zu jung, und er hätte auch gar nicht gehen wollen, wie er sagte. Viele Scientologen sahen einen Collegebesuch als reine Zeitverschwendung. Seine Eltern waren Teilhaber eines großen, umsatzstarken Schmuckladens in San Diego, also begann er dort zu arbeiten, um sich das nötige Geld für einen Umzug nach L. A. und den Start seiner Schauspielerkarriere zu verdienen. Er sparte außerdem sechstausend Dollar für die Kurse im Celebrity Center zusammen. Auf diese Weise konnte er Scientology-Kurse belegen und zugleich mit berühmten Leuten in Kontakt kommen, die ihm beim Einstieg in die Branche womöglich helfen würden. Sein Traum war es, Schauspieler zu werden, nicht Sea Org-Mitglied. Er konnte sehr gut singen, aus dem Stegreif in irgendwelche Rollen schlüpfen und sogar steppen.

In der San Diego Org hatte er erstmals am eigenen Leib erfahren, dass Scientology funktionierte. Damals nahm er gerade Auditing-Sitzungen und ließ eine ausfallen, da ihn eine Erkältung erwischt hatte. Der Auditor rief an, flippte aus und erklärte ihm, er müsse gerade jetzt unbedingt kommen, da die Krankheit ein Zeichen dafür sei, dass etwas falsch gelaufen war. Am nächsten Tag ging er also trotz der Beschwerden in die Org, und es folgte die beste Sitzung, die er jemals hatte, wie er mir sagte. Noch während der Sitzung verließ die Krankheit seinen Körper, und in diesem Moment war ihm klar, dass Scientology für ihn funktionierte.

Mit achtzehn ging er zum Celebrity Center in L. A. und zahlte sechstausend Dollar für seinen Key to Life- und Life Orientation-Kurs, die ich beide schon einige Jahre zuvor auf der Flag absolviert hatte. Als Zwilling wurde ihm der fünfzehnjährige Dylan Purcell zugeteilt, der Sohn der Schauspielerin Lee Purcell. Dallas meinte, Dylan sei ein echter Spaßvogel gewesen, dessen Albernheiten auch ihm ständig Besuche beim Ethics Officer eingebracht hätten. Er hing damals mit zahlreichen angehenden Schauspielern zusammen, von denen inzwischen einige Karriere in der Branche gemacht hatten. Abends nahm er Schauspielunterricht bei einem Schauspieler und Scientologen, der auch Juliette Lewis und Giovanni Ribisi unterrichtet hatte, beide ebenfalls Angehörige von Scientology.

Häufig stellte Dallas mir Fragen über meine Familie. Als er wissen wollte, ob er meine Eltern einmal kennenlernen könne, erfand ich Ausreden, die er mir aber nicht abkaufte. Vor allem Mr. H erinnerte mich tagtäglich daran, dass ich ihm auf keinen Fall etwas vom Austritt meiner Eltern sagen dürfe. Sie übte mit mir sogar, wie ich mich am besten verhielt, wenn er zu beharrlich nachbohrte. Dann übernahm sie seine Rolle und stellte Fragen, denen ich möglichst geschickt ausweichen musste. Allerdings machten es diese Übungen nie einfacher, ihm offen und ehrlich zu antworten, wenn er nachfragte.

Eines Tages entschloss ich mich, alle Warnungen von Mr. H zu ignorieren und Dallas alles über meine Eltern zu erzählen. Er zeigte sehr viel Mitgefühl mit mir. Immerhin verstand er nun, warum ich immer so komisch reagiert hatte, wenn das Gespräch auf meine Eltern gekommen war. Natürlich musste ich nun lügen, wenn Mr. H sich erkundigte, ob ich das Geheimnis gewahrt hatte. Aber ich konnte nicht anders, sonst hätte ich das Gefühl gehabt, Dallas zu betrügen.

