1. Kapitel

Nebel stieg von der regennassen Straße auf und waberte zu den Bäumen mit ihren endlosen Vorhängen Spanischen Mooses auf. Ein Hollywood-Regisseur hätte sich keine bessere Kulisse einfallen lassen können. In dem Fall würde ich jedoch Stöckelschuhe tragen, dachte Jenny, die auf dem Asphalt klicken und in denen ich mir beim Rennen den Fuß verrenken würde, statt meiner wunderbar bequemen, türkisfarbenen Cross-Turnschuhe. Und ein fließend weißes Kleid würde auch mehr der Atmosphäre entsprechen, als Jeans und ein loses, durchscheinendes Top. Die Bluse war allerdings weiß und »fließend« genug, um die richtige Wirkung zu erzielen. Es war wichtig, Weiß zu tragen, da Jenny gesehen werden wollte.

Das Herrenhaus der Plantage lag eine gute halbe Meile weiter an der schmalen, sich durch das dunkle Sumpfgebiet schlängelnden Straße. Weit und breit war weder eine Straßenlaterne noch ein Auto in Sicht, und trotz des Vollmondes war wegen des dicht über dem Boden hängenden Nebels kaum etwas zu sehen. Die Luft war so drückend, dass Jennys Haut und Haare feucht geworden waren, kaum dass sie das Haus verlassen hatte. Nicht von Schweiß, obwohl auch der bald folgte. Für Jenny war der Hochsommer in Louisiana etwa so, wie sie sich das Schwimmen in einer Schüssel heißer Suppe vorstellte.

In den Baumkronen raschelte etwas.

Sie blieb stehen und wandte sich den Bäumen an der Straßenseite zu, aus denen das Geräusch gekommen zu sein schien. Dabei zog sie langsam den Reißverschluss des Täschchens auf, das der lose Stoff ihrer Bluse verbarg. In dem dichten Nebel konnte sie überhaupt nichts erkennen.

Ihre Hand schloss sich um das kühle Metall ihrer Taschenlampe, aber sie nahm sie nicht heraus. Dem Wesen ins Gesicht zu leuchten würde es nur verschrecken. Sie ließ die Lampe los und tastete stattdessen nach dem mit einem Diamantmuster versehenen Griff ihrer Waffe. Vorsichtig zog sie sie aus der Tasche, hielt sie jedoch unter dem dünnen Stoff ihrer Bluse verborgen. Falls die Kreatur sie sah, würde sie sie als das erkennen, was sie war? Jenny konnte sich nicht sicher sein.

Deshalb stand sie dort, mit dem Geruch von Rotwild an ihren Schuhen, und wartete. Ein menschlicher Köder.

Der Wind, stoßweise und heiß wie der Atem eines Geliebten, frischte auf und trieb die Nebelschwaden zu ihren Füßen auseinander. Jennys Herz schlug schneller. Die Gräser und Sträucher bewegten sich – oder wurden von irgendwas bewegt. Sie strengte ihre Augen an, um zu sehen, was es war. Und dann, in einer einzigen, blitzschnellen Bewegung, brach das Tier aus dem Wald hervor und stürmte auf sie zu. Sie riss die Waffe hoch und schoss beinahe auf das Wildschwein, bevor sie erkannte, was es war, und sich zusammenriss. Das Tier galoppierte grunzend und schnüffelnd an ihr vorbei und überquerte die Straße, um in dem Sumpf auf der anderen Seite zu verschwinden.

Die Betäubungspistole noch in der Hand, die Arme ausgestreckt, wie um die Waffe abzufeuern, stand Jenny da und spürte ein nervöses Lachen in sich aufsteigen. Langsam ließ sie den Kopf und die Arme sinken. Gott bewahre, aber fast hätte sie ein Schwein zur Strecke gebracht!

Das Lachen verging ihr jedoch, als sie ein leises, tiefes Knurren hinter sich vernahm. Es war ganz nahe. Verdammt, warum hatte sie nicht aufgepasst? Sie hob die Waffe wieder und fuhr herum.

