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Den ganzen Vormittag über rief ich immer
wieder bei Mark an, um nachzufragen, wie es ihm und den Mädchen
ohne mich erging (immer die gleiche Antwort: »Hervorragend, vielen
Dank.«). Nun war es mitten am Nachmittag, und ich war im
Umkleideraum mit einer sehr netten neuen Kundin so beschäftigt,
dass ich fast vergessen hatte, was mich in Camden Town am Abend
erwarten würde.
Wenn Tiffany George die Personal-Shopping-Kundin
aus der Hölle gewesen war, schien die zweiunddreißig Jahre alte
Jessica Harrison direkt aus dem Himmel geschickt worden zu sein.
Sie war eine überaus erfolgreiche Geschäftsfrau, deren Firma erst
kürzlich an die Börse gegangen war. Jessica - mit der perfekten
Figur für Größe sechsunddreißig - hatte so hart gearbeitet, während
sie ihre Internet-Partnervermittlung aufgebaut hatte, dass sie nie
Zeit hatte, ihre Nase in ein Warenhaus zu stecken, sondern
stattdessen ihre komplette Garderobe über Internet oder per
Versandkatalog bestellt hatte.
Nun hatte sie zwanzig Millionen Pfund in der
Tasche, die Zeit und den Willen, einen Teil davon auszugeben, und
wollte, dass ich ihr dabei half. Ich war ihr von der Frau eines
Angestellten empfohlen worden. Sie war vor zwei Stunden gekommen,
und wir verbrachten den Nachmittag damit, zusammen durch den Laden
zu gehen und eine völlig neue Garderobe mit Kleidung und
Accessoires zusammenzustellen. Jessica mochte alles, und alles
hatte ihr gestanden.
Um vier Uhr hingen drei Hosenanzüge, vier Mäntel,
fünf Kleider, drei Jacken, unzählige Oberteile und Röcke und eine
Reihe von Jeans auf der Kleiderstange unserer größten
Umkleidekabine, dazu Handtaschen, Schuhe, Gürtel und Modeschmuck,
die ich dafür passend ausgesucht hatte. Ich half Jessica gerade
dabei, eine engere, endgültige Auswahl zu treffen, als Charlotte
ihren Kopf in die Tür steckte.
»Bitte entschuldige Annie, es tut mir sehr leid,
dass ich dich stören muss...«
»Ja, Charlotte?«
»Tut mir leid, zu unterbrechen, aber ich saß
Ewigkeiten an der Rezeption, und es ist so, dass dein Mobiltelefon
in deinem Büro ist.«
»Ja, ich weiß, Charlotte. Ich habe es dort liegen
gelassen. Und?«
»Na ja, es hat geklingelt«, sagte sie.
Ach du lieber Himmel, dachte ich. Charlotte konnte
manchmal so dämlich sein, und das war mit Sicherheit einer dieser
Momente.
»Wer auch immer es ist, ich kann ihn nachher
zurückrufen«,
sagte ich und lächelte sie so süß an, wie ich es noch zustande
brachte.
»Wie du siehst«, ergänzte ich und riss meine Augen
in einer Art auf, von der ich hoffte, dass sie diese Sprache
hoffentlich verstehen würde. »Ich bin im Moment sehr
beschäftigt.«
»Natürlich«, sagte sie langsam, blieb aber stehen,
wo sie war, biss sich auf die Lippen und runzelte die Stirn.
Ich ging wieder zu Jessica Harrison zurück und
versuchte, Charlotte zu ignorieren, aber als ich mich umdrehte,
stand sie noch immer dort.
»Ja, Charlotte? Was gibt es noch?«
»Die Sache ist..., Annie, dein Handy...«
Ich seufzte. »Ja?«
»Es hat mehr als einmal geklingelt. Genau genommen,
sechsmal. So, ähm, ich habe mir die Freiheit genommen und bin in
dein Zimmer gegangen. Ich habe es aus deiner Mulberry genommen und
den Anruf entgegengenommen. Ich dachte, ich würde das Richtige
tun.«
»Das zeigt große Eigeninitiative, Charlotte,
danke.«
»Also macht es dir nichts aus?«
»Nein.«
»Passen Sie auf, Annie«, sagte Jessica Harrison und
legte ihre Hand auf meinen Arm. »Wollen Sie nicht schnell gehen und
die Sache erledigen? Es macht mir wirklich nichts aus.«
»Nein, keine Sorge«, versicherte ich ihr. »Es tut
mir leid. Wer auch immer es war, er kann warten. Ach ja, wer war
es, Charlotte?«, fragte ich spitz.
