KAPITEL 4
Die Ranch
Es war eine lange Fahrt zur Ranch. Zuerst plapperten B. J. und ich aufgeregt, aber nach einer Weile fingen wir an, uns zu langweilen. Ich nickte kurz ein und schrak auf, als mein Kopf gegen das Fenster schlug, weil der Wagen über einen Buckel auf der gewundenen Schotterstraße gefahren war, in die wir eingebogen waren. Es war Frühling, März 1989, und alles um mich herum war üppig und grün. Irgendwann überquerten wir eine Brücke über einen sehr breiten Fluss und kamen zu einem wunderschönen Eichenhain. Jede Biegung der Straße bot uns eine neue schöne Aussicht.
So schwer es auch für mich war, Pat nicht mehr bei mir zu haben, vor Aufregung, nur zwanzig Meilen entfernt von meinen Eltern zu wohnen, verschwanden vorübergehend alle Gedanken an sie. Manchmal hatte ich mich gefragt, wie es wohl auf der Ranch wäre, hatte aber im Grunde keine Ahnung gehabt. Wenn mein Bruder uns besuchte und ich etwas von ihm erfahren wollte, zog er mich immer auf, und am Ende war ich so schlau wie zuvor. Ich wusste zwar nicht, ob ich meine Eltern jetzt wirklich öfter sehen würde, hoffte es aber. Trotz der Ungewissheit war der Umstand, ihnen näher zu sein, es wert, auf der Ranch zu leben.
Tröstlich war auch, dass zumindest Rosemary ein paar Tage bleiben würde, um uns beim Einleben zu helfen. Als wir vor einem alten Holztor landeten, verkündete uns Rosemary triumphierend, wir wären da, worauf B. J. und ich jubelten. Sie drückte auf einen Knopf der am Tor angebrachten Sprechanlage.
»Hallo, ich bringe Jenna Miscavige und Benjamin Rinder«, meldete sie, als jemand nach ihrem Anliegen fragte. Daraufhin schwang das Tor auf, und wir folgten der Schotterstraße um einen Hügel und fuhren dabei an ein paar Nebengebäuden vorbei. Schon bald hielt Rosemary vor einem niedrigen, heruntergekommenen Gebäude, wo sich ältere Kinder in Uniform – hellblaue Hemden und dunkelblaue Shorts – tummelten. Als ich ausstieg, fiel mein erster Blick auf Justin, der mich breit angrinste. Er umarmte mich verlegen, wie Brüder das mit ihren kleinen Schwestern tun, denn er freute sich zwar, musste aber vor seinen Freunden cool bleiben.
Taryn wartete auch auf uns. B. J. war kaum ausgestiegen, als sie zu ihm stürzte und ihn fest in die Arme nahm. B. J., der nie die Ruhe verlor, ließ es stoisch über sich ergehen. »Komm her, Schwesterchen«, sagte Taryn und schloss mich ebenso fest in ihre Arme.
Ein paar ältere Kinder, darunter mein Bruder, holten unsere Sachen aus dem Kofferraum und brachten uns zu einer Ansammlung von Gebäuden, die Motels genannt wurden. Wir folgten den Kindern auf einen offenen Hof mit großen Birken in der Mitte. Um den Hof herum sah man dreizehn Wege, die zu Zimmern mit eigenem Eingang führten.
B. J. und ich kamen in Zimmer 12. Offenbar war es für uns ausgesucht worden, weil die Renovierung fast abgeschlossen war. Es war ziemlich groß, etwa zwanzig Quadratmeter, und hatte zwei kleine Fenster nach hinten hinaus. Zwar gab es schon Teppichboden, aber ansonsten nichts.
Während ich noch dastand und mich fragte, ob das wirklich ein Schlafzimmer war, rief jemand hinter mir laut: »Achtung!« Dann kamen zwei ältere Jungen mit einem großen Bettgestell durch die Tür, gefolgt von zwei älteren Mädchen, die eine Matratze trugen. Das wiederholte sich, bis drei Doppelbetten komplett aufgebaut waren, während wir nur dastanden und zusahen.
