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Die Kleider, die Accessoires und das Make-up, das Charlotte von Haines & Hampton mitgebracht hatte, waren zusammen mit den Kleidungsstücken, die Mrs. Barclay gesammelt hatte, mehr als genug, um mein Studio für Mode- und Stilberatung in Gang zu bringen. Etwa ein Dutzend Frauen - alle scheu wie Meerschweinchen - wurden in den ersten fünf Tagen beraten und ausstaffiert. Sie stimmten zu, bei einer kleinen Modenschau mitzumachen, die wir am Wochenende in der Turnhalle abhielten.
Die Veranstaltung war ein solcher Erfolg, und die Frauen waren so begeistert von dem, was die Friseurinnen und ich für sie getan hatten, dass am Ende der zweiten Woche alle mit mir befreundet sein wollten. Die Nachricht von meinen Typveränderungen verbreitete sich schnell auch jenseits der Gefängnismauern bis zu einem unabhängigen Fernsehsender in Soho. Die Produzenten klopften an die Gefängnistore, ob sie eine sechsteilige Serie mit dem Titel Jailbird Makeover drehen dürften. Mrs. Barclay lehnte natürlich ab. Sie wollte etwas für das Selbstbewusstsein der Frauen tun und sie nicht in Medienfutter verwandeln für einen Fünf-Minuten-Ruhm.
Inzwischen war es Anfang Dezember und mein »Automatischer Entlassungstermin« - oder AET, wie auch ich ihn mittlerweile nannte - war festgelegt worden. Es war Zeit für mich, Highridge zu verlassen. Marion Barclay hatte mich gefragt, ob ich als Ehrenamtliche zurückkommen würde, um das Projekt fortzuführen. Ich versprach, dass ich es würde - nach Weihnachten. Aber zuerst musste ich meinen Kopf frei bekommen. Es gab eine Reihe wichtiger Punkte, über die ich mir klar werden musste.
Nummer eins: Wo würde ich leben?
Nummer zwei: Wovon sollte ich leben, da ich nun ein Ex-Knacki war? Noch schlimmer: Ein Ex-Knacki, der dabei war, sich in den geschmähten Rang einer alleinerziehenden Mutter einzureihen.
Oh, ich hatte einen bösen Fehler gemacht, als ich in meiner ersten Nacht in Vlads Wohnung meine Anti-Baby-Pillen das Klo hinuntergespült hatte.
In den ersten Wochen meiner Haftstrafe nahm ich an, dass mir jeden Morgen vor Angst übel war, oder weil mein Magen nicht an das Gefängnisessen gewöhnt war. Dann, als ich einen Heißhunger auf die Schokoladesorten bekam, die ich seit meiner Kindheit nicht mehr gegessen hatte - Wispas, Munchies, Crunchie Riegel -, sagte ich mir selbst, dass ich aus Frust aß, was unter diesen Umständen mit Sicherheit berechtigt war. Als ich mir weiterhin abwechselnd jedes Stück Schokolade, das ich kaufen oder bei meinen Mitinsassinnen schnorren konnte, in den Mund schob und es dann auskotzte, häufte ich Pfunde an. Machte es mir etwas aus? Nein. Hatte ich einen Verdacht? Nicht, als meine Tage nicht kamen, denn sie waren immer ziemlich unregelmäßig gewesen. Nicht einmal, als meine Brüste aus dem baumwollenen Agent-Provocateur-B-Cup-Büstenhalter quollen, den Norma mir anstelle des Rigby & Peller-Bügel-BHs geschickt hatte.
Als dann der Groschen fiel - oder ich vielmehr Mitte November von einer Mitinsassin darauf gebracht wurde, weil sie mich fragte, wer mich geschwängert hatte, war ich wahrscheinlich schon im dritten Monat, obwohl es meinem Umfang nach eher wie der fünfte wirkte.
Wäre ich direkt zum Gefängnisarzt gegangen, hätte ich vermutlich noch etwas machen können, aber eine seltsame Lethargie hatte mich erfasst. Die einzigen Menschen, denen ich es erzählte, waren Clarissa und Norma, als sie vierzehn Tage vor meiner Entlassung zusammen auftauchten, um mich zu besuchen.
»Gratulation, Baby!«
Meine zukünftige Stiefmutter strahlte mich an, als ob ich ihr die beste Nachricht der Welt verkündet hätte. Eine Sekunde später machte sie ein langes Gesicht und rief aus: »Mein Gott, ich werde Großmutter!«
Clarissa sah erst sie an, dann mich. »Brillantes Timing, Annie!«, sagte sie.
»Das kann man wohl sagen, nicht wahr?«
»Ich meine, nach all diesen Jahren, in denen Mark eine Familie wollte und du nie dazu bereit warst, wartest du bis vier Tage vor deiner endgültigen Scheidungsverhandlung, um ungeschützten Sex mit ihm zu haben!«
»Ah! Das ist zu viel für mich!« Norma hielt sich die Ohren zu, aber hatte natürlich schon alles gehört.
»Du musst nicht noch darauf herumreiten!«, sagte ich zu Clarissa.
Meine beste Freundin unterdrückte ein Kichern.
