ERSTE SIEGE

Am nächsten Morgen erwachte ich von einem leicht vibrierenden Druck auf der Brust. Ich brauchte nicht die Augen aufzuschlagen, um zu wissen, dass es sich nicht um die Vorboten eines Herzinfarkts handelte.

Seufzend schaute ich an mir herunter und stellte fest, dass die Katze seelenruhig zusammengerollt auf meiner Brust schlief.

»Du bist ziemlich hartnäckig, was?«, sagte ich zu ihr, während ich überlegte, ob ich ihr direkt an Ort und Stelle den Hals umdrehen sollte.

Doch stattdessen strich ich ihr mit der Hand über das kurze, weiche Fell. Die Katze schnurrte und blinzelte verschlafen. Schließlich richtete sie sich auf, wölbte den Rücken zum Buckel und streckte gleichzeitig die Vorderpfoten nach vorne, ehe sie sich wieder auf meinen Bauch setzte. Sie schnurrte und mir schien, als lächelte sie.

Können Katzen lächeln?

Nach dem Frühstück beschloss ich, der kleine Eindringling könne bleiben, bis das Tierheim wieder öffnete. Ich hatte die Nummer im Telefonbuch gefunden, doch eine blecherne Tonbandstimme hatte mir mitgeteilt, das Heim sei bis zum siebten Januar geschlossen.

Mir kam die Idee, eine Annonce in einem der kostenlosen Anzeigenblättchen aufzugeben. Vielleicht wollte ja jemand das Tier haben. Nur als Alternative, für den Fall, dass sie beim Tierheim Schwierigkeiten machen, dachte ich und suchte sogleich nach der Nummer der Anzeigenannahme.

Mein Anruf wurde von einem Mitarbeiter mit affektierter Stimme entgegengenommen. Ich nannte die Rubrik, in der ich annoncieren wollte, und diktierte:

»Junge Katze zu verschenken, so gut wie neu. Exzellenter Zustand. Bitte abends anrufen.«

 

Eine Prise Humor könnte vielleicht hilfreich sein, um die Katze an den Mann zu bringen, hätte ich gedacht. Offenbar war der Mitarbeiter nicht dieser Meinung.

» Ist das alles?«, fragte er, nachdem er meine Nummer notiert hatte.

»Ich denke schon.«

»So kann ich die Anzeige nicht annehmen. Was ist mit den Impfungen?«

»Wie bitte?« Ich hatte keine Ahnung, was er meinte.

»In dieser Rubrik werden nur Tiere angenommen, die vorschriftsmäßig geimpft sind. So kann die Zeitschrift nicht haftbar gemacht werden, falls es zu Ansteckungen kommt. Sie müssen das also schon ganz genau angeben.«

Fast hätte ich zugegeben, dass ich keine Ahnung hatte, ob die Katze geimpft war oder nicht, doch ich biss mir auf die Zunge, schließlich wollte ich das Erscheinen der Anzeige nicht verzögern.

»Sie ist geimpft«, log ich. »Schreiben Sie das dazu.« »In Ordnung.«

Die Anzeige würde in der Ausgabe vom 8. Januar erscheinen, also beschloss ich, die Fahrt zum Tierheim bis zum 15. aufzuschieben. Ich wollte erst abwarten, ob sich eine gute Seele des kleinen Tigers erbarmte. Trotzdem würde ich die Sache mit der Impfung regeln müssen. Bestimmt würde der Interessent eine Bescheinigung von mir verlangen.

Während ich darüber nachsann, was als Nächstes zu tun war, ließ mich die Katze, die es sich auf dem Sofa bequem gemacht hatte, nicht aus den Augen. Ohne ihre Lauerstellung zu verlassen verfolgte sie jeden meiner Schritte durch das Wohnzimmer und schlug ab und an ungeduldig mit dem Schwanz.

Da ich lästige Dinge gerne so schnell wie möglich erledige, griff ich erneut zum Telefonbuch und suchte einen Tierarzt in der Nähe heraus, um einen Termin zu vereinbaren.

Eine etwas trockene weibliche Stimme begrüßte mich am anderen Ende der Leitung.

»Um was für ein Tier geht es?«

»Eine Katze. Sie braucht eine Impfbescheinigung.« »Name?«

»Samuel de Juan.«

»Und die Katze?«

Diese Frage traf mich unvorbereitet. Müssen Tiere einen Namen haben?, schoss es mir durch den Kopf. Mein Blick fiel auf mein Bücherregal, und der erste Titel, der mir ins Auge sprang, war Der Seemann, der die See verriet. Kurz entschlossen nannte ich einfach den Namen des Autors:

» Mishima.«

Die Katze antwortete mit einem lauten Maunzen, als sei sie einverstanden mit dem Namen eines japanischen Schriftstellers, der sein Leben durch Harakiri beendet hatte.

»Wie bitte?«

Während ich den Namen buchstabierte, fiel mir ein, dass ich ein logistisches Problem hatte. Wie sollte ich die Katze zum Tierarzt befördern? Sie würde mir glatt durch die Hände flutschen, und ich war nicht in der Stimmung, ihr auf der Straße hinterherzulaufen.