Zimmer 12 war durch ein Bad und eine Toilette mit Zimmer 11 verbunden. In Zimmer 11 gab es keinen Teppich, sondern nur eine Einzelmatratze auf nacktem Betonboden. Jemand, der dort geschlafen hatte, setzte sich plötzlich auf, und ich erkannte, dass es Teddy, der Freund meines Bruders war, für den ich immer geschwärmt hatte. Teddy erklärte, er sei krank und habe Fieber, und Zimmer 11 sei der Quarantäneraum. Kranke Kinder mussten von gesunden isoliert werden, bis es ihnen besserging. Daher wollte er, dass wir uns von ihm fernhielten. Auf mich wirkte das Zimmer nicht besonders behaglich, zumal für Kranke, doch ich dachte mir, dass man sicher wusste, was man da tat. Schließlich war dies hier die Int Ranch.
B. J. und ich gingen wieder in unser Zimmer und machten unser Bett. Wir ließen Sarah Kitty aus ihrer Kiste, aber sie war nicht glücklich, sondern fauchte und knurrte mit gesträubtem Fell, versteckte sich sofort unter dem Bett und kratzte jeden, der nach ihr greifen wollte.
Nachdem wir unser Bett gemacht hatten, führten uns Justin und Mike über das Gelände. Die Ranch war groß, erstreckte sich über etwa fünfhundert Hektar und lag am Rand des Soboda Indianerreservats in den San Jacinto Hills in Riverside County. Sie erzählten uns, der Besitz sei früher angeblich ein Kloster gewesen. Das Zentrum bestand aus den Motels und sechs, sieben weiteren, zum Teil kleinen Gebäuden, die sich über fünf Hektar erstreckten. Es gab einen kleinen Swimmingpool in ziemlich schlechtem Zustand, in dem ein paar tote Ratten schwammen. Die Jungen erklärten, der Pool dürfe erst genutzt werden, wenn er auf Vordermann gebracht worden wäre, eine Erklärung, die sich bei etlichen der anderen Gebäude wiederholte. Der restliche Besitz bestand aus grünen Bäumen, staubiger Wüste und Bergen.
Die Jungen zeigten uns das sogenannte Big House, ein sehr altes und kurz vor der Räumung stehendes zweistöckiges Gebäude, das auf einem Hügel stand. Im zweiten Stockwerk hatten einige Wände und Böden bereits Löcher. Doch trotz seiner Baufälligkeit waren oben Schlafzimmer für die kleinen Mädchen untergebracht. Wenn die Renovierung der Motels abgeschlossen wäre, würden alle, die im Big House wohnten, hinunterziehen.
Das untere Stockwerk des Big House beherbergte den Speisesaal, der auch hier Mess Hall genannt wurde. Für jede Mahlzeit wurde das Essen von der Großküche der etwa zwanzig Meilen entfernten Int Base hergefahren. Mit den Speisen wurde ein Buffet errichtet, aber jedes Kind hatte seinen festen Platz am Tisch. Im wöchentlichen Wechsel musste immer ein Kind von jedem Tisch eindecken und servieren. Das Essen stellte sich als ziemlich gut heraus. Es war gesund und abwechslungsreich, und jeden Tag gab es frisch gebackenes Brot. An den meisten Abenden bekamen wir sogar Nachtisch.
Als Nächstes zeigten Justin und Mike uns die Schule, die zugenagelt war, aber demnächst renoviert werden sollte. Sie diente vorübergehend als Lagerraum, also gab es im Grunde keine Schule. Die Jungen führten uns auch zum Cottage, dem Projekt, an dem gerade gebaut wurde: ein kleines, mittlerweile komplett entkerntes Haus, das nach Fertigstellung als Quartier für den Lehrkörper der Ranch dienen sollte.