Zu spät. Das Ding stürzte sich auf sie wie ein wild gewordener Quarterback und fuhr mit rasiermesserscharfen Krallen über ihre Brust, als Jenny mit dem Rücken auf dem heißen Asphalt aufprallte. Die Waffe rutschte ihr aus der Hand und schlitterte über die Straße. Jenny lag dort und starrte fast ebenso erstaunt und ehrfurchtsvoll wie ängstlich zu der Kreatur über ihr auf.

Schwer atmend kauerte sie halb über ihr, und mit jedem Atemzug entrang sich ihr ein leises Knurren. Das Gesicht war deformiert, der Kiefer verlängert und die Nase auffallend verkürzt. Das Gesicht war jedoch nicht so stark behaart, wie Jenny erwartet hatte; die Augenbrauen waren breit und dicht, die Augen tief liegend und dunkel. Der Haaransatz schien weiter ins Gesicht zu reichen als bei einem Menschen, und das Kinn war haarig. Es war dunkles, ziemlich grobes Haar, kein Fell, das hätte weicher ausgesehen.

Das Wesen hatte schöne Augen, merkte Jenny, als sie dort lag und den Tod erwartete.

Aber war es menschlich, dieses … Ding?

Sie zwang sich, den Blick von seinen dunkelbraunen Augen abzuwenden und den Rest von ihm in Augenschein zu nehmen. Bis auf das dichte Haar auf seinen Handrücken waren seine Hände nicht viel anders als die eines Menschen. Ihre Innenflächen waren glatt und unbehaart – doch statt Fingernägeln hatte es Krallen. Gefährlich scharfe Krallen, dachte Jenny, als ihr der Schmerz in ihrer Brust vorübergehend wieder zu Bewusstsein kam. Sein Oberkörper war muskulös, behaart und hier und da mit zerfetztem weißen Stoff bedeckt. Der Rest seines Körpers war … mit Jeans bekleidet!

Sie blinzelte und sah noch einmal hin, doch die Jeans waren keine Halluzination. Sie waren zerrissen und schmutzig, aber da. So viel zu ihrer Theorie, dass eine bis dahin unbekannte Spezies gesichtet worden war. Die Jeans verrieten etwas anderes. Tiere kleideten sich für gewöhnlich nicht wie Menschen.

Aber wie menschlich war das Wesen?

»Kannst du mich verstehen?«, fragte sie und schaffte es, die Worte in einem klaren, wenn auch nicht ganz ruhigen Ton hervorzubringen.

Das Wesen beugte sich noch weiter vor und ließ seine dunklen Augen über ihren Körper gleiten. Es schien sie ebenso gründlich zu inspizieren, wie es umgekehrt der Fall gewesen war. Aber sein Blick blieb an ihrem Oberkörper hängen, und als sie an sich hinunterblickte, sah sie drei blutige Risse in ihrer Bluse und der Haut darunter.

Jenny hob den Kopf und begegnete dem Blick der dunklen Augen. Das Wesen beugte sich noch tiefer über sie. Vielleicht nahm es den Geruch ihres Blutes wahr. Oder ihren ganz eigenen. Da verwandelte es sich vor ihren Augen, der Körper veränderte sich im Dunkeln, und die Schnauze verlängerte sich.

»Ich will dir nichts Böses«, sagte sie.

Es knurrte laut und sprang sie an, und hätte sie nicht blitzschnell reagiert, wäre es direkt auf sie gefallen. Aber Jenny riss die Beine hoch und stieß sie ihm mit aller Kraft gegen die Brust. Das Wesen verlor den Schwung und fuhr so jäh zurück, dass seine Füße – Pfoten? – für den Bruchteil einer Sekunde den Halt auf dem Asphalt verloren, bevor sein ganzer Körper hart dort aufschlug. Und nun sah es wirklich gar nicht mehr so aus wie vorher. Plötzlich hatte Jenny einen Wolf vor sich und fragte sich dunkel, ob er das nicht schon die ganze Zeit gewesen war. Aber sie wusste es besser, als ihre eigenen Wahrnehmungen anzuzweifeln.

