KAPITEL 5
Das Leben eines Kadetten
Sechs Monate nach meiner Ankunft, als immer mehr neue Kinder kamen, wurde alles auf der Ranch reglementierter. Die meisten waren etwa in meinem Alter, obwohl es auch jüngere gab. Schon bald waren wir über achtzig Kinder. Da die größten Renovierungsarbeiten auf der Ranch abgeschlossen waren, kamen auch keine Erwachsenen von der Int mehr zu den Renos. Wir erhielten alle neue Uniformen – khakifarbene Hosen oder Shorts und rote T-Shirts mit dem Aufdruck The Ranch in weißen Buchstaben. Außerdem bekamen wir Pullover und Daunenjacken für den Winter und Jogginghosen für den Sportunterricht. Da Jungen und Mädchen sich nicht mehr ein Zimmer teilen durften, zog ich von Zimmer 12 in Zimmer 4, wo weitere sechs Mädchen untergebracht waren. Früher waren wir samstags gegen vier oder fünf Uhr abgeholt worden. Jetzt kamen die Eltern, oder in unserem Fall Rosemary, erst um neun oder zehn Uhr abends.
Diese neue Vorschrift war nicht gut, nahezu über Nacht änderte sich der Ton auf der Ranch. Früher, als nur wenige jüngere Kinder und viele ältere hier gewesen waren, hatten wir ziemlich viele Freiheiten gehabt, doch auf einmal wurde alles bis auf die Minute geplant. Innerhalb weniger Wochen genoss ich mein Leben dort nicht mehr, sondern ich hasste es regelrecht.
Es trafen auch weitere Erwachsene ein, darunter zwei neue Lehrerinnen: Melissa Bell, für uns Mr. Bell, eine furchterregende Kettenraucherin, und Mr. Cathy Mauro, eine freundliche Frau mit kurzen braunen Haaren und Brille.
Bei Scientology ist traditionelle Schulbildung nicht ausschlaggebend für Erfolg. Weder mein Vater noch meine Mutter hatten die Highschool abgeschlossen, dennoch waren sie in der Church beide geachtete Führungskräfte. Selbst Onkel Dave hatte mit sechzehn die Schule abgebrochen und war mittlerweile das Oberhaupt von Scientology. Dadurch hatte ich den Eindruck, ein Schulabbruch wäre irgendwie cool. Meine Mom klang jedes Mal stolz, wenn sie mir erzählte, wie es bei ihr in der Schule gewesen war und wie sie beschlossen hatte, dass die Sea Org wichtiger sei als die Highschool.
Jetzt wurden die Kinder in drei Gruppen aufgeteilt: Kinder, Precadets – Kinder vor dem Kadettenalter – und Kadetten. Die Kinder waren die Jüngsten auf der Ranch, sechs Jahre oder jünger. Die Precadets umfassten die Gruppe der Sieben- bis Neunjährigen und die Kadetten die der Neun- bis Sechzehnjährigen. Allerdings wurde nicht nur nach Alter eingeteilt, sondern auch nach dem Stand in schulischen und scientologischen Wissensgebieten. Es gab einige achtjährige Kadetten und auch zwölfjährige Precadets. Bei meiner Ankunft auf der Ranch war ich Precadet, aber als mein siebter Geburtstag nahte, wurde ich zum Kadetten befördert.
Eine meiner ersten Handlungen als Kadett war die Unterzeichnung des Eine-Milliarde-Jahre-Vertrags, mit dem ich mich für die Sea Org verpflichtete. Es war derselbe Vertrag, den auch erwachsene Mitglieder der Sea Org unterschreiben mussten, denn Kadetten wurden als Sea Org-Mitglieder in Ausbildung betrachtet und mussten sich daher genauso bindend verpflichten.
Zuerst wusste ich nicht viel über den Vertrag. Als ich klein war, hatte ich zwar hier und da etwas davon gehört, aber erst am Tag der Unterzeichnung wurde mir erklärt, worum genau es ging. Die Unterschrift gehörte zum Curriculum, nur so konnte man Sea Org-Mitglied werden und in den Genuss der Ausbildung kommen. Obwohl der Vertrag für eine Milliarde Jahre galt, zögerte ich nicht: Ich wurde zur Unterschrift aufgefordert, und es war meine Aufgabe, den Anweisungen zu folgen. Außerdem kann man sich mit sieben große Zahlen nur schwer vorstellen, ob es nun Tausend war oder eine Milliarde, ich hatte einfach kein Empfinden für einen solch gigantischen Zeitraum. Wir verpflichteten uns zwar für eine lange Zeit, aber das hatten unsere Eltern auch getan.
Am Tag der Unterzeichnung standen alle Kinder in einer Schlange vor den Tischen, auf denen die Verträge lagen. Nacheinander unterschrieben wir. Da ich eigentlich nichts anderes mit meinem Leben anfangen wollte, als Sea Org-Mitglied zu werden, wäre es albern gewesen, zu zögern und über Alternativen nachzudenken. Ich hätte nicht einmal gewusst, welche Möglichkeiten ich sonst noch hatte. Ich wollte nur mit meinen Eltern zusammen sein und jeden Tag mit ihnen arbeiten. Ich wusste, wenn ich die Kadettenschule absolvierte und ein vollwertiges Sea Org-Mitglied werden würde, wenn ich anständig und gehorsam wäre, dann würde ich eine Stelle auf der Int Base bekommen und meine Eltern häufiger als nur einmal pro Woche sehen. Das war für mich Grund genug, um meine Unterschrift unter den Vertrag zu setzen.