Die Ranch war vielleicht nichts Großartiges und war zugegebenermaßen auch etwas heruntergekommen, aber das fand ich nicht schlimm. Es gab viel zu tun, aber mir kam es vor wie ein Abenteuer, an dem ich teilhaben durfte. Die Landschaft war mir fremd, aber die Kinder schienen sehr stolz auf die Ranch zu sein. Rückblickend wollten sie vor uns jüngeren Kindern vielleicht ein wenig angeben, aber ihre Begeisterung war ansteckend, und ich hatte das Gefühl, an einem ganz besonderen Ort gelandet zu sein.
Es war auch eine Erleichterung, nicht mehr in ein winziges Apartment gesperrt zu sein. In L. A. hatten wir nie unbeaufsichtigt nach draußen gedurft, aber auf dem riesigen Grundstück der Ranch meinte ich, leichter durchatmen zu können, und musste nicht jedes Mal, wenn ich ins Freie wollte, an die Hand genommen werden. Zum ersten Mal, seit ich denken konnte, hatte ich das Gefühl, genug Platz zum Herumrennen zu haben und meiner Fantasie freien Lauf lassen zu können. Und als wäre das noch nicht genug, konnte ich all das mit meiner Familie tun, da ich wieder mit Justin und Taryn zusammen war.
Beim Gang über das Grundstück erfuhren B. J. und ich, dass es auf der Ranch fünf Hunde gab, die uns die meiste Zeit Gesellschaft leisteten. Es waren keine Wachhunde, sondern freundliche Hütehunde, die uns auf Schritt und Tritt folgten und uns beschützten. Jeder hatte seine eigene Persönlichkeit: Brewster, ein Deutscher Schäferhund, das Alphatier. Tasha, eine Schäferhündin, die extrem anhänglich war. Und Ruby, ein sehr alter, fauler und brummiger Labrador, dessen Bellen wie Quaken klang. Es gab noch eine Labradorhündin mittleren Alters, die Jeta hieß, und Bo, den fünften Hund mit buschigem Fell, der aussah wie ein Wolf.
Während der ersten Tage auf der Ranch erkundeten wir mit den Hunden an unserer Seite die Umgebung. B. J. und ich bemerkten kaum die glühende Hitze, als wir auf der Suche nach verschiedenen Kakteen durch die Wüste stapften. Am Morgen grasten Kühe auf den Grasflächen rund um die Ranch. Aus irgendeinem Grund sollten wir sie verjagen, wozu wir auch die Hunde nutzten. Je weiter wir gingen, desto mehr wurde uns bewusst, wie groß die Ranch war, so groß, dass wir dachten, wir könnten sie niemals ganz erkunden. Ich hatte immer Kleider mit vielen Rüschen getragen, die meine Grandma, Tante Denise, meine Paten und Onkel Dave mir zu Weihnachten und zum Geburtstag geschenkt hatten. Doch für die Ranch waren diese Kleider ausgesprochen ungeeignet, da sie den Staub anzuziehen schienen, sobald ich aus der Tür trat.
Nachdem ich mich mit allem ein bisschen vertraut gemacht hatte, wusste ich immer noch nicht, was ich von dem Leben auf der Ranch halten sollte. Es gefiel mir eindeutig. Ob es an den Hunden lag oder an der Lebensweise, in jedem Fall unterschied es sich beträchtlich von unserem Leben in L. A. Während der ersten Monate gab es nur ein paar Erwachsene, die auf die rund fünfzehn Kinder der Ranch aufpassten. Doch meistens kümmerten sich ältere Kinder um B. J. und mich und sagten uns, was wir tun sollten. Damals fand ich das toll, denn sie waren jung, wirkten cool und waren nett zu uns, obwohl sie sich oft über meine Kleider lustig machten.
