10. Kapitel

Riordan fiel buchstäblich vom Himmel, ein Dämon mit rot glühenden Augen und langem, im Wind flatterndem schwarzen Haar. Er materialisierte sich direkt hinter dem Mann, der Jasmine nun wie einen Schutzschild vor sich hielt, und Juliette spürte den Kopf des Mannes so deutlich zwischen ihren Händen, als hätte sie selbst danach gegriffen. Mit einer kurzen, schnellen Drehung, die ein äußerst unangenehmes Knacken nach sich zog, brach Riordan dem Mann das Genick und ließ ihn dann achtlos fallen.

Jasmine lief zu Solange und fiel neben ihr auf die Knie, während Riordan vorsichtig die Zähne des Jaguars aus Juliettes Nacken löste und den schweren Körper der Raubkatze beiseitewarf, als wäre er nichts weiter als ein störender Ast. Nun, da es vorbei war und Riordan bei ihr war, vertiefte sich Juliettes Schmerz und griff auf ihren ganzen Körper über. Ein heftiges Zittern durchlief sie. Riordan presste seine Hände auf die tiefen Bisswunden zu beiden Seiten ihrer Kehle, um zu verhindern, dass sie verblutete.

Juliette erstickte fast an dem Druck, den er auf ihren Hals ausübte. Wie geht es meiner Schwester? Und Solange? Ich kann sie nicht sehen.

Riordan blickte über die Schulter zu den beiden Frauen hinüber. Jasmines Gesicht war angeschwollen und schwarz und blau verfärbt. Ihre Kleider waren zerfetzt, und sie hatte Blutflecken am Körper, aber sie lebte und versuchte verzweifelt, die Blutungen aus den vielen Verletzungen ihrer Cousine zu stillen. Solange lag nackt und blutend auf dem Boden, doch sie war bei Bewusstsein und beobachtete Riordan, der über Juliette gebeugt war.

Sie leben, Juliette. Beide. Aber bleib du mir zuliebe bitte ganz still liegen. Er verließ sich darauf, dass sein Bruder auch weiterhin wachsam blieb, als er seinen eigenen Körper verließ und in Juliettes eindrang, um zu versuchen, sie von innen heraus zu heilen.

Juliette gurgelte, hustete und spuckte Blut.

»Rette sie! Ich weiß, dass du es kannst«, rief Solange ihm zu. »Tu, was immer nötig ist, um sie zu retten!« Sie versuchte aufzustehen und stieß kraftlos nach Jasmine, die sie am Boden festhielt.

»Dazu muss ich sie verwandeln«, sagte Riordan.

»Was bedeutet das?«, fragte Jasmine ängstlich.

»Wen kratzt das schon?«, fauchte Solange. »Beeil dich und tu’s, bevor es zu spät ist!«

Riordan ignorierte alles und jeden, denn Juliette war kurz davor, ihm zu entgleiten. Schnell senkte er den Kopf auf ihren Hals und trank. Er nahm mehr als sonst von ihrer kostbaren Essenz auf, um den Austausch vornehmen zu können. Dann zog er sie in die Arme, schlitzte sein Handgelenk auf und drückte die Wunde an ihren Mund. Tief in Riordans Bewusstsein nahm Zacarias seinen Geist zu einem Ball aus Energie zusammen und bewegte sich durch Riordan, fand die Bisswunden und zerfetzten Arterien an Juliettes Kehle und begann, sie von innen heraus zu reparieren. Er ließ sich Zeit, um jeden Fehler zu vermeiden, als er die klaffenden Wunden schloss und Juliettes Organismus von fremden Bakterien befreite.

Juliette spürte die Präsenz der beiden Männer aus einer gewissen Distanz. Zacarias unterbrach seine Arbeit plötzlich, als wäre es zu schwierig geworden, die Verbindung zwischen ihnen aufrechtzuerhalten. Sofort registrierte Juliette die nachlassende Wärme und begann zu frösteln. Riordan beugte sich über sie und beendete unter sanften Worten den Zustrom heilender Energie von seinem Körper in den ihren. Sie versuchte, eine Hand zu heben und seine Wange zu berühren, weil er so beunruhigt aussah. Ihre Hand flatterte ein wenig neben seinem Schenkel, aber höher schaffte sie es nicht. Jemand weinte, und Juliette wandte den Kopf in die Richtung, aus der die Laute kamen.

