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Du gehst mit einem Typen aus, der seinen
Lebensunterhalt mit was verdient?«, fragte mein Vater, als
ich ihm sechs Wochen später beim sonntäglichen Mittagessen im
Simpson’s-in-the-Strand bei Roastbeef und Yorkshire Pudding
erzählte, dass ich mich mit Mark traf.
»Er ist ein Hundesitter. Genau genommen hat er eine
Firma, deren Service es ist, Hunde auszuführen.«
»Hat eine Menge Angestellter, oder?«
»Na ja, ich weiß nicht genau, wie viele.«
Mein Vater sah mich mit schmalen Augen an.
»Ja, ist gut, die Firma besteht nur aus ihm«, gab
ich zu.
»Aber er ist schrecklich nett, Dad. Er ist ein
wunderbarer Mensch.«
Mein Vater steckte einen Bissen Yorkshire Pudding
in seinen Mund und kaute nachdenklich. Dann spülte er ihn mit einem
Schluck Beaujolais hinunter.
»Mit Sicherheit muss er ehrgeizig sein, wenn er
einen solchen Job hat.«
Ich legte meine Hand auf seine. »Es gibt keinen
Grund sarkastisch zu sein. Hundesitting ist nur sein Nebenjob. Er
ist ein talentierter Musiker.«
Ich hatte nicht gedacht, dass mein Vater noch
erboster aussehen konnte, als er es bereits getan hatte. Jedenfalls
hatte ich falsch gelegen.
»Was für ein Musiker?«, nahm er mich argwöhnisch
ins Kreuzverhör.
»Ein... na, ja, ein Rockmusiker«, sagte ich so
beiläufig, wie ich konnte.
Dad erstarrte. »Er spielt in einer Rockband?«
Jetzt war es an mir, nach dem Weinglas zu
greifen.
»Na ja, das hat er. Aber in den letzten Jahren hat
er versucht, es alleine durchzuziehen.«
»Versucht, sagst du? Also ist er arbeitslos?«
»Nein!« Ich trank noch einen großen Schluck
Beaujolais.
»Er ist selbstständig.«
»Womit du sagen willst, ohne Job.« Er schüttelte
verzweifelt seinen Kopf.
»Liebling, ich muss sagen, dass du dir anscheinend
einen echten Gewinnertypen angelacht hast. Genau den Mann, den ich
schon immer für meine Tochter haben wollte - einen
arbeitslosen Rockmusiker, der mit Hunden Gassi geht! Hättest du
nicht jemanden auf deinem Niveau finden können, Annie? Du, mit der
ganzen teuren Ausbildung und dem Uniabschluss in Wirtschaft?«
»Schau Dad, ich weiß nicht, warum du so fies über
Mark denkst«, sagte ich verteidigend. »Er stammt aus einer wirklich
netten Familie, und du hast ihn noch nicht einmal kennen
gelernt.«
»Das brauche ich nicht«, sagte mein Vater stur.
»Ich habe genug gehört. Ein verdammter Rockstar.«
»Er ist kein Star.«
»Und damit soll ich mich besser fühlen? Ich nehme
an, dass er Drogen nimmt?«
»Nein, tut er nicht!«
»Blödsinn, Annie! Alle Rockmusiker nehmen Drogen.
Denk’ nur an die Beatles. Und sieh’ dir den Typen an, der mit
dieser Dingsda verheiratet war.«
Ich legte mein Besteck neben den Teller und ließ
zögernd mein Roastbeef kalt werden. Eine Schande, denn es war
köstlich! Aber die negative Haltung meines Vaters brachte mich aus
der Fassung. Ich wünschte, ich hätte bis nach dem Dessert gewartet,
bevor ich ihm von Mark erzählte. Ich hatte Apple Crumble mit
Vanillesoße auf der Speisekarte gesehen. Aber jetzt war mir der
Appetit vergangen.