Nicht lange nach unserer Ankunft lernten wir Joe Conte kennen, der kurz Mr. C genannt wurde. Er war der Leiter der Ranch. Es gab auch einen Wachmann, der ständig ausgewechselt wurde, und eine Frau namens Karen Fassler, oder Mr. F, wie wir sie nannten. Bei Scientology werden Erwachsene immer mit Sir oder Mr. angeredet, ganz gleich, ob es Männer oder Frauen sind. Mr. F war hübsch und ziemlich nett. Sie kümmerte sich um die Abläufe, die Uniformen, das Essen und andere Angelegenheiten. Mr. C war freundlich und lässig, groß und dünn, hatte einen Schnurrbart und eine Glatze. Er wirkte rau, wie jemand, der viel Zeit im Freien verbrachte; die Kinder fanden ihn alle klug und sehr cool. Damals waren meine Lieblingsbücher die für Kinder adaptierten Ausgaben der Chroniken von Narnia, und für mich war Mr. C Professor Digory Kirke.
Wir Kinder waren im Wesentlichen selbst verantwortlich für die verschiedenen Renovierungsarbeiten auf der Ranch. Normalerweise wurden Elektro- und Installationsarbeiten von einem Erwachsenen übernommen, der von der Int Base oder von einer Fremdfirma kam und uns half. Da die Ranch von der Stadt und dem Landkreis inspiziert wurde, musste alles seine Ordnung haben. B. J. und ich waren immer noch viel jünger als die anderen Kinder, daher bestanden unsere ersten Aufträge darin, Müll aufzusammeln, meinem Bruder beim Errichten einer Trockenmauer das Werkzeug zu reichen oder unsere neuen Kommoden zu lackieren.
Nach einem harten Arbeitstag war mein größter Spaß eine »wilde Fahrt«. Dazu setzte Mr. C bis zu zehn Kinder auf die Ladefläche seines blauen Trucks und fuhr dann wie ein Wahnsinniger querfeldein, wobei er jeden Buckel mit hoher Geschwindigkeit nahm. Am Anfang hieß es noch, ich wäre zu klein dazu, aber schließlich überredete ich Mr. C, es mich mal versuchen zu lassen, und die größeren Kinder pressten mich an sich, während wir über das Gelände tourten.
Jeden Samstagmorgen kam eine Gruppe Erwachsener von der Int Base und blieb den ganzen Tag, um zu helfen und zu begutachten, was wir gemacht hatten – manchmal kam sogar Dad, und ich durfte mit ihm zusammen arbeiten. Die Samstage hießen bei uns nur Renos, das war die Abkürzung für Renovierungstag. Alle Kinder mussten irgendwie mitarbeiten, doch da ich noch so jung war, erwartete man von mir nicht viel. Normalerweise holte ich nur Getränke, behielt Maße im Kopf oder hielt Schrauben für die Erwachsenen, die immer sehr freundlich zu mir waren. Abgesehen von den wenigen Erwachsenen, die zu den Renos kamen, oder einem angeheuerten Facharbeiter, waren die älteren Kinder als Arbeitskräfte für die Renovierung der Ranch gedacht – genau wie unter der Woche. Aber das fand ich ganz normal, denn obwohl mein Bruder und seine Freunde noch Kinder waren, kamen sie mir eigentlich schon wie Erwachsene vor.
Zuerst wurden die Motels, dann das Schulgebäude renoviert. In den Motels wurde jedes Zimmer gestrichen und bekam einen Teppich, selbstgenähte Vorhänge und eine Heizung. Dann kamen drei oder vier Stockbetten hinein, damit sechs bis acht Kinder darin schlafen konnten. Jeweils zwei Zimmer teilten sich ein Bad mit einer Toilette, einer Dusche und zwei Waschbecken. Jedes Kind hatte eine eigene Kommode, die wir selbst lackiert hatten. Alle Betten bekamen zueinander passende Bettdecken und Bettlaken. Die Mess Hall wurde vom Big House in einen großen Saal in einem der Motels verlegt. Außerdem wurde eine Waschküche mit ein paar Waschmaschinen und Trocknern eingerichtet. Irgendwann wurde sogar der Swimmingpool gereinigt, ausgebessert und wieder nutzbar gemacht.