Mit der Umsetzung der neuen Reglementierung wurde die Ranch zur Cadet Organization – einem Internat für Kadetten – und ähnelte immer mehr einem militärischen Bootcamp mit zermürbenden Drillübungen, endlosen Appellen und harter körperlicher Arbeit, die keinem Kind zugemutet werden sollte. Von dem Moment an, wenn wir aufwachten, bis zu dem, wenn wir wieder ins Bett fielen, gab es kaum freie Zeit. Die einzige richtige Pause hatten wir nur samstagabends und sonntagmorgens, wenn wir unsere Eltern sahen. Zwischen Drillübungen, Hausarbeit, Diensten, Posten und Unterricht war alles bis auf die Minute geplant. Der Umstand, dass mein Onkel das Oberhaupt von Scientology war, schützte mich nicht und sprach mir auch keine Sonderbehandlung zu.
Tatsächlich begann zu diesem Zeitpunkt meine scientologische Indoktrinierung. Zuvor waren nur meine Eltern in der Sea Org gewesen, und mein Leben wurde durch ihre Stundenpläne und Dienste für die Kirche geprägt. Jetzt hatte ich meine eigenen Stundenpläne und Pflichten. Die Veränderungen gingen jedoch über das rein Organisatorische hinaus; mir wurde nun die Sichtweise der Sea Org eingeimpft. Die Indoktrinierung wurde gestützt durch die extreme Abschottung zur Außenwelt. Bis auf seltene Ausnahmen waren wir von Nicht-Scientologen und Andersgläubigen vollkommen isoliert. Wenn wir die Ranch verließen, ging es meistens zur ebenso isolierten Int Base, in der natürlich die erbittertsten Verfechter von Scientology lebten, darunter die Eltern von uns allen.
Selbst wenn es uns erlaubt gewesen wäre, Ausflüge zu unternehmen, hätte das auch nicht viel geändert. Denn nur wenige waren neugierig auf das Leben außerhalb unserer Grenzen, da man uns glauben machte, dort gäbe es nur dumme Menschen, Unwissende, die wir Wogs nannten, Well and Orderly Gentlemen – brave und rechtschaffene Bürger. Wir hatten gelernt, dass Wogs vollkommen unerleuchtet waren. Wenn wir erst einmal genug über Auditing und Scientology gelernt hätten, würde es unsere Aufgabe sein, sie zu clearen. Ansonsten sollten Wogs gemieden werden, da sie nicht im Geringsten wussten, was wirklich vorging. Dieses Unbewusstsein spiegelte sich in ihren banalen Prioritäten wider. Wogs stellten gerne viele Fragen. Man lehrte uns, dass sie unseren Lebensstil beunruhigend fanden, daher mussten wir darauf achten, ihnen gegenüber nur in Begriffen zu sprechen, die sie verstehen konnten.
Wenn man sich unangepasst verhielt oder Dinge ständig hinterfragte, wurde man mit Drohungen, Strafen und Demütigungen vor den Augen der gesamten Gruppe sanktioniert. Wenn man zu spät kam, bei einer Inspektion durchfiel oder sich unethisch verhielt, bekam man einen Eintrag, manchmal sogar mehrere am Tag. Eine Kopie dieses Eintrags erhielt man selbst, die andere kam in die persönliche Ethik-Akte. Jedes Kind hatte so eine Akte, die unter Verschluss im Cottage aufbewahrt wurde, damit nichts gefälscht werden konnte. Ein Master-at-Arms, kurz MAA, war für unsere Ethik-Akten verantwortlich, führte Inspektionen durch und sorgte dafür, dass wir uns in die Gruppe fügten. Um in der Ranch unseren Abschluss zu bekommen und zur Int Base zugelassen zu werden, mussten wir großartige Ethik- und Produktivitäts-Werte haben.
Praktisch alle Einträge, die wir bekamen, resultierten nicht aus Beobachtungen der Erwachsenen, sondern aus Meldungen anderer Kinder in der Gruppe. Es galt die Regel, dass wir uns melden sollten, falls wir etwas sahen, das als ›unethisch‹ galt, sonst waren wir Mittäter und bekamen dieselbe Strafe. Diese Maßnahme machte es schwierig für uns, irgendjemandem in der Gruppe zu vertrauen. LRH glaubte, der Erfolg einer Gruppe hinge davon ab, dass alle Mitglieder für die Durchsetzung eines Regelwerks sorgten und sich gegenseitig verantwortlich machten.
