3. KAPITEL

Schmerzen waren Cutter nicht unbekannt. Obwohl die Kevlarweste sein Leben gerettet hatte, hatte sie die Kugel nicht davon abhalten können, ein paar seiner Rippen zu brechen. Die Pistole mit dem Kunstblut hatte geholfen, die Terroristen glauben zu machen, dass er tödlich verletzt war, was ihm die Chance gegeben hatte, das Feuer im Motorraum als Ablenkung zu starten. Aber ohne Waffe und Funkgerät und mit vier bis an die Zähne bewaffneten Mördern auf den Fersen würde es sicher nicht leicht werden, am Leben zu bleiben.

Doch sein Hauptgedanke, als er den schmalen Pfad hinunterlief, galt Mattie Logan. Er hörte die Männer in der Ferne rufen und wusste, es war nur eine Frage der Zeit, bis sie die Frau einholten. Innerhalb von Minuten würde sie dann in den Hubschrauber geschafft werden, damit sie mit ihr die Grenze nach Kanada überqueren konnten. Er hatte nicht vor, das zuzulassen.

An einem hervorstehenden Felsen wandte er sich nach rechts und erhöhte die Geschwindigkeit. Schmerzen zerrissen seine Brust bei jedem Atemzug, doch er wurde nicht langsamer. Gedanken an den Schmerz oder das, was ihm bevorstand, ließ er einfach nicht zu. Er musste Logan finden, bevor es die Terroristen taten …

Mehr oder weniger nur geleitet von seinem Instinkt lief er auf die großen, dicht stehenden Kiefern zu. Logan war nach Südwesten geflohen. Wenn er diese Richtung beibehielt, würde er ihren Weg irgendwann kreuzen. Hoffentlich, bevor die anderen es taten. Aber Cutter wusste, sie zu finden war nicht der schwierige Teil. Die Herausforderung bestand darin, hier rauszukommen, ohne erschossen zu werden …

Das Geräusch von Schritten hinter ihm ließ ihn unter einem Kriechwacholder in Deckung gehen. Als er durch die Äste linste, erhaschte er einen Blick auf blondes Haar und blasse Haut. Er hörte das Zischen ihres panischen Atems, der sich durch zusammengebissene Zähne quälte.

Logan.

Er hielt sie am Arm fest, als sie an ihm vorbeikam. Durch den abrupten Stopp ihrer Bewegung stolperte sie und wäre beinahe hingefallen, wenn Cutter sie nicht aufgefangen hätte. Er legte eine Hand über ihren Mund und erstickte den Schrei, der ihre Position verraten hätte. Unter seinen Händen fühlte er weiche Haut und schmale Knochen. Ein Hauch von Zitrone und Rosmarin in seidigem Haar, als sie herumwirbelte. Doch all das wurde überlagert von Panik und Entsetzen. Ein gefährlicher Zustand, wenn er die Situation nicht sofort unter Kontrolle bekam.

Er hatte keine Zeit, sie zu Boden zu bringen und zu beruhigen. Keine Zeit für Erklärungen. Einen Moment lang wehrte sie sich wie ein Tier in den tödlichen Fängen einer Eisenfalle. Dann schaute er ihr in die Augen und schüttelte sie einmal hart an den Schultern. „Wenn Sie leben wollen, kommen Sie mit mir“, sagte er leise.

Sie wurde ganz ruhig und blinzelte ihn an, als erwachte sie aus einem bösen Traum. „Ich … ich dachte, Sie wären tot.“

„Das dachten die offensichtlich auch.“ Er schaute über seine Schulter. „Gehen wir.“

„Woher weiß ich, dass ich Ihnen trauen kann?“

„Das wissen Sie nicht“, sagte er und verfiel mit ihr an der Hand in einen schnellen Lauf.

Ein toter Mann hatte ihr das Leben gerettet.

