5. Kapitel

Lance verschlug es den Atem, als er Grace mit dem Messer in der Hand auf seinen Hüften sitzen sah.

»Oh, oh«, flüsterte sie. »Ich frage mich, wofür du das benutzen wolltest?«

»Du glaubst doch nicht, dass ich dir das sage?«, entgegnete er mit erhobener Braue.

»Das brauchst du auch nicht.« Ein mutwilliges Lächeln spielte um ihre Mundwinkel. »Ich weiß sehr gut, was du damit vorhattest. Vermutlich …« Sie schob die scharfe Klinge zwischen die Kordel seines Lendenschurzes und seine Haut. »Das?« Mit einer schnellen Drehung ihres Handgelenks durchtrennte sie die Kordel, während sie mit der anderen Hand das Leder wegzog und Lance’ erigiertes Glied entblößte.

»Eigentlich waren es nicht meine Sachen, die ich damit zerschneiden wollte.«

Ihr Lächeln wurde noch übermütiger. »Oh, du meinst …« Rasch schnitt sie die Kordel an ihrer eigenen Hüfte entzwei. »Das?« Das lederne Dreieck fiel schon, bevor sie die Kordel auf der anderen Seite durchtrennen konnte. Mit einer Hand ergriff sie es und zog den Rest schnell unter ihrem Po hervor. Genauso bereitwillig kappte sie auch die Bänder, die ihr winziges Oberteil zusammenhielten, und entblößte ihre festen Brüste mit den rosa Brusthöfen und herrlich spitzen Knospen. »Und das?«

Lance schluckte, als er den Anblick von Grace’ schönem, nur noch mit hohen Lederstiefeln bekleidetem Körper in sich aufnahm. Lance’ Glied pulsierte heiß und hart. »Ja«, sagte er mit belegter Stimme. »Ich glaube, das war es, woran ich dachte.«

»So ein Pech.« Ihre schlanken Finger strichen über die Wölbung seiner muskulösen Brust, und dann beugte Grace sich über ihn. »Weil es nämlich so aussieht, als hätte ich gewonnen. Also werden wir tun, was ich will.«

Lance stieß einen wohligen Seufzer aus und bog sich ihr entgegen, als sie mit ihrer rosa Zunge eine seiner kleinen Brustknospen umspielte. Grace grinste beim Blick auf seine verzückte Miene. »Gefällt dir das?«

Er ließ die Hüften kreisen, bis die Spitze seines harten Glieds eine ihrer Brüste streifte. »Merkst du das nicht?«

»Lass sehen.« Sie richtete sich gerade auf und betrachtete seine wirklich sehr beeindruckende Männlichkeit. »Mm. Ich muss zugeben … dass du interessiert aussiehst«, murmelte sie und fuhr mit einem Fingernagel an seinem heißen, harten Penis entlang. Als er sogar noch härter wurde, lachte sie und legte eine Hand um Lance’ Hoden.

»Und ob ich interessiert bin!«, knurrte er. »So interessiert, dass ich dir gleich zeigen werde, was mit appetitlichen Mädchen passiert, die Vampire scharf machen.«

»Aber Lance – das hört sich ja wie eine Drohung an.« Wieder spürte er den kalten Stahl an seiner Kehle. »Keine gute Idee, wenn ich diejenige mit dem Messer bin.«

Er sah ihr lächelnd in die Augen. »Die Frage ist, ob du es auch behalten kannst?«

»Oh, ich denke schon, dass ich das kann.« Ohne den Dolch von seinem Kinn zu nehmen, legte sie die freie Hand um sein hartes Glied und führte es zu sich heran, während sie den Po ein wenig anhob und sich über Lance’ Schenkel kniete. »Ich kann sehr gut mit … Stichwaffen umgehen«, stellte sie schmunzelnd fest, um sich dann mit aufreizender Langsamkeit auf ihn herabzulassen.

»Ja«, stöhnte Lance. »O ja, das kannst du, zweifellos!«

Sie war so heiß, eng und feucht! Und welch herrlich feste Muskeln sie an ihren Schenkeln hat!, dachte Lance, als sie sich halb von ihm erhob und vorbeugte. Er stöhnte noch angesichts der lustvollen Gefühle, die von ihm Besitz ergriffen, als das Messer sich noch fester an seine Kehle presste und ihm fast die Haut aufschnitt. Lance zuckte zusammen und erhob schockiert den Blick zu Grace, schon kurz davor, das Messer wegzustoßen.

»Du bist mir ausgeliefert, Sir Lancelot«, schnurrte sie wie eine Katze. »Wirst du ein braver, gehorsamer Gefangener sein?«

Er war stark versucht, sie umzudrehen, mit dem Rest ihres Bikinis zu fesseln und ihr zu zeigen, wer wessen Gefangener war. Stattdessen jedoch hob er die Hüften an und glitt langsam tiefer in sie hinein. »Es wird mir ein Vergnügen sein.«

Ihr weicher Mund öffnete sich bei dem erregenden Gefühl; ihre Lider schlossen sich halb. »Oh, das ist gut …« Ihre rosa Zunge schnellte hervor, um ihre verführerischen Lippen zu befeuchten, und Grace beugte sich über Lance, bis ihre Brüste fast seinen Mund berührten, und drückte das Messer noch ein wenig fester an seinen Hals. »Dann küss meine Brüste, Gefangener!«

Mit einem verlangenden Aufstöhnen gehorchte er dem Befehl. Er ließ seine Zunge abwechselnd um jede der harten kleinen Spitzen gleiten und hob die Hüften an, um noch tiefer in Grace einzudringen.