Im Unterschied zu den meisten Sea Org-Mitgliedern besaß Dallas ein Auto, das es uns ermöglichte, an Sonntagvormittagen die Base zu verlassen und draußen zu frühstücken, wenn wir unsere Dienste erledigt hatten. Morgens mussten nämlich die Quartiere ordentlich aufgeräumt und gesäubert werden und anschließend die Inspektion überstehen. Dafür hatten wir eigentlich Zeit bis mittags, also beeilten wir uns, damit wir in der restlichen Zeit etwas unternehmen konnten.

Einmal fuhren wir bei dieser Gelegenheit – ungeachtet der Bedenken von Mr. H – ins Celebrity Center, wo wir uns im Renaissance Restaurant mit Dallas’ Mom zum Brunch treffen wollten. Dallas hatte dort nicht nur vor seiner Sea Org-Zeit die Kurse absolviert, er hatte in den späten Neunzigern vor seinem Highschool-Abschluss auch dort im Hubbard Communication Office gearbeitet. Daher wusste er aus erster Hand, dass mit Prominenten in der Church ganz anders umgegangen wurde. Leute wie John Travolta, Kirstie Alley, Catherine Bell, Jason Lee, Priscilla und Lisa Marie Presley oder Marisol Nichols nahmen hier ständig bestimmte Angebote wahr. Jason Beghe und Jack Armstrong waren seinerzeit die Promis im Center, die am meisten verehrt wurden, da sie sich beide Vollzeit dem Studium der Scientology widmeten und mit Feuereifer bei der Sache waren.

Verglichen mit anderen Scientology-Gemeinden wurde den Prominenten hier hinsichtlich Exklusivität und ungestörter Privatsphäre nur das Feinste geboten. Das fing an mit einer eigenen Zufahrt an der Ecke Franklin und Bronson Avenue, wo ein Doppelflügeltor zu einem abgetrennten, vom Sicherheitsdienst überwachten Bereich der Tiefgarage führte. Das Gebäude betraten Prominente durch das President’s Office, das über eine eigene Lobby, einen gesonderten Behandlungsbereich zur »Reinigung« sowie über persönliche Büroräume verfügte. Im oberen Stockwerk befanden sich zwei Auditing-Räume und ein Einzelkursraum, die ausschließlich von Prominenten oder anderen wichtigen Persönlichkeiten – etwa bedeutenden finanziellen Förderern der Church – genutzt werden durften. Unter einem Prominenten versteht Scientology jede wirklich einflussreiche Person, deshalb fanden sich darunter nicht nur bekannte Namen wir Tom Cruise und John Travolta, sondern auch Leute wie Craig Jensen, Firmenchef von Condusiv Technologies, oder Izzy Chait, ein erfolgreicher Kunsthändler aus Beverly Hills und der größte Geldgeber der Church. Die Sicherheitsmaßnahmen für die Prominenten waren äußerst streng, zugleich aber so unauffällig, dass berühmte Leute Angebote wahrnehmen konnten und die meisten Menschen im Center nicht einmal deren Anwesenheit bemerkten.

Auch Gästezimmer gab es im Celebrity Center. Das waren keine speziell für Promis gestalteten Räume, vielmehr konnte sich dort jeder einmieten, vorausgesetzt er verfügte über die nötigen finanziellen Mittel, denn für einige der Zimmer wurden gewaltige Preise pro Übernachtung verlangt. Alles hing natürlich von der Größe und Ausstattung des jeweiligen Raums ab, grundsätzlich ähnelten die Preise aber denen anderer hochklassiger Hotels in der Stadt. Als meine Mom die Renovierungsarbeiten im Celebrity Center mit beaufsichtigt hatte, war ich selbst ein paarmal in diesem Hotel gewesen. Damals hatten wir eine wunderschöne Doppelsuite bewohnt, in der angeblich auch schon Kirstie Alley abgestiegen war. Als Dallas hier gearbeitet hatte, war Kirstie die einzige ihm bekannte Prominente gewesen, die auch übernachtet hatte. Die anderen kamen immer nur tagsüber zu ihren Angeboten und Kursen und fuhren anschließend wieder nach Hause.