Einträge und Demütigungen waren wesentliche Maßnahmen, Kadetten jeden Alters zu Gehorsam und Mitarbeit zu zwingen. Es war erstaunlich, wie schnell selbst kleine Kinder sich diesem System fügten und sogar der eigenwilligste Achtjährige plötzlich anderen gefallen wollte. Zwar waren Teenager etwas widerständiger, doch wenn sie vor der Gruppe entsprechend gedemütigt und bestraft wurden, beugten auch sie sich ziemlich schnell.
Wenn ich einen Eintrag bekam, legte sich die Angst immer wie eine Last auf meine Brust. Normalerweise bekam ich den Eintrag, wenn jemand wegen irgendetwas wütend auf mich war und mich deswegen anschwärzen wollte, doch ganz gleich, wie berechtigt oder unberechtigt der Eintrag war, überlegte ich es mir danach immer zweimal, ob ich etwas sagte oder tat, das irgendwie Ärger hervorrufen könnte.
Diese Strafen schufen einen Sinn für Ordnung, der sehr wichtig für das Leben auf der Ranch war, denn bei fast allem, was man tat, ging es um die Gruppe, ob man nun sieben war oder siebzehn.
Jeden Morgen läutete der Wecker um halb sieben. Kaum war einer von uns aus dem Bett, ging er auf den Hof und brüllte: »Weckzeit«. Bis sieben mussten wir fertig sein und unsere Zimmer in Ordnung gebracht haben. Dazu mussten wir uns um die Wäsche kümmern, fegen und den Müll sammeln. Meine Aufgabe war es, das Bad zu putzen. Außerdem mussten wir unsere Uniformen für die tägliche Inspektion in Ordnung bringen, also die Schuhe polieren, unsere Hemden in die Hosen stecken und einen Pullover darüberziehen, falls sie Löcher hatten.
Um sieben Uhr war der Appell, zu dem alle Gruppen antreten mussten. Die Kadetten hatten eine etwas andere Struktur als die Gruppe der Kinder und Precadets. Einer von uns war der Commanding Officer, kurz CO. Der Rest wurde in bis zu sieben unterschiedliche Divisionen aufgeteilt, die vom Division Head angeführt wurden. Jede Division hatte drei Departments und ihre speziellen Pflichten. Ich gehörte zu Division 5.
Beim Morgenappell war der Div Head für jedes Mitglied seiner Division verantwortlich. Der Commanding Officer befahl uns, in Habachtstellung zu treten, dann erstattete der Master-at-Arms, ebenfalls ein Kind, förmlich und militärisch knapp Bericht. Jeder Division Head musste mit einem Salut die Vollständigkeit seiner Division bekunden.
»Div Eins, alle anwesend und geprüft!«, begann die Anwesenheitsüberprüfung, und so ging es für jede Einheit weiter. Den ganzen Tag, vor allem aber beim Morgenappell, waren Verspätungen unakzeptabel, und jeder Vorfall wurde gemeldet. Verspätungen waren nicht nur peinlich, sondern wurden geahndet. Die Strafen reichten von einfachen Einträgen bis zu öffentlichen Demütigungen, bei denen einem ein Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf geschüttet wurde.
Nach etwa zwei Minuten waren die Anwesenheitsprüfungen vorbei, und wir bekamen das Kommando: »Gesicht nach links!« Dann drehten wir uns alle nach links, damit unser Div Head die Reihe abschreiten und unsere Uniformen überprüfen konnte. Hygiene war ein wichtiger Punkt, daher gab es stichprobenartige Überprüfungen unseres Atems und unserer Armbeugen. Auch unsere Haare wurden auf Läuse untersucht.
Danach kam das Kommando: »Gesicht nach rechts!«, sodass wir uns wieder nach vorne drehen konnten. Wir wurden aufgefordert, die Hand zu heben, wenn wir bei der Inspektion durchgefallen waren. Auch dafür gab es einen Eintrag in unsere Ethik-Akte.
Auf unsere persönliche Inspektion folgte die der Unterkünfte. Wenn man einmal dabei durchfiel, bekam man einen Eintrag. Je öfter man durchfiel, desto schlimmer wurden die Strafen, zum Beispiel musste man vor dem Schlafengehen das Quartier so gründlich reinigen, dass jemand mit einem weißen Handschuh über alle Oberflächen fahren konnte, ohne dass er schmutzig wurde. Im schlimmsten Fall musste man in den sogenannten Schweinestall. Das bedeutete, dass man auf einer alten Matratze im verfallenen Big House schlafen musste, wo es Fledermäuse gab. Ich kam nie in den Schweinestall, aber meine Freundin erzählte mir in allen schrecklichen Einzelheiten, wie unzählige Fledermäuse ihr um den Kopf geschwirrt wären und so gruselig gekreischt hätten, dass sie die ganze Nacht kein Auge zugetan hätte. Ich stand mit den Kindern aus meinem Zimmer, das jetzt Zimmer 9 war, sogar täglich eine Viertelstunde früher auf, um mehr Zeit zum Putzen zu haben, damit wir niemals im Schweinestall landeten.
Nachdem alle Inspektionen beendet waren, kam die Chinesenschule. Chinesenschule hieß Nachsprechen: Wir mussten alles genau so wiederholen, wie wir es gehört hatten. L. Ron Hubbard hatte den Begriff Chinesenschule gewählt, weil er den Unterricht der Chinesen beobachtet hatte und beeindruckt gewesen war, wie gut dort die Schüler dem Lehrer folgten.