Lance schwirrte der Kopf, und er war wie benebelt vor Verlangen, weil sie sich so unbeschreiblich gut anfühlte. Er konnte sich nicht erinnern, wann eine Frau das letzte Mal auf solch köstliche Weise den Spieß umgedreht hatte. Wie ähnlich wir uns sind!, dachte er und glaubte, in Lust und Hitze zu ertrinken, als er seine Bewegungen immer härter und schneller werden ließ. Zwei verwandte Seelen …

Lance nahm sie wild und leidenschaftlich. Dabei zupfte sein warmer, feuchter Mund an den Spitzen ihrer Brüste, die vor Erregung bebten. Heiße Lustschauer durchliefen Grace, bis sie das Gefühl hatte, von innen heraus zu verbrennen.

Und dennoch brauchte sie mehr. Viel mehr.

Mit einer achtlosen Handbewegung warf sie das Messer weg und lehnte sich zurück, um mit beiden Händen ihre Knöchel zu umfassen. Mit zurückgelegtem Kopf ließ sie die Hüften kreisen, und mit jeder Bewegung schien Lance noch ein wenig tiefer in sie einzudringen. »Oh, Lance«, stöhnte sie. »Du machst mich …«

»Ja«, unterbrach er sie rau und steigerte ihr Verlangen mit noch schnelleren Bewegungen, während seine starken Hände an ihren Hüften sie gefangen hielten. Mit seltsam kehliger Stimme begann er, einen Strom unverständlicher Worte zu raunen, in einer Sprache, die seit Jahrhunderten nicht mehr gesprochen wurde. Grace konnte den Orgasmus nahen spüren, als es ihr heiß und kalt zugleich über den Rücken lief und ihr Körper glühte und zitterte von rauschhaften Empfindungen. Bis sie es nicht mehr auszuhalten glaubte und sich mit heiserer, gebrochener Stimme betteln hörte: »Lancelot, bitte …«

»Ja!« Eine große Hand fuhr hoch und legte sich um ihren Hinterkopf, um sie zu sich herabzuziehen. Dann presste sich Lance’ heißer Mund an ihre Kehle, ein scharfer, kurzer Schmerz durchzuckte sie, und wilde Lust erfasste sie, als seine Zähne ihre Haut durchdrangen.

Grace zuckte überrascht zusammen, aber sie war ihm hilflos ausgeliefert, eine Gefangene seiner kraftvollen Arme und seines heißen, harten Glieds, das sie so unwiderruflich in Besitz genommen hatte.

Und während seine Bewegungen immer härter und intensiver wurden, trank Lance ihr Blut, und brennende, prickelnde Wogen lustvollster Empfindungen durchfluteten sie, wo sein Glied und seine Zähne sie berührten. Grace schrie auf unter dem Ansturm dieser elektrisierenden Empfindungen, und ein rauer Schrei entrang sich ihr, als die Welt um sie herum in tausend heiße Funken explodierte. »Lancelot!«

Im selben Moment durchzuckte auch ihn eine solch unbändige Lust, dass sein ganzer Körper wild erschauerte unter ihrer Macht.

Minuten verstrichen, bevor Lance sich des kalten Steins an seinem Rücken und der Hitze einer angenehm erschöpften Frau auf seiner Brust bewusst wurde. »Grace?«

Sie stöhnte leise, bewegte sich aber nicht.

Er drehte sich sanft mit ihr herum und ließ sie nur gerade lange genug liegen, um aufstehen zu können. »Der Boden ist kalt«, beschwerte sie sich.

»Ich weiß.« Lance bückte sich, um sie aufzuheben, und sie schlang ihm die Arme um den Nacken und schmiegte sich an seine Brust. Er trug sie in sein fürstlich eingerichtetes Schlafzimmer.

Dort legte er sie zwischen die Pelze, die in verschwenderischem Luxus auf dem mächtigen Bett herumlagen, deckte sie behutsam mit ihnen zu und schlüpfte zu ihr unter die warmen Felle. Als er sie an sich zog, merkte er, dass sie schon schlief.

Es dauerte nicht lange, bis er ihr ins Reich der Träume folgte.

»Du musst auf deine Deckung achten, Grace«, ermahnte Lancelot sie, nahm den Helm ab und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Du lässt sie immer wieder fallen. Ein Gegner könnte die Gelegenheit nutzen und dir …«

»… seine Klinge ins Herz stoßen, ich weiß. Das hast du mir schon mehrere Dutzend Mal gesagt, Coach.« Grace’ Blick ruhte auf seinem gut aussehenden Gesicht. Was für ein schöner Mann er ist!, dachte sie, wandte sich jedoch ab, um den Übungsplatz des Lord’s Club zu verlassen. Und ich bin für ihn nur ein kleines Mädchen.

Aber das war sie nicht. In drei Monaten würde sie schon siebzehn sein.

Dieser Gedanke brachte einen anderen, weit weniger willkommenen mit sich. Würde Mom ihren Geburtstag noch erleben?