»Sie brauchen eine Petbox«, teilte mir die unterkühlte Telefonstimme mit.

»Eine Petbox? Was zum Teufel ist das denn?«

Mishima – für Freunde Mishi – schien die Situation zu amüsieren. Die Anzahl der Schwanzschläge pro Minute hatte sich merklich erhöht.

Die Dame erklärte mir, eine derartige Box sei für den Transport von Tieren gedacht. Sie schlug mir vor, zuerst allein zur Tierarztpraxis zu kommen, dort eine Box zu kaufen und anschließend die Katze darin zu bringen.

»Das ist mir zu viel Hin und Her«, erwiderte ich et was angesäuert. »Ich kann wegen einer Katze nicht den ganzen Tag vertrödeln. Gibt es keine andere Möglichkeit?«

»Wir machen auch Hausbesuche, aber das ist wesentlich teurer.«

»Das ist mir egal. Hauptsache, wir können das alles so schnell wie möglich erledigen.«

»Dann werde ich selber kommen müssen«, seufzte sie in leicht genervtem Ton. »Passt es Ihnen heute am frühen Nachmittag?«

Ich bejahte und nutzte die Gelegenheit, gleich alles Nötige bei ihr zu bestellen: Fressnäpfe, Futter, Katzen streu ... und eine Petbox.

 

Um halb drei klingelte es an der Tür. Da ich nie Besuch bekomme, konnte es nur die Dame mit der unterkühlten Stimme sein. Als ich öffnete, war ich angenehm überrascht: Die Tierärztin war eine attraktive Frau um die dreißig, ihr freundliches Gesicht wurde umrahmt von kurzem, fransigem Haar, auf ihrer Nase saß eine markante Brille. Ihre Miene – ernst, aber nicht verkrampft – schien zu sagen: »Lassen Sie uns keine Zeit verschwenden und gleich zum Wesentlichen kommen.«

Genau der Typ Frau, der mir gefallen könnte, schoss es mir durch den Kopf. Ich malte mir aus, wie ich mit ihr in einem der Cafés in der Carrer Petritxol bei einer Tasse heißer Schokolade und Churros sitzen und mich unterhalten würde.

Ihre barsche Stimme schreckte mich aus meinen Tag träumen.

»Können wir jetzt bitte anfangen«, sagte sie ungeduldig. »Ich habe viel zu tun heute.«

»Natürlich.«

Ich nahm ihr die beiden großen Tüten ab und bat sie, mir ins Wohnzimmer zu folgen, wo Mishima den ganzen Tag gesessen hatte. Doch als wir ankamen, war das Sofa leer.

»Wo ist denn nun Ihre Katze?«, fragte sie, während sie ihr kleines Köfferchen auf den Tisch stellte und es öffnete.

Ich lief ins Schlafzimmer, vielleicht hatte sich Mishima ja wieder ins Bett verkrochen. Dort war sie nicht. Dann sah ich in der Küche nach, wo ihre Milch stand, aber auch da keine Spur von der Katze. Als ich ins Wohnzimmer zurückkam, klappte die Tierärztin ihren Koffer bereits wieder zu und war im Begriff zu gehen.

»Haben Sie doch einen Moment Geduld«, bat ich. »Sie wird sicher gleich auftauchen.«

»Das glaube ich kaum. Alle Katzen verstecken sich, wenn sie das Gefühl haben, jemand will ihnen etwas tun. Wussten Sie das nicht? Sie hätten sie irgendwo einsperren sollen.«

»Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung von Katzen. Möchten Sie einen Kaffee? Ich würde Sie gerne ein paar Dinge fragen.«

»Tut mir leid, ich habe um drei den nächsten Termin«, erwiderte sie scharf. »Außerdem bin ich gekommen, um mich um die Katze zu kümmern und nicht um Sie.«

Das saß. Verlegen riss ich ihr die Rechnung aus der Hand, zahlte brav den Gesamtbetrag – Hausbesuch inklusive – und gab ein großzügiges Trinkgeld, weil sie nicht herausgeben konnte.

Als ich sie zur Tür begleitete, sagte sie: »Wenn Sie sie finden, sperren Sie sie in die Box und bringen sie in die Praxis. Sie brauchen keinen Termin zu vereinbaren.«

Ich nickte stumm. Bevor sie in den Hausflur trat, zeigte sie auf eine klebrige Masse am Rand des Fußabtreters, die ich gar nicht bemerkt hatte.

»Und geben Sie ihr keine Milch mehr«, sagte sie zum Schluss noch. »Das bekommt den Tieren nicht, davon erbrechen sie.«

Dieser letzte Ratschlag versöhnte mich, und bevor ich die Tür schloss, bedankte ich mich bei ihr.

Kaum zwei Minuten später tauchte Mishima wieder im Wohnzimmer auf und begrüßte mich mit einem fröhlichen Maunzen, als wäre nichts gewesen.

»Das hast du wirklich toll gemacht«, schimpfte ich. »Du bist unverbesserlich, weißt du das?«