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So kam es, dass ich, die ich immer vor
Verbindlichkeiten zurückgeschreckt war, Mark Curtis, einem
buchstäblich Fremden, meinen Haustürschlüssel gab und ihm
uneingeschränkten Zugang zu meinem Leben gewährte. Da ich den
ganzen Tag in der Arbeit war, hatte ich keine Ahnung, wie oft sein
verbeulter VW, auf den Hundepfoten und »Wag the Dogs Walk« gemalt
waren, neben den glänzenden Audis und Porsches auf dem Parkplatz
stand. (Ich hatte dem Tagesportier Anweisung erteilt, Mark durch
die Sicherheitsschranke zu lassen, wann immer er auftauchte.)
Ebenso wenig wusste ich, wie viel Zeit Mark mit
Fluffy in der Wohnung verbrachte, oder was er tat, wenn er dort
war. Manchmal schickte er mir eine SMS, um mir zu versichern, dass
alles bestens war. An den Tagen, an denen ich nichts von ihm hörte,
machte ich mir den ganzen Nachmittag Sorgen, dass er vergessen
hatte zu kommen, und hetzte am Abend panisch zum Workhouse zurück.
Aber wenn ich mit Schuldgefühlen, dass ich Fluffy so lange
alleine gelassen hatte, die Eingangstür öffnete, war das Geld, das
ich Mark am Morgen hingelegt hatte, immer verschwunden, und Fluffy
lag wie gewöhnlich in seinem Laufstall zusammengerollt, gefüttert,
ruhig, zufrieden und bereit, mit mir zu spielen.
Mark erwies sich als wahrer Schatz. Er schien
einfach zu wissen, was Fluffy brauchte, und besorgte es, ohne dass
ich ihn darum bitten musste. Als ich zum Beispiel eines Abends, am
Ende der zweiten Woche, von der Arbeit nach Hause kam, fand ich
einen grünen Gummiball, den ich nie zuvor gesehen hatte. Als ich
ihn quer durch das Wohnzimmer warf, sauste Fluffy - seine kleinen
Beine nach außen gespreizt, als er komödienreif über das Parkett
schlitterte - hinter ihm her, als wäre er darauf trainiert worden.
Als ich an einem anderen Tag nach Hause kam, kaute er an einem
Hundeknochen mit kleinen Plastiknoppen.
»Habe ihm diesen Designer-Beißknochen in der
Tierhandlung am Queen’s Crescent Market gekauft«, stand auf der
fast unleserlichen Kugelschreibernotiz, die auf dem Wohnzimmertisch
lag.
»Dachte, es würde meine Finger retten - und diese
Manolo-Blah-blahs! Hoffe, du hast nichts gegen diese enormen
Ausgaben - zwei Pfund fünfzig.« Der Zettel war unterschrieben mit
»Fluffy’s Personal-Shopper«.
Am nächsten Morgen ließ ich Extrageld für Mark
liegen, zusammen mit einer Nachricht, in der ich ihm für seine
Eigeninitiative dankte. Als ich zwei Tage später in den
Umkleideräumen stand und einer amerikanischen Produzentin dabei
half, sich zwischen einem grünenVera-Wang-Abendkleid,
an das sie ihr Herz gehängt hatte, und das sie unbedingt bei der
Londoner Premiere ihres Films tragen wollte, und einem gemusterten
Issa-Etuikleid, das ihr viel besser stand, zu entscheiden, erhielt
ich eine SMS auf meinem Nokia. »Neue Initiative: Habe das Hundeklo
vom Bad in den Flur gestellt, in der Hoffnung, dass Fluffy es
rechtzeitig genug erreicht, um es zu benutzen. Okay?«
Obwohl sich der Gedanke, dass Mark in mein Bad
ging, komisch anfühlte, war ich bald darüber hinweg, und zwar am
selben Abend, als Fluffy und ich gemeinsam fernsahen und er
plötzlich vom Sofa sprang, in den Flur tapste, in sein Hundeklo
kletterte und, zu meiner Verblüffung, hineinpinkelte.
Fluffy blühte und gedieh und alles lief wie am
Schnürchen, wie ich Clarissa selbstgefällig berichtete, als sie aus
Cornwall anrief, wo James und sie ein Ferienhaus gemietet hatten.
Alles dank Mark. In der Tat, mein Hundesitter entpuppte sich mehr
und mehr als ein Schatz. Eines Tages schickte er mir eine Nachricht
und bot mir an, Fluffy für seinen Check-up zum Tierarzt zu bringen,
damit ich mir dafür nicht extra von der Arbeit freinehmen musste.