»Grace?«, fragte Lancelot plötzlich, und sie blickte auf und sah ihn über den mit Sägemehl bedeckten Boden auf die Tür zukommen. Er runzelte die Stirn, doch zerstreut wie sie war, kam sie nicht auf die Idee, sich nach dem Grund zu fragen. »Warte einen Moment, ja? Ich … höre etwas und muss nachsehen, was es ist.«

»Ja, okay.« Auch sie krauste die Stirn, als sie mit verschwitzten Fingern an den Schnallen ihres ledernen Brustpanzers herumhantierte. Mom hatte heute so krank ausgesehen, als sie sie nach der Schule im Sanktuarium besucht hatte. So dünn und alt. Als läge sie …

Nein, Mom wird nicht sterben, sagte Grace sich grimmig. Großmutter wird ihr die Gabe zuteilwerden lassen, und Mom wird wieder gesund. Alles wird wieder wie vorher sein, nur ohne den Alkohol, die Drogen und die miesen Freunde, die sie hatte. Morgana kann das alles regeln. Und dann werden wir glücklich sein …

»Du bist das, nicht wahr?«

Verwirrt blickte Grace auf und direkt in die merkwürdigsten Augen, die sie je gesehen hatte. Das Schwarz der Pupille nahm fast das ganze Auge der Maja ein und ließ nur einen dünnen Ring aus Violett darum. Winzige Lichter flackerten in der Pupille wie Wetterleuchten in einer heißen Sommernacht.

»Du bist es«, sagte die Frau erneut. »Ich habe dich in einer Vision gesehen. Er wird dich lieben.«

Clarice, dachte Grace, als sie die Frau endlich erkannte. Lancelots Freundin.

Nur … Instinktiv trat sie einen Schritt zurück. Irgendetwas stimmte nicht mit Clarice. Ihr rotes, normalerweise wunderschönes Haar, war verfilzt und wirr, und sie war fast nur noch Haut und Knochen, genau wie Mom. Clarice trug ein fließendes weißes Kleid aus einem dünnen Stoff, das sehr viel Dekolleté zeigte, aber zerknittert und befleckt war. Sie stank nach Erbrochenem und etwas Verdorbenem, so wie Dad, wenn er die Nacht in einem Müllcontainer verbracht hatte. Ja, wenn Grace es sich recht überlegte, hatte Clarice auch den gleichen Ausdruck in den Augen wie Dad, wenn er sich zu lange keinen Schuss mehr gesetzt hatte: böse. Und als wäre er nicht bei Verstand.

»Hi, Clarice«, sagte Grace mit erzwungener Fröhlichkeit. Aber ihr Herz pochte wie wild. Denn was sie sah, war schlimm. »Soll ich Lancelot holen? Ich glaube, er ist irgendwo da drau …«

»Er wird dich flachlegen.« Blitze durchzuckten wieder diese schwarzen Augen.

Oh, oh. Das war noch schlimmer, als sie gedacht hatte. »Wer?«

»Lancelot.«

Grace mochte ihre Träume haben, aber sie war nicht dumm. »Clarice, ich bin fast noch ein Kind. Er ist nicht interessiert an mir.«

»Du wirst älter sein, wenn er dich liebt. Ich sehe es in meiner Vision. Aber wo bin ich? Und was ist los mit mir?« Sie trat näher. Ihr Mund verzerrte sich, und ihre roten Brauen zogen sich über diesen großen, irre dreinblickenden Augen zusammen. »Beim dritten und letzten Mal wollte er nicht mehr mit mir ins Bett, und sie schickten jemand anderen, um meine Gabe zu erwecken. Er wollte es nicht. War es deinetwegen?«

Oje. »Warum lässt du mich nicht Lancelot holen, dann könnt ihr miteinander reden …«

Eine Hand schoss vor und legte sich um Grace’ Kinn, und scharfe rote Fingernägel bohrten sich in ihre Haut. »Ich frage mich, ob ich die Zukunft nicht noch ändern könnte …« Mit der übermenschlichen Kraft einer Maja hob Clarice Grace hoch, sodass diese gerade noch auf ihren Zehenspitzen stand. Dann trat Clarice näher, und die Lichter in ihren stark geweiteten Pupillen blitzten immer schneller auf. »Ob ich nicht dafür sorgen könnte, dass er dich nie wieder ansieht.«

Hol dich der Teufel!, dachte Grace und schlug der Maja die Faust ans Kinn. Aber eine jähe Hitzewelle ging von den Fingern um ihr Gesicht aus und ließ ihren Arm in der Luft erstarren.

»Ich frage mich«, flüsterte Clarice, »ob ich dir nicht den Verstand wegbrennen könnte.«

Und im selben Moment löste sich etwas aus dem Verstand der Hexe und legte sich um Grace’ Bewusstsein, etwas Schwarzes, Widerliches, in dem es wimmelte wie in einem Nest von Maden. Grace versuchte zu schreien, aber der einzige Laut, den sie hervorbrachte, war ein heiseres, ersticktes Wimmern.