Dallas zufolge benahmen sich die Prominenten bei ihren Besuchen im Center alle ziemlich ungezwungen. Einige waren richtig nett, andere eher reserviert und wollten nicht gestört werden. Dann gab es natürlich jene, die anderen Promis gegenüber immer überfreundlich waren, während sie die Mitarbeiter des Zentrums in schroffem Ton behandelten. Alles in allem also eine breite Mischung aus Verhaltensweisen und so unterschiedlich wie die vielen VIPs selbst, die das Zentrum besuchten. Immerhin sollte John Travolta, wie Dallas meinte, den Sea Org-Mitgliedern unter dem Personal große Anerkennung für ihre harte Arbeit gezollt haben. Einmal war er Travolta auch persönlich begegnet, und der hatte ihn für sein Engagement ausdrücklich gelobt.

Die vielen Geschichten weckten natürlich zwangsläufig Neugier auf den berühmtesten Scientologen von allen: Tom Cruise. In der Zeit, in der Dallas im Celebrity Center gearbeitet hatte, war Tom offenbar nicht aufgetaucht. Tom gehörte damals zwar weiterhin der Scientology an, war nur vorübergehend nicht so stark involviert. Mitglieder des CC-Staff erzählten Dallas, dass Tom aufgrund seiner Heirat mit Nicole Kidman, die der Church scheinbar distanzierter gegenüberstand, als Potential Trouble Source eingestuft worden sei, was wiederum seinen Aufstieg innerhalb von Scientology gebremst habe.

Da Nicoles Vater Psychologe war, lag dieser Schritt nahe. Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiteten, waren böse und schlecht, das wurde uns beigebracht. Wir glaubten den Ausführungen LRHs, der geschrieben hatte, dass diese Leute die eigentlichen Drahtzieher hinter Personen wie Adolf Hitler waren und der Grund für alles andere Übel, das je auf der Gesamtzeitspur passiert sei, also in dem in unseren Köpfen abgespeicherten Gesamtprotokoll von Dingen, die uns über Billionen von Jahren hinweg widerfahren sind.

Die Schilderungen von Dallas erinnerten mich an etwas, das Tante Shelly mir einmal auf der Flag erzählt hatte. Damals fand Tom Cruise gerade seinen Weg zurück in die Church, und überall schrieben die Zeitschriften darüber. Ich machte eine Bemerkung Tante Shelly gegenüber, woraufhin sie ausführte, wie ähnlich sich Tom Cruise und Onkel Dave doch in Bezug auf ihre unbeirrbare Einsatzbereitschaft waren. Anscheinend hatte man ihnen deshalb sogar denselben Spitznamen verpasst, der irgendetwas mit dem Wort »Laser« zu tun hatte. Ich sagte zu Tante Shelly, meiner Ansicht nach könne Nicole mit Scientology offenbar nicht wirklich etwas anfangen. Sie schien überrascht, dass ich das erkannt hatte, und erklärte, ich habe ganz Recht und dass sie sich um die Lösung dieses Problems gerade bemühten.

Besonders beliebt war bei Prominenten sämtlicher Bekanntheitsgrade der Kommunikationskurs, den das Center anbot. Hier sollte den Teilnehmern das sichere Auftreten beim Vorsprechen und der effektive Aufbau eines persönlichen Netzwerks beigebracht werden. Reizvoll war für viele auch die Tatsache, dass die Auditing-Sitzungen einer dem Beichtgeheimnis vergleichbaren Vertraulichkeit unterworfen waren, mit anderen Worten: Wie ein Priester über Gebeichtetes Stillschweigen bewahrte, so drang auch über alles, was in den Sitzungen gesagt wurde, nichts nach außen. Prominente verleitete diese Sicherheit natürlich dazu, offen über ihre Probleme oder über Angewohnheiten, die sie ablegen wollten, zu reden.