Jasmine saß neben Solange, tupfte vergeblich deren blutende Wunden ab und schluchzte leise. Sie war kaum noch zu erkennen mit ihrem angeschwollenen Gesicht. »Wird meine Schwester überleben?« Jasmines Stimme war sehr leise und unsicher, als sie die Frage stellte, und sie sah Riordan auch nicht an, sondern hielt den Blick auf ihre Cousine gerichtet.

»Ja, Kleines«, antwortete Riordan freundlich. »Sie wird leben. Da ich sie allerdings für kurze Zeit wegbringen muss, möchte ich dich und deine Cousine bitten, so lange auf meiner Ranch zu bleiben, wo ihr in Sicherheit sein werdet, bis ich euch Juliette zurückbringen kann.«

Jasmine rückte noch näher an Solange heran. Es war nur eine kleine, schutzsuchende Geste, die Riordan jedoch sofort bemerkte.

Kannst du ungeschehen machen, was sie ihr angetan haben? Glaubst du, du kannst das, Riordan?, fragte Juliette bedrückt.

Er antwortete ihr nicht, hob sie auf und trug sie zu ihrer Schwester und ihrer Cousine. »Wir können hier nicht lange bleiben. Ich muss Juliette an einen Ort bringen, an dem sie sicher ist, während die Verwandlung stattfindet, an einen Ort, an dem ich sie voll und ganz wiederherstellen kann.« Du weißt, dass ich den Blutaustausch nicht rückgängig machen kann.

Solange streckte die Hand nach Jasmines aus, und die verschränkte ihre Finger mit Juliettes. »Zusammen überstehen wir es«, flüsterte Solange.

Juliette versuchte zu sprechen, aber ihre Kehle war zu eng und rau. Frag Solange, ob sie sich von dir heilen lässt, Riordan!

Er konnte die Wellen der Furcht und Abneigung spüren, die ihm von den beiden anderen Frauen entgegenschlugen, obwohl sie sich Mühe gaben, ihn zu tolerieren und ihm zu vertrauen, weil sie Juliette liebten. »Sie will, dass ich deine Wunden heile, Solange. Ich glaube nicht, dass sie hier weggehen und Ruhe geben wird, solange ich dir nicht helfe.« Es war der einzige Ansatzpunkt, den er hatte. Wenn Solange nicht darauf einging, würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als seine anderen Fähigkeiten einzusetzen.

»Na schön, dann bringen wir es hinter uns.« Solange würdigte ihn noch immer keines Blickes. »Aber zu deiner Ranch gehe ich nicht. Ich werde bleiben und diese Leichen hier vernichten, damit unsere Rasse geheim bleibt, und danach werden Jasmine und ich zu unserem Zuhause am Rand des Dschungels zurückkehren. Das ist weit genug entfernt von hier. Dort werden wir auf Juliettes Rückkehr warten. Jasmine und Juliette werden übrigens nicht erfreut sein über eine lange Trennung«, schloss sie warnend.

Riordan nickte. »Das ist mir voll und ganz bewusst.« Um nicht noch mehr Zeit mit Gerede zu verschwenden, trat er aus seinem Körper heraus, nahm seinen Geist zu einer Kugel heilender Energie zusammen und begab sich in Solanges Inneres. Sie hatte viele Wunden. Die meisten waren oberflächlich, doch einige gingen bis auf den Knochen, wie es auch bei Juliette gewesen war. Riordan verbrachte kostbare Zeit damit, Solange von innen heraus zu heilen, und war erstaunt, wie schwer es ihm fiel, nicht an Juliette und die Zeit, die ihnen entglitt, zu denken. Er war stets bei der Sache, aber es kostete ihn enorme Disziplin, alle anderen Gedanken zu verdrängen und sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren.

Solange lag da und beobachtete ihn, mit festem Blick und ohne mit der Wimper zu zucken. Ihre Hand blieb in Jasmines, doch ihre Aufmerksamkeit galt nur Riordan. Als sein Körper schwankte und die beruhigende Wärme in ihr nachließ, holte sie tief Luft und ließ sie langsam wieder aus. »Jasmine, er muss Juliette jetzt wegbringen. Wir müssen noch ein bisschen länger stark sein.«

Sogleich beugte Jasmine sich vor und küsste Juliette. Sie sah Riordan nicht an, als sie leise »Danke«, sagte.