Und dann erfasste sie ein Schmerz, als verwandelten ihre Knochen sich in rot glühende Feuerhaken, die sie von innen heraus verbrannten. Außerstande, etwas zu sagen, wiederholte Grace im Stillen nur immer wieder hilflos eine Bitte: Hör auf damit, hör auf damit, hörauf HÖRAUFHÖRAUF.

Clarice lächelte böse. »Nein.«

Bilder begannen aus ihrer Peinigerin hervorzuströmen und wie ein feuriger Hagelsturm in Grace’ Kopf hineinzuregnen: Bilder von ihr selbst, wie sie in Flammen aufging, wie ihre Haut aufplatzte und von ihren Knochen abfiel wie Schicht um Schicht einer brennenden Zwiebel. Wie sie schrie und bettelte, während Clarice lachte.

Und dann wurde es sogar noch schlimmer.

Nun kamen grauenhafte Bilder von Blut und Leiden, nicht nur des ihren, sondern auch all derer, die Clarice ebenso verhasst waren, sogar Lance’ Bild erschien, und alle, die Grace sah, starben von der Macht, die in der neuen Maja loderte. Grace konnte sie nicht aufhalten, niemand konnte es, Clarice war unbesiegbar …

Zwei starke Männerhände ergriffen den Kopf der Hexe. Ihre vom Wahnsinn glühenden Augen weiteten sich. Die starken Hände machten eine schnelle, scharfe Drehung. Etwas knackte. Clarice … knickte um und sackte in sich zusammen wie ein leerer Anzug.

Das Feuer, der Schmerz, der Wahnsinn – alles war wie weggeblasen. Starke Arme legten sich um Grace, hoben sie auf und trugen sie zur Tür. Sie wehrte sich voller Panik, bis sie Lance’ beruhigende Stimme hörte:

»Ich bin’s, Liebes. Es ist okay, ich hab dich.«

Er begann, ihr etwas zu erzählen, irgendetwas über einen Zauber, den Clarice gewirkt hatte, um ihn abzulenken, bis er gemerkt hatte, was sie im Schilde führte. Grace, die ihm kaum zuhörte, wandte den Kopf, um über seine breite Schulter zurückzublicken. Ein regloser Körper mit unnatürlich verdrehtem Kopf lag hinter ihnen am Boden.

Aber das Haar war nicht rot wie das von Clarice, sondern irgendwie zu einem hellen Blond geworden. Grace sah genauer hin …

Sie erwachte schreiend in Lance’ Armen.

»Es ist alles gut, ich halte dich«, sagte er, und seine Stimme klang genauso wie in dem Traum. Grace war zu verwirrt und desorientiert, um zu entscheiden, was real war und was nicht. »Du hattest einen Albtraum«, sagte Lance.

»Oh Gott.« Grace schlang die zitternden Arme um seine Schultern und versuchte, an seinem warmen Körper Trost zu finden. »Es war grauenvoll.«

»Was hast du denn geträumt?« Sie konnte sein Herz fast ebenso heftig schlagen hören wie das ihre. »Ich habe dich noch nie so schreien gehört.«

»Clarice. Ich habe von Clarice geträumt. Aber …« Sie umklammerte seine Schultern noch fester und erschauderte.

»Aber?«

»Am Ende des Traumes, als ich mich noch einmal nach der Leiche umsah …« Sie schluckte. »Da war ich es.«

Lance zog sie noch fester an sich. »Grace, du bist nicht Clarice«, sagte er mit solch absoluter Sicherheit in der Stimme, dass Grace sich ein klein wenig beruhigte. »Da war eine Schwäche in ihr, die du nicht hast. Ich hatte den Majae-Rat gewarnt, dass Clarice mit der Gabe nicht würde umgehen können, doch sie wollten ja nicht auf mich hören. Als ich mich weigerte, das dritte Mal mit ihr zu schlafen, schickten sie einen anderen Magus zu ihr, um es zu beenden.«

»Aber warum? Warum hatte denn keiner eine Vision oder so etwas?«

»Vision!«, schnaubte Lance. »Jeder mit einem Fünkchen Verstand hätte das kommen sehen müssen. Doch sie war Parzivals Tochter, und er war fest entschlossen, dass sie die Gabe erhalten sollte.«

»Während Morgana sie Mom nicht einmal geben wollte, um ihr das Leben zu retten.« Gedankenverloren strich Grace mit dem Zeigefinger durch das feine dunkle Haar an Lance’ muskulöser Brust. »Nach Clarice … Ich wollte es nicht zugeben, aber da verstand ich, warum Morgana sich weigerte, meiner Mutter zu helfen. Die Gabe hätte Mom genauso zerstört. Es gab Dinge, die … ihr Leben bestimmten. Sie hatte ein Drogenproblem. Sie sagte ständig, dass sie aufhören wolle, doch sie hat es nie geschafft. Hätte Morgana ihr die Gabe verliehen, wäre sie wahrscheinlich völlig durchgedreht. Ich konnte es einfach nur nicht zugeben.«

Lance legte den Kopf ein wenig schief, um Grace ansehen zu können. Sein Blick war ruhig und verständnisvoll. »Und du hattest Angst, dass Morgana nachgeben könnte.«