Schon die Einrichtungen und der Service, die den Prominenten im Celebrity Center zur Verfügung standen, gingen weit über das Angebot für gewöhnliche Scientologen hinaus. Doch es war nicht nur das. Prominente genossen auch Vorzüge, was ihre finanzielle Belastung und ihre Kursbesuche betraf. Für normale Angehörige der Church spielte die Kunst, mit Scientology Einnahmen zu generieren, eine ganz andere Rolle als für Promis. So waren Prominente etwa nicht dem ständigen Regging ausgesetzt, bei dem die Kirche ihre Anhänger permanent dazu drängte, für Projekte oder weitere Angebote zu bezahlen. Auch sie wurden zwar um Spenden gebeten und mussten für unmittelbar anstehende Leistungen zahlen, doch sie hatten es dabei stets nur mit einem Bevollmächtigten der Church zu tun und wurden nicht wie die normalen Scientologen gleich von diversen Mitarbeitern unter Druck gesetzt. Außerdem blieb es Prominenten selbst überlassen, in welchem Tempo sie sich mit Scientology beschäftigen wollten, während alle anderen nach einer freizügigen Anfangsphase schon rasch andauernd dazu aufgefordert und ermahnt wurden, die nächste Stufe anzustreben, was natürlich zusätzliche Kosten für sie bedeutete.

Geldforderungen beschränkten sich bei anderen Scientologen nicht allein auf Kursangebote. Die Eltern von Dallas wurden beispielsweise laufend gedrängt, Geld zu spenden und Kurse zu buchen, selbst wenn sie bereits für die nächsten drei Kurse bezahlt hatten. Prominenten gegenüber wäre ein solches Vorgehen niemals geduldet worden. Und wenn Scientologen nach San Diego fuhren, um Spenden für irgendwelche Projekte der Church einzutreiben, dann suchten sie seine Eltern oft noch spätabends zu Hause auf und forderten einen Beitrag ein. Ein Prominenter wäre selbstverständlich niemals mit solchen Hausbesuchen belästigt worden.

Die Erfahrungen mit Scientology waren für Prominente daher letztlich völlig anders als die der meisten Scientologen. Ob den Promis das Ausmaß ihrer Sonderbehandlung wirklich bewusst war oder ob sie irgendeine Vorstellung davon hatten, wie das Leben der Sea Org-Mitglieder, die sie von vorne bis hinten bedienten, in Wahrheit aussah, blieb mir immer unklar.

Für die Show, die Scientology ihren Prominenten bot, stellte das Celebrity Center jedenfalls die perfekte Bühne dar. Der Komfort war exquisit, und die herrliche Anlage machte jeden Aufenthalt zu einem Genuss. Alles war streng überwacht und durcharrangiert, und solange die Prominenten nichts hinterfragten, sahen sie nur das, was man ihnen präsentierte, und erkannten nie, was hinter den Kulissen vor sich ging. Kinderarbeit oder andere Dinge, die die Kirche sie nicht sehen lassen wollte, blieben ihren Augen sicher verborgen. Die Sea Org-Mitglieder im Celebrity Center machten einen glücklichen Eindruck, da genau darin ihre Aufgabe bestand, und so erfuhren die Prominenten aus ihren Beobachtungen oder Gesprächen mit ihnen nie, ob sie ihre fünfundvierzig Dollar Lohn in dieser Woche überhaupt erhalten hatten oder ob sie ihre Familien vermissten.

Das Celebrity Center mit seinem Blendwerk war für die Kirche von entscheidender Bedeutung, wenn es darum ging, Prominente zu erreichen und zum Eintritt zu gewinnen. Einfach gesagt, funktionierte es ähnlich wie an anderen Orten, wo Leuten Kurse und Auditing-Sitzungen angeboten wurden, es konzentrierte sich bloß als Zielgruppe allein auf Prominente. Dabei musste nicht jeder unbedingt schon berühmt sein, sie interessierten sich auch für aufstrebende Künstler oder Prominente, die in Vergessenheit geraten waren und ihre Karriere wieder in Schwung bringen wollten. In einer Vielzahl von Grundsätzen zum Umgang mit Prominenten wurde ausgeführt, wie wichtig sie für eine gute PR der Kirche waren.

