7. Kapitel
Danach gab es natürlich noch einige offene Fragen zu klären, wie beispielsweise die, wieso Childers von einem Wolf getötet worden war. Grace und Lance hatten beschlossen, die Verletzungen an seiner Kehle auf einen frei erfundenen Hundeangriff zurückzuführen. Grace hatte Deborahs Erinnerungen verändert, bis das Mädchen glaubte, Childers habe gedroht, sie von dem Hund zerreißen zu lassen. Und als er das Tier misshandelt hatte, um es in Wut zu bringen, hatte es anstelle von Deborah ihn angegriffen. Die junge Frau erinnerte sich an wenig anderes und an Grace’ und Lance’ Beteiligung schon gar nicht. Deborahs Erinnerungen nach waren sie niemals dort gewesen.
Durch das Fenster beobachteten sie, wie das Mädchen mit irrem Blick und zerrissenen Kleidern nach nebenan lief, um die Polizei zu rufen. »Zumindest die Gehirnwäsche hat funktioniert«, bemerkte Grace. »Sie erinnert sich nur an das absolute Minimum dessen, was geschehen ist.« Dann bewegte sie nervös die Schultern. »Wir sollten jetzt aber besser von hier verschwinden. In etwa zwei Minuten wird jeder Cop, der in Tayanita County seinen Dienst versieht, hier sein.«
»Dann versetz uns besser ins Mageverse«, sagte Lance. »Als Nächstes müssen wir uns mit Morgana auseinandersetzen.«
Grace verdrehte die Augen. »Muss das sein?«
»Ich fürchte, ja«, erwiderte Lance grimmig. »Zumal wir ohne Zustimmung des Rates den Treuebund geschlossen haben. Denn obwohl ich Anweisungen befolgte, als ich dir die Gabe verlieh, sind sie in diesen Dingen sehr empfindlich.«
Grace verzog das Gesicht. »Das ist ein gutes Argument.« Seufzend griff sie nach dem Energiestrang, den sie gerade außer Sicht herumtanzen spüren konnte. »Dann lass es uns hinter uns bringen! Danach muss ich wieder zurückkommen und meine Kündigung einreichen.«
Er sah sie an, und sie hörte seine Stimme in ihrem Geist: Bist du dir da auch wirklich sicher?
Oh ja, erwiderte sie grinsend. Ich habe ein viel besseres Angebot.
Sich selbst und Lance ins Mageverse zu versetzen, raubte Grace fast ihre letzte Kraft. Als der Zauber nachließ, sah sie, dass er sie geradewegs zu ihrer Großmutter gebracht hatte, genauso, wie es beabsichtigt gewesen war.
Was Grace nicht erwartet hatte, war, bei ihrer Ankunft Guinevere und Artus in Morganas Büro anzutreffen. Anscheinend, dachte sie, noch leicht schwindlig von dem Energieaufwand, haben sie sich zu einem freundschaftlichen Drink zusammengesetzt.
»Hi, Grandma«, sagte Grace. Dann gaben ihre Knie nach.
Lance fing sie auf, bevor sie fallen konnte, und half ihr in einen Sessel. Dankbar blickte sie zu ihm auf und verlor sich in seinen goldbraunen Augen. Dabei spürte sie, wie seine Liebe sie einhüllte wie ein warmer Mantel.
Als sie sich endlich voneinander losrissen und sich umsahen, stellten sie fest, der Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit zu sein.
»So«, sagte Morgana, »du hast ihr also schließlich doch zu ihrer Gabe verholfen?«
»Und noch weitaus mehr als das«, fügte Guinevere mit erhobener Braue hinzu. »Wenn ich mich nicht täusche, haben sie den Treuebund geschlossen.«
Artus’ Augen weiteten sich vor Überraschung. Dann lachte er auf, nur kurz und alles andere als nett. »So, so. Der Hengst von Avalon wurde also schließlich doch kastriert.«
Neben Grace versteifte Lance sich. In seiner Erinnerung konnte sie all die kleinen Spitzen sehen, die der König im Laufe der Jahrhunderte gegen ihn ausgeteilt hatte, und plötzlich wurde ihre Erschöpfung von einer heftig in ihr aufsteigenden Wut verdrängt. »Oh, eins könnt Ihr mir glauben – Lance ist weit davon entfernt, kastriert zu sein«, sagte Grace und bemühte sich dabei trotz ihrer Erschöpfung um einen sinnlich-schwärmerischen Ton.
Artus machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das war nicht böse gemeint, mein Kind. Ich wollte damit nur sagen, dass jetzt Ehemänner auf der ganzen Welt in Ruhe schlafen können.«
»Okay, das war’s.« Grace sprang auf. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass sich knisternde Mageverse-Energie um sie versammelte, und konnte spüren, wie sie danach griff, als sie einen warnenden Schritt auf Camelots königlichen Vampir zutrat.