»Wer ist Dingsda?«
Er spießte eine Bratkartoffel auf seine Gabel und
schwenkte sie vor meiner Nase. »Du weißt schon, die aus dem
Fernsehen mit den kurzen schwarzen Haaren und der netten
Visage.«
»Das könnte jede sein, Dad.«
»Du kennst sie! Sie haben ihre eigene Show
bekommen! Und er trägt eine dunkle Brille!«
»Sprichst du von The Osbournes?«
Aber das kurzfristige Interesse meines Vaters an
den Drogengewohnheiten von Rockstars war verflogen und er richtete
seine Aufmerksamkeit wieder auf sein Kreuzverhör.
»Kannst du mir sagen, warum ein wunderschönes
junges Mädchen wie du sich an einen Nichtsnutz wie diesen Typen
wegwerfen will?«
Es war sinnlos, meinen Vater daran zu erinnern,
dass ich, obwohl ich wusste, wie ich das Beste aus meiner netten
Figur und meinen kantigen Gesichtszügen machen konnte, nicht gerade
eine Schönheit war, und im Alter von fünfunddreißig Jahren auch
kein junges Mädchen mehr.
So sagte ich nur ziemlich verärgert: »Mark ist mit
Sicherheit kein Versager. Er ist ein wundervoller Komponist. Und
wie es aussieht, arbeitet er gerade an einem großen Hit.«
»Ha! Sagt wer, junge Dame?«
»Und ich werfe mich nicht an ihn weg. Ich will ihn
nicht heiraten, um Himmels willen! Wir gehen nur gemeinsam aus, das
ist alles! Wie Norma und du.«
So, wie es aussah, gingen Mark und ich nicht nur
miteinander aus.Wir blieben ziemlich viel zu Hause. Tatsächlich war
er weniger als einen Monat nach unserem ersten Kuss ins Workhouse
eingezogen. Wir hatten darüber keine große Entscheidung getroffen,
es war einfach passiert. Es schien wenig Sinn zu machen, dass er
jede Nacht nach Hause fuhr, wenn er am nächsten Morgen um viertel
nach
acht wieder da sein sollte, um Fluffy zu seinem Morgenspaziergang
abzuholen. Abgesehen davon, war das Wetter kalt und regnerisch. Es
wurde erst kurz vor acht hell und um fünf Uhr wurde es wieder
dunkel. Die Nächte schienen endlos, was uns perfekt passte, da wir
die meisten davon im Bett verbrachten - uns liebten, die leckeren
Köstlichkeiten aßen, die Mark gekocht hatte, und uns
aneinanderkuschelten, um uns alte Schwarzweißfilme auf DVD
anzusehen. Ich erzählte Clarissa von meiner wunderbaren neuen
Lebenssituation, als wir uns eines Abends auf dem Heimweg von der
Arbeit auf einen schnellen Drink in einer Tapas Bar in der Upper
Street trafen. Auch sie war erstaunlich skeptisch gewesen.
Eigentlich schien sie ausgesprochen besorgt, als ich ihr die
Neuigkeiten verkündete. Sie trank einen großen Schluck von ihrem
Sauvignon Blanc.
»Das ist großartig, mein Liebling, aber...«
Meine Hand war, einschließlich der mit Anchovis
gefüllten Olive, auf halbem Weg zu meinem Mund erstarrt.
»Aber was?«
»Ist es nicht ein bisschen früh, Mark bei dir
einziehen zu lassen?«
»Zu früh?«
»Na ja, Liebling, du hast dich erst ein paar Wochen
mit ihm getroffen.«
Ich legte die Olive zurück in das kleine
Schälchen.
»Das ist eine Ewigkeit, Clarissa!«
»Mmm... Nicht wirklich. Nein.«
Sie spießte einen Ring aus frittiertem Oktopus mit
einem Cocktail-Stäbchen auf.
»Eigentlich ist es erst ziemlich kurz - mit
Sicherheit nicht lange genug, um zu wissen, ob du mit jemandem
zusammenleben willst.«
»Aber das weiß ich. Und Mark weiß es auch. Wir
lieben uns.«
Als Clarissa zu Ende gekaut hatte, warf sie mir
einen bedächtigen Blick zu.