»Ja. Und ich fühlte mich so schuldig, Lance! Das war der wahre Grund, warum ich so wahnsinnig wütend auf Morgana war.« Sie wich seinem prüfenden Blick aus. »Tief im Innersten befürchtete ich, dass Mom den Verstand verlieren würde wie Clarice – und du nicht da sein würdest, um mich zu retten. Und ich hasste mich dafür, dass ich so dachte. Sie war meine Mutter. Ich hätte das Risiko auf mich nehmen müssen.«

»Warum? Keiner von uns anderen war bereit dazu.« Er strich Grace tröstend übers Haar. »Du hattest vollkommen recht. Die Gabe hätte deiner Mutter den Verstand geraubt. Sie wäre für uns alle eine Gefahr gewesen.«

»Was ich natürlich auch nicht wollte.« Sie stützte sich auf die Ellbogen auf, um Lance prüfend in die Augen zu sehen, und suchte … sie war sich selbst nicht sicher, was. »Ich habe Clarice’ Bewusstsein angerührt, Lance, und was ich dort sah, erschreckte mich zu Tode. So will ich nicht enden.«

»Das würdest du auch nicht. Du hast eine Kraft in dir, die an der Gabe nicht zerbrechen wird. Du bist eine von denen, die damit umgehen können.«

»Sei dir da mal nicht so sicher.« Sie legte eine Faust an seine Brust und stützte nachdenklich das Kinn darauf. »Ich habe heute einen Mann verhaftet, der bei einem Autounfall eine Vierjährige getötet hatte, weil er betrunken gefahren war. Und für diesen Mistkerl war es nicht schlimmer, als hätte er einen Hund überfahren. Es hat mich meine ganze Kraft gekostet, nicht die Waffe zu ziehen und ihm eine Kugel in die Stirn zu jagen.« Seufzend setzte sie sich auf und ließ die Schultern hängen. »Lance, mir kann man nicht einmal eine Neun-Millimeter Smith & Wesson anvertrauen, geschweige denn eine direkte Leitung zu den Energien des Mageverse!«

»Hast du ihn erschossen?«

»Natürlich nicht, aber …«

»Dann kann man dir vertrauen. Der Punkt ist nicht, ob du versucht bist, etwas zu tun, sondern ob du der Versuchung nachgibst.«

Grace lachte auf. »Ja, und der habe ich nachgegeben, seit ich dir begegnet bin.«

»Erfreulicherweise«, erwiderte er mit einem breiten Grinsen, bevor er etwas ernster hinzufügte: »Im Übrigen ist das nicht das Gleiche, Grace. Vergiss nicht, dass ich seit sechzehnhundert Jahren Majae die Gabe empfangen sehe. Ich vermag inzwischen zu erkennen, wer damit umgehen kann und wer nicht. Du kannst es.«

Grace verließ das Bett und hob Lance’ Morgenmantel vom Boden auf. »Aber ich will es nicht.« Mit hektischen Bewegungen zog sie den Mantel über und verknotete den Gürtel. »Ich will weder die Macht noch die Verantwortung, ob ich nun damit umgehen kann oder nicht. Und schon gar nicht will ich mich für den Rest der Ewigkeit in Machtspielchen des Obersten Gerichts verwickelt sehen.«

Nun stützte er sich auf einen Ellbogen, um ihren Blick zu suchen. »Man bekommt nicht immer, was man will, Grace.«

»Diesmal werde ich es bekommen.« Sie wandte sich in Richtung Tür, fest entschlossen, den nächsten magischen Generator zu finden und mit seiner Hilfe heimzukehren. »Und halte dich verdammt noch mal in Zukunft von mir fern.«

Bitte.

Lance lag auf den Fellen und starrte zu der Zimmerdecke hoch. Vielleicht hätte er Grace folgen sollen, aber nach den letzten Minuten brauchte er den Abstand genauso sehr wie sie.

Kurz darauf hörte er das verräterische Brausen und Zischen von sich verlagernder Luft, das bedeutete, dass sich ein Tor zur Parallelwelt öffnete und schloss. Grace musste den magischen Generator in der Bibliothek gefunden haben.

Lance’ Gedanken schweiften immer wieder zu dem Moment kurz vor ihrem Erwachen aus dem Albtraum ab. Irgendetwas hatte ihn geweckt; er schlief nie sehr tief um diese Zeit. Es fehlten noch zwei Stunden, ehe er seinen Tagesschlaf beginnen musste und es schier unmöglich sein würde, ihn zu wecken, solange sein Körper die Energien aufnahm, die er aus dem Mageverse benötigte.

Mehrere Minuten hatte er in wohliger Ermattung dagelegen, mit Grace im Arm und ihrem Kopf an seiner Schulter. Von ihrem Duft umhüllt, ihren Herzschlag in den Ohren, hatte ein tieferer Frieden von ihm Besitz ergriffen, als er je zuvor erfahren hatte.

Dann war sie aus dem Albtraum erwacht, mit einem Ausdruck solch hilflosen Entsetzens in den Augen, dass Lance ihre Furcht bis ins eigene Herz gespürt hatte. Sie zu trösten und ihr die Angst zu nehmen, war überaus befriedigend gewesen.

Doch nun, da sie gegangen war, empfand er die Stille der Burg als umso bedrückender. Nie zuvor hatte er sich so verlassen gefühlt. Ihm war bisher nicht einmal bewusst gewesen, wie ungeheuer einsam er gewesen war.