Als Nächstes kam das Schulgebäude an die Reihe. Die Wände wurden mit Gemälden von der Apollo und der Freewinds verziert. Dabei durfte ich sogar mithelfen, obwohl ich hauptsächlich ganz unten an der Wand herumpinselte. Aber als ich das fertige Bild der Freewinds sah, war ich begeistert, weil das Schiff doch so lange ein Projekt meiner Mutter gewesen war. Abgesehen von den Schiffen sah man im Schulgebäude auch Porträts von L. Ron Hubbard mit einigen seiner Zitate. Die Böden bekamen Linoleumfliesen und die Klassenräume lange Klapptische und Plastikstühle statt einzelner Pulte.
Schon bald nach der Renovierung der Schule erschien eine Frau namens Maria auf der Ranch. Wir mussten sie Mr. Parker nennen. Mr. Parker war die Verantwortliche für Erziehung und Aktivitäten. Nach ihrer Ankunft trafen auch weitere Kinder ein. Das Schulgebäude hatte zwei große Säle, von denen der eine für Teenager reserviert war und der andere für jüngere Kinder zwischen vier und zwölf Jahren.
Von nun an wurde unsere Zeit zwischen Renovierungsarbeiten und Schule aufgeteilt. B. J. und ich waren den anderen Kindern weit voraus, wahrscheinlich, weil diese wesentlich jünger waren als wir. Alle Fächer wurden in dem für unsere Altersgruppe reservierten Saal unterrichtet. Der Hauptfokus lag auf Lesen und Schreiben. Es gab weder verschiedene Klassen noch Noten, und die Lehrer unterrichteten nicht frontal.
Kurz vor neun Uhr abends mussten wir alle auf unsere Zimmer. Um neun war dann Nachtruhe. An manchen Abenden kam eine neue Erwachsene namens Mr. Jane Thompson mit einer Gitarre in unsere Zimmer und sang uns Take Me Home, Country Roads von John Denver vor, damit wir besser einschlafen konnten. Ich fand ihre Stimme tröstlich, sie erinnerte mich immer an die Abende, an denen meine Mom zu Hause gewesen war, mir vor dem Einschlafen vorgesungen und dabei durch mein Haar gestrichen hatte.
Auf der Ranch mochte ich die Samstagabende am liebsten. Wie schon in L. A. sahen wir dann unsere Eltern. Doch jetzt kamen sie nicht zu uns, sondern Rosemary holte Taryn, B. J., Justin und mich von der Ranch ab und brachte uns zu der Wohnung unserer Eltern in der Nähe der Int Base. Sie lag im zweiten Stock und hatte zwei Schlafzimmer und einen Balkon. Genau wie in L. A. war ein Schlafzimmer für Mom und Dad und das andere für die Rinders gedacht. Für unsere Übernachtungen besetzte Justin immer die Couch im Wohnzimmer, also schlief ich auf dem Schlafzimmerboden.
Nicht lange und wir hatten eine neue Samstagabendroutine entwickelt. Zuerst liehen wir uns ein, zwei Videos aus, damit wir beschäftigt waren, während wir auf unsere Eltern warteten. Meine Eltern hatten einen Fernseher mit öffentlichen Sendern, obwohl das auf der Int verboten war. Irgendwann hörten Mom und Dad, dass Fernseher konfisziert werden sollten, und mussten ihren verstecken. Aber einmal pro Woche durften wir geliehene Filme sehen, und dazu kamen viele Kinder zu uns. In Justins Alter waren das zum Beispiel Sterling, Taryn und oft auch Mike, Rosemarys Sohn. Außerdem noch Kiri, ein Mädchen, mit dem B. J. und ich in unserer Zeit in L. A. gespielt hatten. Sie kam zwei Monate nach uns auf die Ranch. Kiri war meine beste Freundin.