In LRHs Version der Chinesenschule wurden Zitate von ihm in großen Buchstaben auf Papier geschrieben, sodass wir sie alle lesen konnten, wenn sie vor uns in die Höhe gehalten wurden. Jemand rief laut einen Teil des Zitats und sagte dann: »Was ist das?« Dann sprachen wir das Zitat mehrfach einstimmig, laut und deutlich nach, am Ende auswendig, ohne einen Blick auf das Blatt Papier zu werfen. Eine besondere Lektion galt dem Backflashing. Backflashes war der scientologische Begriff für Widerworte. »Backflashes sind unnötige Antworten auf einen Befehl …« Diesen Grundsatz wiederholten wir so lange, bis jeder ihn fehlerfrei aufsagen konnte.
Die Eintönigkeit war überwältigend, hatte aber den gewünschten Effekt. Oft war es schon schwer genug, darüber nachzudenken, was diese Parolen eigentlich bedeuteten, damit man sie korrekt rezitieren konnte. Noch schwerer war es, sie in Frage zu stellen. Die Zitate von LRH wurden häufig ausgetauscht, sodass wir viele von ihnen auswendig lernten. Der ganze Prozess sollte dafür sorgen, dass uns die Grundsätze in Fleisch und Blut übergingen. Rückblickend ging es jedoch eher darum uns einzubläuen, nichts zu hinterfragen, nicht eigenständig zu denken, sondern alles ohne jeden Zweifel zu akzeptieren. Wir waren so jung, dass wir alles wie ein Schwamm aufsaugten, und so naiv, dass wir nicht wussten, wie problematisch es ist, alles zu glauben, was einem beigebracht wird.
Manchmal wagten es ältere Kinder, die Autoritäten in Frage zu stellen. Wie viele andere Kadetten konnte ich nicht begreifen, warum sie nicht einfach dem Kodex folgten. Sie forderten Ärger geradezu heraus und mussten dann vortreten und die Konsequenzen erdulden. Jedes Mal, wenn es geschah, musste ich zusehen, wie sie bestraft wurden.
Der Morgenappell endete nach der Chinesenschule, und danach begann der nächste Abschnitt – die Posten –, der bis zum Frühstück dauerte. Alle Kinder hatten, ganz gleich, wie alt sie waren, Posten, die manchmal gewechselt oder dem Alter angepasst wurden. Als ich mit sechs Jahren Kadett wurde, bekam ich den Posten des Platzwarts, der dafür zuständig war, einen bestimmten Bereich auf Vordermann zu bringen und in Ordnung zu halten. Dazu war körperliche Arbeit gefragt, aber nicht alle Posten erforderten das. Bei manchen musste man der Gruppe auf andere Weise helfen. Nach ein paar Monaten wurde ich Medical Liaison Officer – medizinischer Verbindungsoffizier, kurz MLO –, obwohl ich erst sieben war. Dazu musste ich zu jedem Kind auf der Ranch gehen und eine Krankenliste zusammenstellen. Ich musste jeden Einzelnen fragen, ob er irgendwelche Krankheiten hatte. Das konnte alles Mögliche sein, von Erkältung bis zu Ausschlägen, von trockener Haut bis zu Fußpilz.
Alle Informationen schrieb ich auf. Dann versuchte ich, die Krankheiten zu behandeln. Ein Erwachsener von der Ranch hatte mir ein paar grundlegende Dinge beigebracht, zum Beispiel darüber, welche Creme gegen trockene Haut und welche gegen Fußpilz war.
Zusätzlich dazu musste ich Vitamine verteilen. Es war meine Aufgabe, für jedes Kind individuelle Vitaminmischungen zusammenzustellen. Da ich bereits sehr gut lesen konnte, lernte ich die Beschaffenheit und Wirkung vieler verschiedener Vitamine. Das klingt vielleicht kompliziert, aber im Grunde war es wesentlich einfacher zu verstehen als einige andere Schriften, die wir für Scientology lesen sollten. Ich kannte die Wirkung aller Vitamine und wusste, dass manche, wie zum Beispiel Vitamin A, überdosiert werden konnten. Außerdem wusste ich, dass es ein gewisses Gleichgewicht bei den Vitaminen gab, war mir aber nie sicher, wie ich das erreichen sollte. Deshalb war ich vorsichtig und gab allen nur jeweils eine Tablette jedes Vitamins. Die Kombinationen, die ich zusammenstellte, bestanden normalerweise aus Vitamin A, D, B, C und E, dazu kam Knoblauch. Bei den Spurenelementen folgte ich einfach den Anweisungen auf dem Röhrchen. Jemand mit Erkältung bekam Zink, Alfalfa, Kanadische Gelbwurzel, extra Knoblauch und Echinacea. Vor dem Frühstück schüttete ich zusätzlich Vitamin C-Brause in den Orangensaft und träufelte flüssige Spurenelemente in jeden Becher.