Das war der einzige Gedanke, den Mattie Logan zustande brachte. Sie wusste nicht wie, aber irgendwie hatte Cutter einen Schuss in die Brust überlebt. Und im Moment, auf der Flucht vor Männern, die darauf aus waren, sie zu töten, war es ihr auch egal.

Schnee und Nieselregen nahmen ihr im Laufen die Sicht. Sie musste all ihre Kraft aufbringen, um mit Cutter Schritt zu halten und nicht zu stolpern. Ein winziger Fehltritt, und sie würde fallen – ein Fehler, der garantiert tödlich wäre.

Sie fühlte sich, als würde sie schon ihr ganzes Leben lang rennen. Jeder Muskel in ihrem Körper schmerzte vor Erschöpfung. Mattie wusste nicht, wie sie es überhaupt schaffte, sich weiter zu bewegen. Reiner Überlebenswille.

„Ruhig.“

Sie spürte einen kurzen Ruck an ihrer Hand. Cutter zog sie zurück und verlangsamte seinen Schritt.

„Wir können … nicht stehen bleiben“, keuchte sie.

„Ist schon okay.“

„Sie werden uns umbringen.“

„Ich werde nicht zulassen, dass sie irgendjemanden töten.“

Mattie warf einen Blick über ihre Schulter, doch der Pfad, dem sie gefolgt waren, lag verlassen da. Sie lauschte auf Schritte, aber die einzigen Geräusche waren ihr angestrengter Atem und das leise Prasseln des Schneeregens auf den Boden.

Mit einem Blick, der ihr verriet, dass er zu erschöpft war, um ihr nachzujagen, sollte sie vorhaben zu fliehen, ließ Cutter sie los und beugte sich vor, um nach Luft zu schnappen. „Wir müssen einen Moment ausruhen, zu Atem kommen.“

Mattie überlegte loszulaufen, doch ihre Beine hatten offensichtlich beschlossen, dass sie für heute genügend geleistet hatten. Als sie losgehen wollte, gaben die Knie unter ihr nach.

Sie fiel nach vorn auf alle viere, und einen Moment lang konnte sie nichts tun, außer zu atmen.

„Nehmen Sie sich einen Augenblick, um Ihren Atem zu beruhigen. Dann müssen wir weiter.“

Mattie hob den Kopf und funkelte ihn an. „Ich brauche ein wenig länger, um wieder Luft zu kriegen.“

Sie hatten auf einer kleinen Lichtung angehalten. Die Äste der Kiefern waren schon mit Schnee bedeckt. Mattie fragte sich, ob sie inzwischen noch höher in den Bergen waren und es deshalb kälter zu sein schien und die Luft dünner, was das Atmen erschwerte.

„Kommen Sie.“ Cutter ging zu ihr und streckte ihr die Hand hin. „Zeit, weiterzugehen.“

Mattie überlegte, die angebotene Hand auszuschlagen. Aber sie war nicht sicher, ob sie sich allein wieder aufraffen könnte, also ergriff sie sie. „Wie haben Sie das beim Hubschrauber mit dem Feuer hinbekommen?“

„Gar nicht.“ Er zog sie auf die Füße. „Was Sie gesehen habe, war eine Rauchbombe. Eine kleines Ablenkungsmanöver.“

Nein, dachte sie, er ist definitiv kein normaler Polizist. Aber wenn er kein Cop war, zu welcher Agency gehörte er dann? CIA? Homeland Security? Sie fragte sich, warum er ausgeschickt worden war, um sie zurückzuholen. Warum hatte man nicht die örtlichen Behörden informiert? Warum nicht das FBI oder den U. S. Marshal Service?

„Wer sind Sie?“, fragte sie.

„Ich bin der Mann, der Sie am Leben hält.“ Der Blick aus seinen eisblauen Augen bohrte sich in ihre. „Und im Moment ist das alles, was Sie wissen müssen.“

Der Hurensohn hatte ihn erneut mit seinen eigenen Waffen geschlagen.