»Ihr beide müsst euch in Sicherheit bringen. Auf meiner Ranch werdet ihr …«

Solange schüttelte den Kopf. »Nein, das kann ich nicht. Bitte versuch, das zu verstehen! Ich weiß, dass du uns geholfen hast, doch wir haben keine guten Erfahrungen mit Männern gemacht und fühlen uns sicherer allein.«

Riordan entging nicht das Erschaudern, das Jasmine durchlief. Juliette drückte ihrer Schwester die Hand. »Es tut mir leid«, sagte Riordan, »doch ich muss Juliette für die Verwandlung an einen sicheren Ort bringen. Und es gefällt mir gar nicht, euch beide allein und schutzlos hier zurückzulassen.«

»Dank deiner Heilkräfte werde ich uns beschützen können«, erwiderte Solange und blickte sich nach den herumliegenden Leichen um. »Die meisten unserer Feinde sind tot. Bring Juliette von hier fort, bevor wir sie verlieren.«

Riordan nahm seine Seelengefährtin in die Arme, hielt aber wieder inne, als sich Jasmine ein kummervoller kleiner Laut entrang. »Was hast du, Kleines?«, fragte er in seinem liebevollsten Ton.

»Wie lange?« Jasmine klammerte sich an Juliette, als könnte sie sie gar nicht gehen lassen.

»Könnt ihr zwei Tage getrennt sein? Das wird genügen, um sie so weit wiederherzustellen, dass sie gefahrlos aus der Erde hervorkommen kann. Solange hat von meinem Volk gehört. Ich bin ein Mann von Ehre. Und ich gebe euch mein Wort, dass wir unverzüglich zu euch kommen werden, sowie wir uns aus der Erde erheben. Juliette würde es auch nicht anders wollen.«

Jasmine nickte und ließ die Hand ihrer Schwester widerstrebend los. Dann lehnte sie sich schutzsuchend an Solange, die sie in die Arme nahm und sagte:

»Geht jetzt. Wir vertrauen sie dir an. Ich werde mich hier um alles kümmern.«

Riordan wartete keine zweite Aufforderung ab. Er spürte schon die ersten Regungen in Juliettes geschwächtem Körper, eine Welle des Unwohlseins und ein beginnendes Fieber. Die Zeit wurde knapp. Mit Juliette in den Armen schwang er sich in die Lüfte und hörte Jasmines scharfes Einatmen, gefolgt von unterdrücktem Weinen. Als er einen Blick hinunterwarf, konnte er sehen, wie Solange sich langsam aufsetzte und ihre jüngere Cousine an sich zog.

Ich sollte Jasmine nicht allein lassen. Ich sollte bei ihr sein, hörte er Juliettes leise Stimme in seinem Kopf.

Was ihr passiert ist, hätte nie geschehen dürfen, erwiderte er grimmig. Er wusste selbst nicht, wie er es schaffte, die dunkle Wut, die ihm den Magen umdrehte, im Zaum zu halten. Juliettes Erinnerungen waren für ihn so deutlich wie die seinen, und er wusste auch von ihrer innigen Zuneigung zu ihrer Schwester und ihrer Cousine. Am schlimmsten waren die Erinnerungen an ihre Tante und ihre Mutter, die durch die Hand abartiger Männer gestorben waren. All seine Beschützerinstinkte waren geweckt, und sein Zorn war wie ein selbstständiges, lebendiges Wesen in ihm.

Danke, dass du dir Sorgen um sie machst. Und danke, dass du meine Cousine geheilt hast. Ich weiß, wie unangenehm es ist, nicht akzeptiert zu werden.

Ein Feuer brach in ihrem Magen aus, das sich rasend schnell verbreitete und auf all ihre Organe übersprang. Riordan teilte den Schmerz, schockiert über dessen Intensität, weil er ebenso unvorbereitet wie seine Gefährtin war auf die Heftigkeit der Qual. Juliette erbebte in seinen Armen, unterdrückte einen Schmerzensschrei und versuchte, die geistige Verbindung zwischen ihnen zu unterbrechen.

Riordan erhöhte sein Tempo. Den Schutz der Ranch konnte er nicht erreichen; er konnte nicht einmal in die Nähe seines heimatlichen Refugiums gelangen, aber nach Jahrhunderten des Lebens und Vampirjagens in Südamerika war er auch mit ihrer derzeitigen Umgebung sehr vertraut. Er landete am Fuß eines Berges und trug Juliette zu einer Höhle mit heißen Quellen. Die Erde dort war reich an Mineralien und die Höhle, die weit in den Berg hineinreichte, ein natürlicher Schutz gegen Feinde. Er konnte starke Schutzzauber anlegen und sicher sein, dass Menschen und Tiere vor zufälligen Begegnungen geschützt sein würden.