Außerdem musste ich einen besonderen Trank namens Cal-Mag anrühren, den alle vor dem Schlafengehen zu sich nahmen. Der von LRH erfundene Trank bestand aus Calcium, Magnesium, Apfelessig und kochendem Wasser, das danach abkühlen musste. Er sollte zur inneren Reinigung dienen. Allerdings kannte ich noch nicht den Unterschied zwischen einem Ess- und einem Teelöffel und gab daher oft fälschlicherweise einen Esslöffel statt eines Teelöffels Magnesium hinzu, worauf dieses ohnehin schon schrecklich schmeckende Gebräu trüb wurde und genau wie schmutzige Füße schmeckte. Außerdem war es während der Mahlzeiten meine Aufgabe, allen, die sich in Quarantäne befanden, das Essen zu bringen.
Wenn jemand sich geschnitten hatte, reinigte ich die Wunde mit Wasserstoff-Peroxyd und klebte ein Pflaster darauf. Wenn es heiß war, sorgte ich dafür, dass alle Kinder genug Salz, Kalium und Zellsalz bekamen. Klagte jemand über Kopfschmerzen, Fieber oder andere Schmerzen, gab ich ihm normalerweise ein Assist. Assists waren von LRH entwickelte Sonderbehandlungen, die ich schon in der Tagesstätte in L. A. gelernt hatte. Sie sollten den Menschen helfen, mit ihren Körpern besser Verbindung aufnehmen zu können. Zusätzlich zu den Touch Assists, die ich schon aus der Tagesstätte kannte, gab es auch das Nerve Assist, das aus einer leichten Massage bestand. Es gab viele ähnliche Assists, die den Menschen bei allen möglichen Krankheiten helfen sollten: von Erkältung und Fieber über Zahnschmerzen bis hin zu psychisch bedingten Störungen wie Albträumen. Auf meinem Posten als Medical Liaison setzte ich so viele wie möglich ein.
Die Assists gründeten auf dem scientologischen Prinzip, dass der Thetan Körper und Verstand kontrollierte. Es gab verschiedene Vorgehensweisen, zum Beispiel die, ein Kind immer wieder von seinem Albtraum erzählen zu lassen, bis es sich davon gelöst hatte. Es herrschte auch die Überzeugung, dass man Erkältungen bekam, wenn man einen Verlust erlitten hatte, daher fragte ich: »Erzähl mir, was du in letzter Zeit nicht verloren hast.« Das gehörte zum Erkältungs-Assist, damit sollte man denjenigen an das erinnern, was er noch hatte. Es gab ein riesiges Handbuch über Assists, die von Zahnschmerzen bis hin zu erhöhter Temperatur alles behandeln sollten.
Wenn ich aber den Eindruck hatte, dass jemand ernsthaft krank war, sagte ich einem Erwachsenen Bescheid, und der besuchte den Kranken dann in der Quarantäne, um zu sehen, was los war. In meiner ganzen Zeit auf der Ranch musste ich niemals zum Arzt. Nur einmal begleitete ich eine Freundin, deren Wunde genäht werden musste und die beim Anblick von Blut ohnmächtig wurde. Und mindestens einmal bestellte man eine Krankenschwester auf die Ranch, die uns alle gegen Masern, Mumps und Röteln impfte.
Eine goldene Regel gab es, und die besagte, dass man niemals Tabletten gegen Schmerzen oder Fieber nahm. Solche Arzneimittel waren verpönt, es gab sie einfach nicht. Antibiotika hingegen waren in Ordnung, aber dazu musste man zu einem echten Arzt gehen, was ziemlich selten vorkam. Es gab Zeiten, da hatte ich so hohes Fieber, dass ich fast ohnmächtig wurde und mich sogar übergab, aber mir wurde einfach befohlen, viel zu trinken und mich auszuruhen. Doch als Kind war ich nicht verantwortungsvoll genug, um dieser Aufforderung zu folgen. Einmal versuchte ich es sogar mit Sport, weil mein Bruder meinte, das wäre das Beste gegen Krankheiten. Ich habe keine Ahnung, ob meine Eltern informiert wurden, wenn ich krank war, hörte aber nie von ihnen und konnte es ihnen höchstens am Sonntag erzählen. Doch die meiste Zeit blieb ich gesund. Nach und nach wurde ich ein ziemlich erfahrener und routinierter MLO. Rückblickend aber kann ich kaum begreifen, wie man einer Siebenjährigen eine derartige Aufgabe übertragen konnte. Ich will gar nicht daran denken, was hätte geschehen können, wenn ein Kind ernsthaft krank geworden wäre und ich die Gefahr unterschätzt hätte. Damals fühlte ich mich weder unqualifiziert noch überfordert, denn ich kannte es nicht anders. Anscheinend sagte man mir, wie man Kinder medizinisch versorgte, und ich folgte so gut wie möglich den Anweisungen.