Der Jaguar schritt mit der Eleganz seines Namensvetters auf dem schneebedeckten Boden auf und ab. Eine dunkle Vorahnung und das unbefriedigende Gefühl einer unerledigten Aufgabe machten ihn angespannt und rastlos. Nicht nur, dass Sean Cutter lebte. Nein, er schien auch psychologisch und körperlich vollkommen auf der Höhe und arbeitete wieder für die CIA. Das überraschte den Jaguar mehr als alles andere. Nach allem, was war, sollte der Mann tot sein. Oder zumindest in einer Gummizelle eingesperrt.

Der Federal Agent und er hatten eine lange gemeinsame Vergangenheit, aber ihre Beziehung war weit entfernt davon, freundschaftlich genannt zu werden. Cutter war der einzige Mann, den der Jaguar bislang nicht hatte brechen können. Selbst unter Folter hatte der Agent geschwiegen. Er hatte der schwarzen Kunst getrotzt, die der Jaguar zu seinem Geschäft gemacht hatte und auf der sich sein Ruf gründete. Dieses Gefühl des Versagens nagte seit zwei Jahren an ihm. Dieses Mal würde er dafür sorgen, dass Sean Cutter redete. Danach würde er ihn qualvoll töten.

Der Jaguar drehte den Rücken dem kalten Nordwind entgegen und zündete sich eine Zigarette an, bevor er zum Hubschrauber ging, wo zwei seiner Männer am Motor arbeiteten.

„Wie sieht’s aus?“, fragte er.

„Reparabel.“

„Ausgezeichnet.“

„Der Rauch kam offensichtlich von einer Rauchbombe, und die hat nur geringen Schaden am Motor angerichtet.“

Eine Ablenkung, dachte er. Wie typisch für Sean Cutter …! Hass loderte in ihm auf. Er schaute in den wirbelnden Schnee hinauf und wurde erneut von einem Gefühl düsterer Vorahnung gepackt. „Ist der Helikopter mit einer Infrarotkamera ausgestattet?“

Einer der Männer lächelte. „Die amerikanische Regierung scheut weder Kosten noch Mühen, wenn es darum geht, die aufzuspüren, die es wagen, ihre absolute Macht infrage zu stellen.“

Der Jaguar nickte. „Ich will die Wissenschaftlerin und Sean Cutter. Und zwar lebend. Und jetzt.“

„Das Wetter könnte ein Problem darstellen.“

Er richtete seinen Blick auf den Mann. „Der letzte Mann, der meine Wünsche infrage gestellt hat, hat vierzehn Stunden in meiner Folterkammer durchgehalten. Als ich seiner Schreie müde war, habe ich ihn erschossen. Vielleicht möchtest du dein Durchhaltevermögen auch gerne einmal testen?“

Der Mann senkte den Blick. Sein Adamsapfel hüpfte zwei Mal schnell auf und ab. „Ich bin nur um Ihre Sicherheit besorgt.“

„Das kannst du sein, wenn wir in der Luft sind.“

„Verstanden.“

Der Jaguar ließ seinen Blick über die zerklüftete Landschaft gleiten. Er verspürte ein nagendes Gefühl der Dringlichkeit zu beenden, was eigentlich schon längst beendet sein sollte. „Sie können nicht weit gekommen sein.“

„Nicht zu Fuß und bei diesem Wetter. Sie haben keine Ausrüstung. Keine Waffe, kein Funkgerät.“

Der Jaguar sagte nichts. Aber er wusste, der andere Mann unterschätzte Sean Cutter. Er selber hatte den Federal Agent vor zwei Jahren unterschätzt. Diesen Fehler würde er kein zweites Mal begehen.

