12. KAPITEL

Cutter war kein impulsiver Mann. Er dachte Situationen oder Probleme gerne durch, bevor er handelte. Lieber war er zu vorsichtig als zu vorschnell. Und wenn es um Frauen ging, war er stets auf der Hut. Er konnte die Frauen an einer Hand abzählen, mit denen er intim gewesen war. Mit einer Gefangenen zu schlafen, für deren Ergreifung und Transport er abkommandiert worden war, war das Unvernünftigste und Leichtsinnigste, was er je getan hatte. Und zwar nicht nur auf beruflicher, sondern auch auf persönlicher Ebene.

Wie willst du sie jetzt noch den Marshals übergeben, Teufelskerl?

Die Frage ließ ihm keine Ruhe, als er in der Dunkelheit lag und ihrem gleichmäßigen Atem lauschte. Die Erinnerung an das soeben gemeinsam Erlebte hallte noch in seinem Körper und seinem Herzen nach. Cutter war kein sentimentaler Mann, aber irgendwie hatte Mattie Logan es geschafft, ihn an einem Ort zu berühren, den er bislang immer sehr gut abgeschirmt hatte.

„Selbst im Dunkeln kann ich sehen, dass du dir Sorgen machst.“

Er schaute zu ihr. Sie hatte sich auf einen Ellbogen gestützt und schaute ihn an. Obwohl sie das Laken vor ihre Brust hielt, um sich zu bedecken, raubte ihr Anblick ihm den Atem. Es würde ihn umbringen, sie auszuliefern.

Er lehnte sich in den Kissen zurück, klopfte neben sich auf die Matratze und lud Mattie ein, sich an ihn zu kuscheln. „Ich wünschte, es gäbe eine andere Lösung für all das.“

Sie rollte sich neben ihm ein wie eine Katze, die ein Sonnenbad nahm. Ihre Haut war warm und seidig unter seinen Fingern. Cutter schloss die Augen vor dem plötzlichen Anfall von Leidenschaft, dem Zerren der Lust an seinen Lenden.

„Die gibt es“, sagte sie. „Wir könnten in die Offensive gehen.“

„Nicht schon wieder.“

Cutter starrte an die Decke und brütete vor sich hin. Er dachte schon, sie wäre eingeschlafen, als sie auf einmal anfing zu sprechen.

„Was ist zwischen dir und dem Jaguar vorgefallen?“

Darüber wollte er nicht sprechen. Die Erinnerung war ein düsterer Ort, an den er nie zurückkehrte. Aber er wusste, wenn er sie überzeugen wollte, ihren wahnwitzigen Plan aufzugeben, würde er seine Erlebnisse mit ihr teilen müssen. „Das ist eine hässliche Geschichte“, sagte er.

„Ich weiß“, erwiderte sie schlicht. „Ich habe die Narben gesehen.“

Cutter überlegte, wo er anfangen sollte. Auf der Mission war so viel geschehen.

„Ich war zwölf Jahre für die CIA tätig“, fing er an. „Ausschließlich undercover. Zuerst im Drogenkrieg in Südamerika. Nach dem 11. September habe ich mich dann darauf konzentriert, Terrorzellen zu infiltrieren. Ich war wirklich gut.“

„Was ist passiert?“

„Vor etwas mehr als zwei Jahren wurde ich nach Paris entsendet, um mich dort in eine Zelle einzuschleusen. Die CIA hatte eine neue Identität für mich erschaffen. Wir wussten, dass die Terroristen etwas Großes vorhatten. Wir wussten auch, dass sie von einem Mann angeführt wurden, den man den Jaguar nannte. Ich sollte der CIA berichten, was sie vorhatten.“

„Das war bestimmt ein schwerer Auftrag.“

Er lächelte, doch das Lächeln fühlte sich angespannt an. „Damals stand ich auf das Adrenalin. Es gab keinen Auftrag, der zu gefährlich war. Ich war gut darin, spontan auf gegebene Situationen zu reagieren. Ich hatte das Gefühl, neun Leben zu haben.“