»Ich dachte, es wäre Mark - ich meine Mr. Curtis -,
weil sein Name auf dem Display erschien.«
Jetzt war ich soweit, dass ich sie am liebsten
erwürgt hätte. »Hast du ihm gesagt, dass ich ihn zurückrufen werde
- und ihm einen schönen Tag gewünscht?«
Sie sah noch unglücklicher aus und schüttelte den
Kopf.
»Ähm, nein, habe ich nicht.Weißt du, es war nicht
Mark, der am Telefon war. Es war ein Mädchen. Ich glaube, sie
sagte, ihr Name sei Rachel.«
Rachel? Plötzlich erinnerte ich mich an Clarissas
Kinder und griff nach Charlottes Arm.
»Was hat sie gesagt? Ist sie in Ordnung?«
»Oh, ja, es geht ihr prima! Wirklich!«, sagte sie
mit einem strahlenden Lächeln. »Offensichtlich ist es nur Mark, der
nicht in Ordnung ist. Rachel sagte, er sei von der Leiter gefallen
und kommt nicht mehr vom Boden hoch.«
Ich ließ Jessica Harrison in Charlottes
inkompetenten Händen zurück - Eva hatte an diesem Nachmittag frei
und sonst waren alle besetzt und konnten sich nicht um sie kümmern
-, griff nach meiner Mulberry-Tasche und rannte auf die King’s Road
hinaus. Ich stieß die Kundin grob zur Seite, für die Manny, der
Türsteher von Haines & Hamptons, ein Taxi herbeigewunken hatte,
als diese gerade einsteigen wollte, und warf mich selbst
hinein.
Manny war außer sich. »Hey, Annie, was machst du
denn da?«
»Entschuldigung, das ist ein Notfall!«, schrie ich,
als der Fahrer losfuhr.
Den ganzen Weg zurück nach Camden hing ich am
Handy. Abwechselnd beriet ich Charlotte, was sie Jessica Harrison
sagen sollte, und rief bei Clarissa zu Hause an. Ein schreckliches
Unglücksszenario spulte sich in meinem Kopf ab: Es hatte ein Feuer
gegeben, bewaffnete Gangster waren eingebrochen und als sie
kaltblütig die Kinder erschossen, war das Haus wegen eines schweren
Erdbebens zusammengebrochen.
Ich war mir ziemlich sicher, dass die
viktorianischen Reihenhäuser rund um den Primrose Hill nicht auf
einer tektonischen Bruchlinie gebaut worden waren, aber das hielt
mich nicht davon ab, mir Sorgen zu machen. Ich machte mir Sorgen,
dass etwas Schreckliches passieren würde, weil niemand da wäre, der
die Kinder beaufsichtigte, und ich dann Clarissa und James nie
wieder ins Gesicht sehen könnte.
Während der Fahrt bellte ich Rachel unzählige
Anweisungen in den Hörer, die sie an ihre Geschwister weitergeben
sollte: Fasst die Küchenmesser nicht an, schaltet nicht den Gasherd
ein, es könnte eine Explosion geben; verlasst nicht das Haus, ihr
könntet gekidnappt werden. Lass sie nichts essen, sie könnten
ersticken und es wäre keiner da, der den rettenden
Heimlich-Handgriff anwenden könnte.
»verdammt noch mal«, schnauzte Mark mich an, als
Rachel den Hörer an sein Ohr hielt. »Es geht ihnen gut und sie
machen ihren eigenen Kram. Es sind keine Babys mehr und es ist auch
nicht so, dass sie alleine sind. Ich bin immer noch hier. Ich komme
nur nicht vom Wohnzimmerboden hoch.«
Es stellte sich heraus, dass er sich nicht
ernsthaft verletzt,
sondern sich nur einen Rückenmuskel gezerrt hatte, als er von der
obersten Sprosse von James’ Stufenleiter heruntergefallen
war.