Und deshalb wälzte er sich nun unruhig auf den Fellen herum und fragte sich, wann Grace wiederkommen würde. Bis zum Tagesschlaf fehlte jetzt höchstens noch eine Stunde, das konnte er an seinem Körper spüren. Er merkte, dass er hoffte, Grace möge da sein, wenn er erwachte, und wenn auch nur, um ihm eine weitere ihrer scharfzüngigen Predigten zu halten. Sie … bereicherte selbst dann sein Leben, wenn sie ausgesprochen schlechter Laune war. Vielleicht, weil er sie verstand, wie er nur wenige Majae verstand. Trotz ihrer unterschiedlichen Geschlechter – und seiner weitaus größeren Erfahrung – bestanden im Grunde viel mehr Ähnlichkeiten zwischen ihnen als Unterschiede. Wie er war sie ein Krieger, ein Beschützer, jemand, der den Sinn seines Lebens darin sah, den Hilflosen beizustehen und ihr Leben ein kleines bisschen zu verbessern.

Leider war ihm aber auch bewusst, dass er sie nur noch selten sehen würde, nachdem sie die Gabe erhalten hatte und die Mageverse-Energien beherrschte. Der Hohe Rat würde ihn auf andere Missionen schicken, und sie würde ihre eigenen haben.

Ein Gefühl der Leere, das ihn sehr erstaunte, stellte sich bei dem Gedanken ein. Es sei denn …

Er behielte Grace. Abrupt setzte Lance sich auf und starrte blind die gegenüberliegende Wand an. Ja, das würde möglich sein. Ein Teil der mädchenhaften Verliebtheit, die sie vor Jahren für ihn empfunden hatte, war immer noch vorhanden. Auf diesem Gefühl konnte er aufbauen und es nutzen, um sie bei sich zu behalten.

Nur gab es leider einen großen Haken bei der Sache: Er würde die Zustimmung des Hohen Rates dazu einholen müssen. Und angesichts der Tatsache, dass zwei seiner mächtigsten Mitglieder Guinevere und Artus waren, war es eher unwahrscheinlich, dass er sie erhalten würde. Zum Glück hatte Grace ihm zwei Asse in die Hand gegeben, die er ausspielen konnte: zum einen ihre jugendliche Vernarrtheit in ihn und zum anderen Morganas Entschlossenheit, dafür zu sorgen, dass ihre Enkelin die Gabe erhielt.

Lance stand auf und ging ins Bad, weil er wusste, dass er sich auf die bevorstehende Besprechung so sorgfältig vorbereiten musste, wie er sich in früheren Jahren auf Schlachten vorbereitet hatte. Heute mochte er zwar Armani statt einer Rüstung tragen, aber der Einsatz war genauso hoch.

Weil er nämlich das Gefühl nicht loswurde, dass sein Leben auf dem Spiel stand.

»Ich habe sie«, berichtete Lance Morgana eine Stunde später. Falls er ihre Zustimmung zu seinen Plänen bezüglich ihrer Enkelin gewinnen konnte, würde der Rest des Rates ihm nicht im Wege stehen. »Sie wehrt sich noch, doch ihr Widerstand erlahmt bereits. Wenn ich zum dritten Mal zu ihr gehe, wird sie nicht Nein sagen.«

Morgana schenkte ihm ein katzenhaft zufriedenes Lächeln. »Ich wusste, dass sie dir nicht würde widerstehen können.«

»Danke für dein Vertrauen«, erwiderte Lance, der seine Chance gekommen sah. »Doch sobald Grace die Gabe hat, will ich im Ausgleich dafür etwas von dem Hohen Rat.«

Die dunklen Brauen der Hexe fuhren in die Höhe, als sie sich auf ihrem Schreibtischsessel zurücklehnte. Ihre langen, schlanken Finger spielten mit der weißen Perlenkette, die ihrem strengen weißen Hosenanzug einen Hauch von Weiblichkeit verlieh. »Und was wäre das, Lord Lancelot?«

»Grace.« Lance beugte sich vor und stützte die Arme auf den Tisch. »Ich will die Genehmigung des Hohen Rates, sie zu heiraten.«

Morgana machte große Augen. »Ach! Hat sich der Mörder von Avalon verliebt?«

Lance straffte die Schultern. »Sei nicht albern. Ich bin es nur leid, allein zu sein. Grace und ich … wir passen zueinander. Sie ist intelligent, sinnlich, mutig …«

»Und ich habe andere Pläne für sie.« Morgana zog das dicke, illustrierte Buch auf ihrem Tisch ein wenig näher und nahm einen Stift zur Hand, als hätte sie zu arbeiten. »War das alles?«

»Nicht, wenn du sie mit der Gabe ausgezeichnet sehen willst.« Lance verschränkte die Arme und nahm die Haltung eines Mannes an, der sich nicht umstimmen lassen würde. »Entweder unterstützt du mich in dieser Sache, oder ich rühre sie nicht noch einmal an.«

»Pah! Du bist nicht der einzige Magus in Avalon.«

»Aber der Einzige, den sie nicht abweisen wird. Sie ist immer noch in mich verliebt.«

»Das mag ja sein.« Morganas Ausdruck blieb kalt und abweisend. »Doch es gibt auch solche, die loyal genug sind, dafür zu sorgen, dass sich Grace’ Gabe entfaltet.«