»Es tut mir leid. Aber du musst zugeben, dass es ziemlich spektakulär ist.«
Dann nahm sie über den Tisch meine Hand und redete ernsthaft weiter. »Also, was willst du damit tun, Liebling?«
»Was soll sie schon damit tun?« Empört packte Norma meine andere Hand. »Du schlägst hoffentlich nicht vor, dass sie abtreiben lässt?«
»Ich schlage gar nichts vor, Norma«, sagte Clarissa und drückte meine Hand noch fester. »Ich frage Annie nur, was sie tun will.«
»Nun, ich sage ihr, was!«, entgegnete Norma und quetschte meine Finger fast zu Brei. »Sie sollte dieses Baby bekommen!«
»Bitte streitet euch nicht«, bat ich. »Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was ich tun will. Ich werde darüber nachdenken, wenn ich hier rauskomme.«
»Na, wenn du in der - mittlerweile dreizehnten oder vierzehnten Woche? - bist, musst du dir ziemlich schnell darüber klar werden«, schniefte Norma.
Clarissa ließ meine Hand los und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück.
»Wenn du meine Meinung hören willst, Liebling...«
»Nein, möchte ich nicht, vielen Dank.«
»Wie ich sagte, wenn du meine Meinung hören willst...«
»Sie will nicht«, unterbrach sie Norma. »Du hast gehört, was sie gesagt hat!«
Clarissa ignorierte uns beide und sprach weiter, »... die, wie ich weiß, von absolut ausschlaggebender Bedeutung für dich ist: Na ja, ich bin derselben Meinung wie Norma.«
Norma sah verwundert aus. »Bist du?«
»Ja. Natürlich.« Clarissa wandte sich wieder mir zu. »Liebling, du bist jetzt einundvierzig.«
»Ach, mach’ mal eine Pause. Bitte nicht diesen >Die Uhr tickt<-Mist.«
»Na ja, es ist aber wahr, oder?«
»Und glaube mir, Annie«, sagte Norma, »Mutter zu sein ist ein Segen. Es mag nicht immer einfach sein, aber es ist ein Segen. Ich sag’ dir Mädchen, es gibt nichts Besseres auf der Welt als eine Familie.«
Ich dachte daran, dass Marion Barclay mir erzählt hatte, wie sehr sie es bedauerte, keine Kinder zu haben. Dann dachte ich an meine Mutter und lächelte verzagt. »Wir Osbornes scheinen das mit dem Muttersein nicht besonders gut hinzukriegen. Und auch das mit der Ehe, wenn wir schon dabei sind.«
»Bis jetzt, bitte!«, unterbrach mich die zukünftige Mrs. Bob Osborne.
»Ich beabsichtige, das zu ändern!«
»Außerdem ist es nicht genetisch bedingt, eine Scheißmutter zu sein«, sagte Clarissa.
»Sieh mich an. Ich mag nicht perfekt sein, aber ich bin meinen Kindern mit Sicherheit eine bessere Mutter als Mummy es für mich war. Annie, ich glaube, dass du es bereuen wirst, wenn du dieses Baby nicht bekommst. Du bist mit absolut nichts aus deiner Ehe herausgegangen.«
»Falsch«, sagte ich unwirsch. »Du vergisst meine Vorstrafe.«
Nach einer kurzen Pause sagte Clarissa: »In Ordnung, mit dieser Ausnahme!«, und wir kicherten alle drei.
Aber ein Kind zu bekommen war kein Spaß. Und das Baby seines Ex-Ehemanns zu bekommen, von dem man gerade geschieden worden war, war nicht etwas, das man auf die leichte Schulter nehmen sollte. Ja, Norma hatte mir versprochen, mir alle Unterstützung zu geben, die sie konnte. Sie hatte mir sogar versprochen, mit mir in irgendein schickes Restaurant zu gehen und mir bei Steak, Pommes frites und einer Flasche mit einem roten und teuren Inhalt beizustehen, Dad die Nachricht zu überbringen.
Was Mark, den Vater des Kindes betraf, hatte er seit der Gerichtsverhandlung eine etwas zivilisiertere Seite von sich gezeigt. Er hatte mir sogar ins Gefängnis geschrieben und sich für das entschuldigt, was er einen »schrecklichen Scheiß« nannte, »den meine Anwältin dir angetan hat, als sie Holtby vorlud«. Er hatte hinzugefügt, dass er »ehrlich keine Ahnung gehabt hatte, welchen Ärger es verursachen würde. Glaube mir, wenn ich es gewusst hätte, hätte ich es niemals erlaubt - selbst wenn das bedeutet hätte, dass du Fluffy bekommst. Ich bin über das Ganze absolut enttäuscht.«
In dem Brief lag ein Scheck mit der ganzen Summe, die ihm in unserer Scheidungsvereinbarung zugesprochen worden war, abzüglich der fünfzigtausend, die er Holtby zu zahlen hatte, bevor Fluffy überfahren worden war. »Ich werde dir diese zurückzahlen, sobald ich kann«, hatte sein Brief geendet. »Scheiße Annie, was für ein verdammtes Fiasko!«
Das war nichts, worüber man hätte streiten können.
Aber auch nichts davon war ein Anreiz, Marks Baby zu bekommen.
Ich hatte nicht zurückgeschrieben.
Wohin mit Fluffy -Getrennt von Tisch und Hund
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