Artus’ Augen weiteten sich vor Ärger und Erstaunen. »Was?«
»Ihr habt gehört, was ich gesagt habe«, fauchte sie. Über ihre telepathische Verbindung konnte sie Lancelots belustigte Zustimmung erkennen. »Wir alle wissen ganz genau, was vor sechzehnhundert Jahren geschehen ist, und wir alle wissen auch, dass es vorbei ist. Es wird Zeit, dass Ihr das Thema fallen lasst.«
»Du freches kleines Ding«, erwiderte Artus mit so gefährlich leiser Stimme, dass sich Grace die Nackenhaare sträubten. »Wie kannst du es wagen, in diesem Ton mit mir zu reden?«
Oh Gott, was tue ich?, jammerte eine kleine Stimme in Grace’ Kopf. Aber sie beachtete sie nicht. »Ich bin kein ›kleines Ding‹, Artus, sondern ein Cop. Und ich bin lange genug mit Rabauken umgegangen, um sie zu erkennen, wenn ich einen vor mir habe.«
Das berühmt-berüchtigte Pendragon’sche Temperament brach aus. Artus trat einen Schritt vor …
Und geradewegs in Lance’ Faust hinein. Blut spritzte aus Artus’ Nase, und der Vorsitzende des Magi-Rates landete auf seinem königlichen Allerwertesten.
»Solltest du je wieder meine Frau bedrohen, fordere ich dich zum Duell heraus«, sagte Lancelot, und gerade sein ruhiger, beherrschter Tonfall ließ seine Warnung noch bedrohlicher klingen. »Und glaub ja nicht, dass ich dich nicht töten würde.«
»Artus!« Guinevere lief um Grace herum zu ihrem Gatten, hockte sich neben ihn und untersuchte sein blutiges Gesicht. »Oh, Lance, du hast ihm die Nase gebrochen!«
»Hol mir Excalibur«, fauchte Artus.
»Sei kein Narr, Liebling!«, gab sie scharf zurück und drückte die Hände auf seine Brust, um ihn am Boden zu halten, bevor er aufspringen und explodieren konnte. »Das hast du dir selbst zu verdanken, und das weißt du sehr genau.«
Artus’ wütender Blick hielt dem seiner Frau für einen langen, angespannten Moment stand, bis seine Augen schließlich weicher wurden. »Na ja, wahrscheinlich schon.« Seufzend erhob er sich mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung und drehte sich um, um seiner Gemahlin aufzuhelfen. »Mit den Jahren ist es mir zur Gewohnheit geworden, ihn zu ärgern«, sagte er anstelle einer Entschuldigung.
»Dann lege sie ab«, gab Grace scharf zurück.
Der einstige Hochkönig sah sie verdattert an. Dann brach er in schallendes Gelächter aus, und Grace verstand auf einmal, wie er vor all diesen Jahrhunderten Lance’ Loyalität gewonnen hatte. »Ich glaube, ich mag dich, Kind. Du bist in Ordnung.«
»Ich habe immer gesagt, dass sie das ist«, warf Morgana selbstgefällig ein und zog dann eine dunkle Braue hoch. »Aber wird es nicht höchste Zeit, dass wir die Hochzeit planen?«
Lance entspannte sich ein wenig. Grace spürte seine Erleichterung, als beide merkten, dass die Majae ihnen wegen des Treuebundes keine Schwierigkeiten machen würden. »Hast du nicht gesagt, du hättest andere Pläne für Grace, als jemanden wie mich zu heiraten?«, fragte er.
»Habe ich das?« Morganas katzenhaftes Lächeln wurde breiter.
Lance wechselte einen ärgerlichen Blick mit Grace. »Ich glaube, ich bin manipuliert worden.«
»Gewöhn dich dran«, sagte Artus und lächelte mit liebevollem Spott auf seine Frau herab.
»Wenn du also schon immer wolltest, dass wir heiraten«, wandte sich Grace mit einem unfreundlichen Blick an ihre Großmutter, »warum hast du dann versucht, Lance zu verführen?«
Die Maja zuckte anmutig mit den Schultern. »Wenn ich schon meine Enkelin dem Verführer von Avalon geben sollte, musste ich mich doch wenigstens davon überzeugen, dass er nach eurer Heirat nicht wieder in alte Gewohnheiten verfallen würde.«
»Glaub mir«, sagte Lance und zog Grace in die Arme, »alte Gewohnheiten reizen mich nicht mehr.«
Als sie in einem langen, glutvollen Kuss versanken, hörte Grace Morgana zufrieden sagen: »Siehst du, Gwen? Es ist alles so gekommen, wie ich es vorausgesagt hatte.«
Grace legte einen Arm um ihren Liebsten und scheuchte ihre Großmutter mit einem Fingerschnippen weg.