Lance versteifte sich. Da war sie wieder, die Drohung, die er erwartet hatte. Instinktiv verlängerten sich seine Zähne. »Dann wirst du einen solchen Fanatiker verlieren, denn ich werde jeden Magus töten, der auch nur versucht, sich ihr zu nähern.«

Morgana erhob sich langsam, und helle Funken, ein unübersehbares Zeichen ihrer Macht, sprühten in der Düsternis ihrer erweiterten Pupillen auf. »Du wagst es, dich aufzulehnen, Lord Lancelot?«

Mit einem einzigen Gedanken könnte sie ihn auf der Stelle in Flammen aufgehen lassen oder die anderen Mitglieder der Tafelrunde herbeirufen, damit sie ihn töteten. Lance dachte jedoch nicht daran, sich einschüchtern zu lassen. »Ich habe Avalon immer treu gedient. Alle Aufgaben, mit denen mich der Hohe Rat in den letzten sechzehnhundert Jahren betraut hat, habe ich erfüllt, egal, wie scheußlich sie auch waren. Selbst als es mich zerbrach. Und jetzt verlange ich etwas dafür.« Er beugte sich wieder vor und konzentrierte den Blick – und seinen Willen – auf Morgana. »Du bist es mir schuldig.«

Langsam erstarb die tödliche Energie in ihren Augen, ihre Lider senkten sich.

Während Lance mit zunehmendem Unbehagen zusah, kam Morgana um den Schreibtisch herum zu ihm. Mit jedem ihrer geschmeidigen Schritte schien der weiße Anzug heller und heller an ihr zu glühen. »Ja. Ja, du hast uns in all diesen Jahrhunderten gedient. Vielleicht verdienst du ja eine Belohnung.«

Lance musste sich beherrschen, um nicht misstrauisch einen Schritt zurückzutreten.

Zu seinem Erstaunen ließ Morgana sich langsam vor ihm auf die Knie nieder, während das Glühen um sie herum erstarb. Ihr Zauber hatte ihren strengen weißen Anzug in ein durchsichtiges weißes Spitzennegligé verwandelt, das vorne nicht geschlossen war und einen atemberaubenden Blick auf verführerische nackte Haut erlaubte.

Unwillkürlich glitt Lance’ Blick von Morganas schlankem Hals zu ihren festen Brüsten mit den rosig angehauchten Spitzen, zu den schier endlosen Beinen und dem dunklen Dreieck zwischen ihnen. »Du kannst mich nicht mit einer schnellen Nummer bestechen«, sagte er scharf.

»Nicht mit einer ›Nummer‹ – was ist das überhaupt für ein vulgäres Wort? Nein, ich bin bereit, einen Eid zu leisten, dir zu dienen.« Ihre Stimme schien ein Netz aus Verlockung und Verführung um ihn herumzuspinnen – es war nicht ganz ein Zauber, aber verdammt nahe daran. »Überleg es dir, Lance. Stell dir doch nur einmal vor, du könntest ein ganzes Jahr über Morgana Le Fay gebieten. Und ich versichere dir, dass das ein Angebot ist, das ich noch keinem anderen Mann gemacht habe.«

Lance blickte auf ihr schönes Gesicht herab, und für einen Moment schossen ihm dunkle Bilder durch den Kopf. Er würde sie besitzen können, ihr Blut trinken und süße Rache an ihr nehmen können für all den Missbrauch, den sie ihm jahrhundertelang zugemutet hatte, und so oft er wollte.

Vor ein paar Tagen noch hätte er sich auf die Chance gestürzt, die Hexe so vollkommen in seine Gewalt zu bekommen, doch nun dachte er an Grace, wie sie sich im Schlaf an seine Brust gekuschelt hatte, ihr Atem warm an seiner Haut …

Und er stellte zu seiner eigenen Bestürzung fest, dass Morganas verführerisches Angebot ihn absolut nicht reizte.

»Du bist zu großzügig, Morgana«, sagte er, obwohl ihm eine sehr viel schärfere Abfuhr auf der Zunge lag. Er würde sich jedoch hüten, eine Maja von Morganas Macht zu kränken. »Ich würde nicht einmal im Traum daran denken, eine solche Forderung an dich zu stellen. Grace’ Hand genügt mir völlig.«

Für einen Moment starrte sie mit großen, fassungslosen Augen zu ihm auf, als könnte sie nicht glauben, dass er es wagte, sie zurückzuweisen.

Dann stieß sie ein schroffes Lachen aus, und die Wellen unbeherrschter Wut, die von ihr ausgingen, als sie sich erhob, waren von einer solchen Heftigkeit und Hitze, dass selbst der kampferprobte Lance zusammenzuckte. »Du bist also doch in sie verliebt!« Sie ging zurück zu ihrem Schreibtisch und ließ sich in den Sessel dahinter fallen. »Oh, das ist ja wirklich köstlich! Meine Enkelin hat den Killer und besten Hengst des Hohen Rates in die Knie gezwungen!«

Lance biss die Zähne zusammen und schluckte einen zornigen Widerspruch hinunter. »Ich will ihre Hand, Morgana.«

Die Hexe taxierte ihn mit glitzernden Augen. »Wirst du dann den Treuebund mit ihr schließen?«