Der Dienst als MLO war mir am liebsten, denn es gefiel mir, Kinder zu verarzten und dafür zu sorgen, dass es ihnen besser ging. Die Erwachsenen sagten mir, dass es für jedes medizinische Problem eine einfache, klare Lösung gebe. In vielerlei Hinsicht behandelten sie Krankheit genauso wie Hunger oder den Mangel an Toilettenpapier – es war einfach ein Hindernis auf der Reise zum vollwertigen Sea Org-Mitglied. Die Lösung bestand darin, sich an diejenigen zu wenden, die das Essen machten, Toilettenpapier besorgten oder die, in meinem Fall, den Kindern der Ranch halfen, gesünder zu leben.
Frühstück gab es um halb neun. Wir saßen an zugewiesenen Plätzen, und jeder Tisch hatte einen Mess President, den Vorsitzenden, und einen Treasurer, den Schatzmeister, der ab und zu Geld einsammelte, um Extras wie Honig oder Marmelade zu besorgen. Sie waren in der Kantine erhältlich, und wir konnten sie einzeln oder als Tischgruppe kaufen. Da Zucker auf der Ranch verboten war, waren das Leckereien, die immer schnell aufgegessen wurden. Um neun endete das Frühstück, und das große Aufräumen und Spülen begann. Jeder von uns hatte seine Aufgabe. Einige Kinder spülten, andere fegten und putzten den Saal, wieder andere räumten die Tische ab.
Um Viertel nach neun begannen mit dem zweiten Appell die Decks, körperlich schwere Arbeiten. Sie dauerten bis Viertel vor eins, also dreieinhalb Stunden, und es gab sie täglich, von Montag bis Freitag. Zusammengenommen waren es bis zu fünfundzwanzig Stunden Decks-Zeit, aber wenn man die Zeit unserer Morgenposten dazurechnete und die Samstage, die wir damit verbrachten, die gesamte Ranch auf Hochglanz zu bringen, kamen wir auf eine wöchentliche Gesamtarbeitszeit von über fünfunddreißig Stunden: ein Vollzeitjob also, obwohl wir Kinder oder Teenager waren.
Während wir auf unseren Posten individuelle Aufgaben hatten, die sich so gut wie nie änderten, arbeiteten wir bei den Decks in kleinen Gruppen an ständig wechselnden Projekten. Wir wurden nach Anzahl der Projekte, die es an einem Tag gab, zu Einheiten aufgeteilt und arbeiteten in der Einheit. Jeder musste mitmachen, ganz gleich, wie alt er war.
Jede Einheit hatte einen Verantwortlichen, der eine Liste bekam, auf der genau beschrieben war, worin das Projekt bestand, wie lange es dauern sollte und welches Werkzeug man dazu brauchte. Es gab Projekte, die Spaß machten, wie zum Beispiel Wäsche waschen oder den Swimmingpool reinigen – was normalerweise nur einer machte –, und andere, die mühsamer waren, wie zum Beispiel Feldsteine wegräumen, Bäume und andere Pflanzen setzen, Bewässerungsgräben ausheben und trockenes Gras und Holz einsammeln, um die Brandgefahr einzudämmen.
Häufig waren es Gartenarbeiten. Dann verbrachten wir endlose Stunden mit Graben und Pflanzen, hoben mit einem Spaten große Löcher für die unzähligen Bäume in der Baumschule aus, manchmal sogar bei strömendem Regen und Hagel. Mit der Gruppe schleppten wir Hunderte von Bäumen über das Grundstück, pflanzten sie ein und sorgten dafür, dass sie anständig gedüngt wurden. An unzähligen Tagen bepflanzten wir die Hügel mit einem Bodendecker namens Eiskraut. Wir hackten Unkraut und bewässerten einen Hügel, legten Sackleinen darauf, und dann grub ein Kind große Löcher mit einer Spitzhacke, während ein anderes die Pflanzen in die Löcher setzte.
Ein anderes Kräfte zehrendes Projekt war das Sammeln von Steinen zum Bauen von Mauern. Dazu holten wir Steine aus einem nahe gelegenen Bach und legten sie auf einen Haufen, während eine andere Gruppe sie auf eine Schubkarre lud und sie zur neuesten Baustelle brachte. Sobald die Steine an Ort und Stelle waren, zogen wieder andere Kinder Säcke mit Zement um die Steine, damit ältere, erfahrenere Kinder mit dem Zement die Steine der Mauer sichern konnten.
Da die Gebäude auf der Ranch alle alt waren, musste man bei der Renovierung Berge von Dachpappe mit der Hand oder einer Schaufel in Schubkarren verfrachten und sie von der Baustelle zu einer riesigen, etwa eine Viertelmeile entfernten Grube transportieren, wo sie vergraben wurden. Die Pappe selbst war brüchig, etwa zwei Zentimeter dick und zerbröselte wie Zement, wenn man sie auf einen Fels schlug. Sie hatte einen bräunlich-rötlichen Farbton. Mindestens einmal wurde uns gesagt, dass jemand die Ranch inspizieren würde, woraufhin wir in aller Eile den riesigen Berg an Dachpappe verstecken mussten. Das war zwar etwas seltsam, aber wir taten es.