Cutter hatte kein Problem damit, sein Leben für die Sicherheit der amerikanischen Bevölkerung zu riskieren. Was er jedoch nicht mochte, war, sein Leben für Verräter wie Mattie Logan aufs Spiel zu setzen. Er verachtete Leute, die bereit waren, ihr Land zu verraten.

Mit ihren großen Augen und der Porzellanhaut mochte sie aussehen wie ein Engel. Womöglich war sie sogar die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Doch Schönheit spielte für Cutter keine Rolle, wenn es um Verrat ging.

Er schaute sie an, war sich ihrer Nähe sehr bewusst, ihres angenehmen Duftes, des blassen und makellosen Teints wie der eines Mädchens. Doch ansonsten hatte sie nichts Kindliches an sich. Ihre Augen waren groß und blau und erfüllt von den Geheimnissen einer Frau. In ihren Tiefen sah er die Überreste des Grauens, das sie erlebt hatte, und eine düstere Mischung anderer Gefühle, die sie streng unter Kontrolle hielt. Ihr blondes Haar war zum Zopf gebunden, aber einige Strähnen hatten sich gelöst und fielen ihr lose ins Gesicht. Strähnen, bei deren Anblick es ihn in den Fingern juckte, sie nach hinten zu streichen.

Sie besaß die Art von Schönheit, die einen Mann blendete. Einen Sex-Appeal, der den klügsten Mann dumme Dinge tun ließ, nur für den Klang ihres Lachens oder das Versprechen einer Berührung. Womit sie für ihn genauso gefährlich war wie die Terroristen, die darauf aus waren, sie beide umzubringen.

Energisch schob er das unbehagliche Gefühl beiseite, das er nicht näher analysieren wollte, und wandte sich von ihr ab. „Gehen wir. Es besteht die Wahrscheinlichkeit, dass sie uns mit dem Helikopter suchen werden.“

„Aber zwingt der Sturm sie nicht, am Boden zu bleiben?“

„Wenn wir es mit einem rational denkenden Mann zu tun hätten, ja.“ Er bedachte sie mit einem ernsten Blick. „Aber nur für den Fall, dass Sie nicht zwischen den Zeilen lesen können: Das haben wir nicht.“

„Sie haben doch aber keinen Piloten. Den haben sie erschossen.“

Ungeduldig nahm er ihre Hand und verfiel in einen leichten Trab. „Der Jaguar hätte ihn nicht erschossen, wenn er nicht einen Ersatzpiloten hätte.“

„Der Jaguar?“

Er hatte den Namen nicht laut aussprechen wollen. Allein ihn zu hören jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Selbst nach zwei Jahren konnte er sich noch zu gut daran erinnern, wie es gewesen war, ihm hilflos und verwundet in die Augen zu sehen und darin nichts als das pure Böse zu sehen.

„Hören Sie auf zu reden, und laufen Sie“, gab er kurz angebunden zurück. „Schneller.“

Sie gehorchte, aber Cutter wusste, die Chancen standen schlecht, den Häschern des Jaguars zu entkommen. Der Terrorist umgab sich mit den brutalsten Männern der Welt. Männer, die alles riskieren würden, um ihren verdrehten Gedanken und Idealen Genüge zu tun.

Cutter hatte schon schlimmere Situationen durchlitten und überlebt. Aber mit dem herannahenden Sturm und den Killern dicht auf den Fersen schienen ihm die Chancen für ihr Überleben nicht gerade gut zu stehen.

„Wo laufen wir hin?“

Er warf seiner Gefangenen über die Schulter einen Blick zu. Sie hatte Schnee im Haar und auf ihren langen dichten Wimpern. Ihre Wangen waren vor Kälte ganz rot, und in ihren Augen leuchtete die Angst auf. Er wünschte, sie wäre nicht so schön anzusehen. Das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, war, abgelenkt zu werden …

„Im Moment versuchen wir einfach nur, weiter Abstand zu den Mistkerlen mit den Waffen zu gewinnen“, sagte er.