»Was hatte er dort überhaupt gemacht?«, wollte ich
wissen, als ich hereinkam. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich schon
auf Clarissas schäbiges schwarzes Samtsofa gerobbt und lag mit
ausgestreckten Armen auf dem Rücken - ähnlich wie Sophie Dahl in
dieser alten Werbung für das Parfüm Opium, nur dass er mit
Shorts und T-Shirt bekleidet war und dass er statt eines Orgasmus
höllische Schmerzen hatte. Fluffy hielt Wache und stupste Mark
immer wieder mit seiner Schnauze ins Gesicht.
»Ich wollte das an der Decke befestigen«, sagte
Mark und zeigte auf ein großes gelbes Laken, das nun in einem
Haufen auf dem Stuhl lag.
»Warum?«
»Weil wir eine Überraschungsshow für dich aufführen
wollten, wenn du von der Arbeit zurückkommst«, sagte Rebecca, »mit
Singen und Tanzen.«
»Und Mark wollte das Zimmer in ein Theater
verwandeln«, ergänzte Rachel. »Dieser Teil sollte die Bühne werden
und das da der Vorhang.«
»Und nun sagt Mark, dass wir die Show nicht machen
können«, heulte Miranda und warf sich an meine Knie. »Ich sollte
mich als Fee verkleiden und ›How much is that Doggie in the
window< mit Fluffy singen!«
»Mach’ dir nichts draus, Liebling.«
Ich bückte mich, löste ihre heißen Hände von meinen
Beinen und hob sie auf meine Hüfte. »Wir machen stattdessen etwas
anderes.«
»Ich vermisse Mummy! Und ich habe Hunger!«, weinte
sie.
»Und Mark hat versprochen, Scones zum Tee zu
backen. Du machst sie, Annie!«
»Das würde ich gerne, Süße, aber ich bin nicht
besonders gut im Backen.«
Ihre großen Augen füllten sich mit Tränen.
»Mark hat es versprochen!«
Mir rutschte das Herz in die Knie.
»Okay ich versuche es.«
Mark hob seinen Kopf von den Kissen und warf mir
einen hilflosen Blick zu.
»Tut mir leid, dass ich dich mit hineinziehe,
Liebling. Ich schätze, ich hätte es irgendwie geschafft, alles am
Laufen zu halten, bis du heimkommst. Aber ich dachte, wir sollten
dich anrufen und es dir sagen, weil du es wissen wollen würdest.
Ich hoffe, wir haben dich nicht bei der Arbeit unterbrochen?«
Nur beim größten Einzelverkauf, den ich das ganze
Jahr über gemacht hatte, dachte ich. Aber ich war frisch
verheiratet, also sagte ich nur: »Das spielt keine Rolle, Liebling.
Ich bin nur froh, dass es dir gut geht.«
Ich schaltete in den Küchenfee-Modus, ging in die
Küche hinunter, holte einige Zutaten heraus, warf meine Ponyfransen
auf eine Art aus meiner Stirn, von der ich hoffte, dass sie
unwiderstehlich war, und vergrub meine Hände in einer Schüssel mit
Mehl, während Mark mir von oben Anweisungen zurief.
Als ich die missgebildeten Klumpen endlich in den
Ofen schob und mir dabei den Arm verbrannte, war es schon kurz
vor der Abendessenszeit. Alle waren ausgehungert, und alles in
meinem Blickfeld - die Mädchen und ich eingeschlossen - war voller
Reste des klebrigen weißen Teiges.
Wie sich etwas so Weiches und Dehnbares in etwas so
Steinhartes verwandeln kann wie die verschrumpelten Klumpen, die
schließlich aus dem Ofen kamen, sei fast schon ein Wunder, sagte
Mark, als wir das Endprodukt begutachteten.
Er vermutete daraufhin, dass König Alfred nicht
einen Kuchen, sondern einen gigantischen Scone zu lange im Ofen
gelassen hatte, und dass daher der Name des Krönungssteins Stone
of Scone kam, der seit Jahrhunderten Teil der Zeremonie
britischer Könige war. Meine Bemühungen hingegen seien nun Scones
aus Steinen.