Sie sprang auf, schnappte sich die Betäubungspistole, fuhr damit herum und zielte.

Doch die Kreatur war nicht mehr da. Jenny erhielt nur noch einen kurzen Blick auf den Wolf, der mit einer Kraft und Anmut über einen Graben sprang, die ihr den Atem raubten. Geschmeidig kam er auf der anderen Seite auf, wo er mit unvermindertem Tempo weiterrannte und kurz darauf hinter den Nebelschleiern im Bayou verschwunden war.

»Mein Gott«, flüsterte Jenny. »Es gibt sie wirklich, diese … Kreatur.«

Sie berührte die Wunden an ihrer Brust und zuckte vor Schmerz zusammen. Die Kratzer taten verdammt weh, aber andererseits waren sie auch fantastisch. Endlich ein handfester Beweis!

Nachdem sie sich auf der Straße umgeblickt und keine Anzeichen von Gefahr gesehen hatte, steckte sie die Waffe ein und suchte nach wichtigeren Gegenständen wie Taschenlampe, Minikamera und sterile Beutel, um Beweismittel und Proben einzusammeln. Vielleicht hatte das Wesen ja Haare hinterlassen. Jenny fotografierte das Gebiet, markierte es mit orangefarbener Kreide mit einem kleinen X und notierte sich die Zeit. Sie war schwer enttäuscht, als sie weder Haare noch andere Proben fand. Wie dumm! Sie war der Kreatur so nahe gewesen. Warum zum Teufel hatte sie ihr nicht einfach ein paar Haare ausgerissen, als sie sich über sie gebeugt hatte?

Während sie ihre Sachen zusammenpackte, erstarrte sie, als von irgendwo weit her ein unheimliches Heulen zu ihr herüberdrang. Es war das herzzerreißendste Geräusch, das sie je gehört hatte.

Um acht Uhr an diesem Samstagmorgen, als der Arzt in der einzigen Praxis der kleinen Stadt erschien, erwartete ihn Jenny schon. Er warf ihr aus müden Augen einen Blick zu, als er, einen halb gefüllten Becher in der Hand, den Empfangsbereich durchquerte und sah, dass sie nicht saß, sondern nervös im Wartezimmer auf und ab ging. Er hielt inne und taxierte sie von Kopf bis Fuß, was sie so verlegen machte, dass sie sich mit der Hand durch die kurzen roten Locken fuhr und sich fragte, ob sie wohl in die Höhe standen.

»Ich hoffe sehr, Sie sind der Arzt«, sagte sie. Und ich will verdammt sein, wenn ich das nicht ernst meine, dachte sie, denn er war der bestaussehendste Mann, den sie seit sechs Monaten gesehen hatte.

Er blickte ihr in die Augen, als könnte er Gedanken lesen, und dann wandte er sich ab und schaute sich fragend zu der Rezeptionistin hinter ihrem Schreibtisch um.

»Sie wartete schon draußen, als ich kam, und das war vor einer halben Stunde«, sagte die Frau, auf deren Namensschildchen Sally Haynes stand, und schüttelte den Kopf.

Der Arzt wandte sich wieder Jenny zu, und sie erschauerte ein wenig. »Wenn es ein Notfall ist, hätten Sie zur …«

»… Notaufnahme gehen sollen, ich weiß. Aber diese Art von Notfall ist es nicht.«

»Was denn dann?«

»Könnten wir in einem Untersuchungszimmer reden?«

Er neigte den Kopf. »Sicher. Kommen Sie.«

Sally hielt ihm einen frischen weißen Kittel hin, den er im Vorbeigehen ergriff und überzog, während er zum nächstgelegenen Untersuchungszimmer voranging. Unterwegs zog er ein Stethoskop aus der Hemdtasche und hängte es sich um den Hals. In dem Zimmer angekommen deutete er mit dem Kopf auf den mit Papier bedeckten Untersuchungstisch. »Nehmen Sie Platz, während ich mir die Hände wasche.« Dann warf er ihr einen Blick zu. »Ich habe doch Zeit, mir die Hände zu waschen?«

Auf ihr Nicken hin trat er an das Waschbecken, schrubbte sich gründlich die Hände und trocknete sie mit Papiertüchern ab, die er in einen Eimer warf, bevor er sich wieder Jenny zuwandte. Dann erstarrte er förmlich, anscheinend überrascht, dass sie ihre Bluse ausgezogen hatte. So wie er sie ansah, hätte man meinen können, sie trüge schwarze Spitzendessous statt eines schlichten weißen BHs und Jeans.