Wenn wir nicht Bäume pflanzten, Steinmauern errichteten oder Schutt wegräumten, mussten wir uns häufig um das Unkraut auf der Ranch kümmern, um die Buschfeuer einzudämmen. Das ausgedörrte Wüstenland rund um die Ranch war mit Sträuchern bewachsen, die in den trockenen Sommermonaten leicht Feuer fingen. Also mussten wir sie mehrere Meilen an der Schotterpiste entlang an der Wurzel herausziehen. Ganz gleich, wie heiß es war – und die Temperaturen stiegen häufig fast auf vierzig Grad –, die älteren Mädchen durften weder ärmellose T-Shirts noch Sportbustiers tragen, weil es zu gewagt war – verwirrend, denn die Jungen durften ihre Hemden ausziehen. Uns wurde immer gesagt, wir müssten Handschuhe anziehen, doch wir bekamen keine, zumindest ich nicht, daher hatte ich vom Halten der Hacke wie viele andere dicke, schwielige Haut zwischen Daumen und Zeigefinger.
Wegen der Hitze gab es normalerweise kaltes Wasser sowie die Salz- und Kaliumtabletten, damit wir nicht dehydrierten. Da keiner wusste, wie viel wir davon nehmen sollten, gab es auch Kinder, die vier bis fünf davon schluckten. Ich jedenfalls wusste nicht, wie viele wir nehmen sollten. Also schluckten wir sie einfach, weil wir gehört hatten, damit würden wir nicht überhitzen. Wir durften auch mal fünf Minuten Pause machen, aber nicht besonders oft.
Uns wurde gesagt, diese Arbeit sei einfach der Ausgleich dafür, dass wir auf der Ranch wohnen dürften. Es war unsere Gelegenheit, unseren Lebensunterhalt zu verdienen, anstatt alles ohne Gegenleistung in Anspruch zu nehmen. Das war wichtig, denn wie Scientology uns lehrte, schützten uns unsere Supervisoren damit, kriminell zu werden. Nur Kriminelle nahmen etwas ohne Gegenleistung in Anspruch. Außerdem war diese schwere körperliche Arbeit eine Übung dafür, Arbeitsethos zu entwickeln, schwierige Situationen zu meistern und sich der MEST-Dynamik zu stellen. MEST stand für Matter, Energy, Space und Time – Materie, Energie, Raum und Zeit –, für alles Physische also, im Gegensatz zum Nicht-Physischen, Spirituellen wie Thetanen, Gedanken und Absichten. Wenn wir körperliche Arbeit verrichteten, würde uns das eines Tages zu besseren Scientologen machen.
Während der Decks gingen häufig Erwachsene von Projekt zu Projekt, um zu sehen, wie wir zurechtkamen. Manchmal halfen sie uns auch, aber grundsätzlich wurden die Arbeiten von Kindern durchgeführt und überwacht. Die Erwachsenen trieben uns eher an, härter, schneller und gründlicher zu arbeiten. Wir handhabten und kontrollierten MEST auf unsere Art. Sich dieser Dynamik mit körperlicher Arbeit zu stellen, wurde als therapeutisch angesehen und half dem Clearing unserer Gedanken, obwohl die Projekte und Aufgaben oft unglaublich anstrengend waren.
Während meiner Zeit auf der Ranch trat nur sehr selten jemand vor und sagte, die Arbeit wäre zu viel oder zu anstrengend. Wahrscheinlich, weil die Erwachsenen das anders sahen. Schließlich hatten sie die Projekte entworfen und entschieden darüber, ob wir unsere Aufgaben zufriedenstellend gelöst hatten. Wenn nicht, mussten wir das manchmal während der Mittagspause nachholen. Ein Projekt war erst beendet, wenn ein Erwachsener oder ein dazu ernanntes Kind es begutachtete und absegnete.
Am Ende erledigten wir entweder gehorsam unsere Aufgabe oder wurden zu einem Erwachsenen geschickt. Geschah Letzteres häufiger, konnten wir in der HMU enden, der Heavy MEST Work Unit, wo die schwersten Arbeiten verrichtet wurden. Diese Einheit war für diejenigen gedacht, die wiederholt Regeln brachen oder Widerworte gaben. Wirklich schwere Arbeiten wie Gräben ausheben waren für diese Gruppe reserviert. Sie musste auch getrennt von den anderen essen und lernen, und man durfte mit keinem von ihnen sprechen.
Zwar schienen unsere Aufpasser nichts dabei zu finden, dass Kinder solche Arbeiten verrichten mussten, wohl aber Fachkräfte von außerhalb, mit denen wir manchmal in Kontakt kamen. Normalerweise wurden sie für anspruchsvollere Arbeiten auf der Ranch angeheuert, wie zum Beispiel das Anlegen einer Asphaltstraße. Das kam zwar nicht oft vor, aber wenn, dann hegte ich immer die leise Hoffnung, sie würden sich dafür einsetzen, dass unsere Arbeitsschichten um Stunden oder gar Tage verringert wurden. Meistens versuchten unsere Supervisoren, uns von diesen Wogs fernzuhalten, doch einmal beschwerten sich tatsächlich ein paar Bauarbeiter, als sie sahen, dass zwei Kinder eine Bahnschwelle schleppten, weil sie meinten, sie wären zu klein dafür. Sie wussten nicht, dass Bahnschwellen auf dem gesamten Besitz als Wegbegrenzung oder Pflanzgefäße eingesetzt und immer von jeweils zwei Kindern getragen wurden. Nach der Beschwerde durften wir nicht mehr in der Nähe von Außenstehenden arbeiten.
