DER PREIS DES MONDES

Am Boden zerstört kam ich zu Hause an. Vielleicht hatte ich mich geirrt und das Leitmotiv des Tages lautete nicht »Ich fühle mich schuldig«, sondern »Lebe wohl«.

Ich trat ins Wohnzimmer und sah erleichtert, dass der Anrufbeantworter nicht blinkte. Noch hatte Gabriela unsere Verabredung nicht abgesagt, wobei sie bis Donnerstag natürlich noch ein wenig Zeit hatte. Ob ich mich langsam zum Neurotiker entwickelte?

Während ich Nudelwasser aufsetzte und ein bisschen mit Mishima spielte, hoffte ich inständig, dass Valdemar an diesem Abend nicht zu mir herunterkommen würde. Ich fühlte mich nicht in der Verfassung, ihm zuzuhören. Ich wollte nur schnell etwas essen und dann ins Bett, um diesen Tag endlich hinter mir zu lassen.

Ich hatte Titus verloren, der in dieser kurzen Zeit für mich zu einer Art Vater geworden war – mehr als irgendjemand sonst. Um seine Abschiedsbotschaft wirklich zu erfassen, würde ich sicher eine Weile brauchen, aber sein Schicksal hatte mir den Blickwinkel auf mein eigenes Leben wieder zurechtgerückt. Sosehr ich wegen Gabriela auch leiden mochte, mein Schmerz war nichts im Vergleich zu dem eines Menschen, der in einem staatichen lKrankenhaus einsam und allein auf seinen Tod wartete.

Der Abschied von Titus hatte mich zu sehr mitgenommen, als dass ich mich für den Moment mit seinen Worten beschäftigen wollte.

Ich vermengte die Spaghetti mit einer Dose kalter Tomatensoße und aß ohne Appetit vor dem Fernseher, was ich sonst nie tue. Interessanterweise lief gerade ein Dokumentarfilm über den Wettlauf ins All, als müsste man mir in Valdemars Abwesenheit – mein Wunsch schien in Erfüllung zu gehen – meine tägliche Dosis Raumfahrt über das Fernsehen verabreichen.

Der Bericht schilderte die Erfolge und Misserfolge der über fünfzig Raumschiffe, die jemals einen Flug zum Mond unternommen hatten, wobei allerdings nur ein Dutzend Menschen ihn auch tatsächlich betreten hatten. Nach der Apollo 17, die im Dezember 1972 gelandet war, war niemand mehr zum Mond geflogen, was Valdemars Zweifel immerhin zu rechtfertigen schien. Die nächste Mission war die der unbemannten Raumsonde Lunar Prospector gewesen, die erst fünfundzwanzig Jahre nach der letzten Apollo gestartet war.

Der Aufbau der Sendung ähnelte dem meines Literaturseminars: Nach den Fakten folgte ein Schlusssegment mit ein paar kuriosen Anekdoten. Der Sprecher erzählte etwas über den Mondstaub, den Regolith, von dem Valdemar gesprochen hatte. Offenbar hatten die Astronauten 382 Kilo Gestein und Staub als Souvenir mitgebracht, das nun im NASA-Kontrollzentrum in Houston bei 92 Grad unter Null aufbewahrt wird. Im August 2003 waren dann drei Praktikanten des NASA-Labors gerichtlich verurteilt worden, weil sie 105 Gramm Mondstaub gestohlen hatten und zu einem Preis von tau send bis fünftausend Dollar pro Gramm verkaufen wollten. Das Gericht hatte dem entwendeten Regolith aber einen sehr viel höheren Wert beigemessen. Die Gewinnung eines Gramms habe die US-amerikanische Staatskasse 50800 Dollar gekostet, so das Gericht. Der tatsächliche Verkaufspreis sollte später allerdings noch in ganz andere Höhen klettern. Bei Sotheby’s wurden von sowjetischen Missionen gewonnene Mondproben für 1,2 Millionen das Gramm versteigert.

Ich fragte mich, welcher Idiot wohl so viel Geld für ein Häufchen Staub gezahlt hatte, und schaltete den Fernseher aus.