Es dauerte nur Minuten, die Höhle vorzubereiten. Kerzen flammten auf und warfen gespenstische Lichter auf die schimmernden Teiche. Sanft legte er Juliette auf ein weiches Bett aus fruchtbarer Erde, das ihren Körper wie liebevolle Arme aufnahm und umschloss. »Ich weiß, dass es wehtut, Juliette, aber ich hatte keine Ahnung, dass es derart qualvoll für dich sein würde.«

Wir hatten ja auch so gut wie keine andere Wahl. Juliette versuchte gar nicht erst zu sprechen. Ihre wunde Kehle ließ das ohnehin nicht zu, und außerdem war es zu ermüdend. Sie konnte spüren, wie das Tier in ihr um sein Leben kämpfte und sich der Veränderung in ihrem Körper widersetzte. Der Jaguar wollte die Umgestaltung von Organen und Gewebe nicht, doch Juliette war viel zu müde und gequält von Schmerzen, um sich darüber Gedanken zu machen.

Ich hätte dich auch ohne den Angriff des Jaguars verwandelt, gab Riordan zu, als er sich neben sie legte, sie in die Arme nahm und ihre Finger an seine Lippen zog. Ich hätte nicht weiterleben können ohne dich. Riordan war nicht sicher, ob das eine Rechtfertigung war, aber er wollte, dass Juliette seine widerstreitenden Emotionen verstand.

Ich hätte auch nicht weiterleben können ohne dich, Riordan, also hör auf, dir Vorwürfe zu machen. Zieh mir meine Sachen aus. Ich ertrage ihr Gewicht nicht auf der Haut. In ihren letzten Worten klang schon fast so etwas wie Verzweiflung mit.

Riordan befreite sie von ihren Kleidern ohne Rücksicht auf die Stoffe; er riss sie ihr nur, so schnell es ging, vom Körper. Ihre Haut fühlte sich so heiß an, dass er sein Hemd in einen der Teiche tauchte und Juliettes Gesicht und ihre Hände damit kühlte.

»Ich habe einmal von dir geträumt«, erzählte er ihr leise, während er den Stoff ausdrückte und Wasser auf ihren Hals und in die Mulde zwischen ihren Brüsten tropfen ließ. »Du lachtest in dem Traum. Noch Jahre später erinnerte ich mich daran, wie sich dein Lachen anhörte. Es hat mir manchmal Kraft gegeben, wenn ich keinen Grund zum Weiterleben sah.« Er strich ihr das feuchte Haar aus dem Gesicht. Sie schwitzte, und die Schweißtröpfchen waren mit Blut vermischt.

Ich habe auch von dir geträumt. Ihre Stimme, die erstaunlich glücklich klang, war das Einzige, was ihn daran hinderte, in Tränen auszubrechen, als ein Krampf sie erfasste und die Qual eine kleine Ewigkeit anzuhalten schien. Juliette umklammerte sein Handgelenk, hielt sich daran fest und versuchte, während des Krampfes so ruhig wie möglich zu atmen und dem Schmerz nicht zu erliegen. Als er abebbte, seufzte sie. Ich glaube immer noch, dass du ein Traum bist, gab sie Riordan zu verstehen.

Er musste mehrmals schlucken, bevor er sprechen konnte. »Selbst jetzt noch, trotz allem, was du meinetwegen durchmachst?«

Das Aufblitzen in ihren Augen erinnerte ihn an ihre leidenschaftliche Natur und das Feuer, das in ihrem femininen Körper schwelte. Ich bin ein Jaguarmensch. Ich kann selbst entscheiden, was ich will. Ich wollte dich vom ersten Moment an, als wir uns begegneten. Als weiblicher Jaguarmensch habe ich keine Zukunft, mit dir dagegen schon. Als Jaguarwesen kann ich nicht glücklich werden, mit dir dagegen schon. Ich bin mir des Unterschieds bewusst, Riordan.