„Was ist schiefgelaufen?“

„Die französische Regierung war ebenfalls dabei, die Zelle zu unterwandern. Sie haben eine Agentin geschickt. Ihr Name war Monique. Es hat Monate gedauert, der Zelle nahe zu kommen. Monate der Isolation, in denen ich nur von Radikalen und Mördern umgeben war und so tun musste, als wäre ich einer von ihnen. Zu wissen, dass Monique eine der Guten war, half mir, es durchzustehen. Wir wurden Freunde.“ Er verzog das Gesicht. „Wir wurden mehr als Freunde.“

„Sie war deine Geliebte?“

Er nickte. „Das war unprofessionell. Leichtsinnig. Das wusste ich, aber ich war damals so ausgebrannt, dass ich nicht aufhören konnte, mich mit ihr zu treffen. Ich habe in den Monaten Dinge gesehen …“ Bei der Erinnerung daran verebbte seine Stimme. „Diese Gruppe war brutal. Fanatisch. Und höllisch gefährlich. Ich wusste, sie planten etwas Großes. Sobald ich herausgefunden hatte, was, konnte ich mich zurückziehen. Doch bis dahin musste ich durchhalten. Monique hat mir dabei geholfen.“ Bitterkeit stieg in ihm auf. „Das dachte ich zumindest.“

„Und dann?“

„Inzwischen lebte ich in Nordafrika, schlief mit zwölf Terroristen in einem Bunker. Ich war ungefähr acht Monate dabei, als es passierte.“ Ihm brach der Schweiß aus, und er warf die Decke zurück. „In den frühen Morgenstunden stürmten sechs bewaffnete Männer den Bunker. Unter ihnen der Jaguar. Sie weckten mich auf. Ein Blick, und ich wusste, meine Tarnung war aufgeflogen.“

„Du musst fürchterliche Angst gehabt haben.“

„Ich habe mein Bestes gegeben, um sie vom Gegenteil zu überzeugen. Ich kam einfach nicht drauf, wie sie es herausgefunden hatten. Die CIA hatte peinlich genau gearbeitet, und ich war unglaublich vorsichtig gewesen.“ Er stieß einen Seufzer aus. „Tja, ich war in allen Bereichen vorsichtig, bis auf einen.“

„Monique“, riet Mattie.

Cutter nickte und versuchte, sich nicht wie ein Dummkopf vorzukommen. „Sie haben mich in ein altes Gefängnis gebracht, das zum Teil unter der Erde gebaut war. Der Raum hatte keine Fenster. Es gab Fesseln. Strom. Folterinstrumente. Ich wusste, was passieren würde. Der Jaguar hatte die Führung übernommen, und ich wusste, er würde versuchen, mich zum Reden zu bringen. Oder mich bei dem Versuch umbringen.“

Die Panik, die er empfunden haben musste, als er wusste, dass er nun vermutlich zu Tode gefoltert werden würde … „Oh Cutter.“

„Es ist mir nie in den Sinn gekommen, dass Monique diejenige sein könnte, die mich hat auffliegen lassen, bis ich sie dort sah. In diesem grauenhaften Raum. Anfangs dachte ich, sie wäre auch enttarnt worden. Dass man sie foltern würde. Dann erkannte ich, dass sie eine Doppelagentin war und für den Jaguar arbeitete – und auch seine Geliebte war. Der Jaguar hat den Ruf, unglaublich eifersüchtig zu sein. Er wusste, ich hatte mit Monique geschlafen. Und er fand großes Vergnügen daran, mich seiner Gnade ausgeliefert zu sehen.“

Mattie konnte nichts sagen. Ihr Mitgefühl für ihn war unendlich groß. Sie kuschelte sich näher an ihn und legte eine Hand auf seine Brust, wo sein Herz unkontrolliert schlug.

„Ich habe vierzehn Stunden gemeinsam mit diesem Hurensohn in diesem Raum verbracht.“

Tränen brannten in ihren Augen. Sie spürte den Schweiß auf seiner Haut. Das Hämmern seines Herzens. Das Zittern, das durch seinen Körper lief. So einen starken Mann in den Fängen einer Panikattacke zu sehen brach ihr das Herz. Sie wollte, dass die Erinnerungen aufhörten, ihn zu quälen, wusste aber nicht, wie sie das anstellen sollte. Das Beste, was sie tun konnte, war, ihn zu halten und zu hoffen, dass ihre Nähe ihm ein wenig Trost schenkte.