Letzten Endes machten all diese Faktoren das Center zu einem der schlagkräftigsten Rekrutierungsmittel, über das die Church verfügte. Hier wurde Prominenten die Möglichkeit geboten, sich mit gleichgesinnten Scientologen zu treffen und ihren Glauben abseits der Öffentlichkeit auszuüben. Damit entsprach es dem Anspruchsdenken vieler Prominenter und deren Wunsch nach Exklusivität. Aus diesem Grund suchten selbst Nicht-Scientologen das Center gelegentlich auf. Als meine Mutter noch beim Aufbau des Celebrity Center mitgearbeitet hatte, war ihr etwa Brad Pitt begegnet, weil er sich mit Juliette Lewis treffen wollte. Und bei anderen Gelegenheiten hörte ich, dass Leute wie Bono und Colin Farrell an Empfängen teilgenommen hatten, obwohl sie selbst keine Scientologen waren.

Als ich mich sonntags mit Dallas und dessen Mom zum Brunch traf, war das Restaurant nur schwach besucht. Die Einrichtung war in üppigem Renaissancestil gehalten. Wir saßen an einem Tisch im Garten. Gail, die Mutter von Dallas, war klein, nett und hatte ständig ein Lächeln auf den Lippen. Es war unübersehbar, wie sehr Dallas und sie sich mochten. Mir gegenüber verhielt sie sich überaus freundlich, obwohl ich sehr schüchtern war und nur wenig sagte.

Irgendwann im Verlauf der Unterhaltung fragte sie mich nach meinem Nachnamen und erfuhr, dass ich die Nichte von David Miscavige war. »Dann werd ich gut aufpassen, nichts Falsches zu tun, wenn du in der Nähe bist«, meinte sie amüsiert.

In den nächsten Monaten wurde die Sache mit Dallas immer ernster. Ich lernte den Rest seiner Familie kennen, die genauso nett wie er und seine Mutter war. Dallas wurde schon bald mein engster Vertrauter. Er war mein fester Freund, was bedeutete, dass ich ihn eines Tages heiraten könnte. Sonntagvormittags kamen uns manchmal seine Eltern besuchen und behandelten mich dann immer wie ein Mitglied der Familie. Wenn ich niedergeschlagen war, holte Dallas mich aus dem Tief. Ich konnte mit ihm über alles sprechen, genau wie er mit mir.

Eines Abends machte Dallas mir auf der Feuertreppe einen Heiratsantrag. Wir waren zwar erst zwei Monate zusammen, aber in der Sea Org kam es relativ häufig zu solch raschen Verlobungen. Ich hatte also schon auf einen baldigen Antrag gehofft, aber gerade an diesem Tag hatte ich in keinster Weise mit etwas Außergewöhnlichem gerechnet.

In der neonlichterhellten Nacht von Los Angeles sank Dallas auf der alten, an der Hausrückwand festgeschraubten Eisenleiter auf die Knie und zog einen Ring hervor. Wie immer, wenn er aufgeregt war, geriet er ins Stottern und Stocken. Zuerst sagte er, dass er meinen Vater zuvor nicht hatte fragen können, da er nicht wusste, wo er war. Und dann fragte er mich, ob ich ihn heiraten wolle.

Jeder so wichtige Satz dieses Gesprächs wurde untermalt von einer plärrenden Hupe, einer Sirene, brüllenden Stimmen oder einem Einkaufswagen, den ein Obdachloser ratternd vor sich herschob. Dabei mussten wir bereits ständig die laute Musik übertönen, die aus dem Pig ’n’ Whistle-Restaurant im Nebengebäude schallte. Aber all das kümmerte mich nicht, mir fiel es nicht einmal mehr auf. Ich schrie nur »Ja!« vor unbändiger Freude. Endlich würde ich meine eigene Familie haben.