»Was? Haben Sie noch nie eine halb bekleidete Frau gesehen, Doc?«

Er versuchte nicht mal zu verbergen, wie er sie beäugte. »Es ist nur so, dass Patienten normalerweise warten, bis ich ihnen sage, dass sie sich ausziehen sollen. Nicht, dass ich bei Ihnen etwas dagegen hätte.«

Die letzte Bemerkung war eine Frechheit, doch Jenny zuckte nur mit den Schultern. »Ich habe es ein bisschen eilig, Doc.«

»Schade«, murmelte er. Dann trat er stirnrunzelnd näher, und Jenny dachte, dass er wohl endlich die bösen roten Kratzer auf ihrer Brust entdeckt hatte. »Das sieht nicht gut aus. Wie ist das passiert?« Er trat noch näher und beugte sich vor. Sie spürte seinen Atem auf ihren Brüsten und sagte sich, dass es sie überhaupt nicht anmachte.

Jenny wusste, wie die Kratzer aussahen. Es waren drei, die tief genug waren, um als Schnittwunden durchzugehen, und sich von ihrem linken Schlüsselbein zum oberen Teil ihrer rechten Brust hinzogen.

»Etwas mit langen, scharfen Krallen hat mir eine verpasst.«

»Darauf wäre ich auch von allein gekommen.« Er wandte sich von ihr ab, um einen Schrank zu öffnen, und nahm Kompressen, steriles Wasser, Alkohol und antibiotische Salbe heraus, die er auf dem Edelstahltablett neben ihr platzierte. »Was war es, ein Hund?«

»Nicht wirklich.«

Er streifte Latexhandschuhe über und begann, die Kratzer sorgfältig zu reinigen. Jenny zuckte mehrmals zusammen, aber im Stillen war sie froh über das Brennen. Ohne den Schmerz hätte sie die Berührung des Arztes als angenehmer empfunden, als sie sollte. »Was war es denn nun?«, beharrte er.

»Das weiß ich noch nicht. Doch wenn Sie hören wollen, was ich denke, würde ich sagen, es war ein Lykanthrop.«

Er grinste plötzlich und versuchte, sich ein Lachen zu verkneifen. »Dann sind Sie wohl auch einer dieser Werwolf-Jäger, die hier herunterkommen auf der Suche nach dem loup garou?«

»Ich bin Professorin an der Dunkirk University und zu Forschungszwecken hier.«

»Professorin für was?«

Jenny räusperte sich. »Kryptozoologie.«

Diesmal konnte er das Lachen nicht mehr unterdrücken. Es entfuhr ihm, ohne dass er es verhindern konnte, und sie zuckte zusammen und warf ihm einen bösen Blick zu, der ihn wieder innehalten ließ. »Entschuldigung. Es ist nur so … Sie sind doch nicht wirklich hierhergekommen, um Werwölfe zu studieren, oder?«

»Ich bin hierhergekommen, um festzustellen, ob sich eine bisher unbekannte Säugetierart in den Bayous von Louisiana versteckt hält«, erwiderte sie steif.

»Es klingt schon viel vernünftiger, wenn Sie es so ausdrücken«, meinte er.