»Annie, Mark und du, ihr kennt euch kaum.«
»Das ist nicht wahr!«, protestierte ich.
»Wir haben uns im Juli kennen gelernt, erinnerst du
dich? Abgesehen davon hat er praktisch in meiner Wohnung gelebt,
seit wir das erste Mal miteinander geschlafen haben. Ich meine, er
hat schon auf Fluffy aufgepasst und in meiner Wohnung
gearbeitet und seine Gitarren und sein Keyboard und sein Computer
waren längst da. Und da die Abende die einzige Möglichkeit waren,
uns zu sehen - vom Sonntag abgesehen -, ist er sowieso jede Nacht
bei mir geblieben. Jetzt ist er eben ganz offiziell in meiner
Wohnung. Und er hat mir eine elektrische Cappuccino-Maschine
gekauft! Ist das nicht unglaublich? Ich bin so wahnsinnig
glücklich, Clarissa!«
Ich hörte auf zu reden und schob mir endlich die
Olive in den Mund.
»Das ist wundervoll, Liebling.« Sie lächelte, wenig
überzeugend. Eine Minute später kam sie mit dem nächsten
»Aber...«
Ich seufzte.
»Aber was?«
»Ich bin wirklich froh, dass es dir mit Mark so gut
geht. Das bin ich, ehrlich. Aber warum die Eile? Es ist mit
Sicherheit
keine gute Idee, dass er seine eigene Wohnung aufgibt und schon
ganz bei dir einzieht.«
»Wir haben das jetzt schon gemacht und damit ist
die Sache erledigt. Und außerdem wollen wir so viel wie möglich
zusammen sein. Und es ist eine Geldverschwendung, weiterhin Miete
für eine Wohnung zu bezahlen, die er nie nutzt. Mal abgesehen von
den Benzinkosten für das Hin- und Herfahren.«
Genervt leerte ich mein Glas und winkte dem Kellner
wegen der Rechnung.
»Ich muss jetzt gehen. Mark wird das Essen auf dem
Tisch haben und sich wundern, wo ich bleibe.«
Was hatten Clarissa und mein Vater nur? Jahrelang
hatten sie an mir herumgenörgelt, dass ich nicht so wählerisch sein
und mir einen netten Partner suchen sollte. In der ganzen Zeit
hatte ich kaum jemanden getroffen, der mir gefiel. Jetzt, da ich
mich tatsächlich in einen außergewöhnlich netten Mann verliebt
hatte, erzählten sie mir die ganze Zeit, dass ich vorsichtig sein
sollte. Jetzt, da Mark in die öde, leere Höhle meines Lebens
getreten war, und es mit einem Mal in ein paillettenbesetztes, mit
Spaß erfülltes und von Gourmet-Essen berauschtes Winterwunderland
verwandelt hatte. Aber Vorsicht war das Letzte, was ich in diesen
ersten berauschenden Monaten im Sinn hatte. Ich konnte mein Glück
einfach nicht fassen. Vor kurzem noch war ich ein Single. Dann
kamen Mark und Fluffy ins Bild. An Weihnachten fühlte ich mich, als
wären wir schon immer eine Familie gewesen, und ich dachte nicht,
dass das Leben noch besser werden konnte. Aber Mark hatte eine
Überraschung für mich.
In diesem Jahr war Dad mit Norma und ihren beiden
Teenagersöhnen nach Paris gereist. Natürlich hatte er mich
eingeladen mitzufahren, aber ich wollte nicht weg von Mark.
Überglücklich, achtundvierzig Stunden ganz für uns zu haben,
standen wir am ersten Weihnachtsfeiertag spät auf, packten unsere
Geschenke aus, teilten uns einen Wildeintopf mit Fluffy und fuhren
dann im »Wag the Dog«-Bus zum ersten Mal nach Hampstead Heath. Dort
machten wir unseren, von diesem Tag an traditionellen,
Weihnachtsspaziergang.