Ihr Atem ging wieder schwerer. Sie hörte sich an wie eine Frau kurz vor dem Höhepunkt. Das Bild von ihr mit zurückgeworfenem Kopf und einem Körper, der ihn willkommen hieß, blitzte ungebeten vor seinem inneren Auge auf. Er stellte sich seine Hände auf ihrer Haut vor, ihr Atem, der in kurzen, schnellen Stößen kam, während er sie auf die Erlösung zutrieb …

Schnell schob er das Bild beiseite und beschleunigte seine Schritte. „Schneller“, sagte er.

Sie hatte Mühe mitzuhalten. „Sie haben mir noch gar nicht erzählt, für welche Agency Sie arbeiten.“

„Stimmt, das habe ich nicht.“

„Ich würde gerne wissen, mit wem ich es zu tun habe.“

„Alles, was Sie wissen müssen, ist, dass ich der Mann bin, der Ihr Leben retten wird.“

„So wie ich das sehe, sind Sie der Mann, der dafür sorgt, dass ich den Rest meines Lebens für ein Verbrechen im Gefängnis sitze, das ich nicht begangen habe.“

„Sparen Sie sich das für den Richter auf, Blondie.“

„Der Richter hat sein Urteil bereits gefällt. Es basiert auf Lügen und fingierten Beweisen.“

„Sie sind erwischt worden“, gab er kurz angebunden zurück. „Kommen Sie damit klar, denn von mir können Sie kein Mitleid erwarten. Verstanden?“

„Ich bin ohne ausreichende Beweise vorschnell verurteilt worden. Das kann ich auch beweisen, aber nicht aus einer Gefängniszelle heraus.“

„Da draußen riskieren junge Männer und Frauen täglich ihr Leben, um dieses Land zu beschützen“, zischte er. „Ich habe keinerlei Mitgefühl für Verräter, also halten Sie einfach den Mund.“

Für einige Minuten war das einzige Geräusch das Hämmern ihrer Füße auf die Erde.

„Wollen Sie wissen, was mir an dieser ganzen Sache wirklich Angst macht?“, fragte sie.

„Sie haben überhaupt keine Ahnung, was wirkliche Angst ist“, erwiderte er bitter.

„Die wahren Täter sind immer noch da draußen. Sie haben vermutlich Zugang zu EDNA. Und versuchen vermutlich gerade, die Pläne für die letzte Phase in die Hände zu kriegen. Und haben vermutlich auch immer noch vor, die Informationen zu verkaufen, sollte es ihnen gelingen.“

Cutter schaute sie eindringlich an, suchte nach der Lüge, die, wie er wusste, irgendwo da sein musste. Doch die Frau, die seinen Blick erwiderte, hatte das unschuldigste Gesicht, das er je gesehen hatte. Er war nicht naiv, was weiblichen Charme anging. Aber er spürte ihre Anziehung. Eine Anziehung, die teils sexuell war, teils … etwas anderes. Wie der Vollmond, der an der rastlosen See zerrte und eine gefährlich hohe Flut verursachte.

Cutter war zu klug, um auf einen der verrückten Gedanken zu reagieren, die durch seinen Kopf tobten. Er wusste nur zu gut, was passieren konnte, wenn man Sex mit einem Auftrag mischte. Das letzte Mal, als er der Versuchung nachgegeben hatte, war jemand gestorben. Er selber war beinahe getötet worden und hatte den Großteil des nächsten Jahres damit verbracht, sich zu wünschen, er hätte nicht überlebt.

„Wenn Sie nicht als Leiche enden wollen“, sagte er, „müssen Sie weiterlaufen.“

„Vielleicht ist das die bessere Alternative zu einem Leben im …“

Ihm riss der Geduldsfaden. Er blieb abrupt stehen und wirbelte zu ihr herum. Grob zog er sie an sich, sodass ihr Gesicht nur wenige Zentimeter von seinem entfernt war. Nah genug, um den Duft nach Zitrone und Rosmarin in ihrem Haar wahrzunehmen. Er wappnete sich gegen ihren süßen Atem an seinem Gesicht.