Eine telepathische Verbindung mit Grace eingehen, damit sie jederzeit an seinen Geist rühren konnte? Bis er noch empfänglicher für sie wurde, als er es ohnehin schon war? Lance wusste sehr gut, was eine Hexe mit dieser Art von Macht bewirken konnte. Er hatte Guineveres Spielchen mit Artus jahrhundertelang beobachten können. »Das halte ich für eher unwahrscheinlich.«

»Ihre Gabe ist stark, Lance«, erklärte Morgana in warnendem Ton. »Grace wird vielleicht nicht damit umgehen können ohne deinen Halt.«

»Ihre Gabe mag stark sein, aber sie selbst ist stärker. Wirst du mich sie nun heiraten lassen oder nicht?«

»Ich sagte doch schon, dass ich andere Pläne mit ihr habe.«

»Dann rühre ich sie nicht mehr an, bis du deine Pläne änderst.«

Morgana lachte. »Warte nicht mit angehaltenem Atem, Lancelot du Lac.«

»Das würde ich dir auch nicht raten«, gab er schroff zurück.

Dann wandte er sich ab und ging. Er hatte kaum die schwere Eichenholztür hinter sich zugezogen, als etwas Schweres dagegenprallte, das die aufgebrachte Hexe ihm hinterhergeworfen hatte.

Grace lag zusammengerollt auf ihrem Bett und beobachtete die morgendlichen Sonnenstrahlen, die durch die Fenster drangen. Sie trug noch immer den Morgenmantel, den sie in Lance’ Schlafzimmer übergezogen hatte. Das Gefühl des Samtes an ihrer Haut war herrlich sinnlich; der weiche Stoff erinnerte sie an Lance, wie er ihre nackte Haut gestreichelt hatte, und verströmte seinen verführerischen maskulinen Duft.

Gott stehe ihr bei, aber sie war nie wirklich über ihn hinweggekommen. Und wie sollte sie ihn abweisen, wenn er das nächste Mal zu ihr kam, ganz Sünde und Verführung, in zweihundert Pfund pure Muskelkraft verpackt?

»Du steckst in Schwierigkeiten, Mädchen«, sagte sie zu sich selbst.

Kaum waren die Worte über ihre Lippen, begann die Welt verrückt zu spielen.

Licht stach in ihre Augen, blendend grelles Licht, begleitet von einem Wirbel dunkler, krankhafter Emotionen – Lust, Hass und dem Drang, ein anderes menschliches Wesen sich vor Schmerzen winden und sterben zu sehen.

Wahnsinn.

Sie lehnte an der Stoßstange eines Wagens und beobachtete eine blonde Frau, die mit wippenden Brüsten unter ihrem dicken Sweatshirt in ihre Richtung lief.

Grace erkannte zwei Dinge zugleich: Diese Frau war das Mädchen, das sie in ihren Visionen gesehen hatte, und sie beobachtete die blonde junge Frau durch die Augen eines Mannes, der die Absicht hatte, sie zu töten.

Er malte sich schon aus, wie er sie foltern würde, bis sie sich vor Qualen wand. In seinem Kopf konnte er bereits ihre Schreie hören. Und er hatte eine Erektion.

Grace, die in der Vision gefangen war, schrie eine Warnung, obwohl sie wusste, dass das Mädchen sie nicht hören konnte.

Die kleine Blonde war so bemüht, ihr morgendliches Training hinter sich zu bringen, dass sie nicht einmal bemerkte, dass der Tod sie auf dem sonnigen Bürgersteig erwartete. Regungslos wie eine Schlange sah er der blonden jungen Frau beim Laufen zu, so wie er sie schon tagelang beobachtete. Er wusste, dass sie jeden Morgen zu dieser Zeit dieselbe Fünf-Meilen-Strecke lief. Er hatte die Falle hier errichtet, wo die Studentin schon fast wieder bei ihrem Wohnheim war und zu müde, um viel Gegenwehr zu leisten, wenn er sie sich schnappte.

Mit flatterndem blonden Haar trabte sie vorbei. Er ließ sie noch einen Schritt machen, bevor er sich von hinten auf sie stürzte, den chloroformgetränkten Lappen aus der Tasche zog und ihn ihr auf Mund und Nase drückte. Erschrocken schrie sie auf und sog die Droge damit ungewollt noch tiefer in ihre Lunge. Und er war schnell, zerrte sie trotz ihres – wenn auch schwachen – Widerstandes zu seinem Wagen, öffnete den Kofferraum mit der Funkfernbedienung und warf die junge Frau hinein. Triumphierend und heiß und hart vor Lust, blickte er in ihr regloses Gesicht und schlug den Kofferraumdeckel zu.

Als Grace wieder zu sich kam, stand sie einige Schritte von ihrem Bett entfernt und schwitzte und zitterte am ganzen Leib.

Gott stehe ihr bei, denn sie konnte ihn noch immer spüren. Und wusste, was er vorhatte.

Er würde mit der jungen Frau spielen, ihre Angst verschärfen und sich an ihrem Schmerz und seiner Macht ergötzen. Und dann, irgendwann in dieser Nacht, würde er sie töten.

So wie all die anderen.

Grace schaffte es kaum ins Badezimmer, bevor sie sich erbrach.