Zusammen blieben wir so lange wie möglich auf. Mom und Dad kamen normalerweise gegen Mitternacht nach Hause, doch manchmal wurde es noch später. Sonntagmorgen machten sie Frühstück für Justin und mich, aber wenn sie Geld hatten, gingen sie mit uns in ein Schnellrestaurant essen oder bei Walmart Shampoo, Socken oder manchmal auch Schuhe kaufen. Es machte viel Spaß, aber die Besuche waren immer viel zu kurz. Meine Eltern mussten sonntags immer um ein Uhr wieder arbeiten, was bedeutete, dass sie uns etwa eine Stunde vorher auf der Ranch absetzten.
Obwohl wir jetzt zu unseren Eltern gebracht wurden, sahen wir sie nicht besonders häufig und oft auch nur Dad, denn Mom war ständig mit Sonderprojekten unterwegs. Als die Freewinds zu Wasser gelassen war, kümmerte sie sich häufig um Renovierungsarbeiten des Celebrity Center International in L. A., das ständig auf den neuesten Stand gebracht wurde. Es war in Hollywood im alten Manor Hotel auf der Franklin Avenue untergebracht, einem siebenstöckigen Gebäude, das einem französischen Château nachempfunden und in den Zwanziger Jahren eines der glamourösesten Hotels der Stadt gewesen war. 1969 kaufte es L. Ron Hubbard und öffnete es 1972 für die scientologische Öffentlichkeit. Über die Jahre hinweg war es mehrfach saniert worden. Trotz seines Namens war das Celebrity Center nicht nur für Prominente, sondern für alle Scientologen gedacht, obwohl die Prominenz aus allen Bereichen von Kunst und Literatur es häufig nutzte. Da L. Ron Hubbard ein international bekannter Schriftsteller gewesen war, schätzte er die schönen Künste und war überzeugt, dass Prominente als gute Werbeträger für Scientology dienten.
Als Mom mit dem Celebrity Center fertig war, zog sie nach Clearwater in Florida, wo sie die Renovierungsarbeiten der Flag Land Base leitete. Schließlich bekam sie ein Quartier im dortigen Wohngebäude. Genau wie Onkel Dave Wohnungen auf der Flag Base, der PAC-Base und der Int Base hatte, hatten auch andere Führungskräfte mehrere Wohnungen. Es war nicht ungewöhnlich, dass Ehepaare auf unterschiedlichen Stützpunkten stationiert waren, wenn es dem höheren Wohl diente. Da Mom fast immer auf der Flag Base war, konnte ich in der Wohnung meiner Eltern manchmal mit ihr telefonieren.
Meine Mom war zwar nur selten da, aber mein Dad versuchte, so viel wie möglich von meinem Leben mitzubekommen. Schließlich fing er an, meinen Bruder und mich jeden Freitag in seiner Mittagspause zu besuchen. Er konnte immer nur kurz bleiben, normalerweise höchstens zwanzig Minuten, aber ich freute mich immer über seinen Besuch. Dann plauderten wir ein bisschen an seinem Wagen oder in meinem Zimmer. Manchmal brachte er mir ein kleines Geschenk mit. Besonders freute ich mich, wenn er mir alkoholfreies Bier mitbrachte. Ein andermal überreichte er mir meine neueste Buchsendung. Er hatte mich in einem Buchclub angemeldet, wo ich ein paar Bücher pro Monat bekam, was ich liebte. Ich hatte es schon immer geliebt zu lesen.
Damals besuchten nur sehr wenige Eltern ihre Kinder, aber ich fragte mich nicht, wo sie waren. Ich sah Dad so selten, da war jede Minute mit ihm kostbar.