Sie winkte ab. »Vernünftig oder nicht, auf jeden Fall griff mich gestern Abend auf der Straße etwas an. Und ich kann Ihnen sagen, Doc, was auch immer es gewesen ist, es war keine uns bekannte Spezies.«

»Und wir hatten ja auch Vollmond.«

»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«

»Ich stelle nur etwas fest.« Er runzelte die Stirn, schon ernster jetzt. »Was immer es war, es hat Ihnen einen bösen Streich gespielt. Und das ist nicht zum Lachen. Es könnte tollwütig gewesen sein.«

»Das war es nicht.«

»Das können Sie nicht mit Sicherheit wissen.«

»Kein Problem. Ich bin geimpft.«

»Gegen Tollwut?«

»Selbstverständlich. Ich habe einen Master in Zoologie und einen Doktor in Veterinärmedizin und bin gegen ziemlich alles geimpft, das unseres Wissens von Tieren auf Menschen übertragen werden kann.«

Offenbar zufrieden mit der gründlichen Reinigung der Wunde, trat er einen Schritt zurück. »Dann sind Sie Tierärztin, vermute ich?«

»Mmm.«

Er schürzte die Lippen und nickte langsam, bevor er nach der Salbe griff. »Dann könnte man also sagen, dass Sie Ihre Wunden selbst hätten versorgen können?«

»Hätte ich, ja. Wollte ich aber nicht.«

»Warum hören Sie nicht mit den Spielchen auf und sagen mir, warum Sie wirklich hier sind?«

Jenny war so überrascht, dass sich ihre Augen weiteten, als sie zu ihm hinübersah. Er hatte sie vollkommen verblüfft mit seiner direkten Art. »Ich treibe keine Spielchen, Doktor. Ich wollte sowieso herkommen und Sie sprechen, und ich dachte, wenn ich schon mal hier bin, kann ich mich auch gleich versorgen lassen. Okay?«

»Okay.« Er begann nun, Salbe auf die Kratzer aufzutragen, und Jenny wünschte, zwischen seinen Fingerspitzen und ihrer Haut wären keine Latexhandschuhe. »Warum wollten Sie denn eigentlich herkommen, um mit mir zu reden?«

»Um mich zu erkundigen, wie oft Sie Patienten mit Verletzungen wie denen an meiner Brust sehen.«

Er zuckte mit den Schultern. »Ich habe schon lange keine Brust wie Ihre mehr gesehen«, entgegnete er ohne den Anflug eines Lächelns. Außerdem war es völlig unangebracht, wie er den Ansatz ihrer Brüste über dem BH anstarrte – und dennoch wurde ihr ganz warm unter dem Blick.

»Sie wissen, dass das keine Antwort auf meine Frage war.«

Er blickte nicht von seiner Arbeit auf. Sie hatte den Eindruck, dass seine Hände sich langsamer als nötig bewegten, als er die Salbe auf die Kratzer auftrug und sie mit sanften, ja sogar recht sinnlichen Bewegungen verrieb. »Wie oft, Doktor?«, wiederholte sie und fragte sich, ob ihre Stimme auch in seinen Ohren etwas zu heiser klang.

»Nicht öfter, als man als normal betrachten würde.«

»Sie meinen, für Sie ist diese Art von Angriffen normal?«

»Kratzer sind etwas Alltägliches. Die Leute ziehen sie sich auf vielerlei Arten zu. Durch Dornbüsche, wütende Katzen, zu temperamentvolle Hunde oder indem sie einfach nur auf eine Gartenharke fallen. Natürlich auch schon mal, wenn sie es beim Sex zu wild getrieben haben.« Während er sprach, schob er einen der BH-Träger über ihre Schulter und zog das Körbchen herunter, um ihre Brust zu entblößen.

Was nicht wirklich überflüssig war, sagte Jenny sich, da die Kratzer etwa einen Zentimeter bis unter den BH reichten. Definitiv überflüssig war allerdings die Reaktion ihres Körpers auf seinen intensiven Blick und die Schnelligkeit, mit der ihre Brustwarze sich in der kühlen Luft des Untersuchungsraumes versteifte.

Als er mit der Zungenspitze über seine Lippen fuhr, stöhnte sie fast auf.

»Haben irgendwelche dieser anderen Patienten mit Kratzern je behauptet, sie wären von einem Werwolf angegriffen worden?«, fragte Jenny mit einer Stimme, die kaum mehr als ein Wispern war.