Natürlich fiel uns die Arbeit immer leichter, je älter und stärker wir wurden. Manche Kinder wie mein Bruder schienen keinerlei Probleme bei den Decks zu haben. Normalerweise zog Justin mich auf oder nannte mich Schlappschwanz, wenn ich über Müdigkeit klagte oder ging, anstatt zu rennen. Der Unterschied bestand eben darin, dass ich ein siebenjähriges Mädchen war und er ein fünfzehnjähriger Junge.
Ich hasste die Arbeit. Ständig hatte ich Muskelkater, meine Hände waren extrem aufgeschürft, und normalerweise war mir entweder zu heiß oder eiskalt, da wir bei jeder Temperatur draußen arbeiteten. Oft mussten wir im Winter noch mit Shorts arbeiten, weil es einfach kein Geld für neue Uniformen gab und wir als Kinder schnell wuchsen. Es galt die Regel, dass man während der Decks immer rennen musste, und wenn ich beim Gehen erwischt wurde, hieß es: »Los, Jenna, renn!«, oder »An die Arbeit, Jenna!« Das hörte ich von Erwachsenen und Kindern gleichermaßen. Wenn wir widersprachen, uns langsam bewegten oder die Arbeit verweigerten, was fast nie vorkam, hieß es, wir sollten mit dem Theater aufhören, und wir bekamen einen Eintrag.
Die Arbeit selbst schien niemals enden zu wollen. Sobald wir ein Projekt beendet hatten, wartete am nächsten Tag schon ein neues auf uns. Es war, als müssten wir jeden Tag einen Felsbrocken den Hügel hinaufrollen und wüssten nur zu gut, dass am nächsten Tag ein neuer Brocken auf uns wartete. Wir verwandelten die Ranch in einen wunderschönen Ort, aber für wen eigentlich? Ich jedenfalls hatte kein Auge mehr für die Schönheit und sehnte mich zurück nach den Tagen, als die Ranch noch heruntergekommen war und ich die Zeit dort genießen konnte.
Bis heute weiß ich nicht, ob es bei diesen Projekten darum ging, uns als kostenlose Arbeitskräfte einzusetzen, uns vor Ärger zu schützen oder uns zu besseren Scientologen zu machen. Höchstwahrscheinlich war es eine Mischung aus allem. Am Ende waren wir jedenfalls eine Gruppe Kinder, die täglich Stunden damit verbrachte, viel zu anstrengende körperliche Arbeit zu leisten.
Wir bekamen Schwielen und Blasen. Wir hatten Schnitte und Blutergüsse. Unsere Hände wurden gefühllos, wenn wir sie auf der Suche nach Steinen in das eiskalte Wasser des Bachs tauchten. Wenn wir Sträucher aus der verdorrten Erde zogen, brannten unsere Hände wegen der Reibung und der Nesseln. Unsere Arbeitsbedingungen wären schon für einen erwachsenen Mann hart gewesen, doch jede Klage, jeder Widerspruch, jede Form von Hinterfragung zog sofort disziplinarische Maßnahmen nach sich.
Ganz gleich, wie verhärtet die Erwachsenen waren, die all das von uns verlangten, es war vor allem ihr Glaube an Scientology, der sie so handeln ließ. In den Augen von Scientologen waren wir keine Kinder, sondern Thetanen, genau wie Erwachsene, und damit in der Lage, die gleiche Verantwortung wie sie zu übernehmen. Der einzige Unterschied bestand darin, dass unsere Körper jünger waren. Nicht wir waren jünger, nur unsere Körper. Also war die Tatsache, dass wir noch Kinder waren, irrelevant. Ich wusste, das war das Prinzip, also meinte ich, irgendwas stimmte nicht mit mir, wenn ich das Gefühl hatte, die Arbeit wäre zu schwer oder zu viel. Ich zog den falschen Schluss, dass ich mich einfach nur abhärten müsste.
Meine Unsicherheit wurde durch die Erwachsenen und die anderen Kinder um mich herum nur größer, weil ich ständig als Schlappschwanz bezeichnet wurde, dem ein bisschen Abhärtung gut täte.
Wenn ich mich rückblickend frage, warum ich mich nicht dagegen aufgelehnt habe, kann ich nur sagen, dass mein Leben dann noch schwerer geworden wäre. Wer die Regeln nicht befolgte, wurde von der Gruppe getrennt und gezwungen, seinen Fehler wiedergutzumachen. Er hatte keine Freizeit mehr und durfte an Feiern und besonderen Veranstaltungen nicht teilnehmen. Wenn man die Regeln nicht befolgte, wurde man unweigerlich dazu gebracht, sich wieder nach ihnen zu richten. Also war das kein Ausweg. Ungehorsam hätte es mir nur schwerer gemacht, voranzukommen und die Ranch zu verlassen.