Ein bleigrauer Himmel hing schwer über uns und
kündigte Regen an. Ein bitterkalter Ostwind blies. Als wir Fluffy
von der Leine ließen, verschwand er hinter dem Parliament Hill in
einem kleinen Gestrüpp, und als wir ihn riefen, kam er nicht mehr
heraus. Es war beinahe dunkel, als wir ihn endlich gefunden hatten
- knietief im Matsch, mit seinem Kopf in einem Fuchsloch. Meine
Zähne klapperten und meine Hände waren in den Miu-Miu-Handschuhen,
für die Mark großzügig ein ganzes Monatsgehalt ausgegeben hatte, zu
Eisklumpen erstarrt.
»Du frierst, weil du falsch angezogen bist«,
erklärte er mir, als er mir die Handschuhe auszog und seinen warmen
Atem auf meine erfrorenen Finger hauchte.
Ich lachte. »Du klingst wie meine alte Direktorin,
die zu uns immer sagte: ›Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt
nur schlechte Kleidung.«‹
»Na ja, die alte Eule hatte recht. Du brauchst
Thermo-Unterwäsche - mmm, wie sexy! - und eine richtige
Outdoor-Jacke, nicht dieses klitzekleine Ding, das du da
trägst.«
»Das ist kein klitzekleines Ding, das ist eine
MaxMara!«
»Sie ist viel zu kurz«, sagte Mark. »Man kann dein
Zwerchfell sehen. Kein Wunder, dass du zitterst. Komm, ich jage
dich auf die Spitze des Parliament Hill. Das wird dich
aufwärmen!«
Ich gab mein Bestes, um ihn an der steilen
Grasböschung in meinen schwarzen Wildleder-Ankle-Boots mit
Pfennigabsätzen zu schlagen, aber ich sank im Morast ein und sowohl
er als auch Fluffy waren viel zu schnell für mich. Ich keuchte die
letzten Meter hinter ihnen her, außer Atem und schnaufend. Als er
auf diesem ansonsten verlassenen Hügel stand, seine Silhouette sich
gegen den fast dunklen Himmel und den Blick auf die Stadt
abzeichnete und seine zerzausten Haare im Wind wehten, breitete
Mark seine Arme für mich aus und als ich ihn erreichte, zog er mich
an sich und wickelte die Seiten seines offenen Anoraks um meinen
Rücken. In der Zwischenzeit rannte Fluffy wild im Kreis um uns
herum und bellte den Wind an.
»Das ist eine sehr angenehme Art, Weihnachten zu
verbringen«, sagte Mark und küsste mich auf meine kalte
Nasenspitze.
»Perfekt«, stimmte ich zu und kuschelte mich in
seine Wärme.
»Ich bin so glücklich, wenn wir zusammen sind,
Annie«, murmelte er.
»Bist du?«
»Nein. Ich lüge. Weißt du«, sagte er träumend, »ich
möchte wirklich, dass wir zusammenbleiben.«
»Willst du?«
»Ja.« Und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu.
»Für immer.«
»Das ist eine sehr lange Zeit.«
»Nicht, wenn man Spaß hat. Und wir haben Spaß
zusammen, oder?«
Ich nickte.
Und dann sagte Mark: »Ich möchte irgendwie, dass
wir zusammen alt werden, Annie. Wir könnten zusammen Welpen haben.
Vielleicht sogar Babys.«
»Welpen, ja. Aber Babys? Darüber muss ich erst
nachdenken!«, flachste ich und küsste ihn auf den Mund.
Er sah zu mir herunter. »Ich weiß, dass ich für
jemanden wie dich kein großer Fang bin, aber...« Er zögerte.
»Würdest du...? Ich meine, ich will wirklich, dass
das zwischen uns klappt, weißt du. Also... na ja... - willst du
mich heiraten, Annie Osborne?«
Und auf diese Frage konnte ich nur eine Antwort
geben.