Noch immer auf ihre Brust konzentriert, gab der Doc ein wenig Salbe auf seine behandschuhte Hand. »Kein Einziger bis jetzt.«

Jenny blinzelte und runzelte die Stirn. »Sie würden mich doch in dieser Sache nicht belügen?«

»Nie im Leben.« Er suchte ihren Blick und erwiderte ihn ruhig, während seine Hand über ihre Brust glitt und die Salbe einmassierte. Er hat schöne Augen, dachte sie. Dunkel, ausdrucksvoll und voller sinnlicher Verheißungen. Seine Finger streiften wie zufällig die harte kleine Knospe ihrer Brust, und Jenny biss sich auf die Unterlippe.

»Und glauben Sie, dass Sie sich jetzt auch in einen Werwolf verwandeln werden?«

Seine Stimme war leiser und heiserer geworden.

Er neckte sie, mit seinen Worten und seinen Fingern, und sie hatte nicht einmal etwas dagegen. Ein wohliges kleines Erschauern lief ihr sogar über den Rücken. »Ich weiß nicht. Der Mythologie zufolge muss es ein Biss sein, damit das geschieht, aber …«

»Er hat Sie also nicht gebissen?«

»N-nein.«

»Ganz schön dumm, dieser Werwolf, wenn Sie mich fragen.« Wieder streiften seine Finger ihre Brustspitze.

Jenny sog scharf den Atem ein und wich zurück, und wenn auch nur ein kleines Stückchen. Mit einem Bedauern, das sie selbst kaum glauben konnte, zog sie das Körbchen des BHs wieder an seinen Platz zurück.

Der Doktor seufzte, als bedauerte er es auch. »Und was tut eine höchstens fünfzig Kilo schwere, rothaarige Frau mit einem Werwolf, wenn sie einen findet?«

»Sie studiert ihn. Redet mit ihm, falls das möglich ist. Versucht herauszufinden, was er ist und wie viel von den Legenden und Überlieferungen wahr ist oder nicht.«

Der Doc grinste ein bisschen.

»Ich habe das Gefühl, als billigten Sie diese Ziele nicht.«

Er zuckte mit den Schultern. »Legen Sie sich hin, damit ich Sie versorgen kann!« Er fing ihren raschen Blick auf. Jenny wusste verdammt gut, dass die kleine Doppeldeutigkeit beabsichtigt gewesen war. »Sie verbinden, meinte ich«, berichtigte er sich.

Sie legte sich auf den Tisch, und er begann, weiche Gaze über den mit Salbe bestrichenen Kratzern zu entrollen. »Was würden Sie denn tun?«, fragte Jenny ihn.

Vorsichtig befestigte er die Verbände mit einem weißen Klebeband. »Ich bin Arzt«, sagte er. »Wahrscheinlich würde ich versuchen, ihm zu helfen, wenn das möglich wäre. Ihn zu heilen, falls es das ist, was er will. Und ich würde seine Geheimnisse auf jeden Fall bewahren und sie ganz sicher nicht in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift veröffentlichen, um zu Ruhm und Geld zu kommen.«

»Sie glauben, das sei es, worum es mir geht? Um Geld und Ruhm?«

»Ist es denn nicht so?«

»Nein«, entgegnete sie scharf. Er war inzwischen mit den Verbänden fertig und hatte nicht noch einmal ihre Brust berührt. Jenny setzte sich auf, und er reichte ihr die Bluse an.

»Nun, das freut mich zu hören.« Er klang jedoch nicht so, als glaubte er ihr. Und als sie die Bluse anzog, beobachtete er sie, bis sie die Knöpfe geschlossen hatte.

»Danke fürs Zusammenflicken«, sagte sie.

»Es war mir ein Vergnügen«, erwiderte er mit besonderer Betonung auf ›Vergnügen‹.

»Seien Sie sich dessen nicht zu sicher.«

Er sah sie an und bestätigte ihr mit seinem Blick, dass er verstanden hatte.