Bevor sie noch mehr sagen konnte, wurde sie von der nächsten Schmerzwelle ergriffen, die noch stärker als die vorangegangene war. Der Jaguar würde sie Riordan nicht kampflos überlassen. Er biss die Zähne zusammen und versuchte, ihr den Schmerz zu nehmen, das rasende Feuer, das durch ihren Körper tobte und ihr Innerstes verbrannte. Sie nahm dies alles mit unerschütterlicher Ruhe hin und ertrug den Schmerz, ohne sich auch nur ein einziges Mal zu beklagen. Nicht einmal der leiseste Vorwurf verunsicherte ihren Geist. Als sich der Schmerz wieder verringerte, atmete sie tief den Duft der heilenden Kerzen ein. Mir wird übel …

Riordan reagierte schnell und stützte Juliette, während ihr Körper sich von Giftstoffen befreite. Sie erbrach sich heftig, selbst dann noch, als eine weitere Welle des Schmerzes sie durchraste und dann wieder abebbte. Riordan fluchte.

Vorsichtig hob er sie auf und trug sie zu dem kühlsten Teich, wo er sich bis zum Kinn mit ihr im Wasser niederließ. Zärtlich legte er sein Gesicht an ihren Nacken. »Werden wir das überleben?«

Sie lächelte. Nicht mit ihren Augen oder Lippen, aber er spürte es in seinem Geist. Du benimmst dich wie ein kleines Kind, was mich angeht. Du bist so tough, wenn du allen anderen mit deinem Bad-Boy-Image Angst einjagst, und dann verlierst du die Fassung, weil ich Schmerzen habe. Sie sah jedoch auch noch etwas anderes in ihm, das ihr die Tränen in die Augen trieb. Du bist fix und fertig wegen des Unrechts, das Jasmine widerfahren ist. Das war aber nicht deine Schuld, Riordan. Wie könntest du so etwas denken?

Bevor er antworten konnte, flammte wieder Feuer in ihrem Magen und in ihrer Lunge auf und fraß sich durch sie hindurch, bis sie erneut von Krämpfen geschüttelt wurde und ihr Verstand sich abschaltete, um eine Überlastung zu verhindern. Riordan konnte sie nur halten und fühlte sich hilflos, schuldbewusst und wütend, weil er nicht wusste, was geschehen würde.

Dann öffnete Juliette die Augen und sah ihn an. Du weinst ja, Riordan. Aber weine nicht um mich. Ich habe diesen Weg gewählt, und mir war klar, dass die Verwandlung nicht leicht vonstatten gehen würde. Doch ich spüre, dass der Jaguar in mir bereits an Kraft verliert. Aus deinen Erinnerungen wusste ich, dass menschliche Frauen mit übersinnlichen Fähigkeiten verwandelt werden können, und alle weiblichen Jaguarmenschen – und hoffentlich auch die nicht ganz so reinrassigen –, besitzen solche Kräfte. Ich hatte gehofft, dass Solange einen Karpatianer finden würde, der ihr das gleiche Glück vermitteln würde wie du mir, und Jasmine irgendwann vielleicht auch, aber ich fürchte, der Jaguar in Solange ist viel zu stark. Er würde sie niemals gehen lassen.

Hätte ich dich nicht mitgenommen, als du mich aus dem Labor gerettet hast, wärst du daheim gewesen, um deiner Schwester beizustehen. Riordan brachte es nicht über sich, die Worte laut auszusprechen. Der Gedanke, dass ein Mann derartige Gräueltaten gegen eine Frau beging, machte ihn krank.

Niemand erwartete mich zurück in jener Nacht. Jasmine wusste, dass ich die menschlichen Spürhunde auf eine falsche Fährte locken würde. Keiner von uns rechnete mit einem Angriff von den Jaguarmännern. Ich wusste nicht einmal, dass sie sich in unserem Teil des Dschungels aufhielten, und war keineswegs beunruhigt ihretwegen.

Riordan zwang sich, ganz tief durchzuatmen, weil in ihm so viel Wut war, dass sie schier die Erde zum Erbeben brachte. Ich kenne Jasmine durch dich und weiß, dass sie von den jüngsten Ereignissen für ihr ganzes Leben gezeichnet sein wird. Ich wollte eigentlich darauf bestehen, dass sie mit uns zur Ranch kommt. Aber nun habe ich dich voll und ganz in meine Welt gebracht und frage mich, wer bei ihr sein wird, wenn wir anderen tagsüber unter der Erde ruhen und sie dort oben allein sein wird?

Der nächste Schmerzanfall dauerte sogar noch länger und war so heftig, dass Juliettes von Krämpfen geschüttelter Körper Wellen im Teich schlug. Das Wasser war aufgewühlt, und die Kerzen flackerten, als durchbrauste ein Wind die Höhle. Die verschiedenen Düfte der Kerzen vermischten sich zu einem einzigen heilenden Aroma, das den Teich umwehte.

