Prolog
Sonnenstrahlen drangen durch die Wolken, als ich in der Reihe der Kinder stand, die darauf warteten, zwei wichtigen Personen der Church of Scientology zu begegnen. Ich wusste nicht genau, wie lange ich dort schon ausharrte, aber es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Als Siebenjährige fühlte sich beim Warten jede Minute wie eine Stunde an. Es standen noch mindestens zehn Kinder vor mir, also vertrieb ich mir mit meinen beiden Freundinnen die Zeit mit Singen und Abklatschspielen. Obwohl ich Spaß hatte, war ich vor allem ängstlich und nervös. Die beiden Besucher kamen aus dem internationalen Hauptquartier der Church in Hemet, Kalifornien, und sollten an den Klapptischen vor der Schule neue Mitglieder anwerben.
Ich stand zu weit hinten in der Schlange, um die genaue Erklärung zu hören, warum die beiden zur Ranch gekommen waren, dem scientologischen Internat, in dem ich mit etwa achtzig Kindern wohnte, deren Eltern führende Mitglieder der Church waren. Was auch immer ihr Grund sein mochte, ich konnte mir denken, dass es wichtig war, denn sonst hätten sie kaum den zwanzig Meilen langen Weg auf sich genommen, um mit uns persönlich zu sprechen. Sie wirkten beeindruckend und mächtig, denn sie trugen Anzüge, die wie Marineuniformen aussahen, komplett mit Kordeln und Streifen. Ich wusste, sie gehörten zur Sea Organization, der scientologischen Elitegruppe mit den verdientesten Mitgliedern. Meine Eltern waren Jahre zuvor, kurz vor meinem zweiten Geburtstag, selbst dieser Einheit beigetreten.
Ein paar Lieder später war ich an der Reihe, an den Tisch zu treten. Die Mienen der beiden Anwerber waren streng und einschüchternd. Eifrig bestrebt, die Anerkennung Erwachsener zu gewinnen, bemühte ich mich, zu lächeln und süß auszusehen. Als sie das nicht zu beeindrucken schien, setzte ich eine kluge, fragende Miene auf.
Einer der beiden reichte mir ein Blatt Papier mit dem Wappen der Sea Org, dem Wort REVENIMUS in der Kopfzeile und mit Linien für Datum und Unterschriften in der Fußzeile.
»Was heißt ›revenimus‹?«, erkundigte ich mich neugierig.
»Das ist Lateinisch und heißt ›Wir kommen wieder‹«, erklärte die Anwerberin. Sichtlich erfreut, eine mögliche Kandidatin zu belehren, erklärte sie mir weiter, dass dies das offizielle Motto der Sea Organization war.
»Wohin kommen wir denn wieder?«, fragte ich.
»Leben für Leben«, erklärte sie. »Du unterzeichnest hier einen Vertrag, der eine Milliarde Jahre gültig ist.«
»Ach so«, sagte ich und erkannte, wie dumm und unwissend meine Frage geklungen haben musste.
Als Scientologen glaubten wir daran, dass unsere Seele, wenn unser Körper starb, ein neues Leben in einem neuen Körper begann. Unser Gründer, L. Ron Hubbard, sagte, dass wir als Geister schon Millionen von Jahren gelebt hatten und noch weitere Millionen Jahre leben würden, mit oder ohne Körper. Das hatte ich geglaubt, seit ich denken konnte. An diesem Tag war ich mehr als bereit, mich für die Sache zu verpflichten, die meinen Eltern so am Herzen lag. Die Sea Org bedeutete ihnen so viel, dass sie mich mit sechs Jahren auf der Ranch untergebracht hatten, um ihre ganze Zeit der Mission der Kirche widmen zu können. Sie sahen mich ausschließlich an den Wochenenden, und das auch nur für ein paar Stunden. Von niemandem waren die Eltern hier, um mitzuerleben, wie wir der Sea Org Treue gelobten. Aber dieses Dokument zu unterschreiben, bedeutete, ihnen einen Schritt näher in der Sea Org zu kommen und sie möglicherweise häufiger zu sehen. »Wohin soll ich meinen Namen schreiben?«, fragte ich eifrig.
Die Frau zeigte auf eine Stelle, verlangte aber, dass ich zuerst den Text las. Die unvermeidliche Schlussklausel lautete:
»DAHER VERPFLICHTE ICH
MICH FÜR DIE NÄCHSTEN MILLIARDEN JAHRE DER SEA
ORGANIZATION
(laut Flag Order 323).«
Bevor ich unterschrieb, blitzten Bilder aus der Kleinen Meerjungfrau vor meinem inneren Auge auf, vor allem die, in denen Arielle das magische Abkommen mit der Meerhexe unterschreibt. Ich wusste, Verträge bedeuteten, dass ich mein Versprechen halten musste, also machte ich mir im Stillen Notizen über das, was ich versprach: dem Kodex folgen, die Sache voranbringen und eine Milliarde Jahre dienen.
Das schaffe ich, sagte ich mir. Und damit versuchte ich, meinen Namen in Schönschrift zu schreiben, mit der richtigen Verbindung der einzelnen Buchstaben, genau, wie ich es in der Schule gelernt hatte. Ich wollte, dass meine Unterschrift unter diesem wichtigen Dokument perfekt war, aber die Anwerber trieben mich zur Eile an, weil sie noch die Kinder hinter mir in der Schlange registrieren lassen mussten. Daher wurde meine Unterschrift nicht so schön wie erhofft.
Trotzdem hatte ich eine Gänsehaut, als ich mich vom Tisch abwandte. Nichts an dem Eine-Milliarden-Jahre-Vertrag wirkte auf mich befremdlich. Ich wusste, im Geiste waren meine Eltern bei mir, wo auch immer sie sein mochten. Mein Vertrag war derselbe, den sie unterzeichnet hatten, und zwar zum ersten Mal als Teenager. Außerdem hatte ich noch kein Verständnis für große Zahlen, weil ich so jung war. Für mich war eine Milliarde Jahre das Gleiche wie hundert Jahre – eine unvorstellbar lange Zeit. Wenn ich die nächste Milliarde Jahre mit meinen Eltern und Freunden zusammen sein wollte, musste ich einfach unterschreiben. Nacheinander setzten auch meine Freunde ihre Namen unter ihre Verträge – und verpflichteten sich zu einem Dienst, den keiner von uns wirklich begreifen konnte. Während ich auf der Straße zwischen dem Spielplatz und den weißen und rosafarbenen Oleanderbüschen stand, wusste ich weder um die wahre Bedeutung dessen, was ich gerade getan hatte, noch um die Erwartungen, die an mich gestellt werden würden. In der einen Minute hatte ich noch ein Liedchen geträllert, und in der nächsten hatte ich mich verpflichtet, meine Seele für eine Milliarde Jahre in den Dienst der Church of Scientology zu stellen. Was auch immer die Zukunft für mich vorgesehen hatte, eines war gewiss: Mein Leben gehörte nicht mehr mir.