„Wenn Sie glauben, dass der Tod die bessere Alternative zum Leben ist“, sagte er, „dann haben Sie ihn noch nicht aus der Nähe gesehen. Glauben Sie mir, er hat nichts Würdevolles oder Ehrenhaftes an sich. Es ist das Hässlichste, was Sie jemals in Ihrem Leben sehen werden. Also geben Sie nicht so dummes Zeug von sich.“

Sie blinzelte, als wenn seine Worte sie überraschten.

Er hatte nicht die Beherrschung verlieren wollen. Mit einem tiefen Atemzug kehrte er von dem Ort zurück, an den er nicht hatte gehen wollen, und schaute sich um. Als er den immer heftiger fallenden Schnee bemerkte, fluchte er. „Das Gute ist, der Schnee wird unsere Spuren verwischen“, knurrte er.

„So wie Sie das sagen, klingt es, als gäbe es auch schlechte Neuigkeiten.“

„Ja, die nennt man einen Schneesturm.“

„Wenigstens ist das Schicksal konsequent.“

Da er nicht daran denken wollte, wie schlimm dieses Schicksal ihnen bisher mitgespielt hatte, ging er weiter einen kleinen Hügel hinunter und in einen Wald aus jungen Espen und Kiefern, der sich zu einer Lichtung öffnete. Ein weiterer Pfad verlief nordwärts in die höheren Lagen. Nach Süden gab es einen hundert Meter vertikal abfallenden Abhang ins Tal hinunter.

„Wo lang?“, fragte sie.

„Ganz sicher nicht da runter.“ Er blieb ein paar Meter vor der Klippe stehen.

Mattie zeigte auf einen schmalen Weg, der in einer dicht bewaldeten Gegend verschwand. „Es sieht so aus, als wäre dieser Weg eine ganze Weile nicht mehr benutzt worden.“

„Vermutlich ein Wildpfad.“

„Wo führt er hin?“

Er zuckte mit den Schultern. „Weiter nach oben.“

„Gibt es hier irgendwo Häuser oder Rangerstationen?“

„Es gab hier mal ein paar Jagdhütten. Wenn wir Glück haben, steht eine von denen vielleicht noch.“

„Das klingt nicht gerade vielversprechend.“

„Womit wir wieder beim Thema des Tages wären.“

„Wie weit wäre das noch?“

„Das weiß ich nicht genau.“

„Wenn Sie es nicht wissen, wie sollen wir sie dann finden?“ „Das weiß ich auch nicht.“

„Cutter, wenn diese Männer einen Hubschrauber haben, werden Sie uns nach allem, was wir wissen, vermutlich dort erwarten.“

Er schaute sich um, versuchte, den immer stärker werdenden Schneefall einzuschätzen. Sehr weit konnte er nicht mehr sehen. Außerdem frischte der Wind auf. „Man muss sehen können, um einen Hubschrauber zu fliegen. Nicht einmal der Jaguar ist verrückt genug, bei diesem Wetter abzuheben.“

Ein dunkles Grollen erschütterte die Erde. Eine Sekunde später stieg ein Helikopter aus dem Tal auf wie ein monströses Insekt. Die Rotorblätter wirbelten den Schnee zu einem blendenden weißen Wirbel auf. Cutter erhaschte einen Blick auf gelbe Farbe und schwarze Schrift. Er griff nach seiner Waffe, nur um sich dann daran zu erinnern, dass er die ja nicht mehr hatte.

Er schubste seine Gefangene in Richtung des Wildpfads und rief: „Schnell! In Deckung!“

Sie hatten gerade die Hälfte der Strecke zum Pfad hinter sich gebracht, als der erste Schuss durch die Luft hallte.