Juliettes Fingernägel gruben sich tief in Riordans Haut. Es dauerte einen Moment, bis sie wieder zu Atem kam. Jasmine wird mich immer haben. Und jetzt auch dich. Sie fühlt sich wie Solange noch unwohl in deiner Gegenwart, doch das wird sich mit der Zeit bessern. Und zwei von uns mit den Fähigkeiten der Karpatianer werden sie viel besser beschützen können.

Riordan begann, Juliette zu baden, und nahm sich alle Zeit der Welt, um behutsam, aber gründlich ihre Haut zu reinigen und seine Hände an Stellen verweilen zu lassen, wo seine Berührung sie beruhigte. Und das Wasser kühlte ihre erhitzte Haut.

Das Wasser hilft. Und deine Hände auch. Als ich von dir träumte, hast du mich auch so liebevoll berührt. Ich wusste schon, wie sich deine Finger auf meinem Körper anfühlen würden, bevor du mich dann wirklich berührt hast.

»Wann hast du von mir geträumt? Und sah ich genauso aus wie jetzt?«

Dein Haar flatterte im Wind, und du hattest das gleiche unglaubliche Lächeln. Deine Augen konnte ich nicht so klar erkennen, weil du mich berührtest und ich dich mehr fühlte als sah.

Riordan blieb fast das Herz stehen. Er erinnerte sich nur allzu lebhaft an seinen Traum. Riordan war mit einem unbändigen Hunger erwacht, und eine versengende Hitze hatte ihn durchflutet. Er hatte das Gefühl jedoch nicht gleich als sexuelle Bedürfnisse erkannt, da er seit Jahrhunderten keine mehr empfunden hatte. In Gedanken hörte er Juliette leises, sinnliches Lachen und ihre Rufe. Sie lief nicht weit vor ihm her, und ihr Duft verriet, dass sie heiß und paarungswillig war. In seinem Traum hatte er keine andere Wahl, als ihr zu folgen. Sie war eine unwiderstehliche Verlockung, die jedoch stets ganz knapp außerhalb seiner Reichweite blieb und eine deutliche Spur sexueller Erregung in der Luft hinter sich zurückließ.

Wir müssen uns schon ganz nahe gewesen sein, und irgendwie übermittelte ich dir wohl mein Verlangen. Je reiner das Blut des Jaguars ist, desto heftiger ist auch die Hitze. Zum Glück gibt es nicht mehr viele von uns Frauen, und wir halten uns so weit wie möglich von den männlichen Jaguaren entfernt.

Riordan schloss die Augen vor der nächsten Schmerzwelle, deren Konvulsionen Juliette aus seinen Armen rissen, sodass sie in dem aufgewühlten Wasser fast versank. Er verfluchte sein Volk, ja selbst seinen Prinzen und was auch immer ihm gerade in den Sinn kam, und dann begann er zu beten und versprach seinem Gott das Blaue vom Himmel, wenn ihre Qual doch nur ein Ende haben möge.

Im Geiste hörte er Juliette leise lachen, noch bevor der Schmerz aus ihrem Körper wich. Du wirst die Welt retten, wenn das hier aufhört?

Er rieb sich das Kinn. »Ich war verzweifelt. Das kann nicht mehr so weitergehen.«

Kein Wunder, dass es die Frauen sind, die Kinder bekommen.

»Nicht du. Nicht, wenn es auch nur annähernd so schmerzhaft ist wie das. Wir kommen auch ohne Kinder aus. Und das ist mein Ernst, Juliette. Ich glaube, mir wird übel …«

Lieber nicht. Mir geht’s schlecht genug für uns beide. Ich bin so müde, dass ich nur noch schlafen will.

Riordan stieg aus dem Teich und trug sie zu dem Bett aus fruchtbarer weicher Erde zurück. »Ich kann dich einschlafen lassen, sobald es ungefährlich ist.« Er hauchte einen Kuss auf ihre geschlossenen Augenlider und küsste ihre Mundwinkel. »Ich liebe dich, Juliette.«

Ich liebe dich auch. Komisch, nicht?

Es bedurfte noch zwei weiterer Schmerzanfälle und heftiger Krämpfe, bis der Jaguar besiegt und die Verwandlung abgeschlossen war und Riordan Juliette endlich in einen heilenden Schlaf versetzen konnte. Beschützend nahm er sie in die Arme, zog sie ganz fest an sich und weinte still, während hell die Kerzen brannten und das Wasser sanft ans Ufer des Teiches plätscherte.