Rebecca schlug vor, dass wir sie mit zum Camden
Market nehmen sollten, einen Stand aufstellen und sie als
Briefbeschwerer verkaufen sollten. Ich tat so, als ob ich das auch
so außergewöhnlich witzig finden würde, wie Mark es offensichtlich
tat.
In meinem Innersten fühlte ich mich nutzlos. Warum
hatte ich nicht alle aus der Küche ausgesperrt, war aus dem Fenster
geklettert, zu Marks & Spencer gelaufen, hatte Scones gekauft
und so getan, als ob ich sie gebacken hätte. Keiner außer Emily,
die treu sagte, dass sie köstlich wären, aß einen Scone, und
Fluffy, dem Emily eine Hälfte in eine Ecke des Wohnzimmers schob,
verbrachte einen guten Teil des Abends damit, ihn anzunagen. Aber
selbst seine scharfen kleinen Zähne hinterließen kaum
Abdrücke.
»Was gibt es zum Essen?«, heulte Miranda. »Ich habe
Hunger!«
»Und wer hilft mir mit dem Bettsofa in meinem
Zimmer?«, fragte Rachel.
»Wozu brauchen wir das, Liebling?«
»Für Helena, Jasmine und Posy natürlich!«
»Bitte?«
»Sie sind meine besten Freundinnen. Hat Mummy dir
nicht erzählt, dass sie heute bei mir übernachten?«
Das war etwas, das Mummy vergessen hatte zu
erwähnen, absichtlich natürlich. Aber da stand es, auf ein
rosafarbenes Post-it gekritzelt, ganz unten am
Gürteltier-Kühlschrank. »Übernachtung! Uups! Tschuldigung! Hab’
dich lieb, Süße!«, gefolgt von einem weiteren halben Dutzend
Ausrufungszeichen und einer Reihe mit Küssen.
Und dann klingelte es an der Haustür. Plötzlich war
die Diele voll mit frühreifen Zwölfjährigen, die Miniröcke und
bauchfreie Tops trugen, und sich wie Starlets auf dem roten Teppich
von Cannes umarmten und küssten. Und bevor ich ihren Eltern sagen
konnte, dass sie ihre Kinder wieder mitnehmen sollten, fuhren sie
mit ihrem Porsche Cayenne davon und riefen: »Wir sind morgen um
fünf aus Glydebourne zurück und holen sie ab.« Und: »Ich nehme an,
Clarissa hat dich wegen ihrer Nussallergie gewarnt?«
Dann rannte Fluffy aus der Haustür und verfolgte
eine Katze, die er auf der anderen Seite der Straße gesehen hatte,
und es war keiner da, hinter ihm herzurennen - außer mir.
Als ich zurückkam, wackelten die Wände und die
Starlets tanzten und sangen zu Destiny’s Child. Die zehnjährige
Rebecca saß auf den Stufen und schickte eine SMS an einen Jungen,
von dem sie erzählte, dass es ihr fester
Freund sei. Miranda und Emily waren in der Küche und quengelten,
dass sie etwas zu essen haben wollten.
Mark lag noch immer auf dem Sofa. Ich sah auf ihn
herunter und wurde von einem Gefühl überwältigt, das ich zuerst für
tiefes Mitleid hielt. Dann wurde mir klar, dass es doch mehr der
Drang war, ihn zu erwürgen.
»Liebling, wie soll ich das in den nächsten
vierundzwanzig Stunden schaffen?«, fragte ich mit so ruhiger
Stimme, wie ich nur konnte. »Und was soll ich ihnen zu essen
geben?«
Das war keine Frage mit einer Wahlmöglichkeit.
Sowohl Mark als auch ich waren uns darüber klar, dass es - wie in
dem alten Witz - nur eines gab, das ich zum Abendessen machen
konnte: eine Restaurant-Reservierung.