„Es tut mir leid, dass du das durchmachen musstest“, sagte sie.

„Ich will dich nicht anlügen, Mattie. Es war … schlimm. Diese Stunden waren wie der Tod. Sie waren schlimmer als der Tod. Am Ende habe ich dafür gebetet, sterben zu dürfen.“ Er wandte den Blick ab, sammelte sich und schaute sie dann wieder an. „Deshalb will ich nicht, dass du auch nur in die Nähe des Jaguars kommst.“

„Cutter, er muss aufgehalten werden. Er ist ein Irrer …“

„Ich werde ihn kriegen.“

„Und dir diese Gelegenheit entgehen lassen?“

Sie hörte, wie er zu einer Antwort ansetzte, doch er sagte nichts.

„Ich bin dein Ass im Ärmel.“ Mattie tippte sich mit dem Finger gegen die Schläfe. „Er will, was ich in meinem Kopf habe. Die nächste Phase des EDNA-Projekts. Du hängst mich an den Haken, und er wird anbeißen.“

„Und dich in einem Stück verschlingen.“

„Nicht wenn wir das nicht zulassen.“

„Vor zwei Jahren dachte ich, ich hätte ein Sicherheitsnetz. Ich dachte, die Agency würde ein Auge auf mich haben. Aber was ist passiert? Sie sind nicht rechtzeitig gekommen.“

„Ich weiß, dass du mich beschützen kannst.“

„Wenn es um den Jaguar geht, ist Sicherheit eine Illusion.“

„Dir wäre es also lieber, wenn ich ins Gefängnis gehe?“

„Bis ich einen Weg gefunden habe, um dich reinzuwaschen.“

„Was, wenn du keinen findest, Cutter?“

„Ich sage ja nicht, dass es leicht wird.“

„Ich werde auf keinen Fall das Risiko eingehen, den Rest meines Lebens hinter Gittern zu verbringen für etwas, das ich nicht getan habe.“

„Und ich werde auf keinen Fall das Risiko eingehen, dich einem Monster zu übergeben, der dir die Informationen entlockt, die er braucht, und dich danach zu Tode foltert! Denn genau das wird er tun, Mattie. Nicht nur, weil er es genießt, sondern weil es für ihn eine Möglichkeit ist, sich an mir dafür zu rächen, dass ich mit Monique geschlafen habe.“

Wütend und eindringlich starrte er ihr in die Augen. Zum ersten Mal erkannte Mattie, das er nicht einfach nur Angst hatte. Er hatte Todesangst. Nicht um sich, sondern um sie. Sie konnte nicht anders, sie streckte ihre Hände nach ihm aus.

„Ich habe auch Angst, Cutter.“

„Dann hör auf mich. Vertraue mir.“

„Ich weiß nicht, was ich tun soll.“

Er nahm sie in die Arme und hielt sie ganz fest. „Lass mich dich beschützen.“

Aber als er sie noch näher an sich zog, veränderte sich die Dynamik zwischen ihnen. Mattie wusste, der Augenblick drohte außer Kontrolle zu geraten. Er war zu intensiv. Es gab zu viele Gefühle. All das konnte jeden Moment explodieren. Bevor sie sich jedoch zurückziehen konnte, fand sein Mund den ihren. Er schmeckte nach Verzweiflung und Angst. Sie erwiderte den Kuss und überließ ihren Gefühlen die Kontrolle.

Er liebte sie, als gäbe es kein Morgen. Und für Mattie gab es das auch nicht. Alles, was sie hatten, war dieser kleine, kostbare Moment. Sie wusste, wie flüchtig er war. Deshalb stürzte sie sich mit allem, was sie hatte, hinein und hielt ihn fest.

Denn bei der ersten Möglichkeit, die sich ergab, würde sie fliehen und den Jaguar eigenhändig aufhalten.