Ich ließ ihn mit Fluffy und einer Schachtel von
Clarissas Nurofen Plus zurück - ein Glück für Mark, dass Clarissa
schon immer unter schmerzhafter Menstruation litt - und führte
meine Schützlinge über die mit Graffiti besprühte Eisenbahnbrücke
zur Chalk Farm Road. Ich fühlte mich wie Schneewittchen und die
Sieben Zwerge. In den einladend gefliesten Untiefen eines
Restaurants, das Marine Ice hieß, und zu dem mich mein Vater als
Kind immer mitgenommen hatte, um Waffel-Eis zu essen, ließen wir
uns Pizza, Cola und Eisbecher schmecken. Als wir nach Hause
zurückkamen, hatte ich mich wieder fest als Nummer Eins der
Erwachsenen etabliert.
»Sich um die Kinder zu kümmern ist einfach«, sagte
ich zu Mark, als ich ihm die Pizza Quattro Stagione mit extra
Peperoni reichte. »Du gibst ihnen alles, was sie wollen, und du
hast sie für’s ganze Leben gewonnen.«
»Meinst du nicht, du hättest sie nicht so viel
Brause trinken lassen sollen?«, fragte er um halb zwei Uhr morgens.
Wir lagen Seite an Seite in Clarissas und James’ durchgelegenem
Bett und lauschten den Lachsalven, die in unregelmäßigen Abständen
zusammen mit Karaoke-Versionen von Robby Williams aus Rachels
Zimmer über uns herunterdrangen.
Ich seufzte. »Was soll ich jetzt machen?«
Er stupste mich an. »Du kannst immer noch mich
lieben.«
»Was ist mit deinem Rücken?«
»Er scheint jetzt ein wenig besser zu sein«,
murmelte er und glitt mit seiner Hand unter mein Nachthemd.
»Na ja, wenn du wirklich glaubst, dass es dir nicht
weh tut...«
»Ich bin sicher, dass ich es überleben werde. Aber
heute Nacht ist es definitiv ein Fall von ›Mädchen nach oben<.
Mmm.«
Wir küssten uns. Ich setzte mich auf. Mark zuckte
zusammen, als ich auf ihn kletterte.
»Tut es dir nicht schrecklich weh? Soll ich
runtergehen?«
»Nein, nein. Ich lächle und ertrage es - nur um
deinetwillen, verstehst du.«
Wir begannen uns sehr langsam zu lieben, aber zum
ersten Mal wurde ich nicht von meinen Gefühlen mitgerissen. Mark
spürte es fast sofort.
»Was stimmt nicht?«, fragte er.
»Nichts!«, antwortete ich, als ich hörte, wie
Rachel und die Starlets die Treppe hinunterpolterten, um in der
Küche eine Mitternachtsparty vorzubereiten. Ich hörte, wie sie vor
unserer Tür stehen blieben und kicherten, was Fluffy veranlasste,
unter dem Bett herauszukriechen und zu knurren. Ich versuchte zu
meinem normalen, leidenschaftlichen Ich zurückzufinden und warf
mich auf Mark, aber ich konnte die sieben Mädchen zwischen fünf und
zwölf Jahren, die mit uns im Haus waren, nicht vergessen. Rachel
und ihre Freundinnen - alle vom Cola flatterig wie Lenkdrachen am
Himmel - und Emily, Rebecca und Miranda, die, als ich das letzte
Mal nach ihr gesehen hatte, tief und fest im Raum nebenan schlief,
der nur durch eine papierdünne Wand von unserem Zimmer getrennt
war.
Aber Miranda schlief nicht. Und sie war auch nicht
in ihrem Zimmer. Sie war in unserem - sie stand mit einer Puppe im
Arm in der offenen Tür. Ich bemerkte sie erst, als eine dünne
Stimme sagte: »Annie, warum sitzt du auf Mark?«
Ich sprang hundert Mal schneller von ihm runter als
ich je in unserer Schulturnhalle vom Pferd gesprungen war.
»Ich massiere nur seinen schlimmen Rücken!«
Ich fuhr mit meiner Hand durch mein wirres Haar,
lächelte sie an und versuchte, wie ihre Lieblingstante auszusehen
und nicht wie eine sich schuldig fühlende, lüsterne Dirne, die man
mitten im Koitus ertappt hatte.
»Warum bist du wach, Liebling?«
»Ich habe ins Bett gemacht«, sagte sie ohne eine
Spur von Verlegenheit.
»Kann ich mich zu Mark legen, während du meine
Bettwäsche wechselst?«