Ein anderes Mal rief er mich aus dem Sainsbury-Supermarkt an, er
mache gerade seine Einkäufe, ob ich etwas brauche? Als ich
verneinte, wies er mich daraufhin, dass meine Milch im Kühlschrank
sauer geworden war und dass mein Waschpulver zu Ende ginge - er
hätte das bemerkt, als er unter dem Waschbecken nach etwas gesucht
hatte, um Fluffys letzten Unfall aufzuwischen. Als ich nach Hause
kam, stand ein Päckchen Waschmittel auf der Theke, ein
frischer Milchkarton im Kühlschrank und eine Tüte mit Zahnhölzchen
für Hunde neben einem Zettel, auf dem stand: »Ein Geschenk für den
Jungen.«
»Hmm. Klingt ein bisschen nach Stalker«, bemerkte
Clarissa am Telefon in ihrer üblich zynischen Art. »Ein Typ, der
wie Glenn Close in Eine verhängnisvolle Affäre am Ende das
Kaninchen in den Kochtopf wirft. Oder in deinem Fall den Welpen.
Schnüffelt in deinem Kühlschrank herum und riecht an der Milch.
Gruselig.«
»Vielleicht hat er sich nur eine Tasse Tee
gemacht«, antwortete ich zu Marks Verteidigung, als ich mich neben
Fluffy auf den Wohnzimmerteppich fallen ließ. Er war zu einem Ball
zusammengerollt und schlief tief und fest.
Ich hörte im Hintergrund das Zwitschern eines
Vogels in Cornwall und wie Clarissa einen Schluck von dem Wein
nahm, den sie gerade trank, wie sie mir erzählt hatte.
»Ich bin nicht ganz sicher«, sagte sie
misstrauisch, »aber ich glaube, dass Mr.Wag-the-Dog es ein bisschen
auf dich abgesehen hat.«
Da ich es auch schon ein bisschen auf Mr.
Wag-the-Dog abgesehen hatte, hüpfte mein Herz bei diesem Gedanken.
Aber ich war mir sicher, dass das zu schön wäre, um wahr zu
sein.
»Unsinn!«, sagte ich, als ich mein Glas Pinot
Grigio nahm, das gefährlich nah am Rand des erhöhten Kamins
stand.
»Mark schaut mich nicht einmal an.«
»Das liegt vermutlich daran, dass er dich mag. Oder
er fühlt sich vielleicht von dir angezogen, weil du ein Miststück
bist.«
Sie lachte.
Ich konnte mich immer darauf verlassen, dass meine
Freundin mein Selbstvertrauen stärkte.
»Ha, ha, ha, sehr witzig, Clarissa. Vielen
herzlichen Dank. Jedenfalls ist meine Beziehung zu Mark rein
geschäftlich. Wir kommunizieren lediglich über SMS oder
Telefon.«
Sie seufzte wehmütig in den Hörer.
»Klingt perfekt. Vielleicht sollte ich das mal
James vorschlagen. Gott sei Dank hat er die Mädchen heute Abend
mitgenommen, um den nächstgelegenen Fast-Food-Tempel zu finden.
Seit wir hier angekommen sind, haben sie uns damit in den Ohren
gelegen. Wenigstens muss ich einen einzigen Abend lang nicht so
tun, als wäre ich die Küchenfee, und muss keinen von Nigella’s
Feenkuchen zusammenrühren oder einen Shepherd’s Pie machen - oder
Konversation mit James.«
»Wieso das denn? Du bist seit Ewigkeiten
verheiratet.«
»Wohl wahr. Ehrlich, Annie, wir sind es einfach
nicht mehr gewöhnt, so viel Zeit miteinander zu verbringen. Ich
schwöre dir, zu Hause reden wir nur noch über die Kinder. Auf
dieser Höllenfahrt hierher sind uns die Themen ausgegangen, über
die wir reden könnten. Fünf Stunden lang Süßigkeiten, kurze Pausen
und Streitereien darüber, welche Kassetten wir anhören würden.
Harry Potter und Horrid Henry gegen Kylie oder Danny Kaye, der
›Tubby, die Tuba‹ singt.«
»Ich wäre für ›Tubby, die Tuba<. Und hör’ auf,
dich über James zu beschweren - du weißt, dass du ihn
anbetest.«
»Ja, das tue ich vermutlich«, gab Clarissa etwas
zögernd zu. »So, wie man einen jüngeren Bruder anbetet - so einen,
den du jeden Tag am liebsten erwürgen würdest. Ja, natürlich liebe
ich ihn. Ich wünschte nur, er wäre nicht so... na ja, so verdammt
umtriebig. Er hat so viel Energie für alles - außer für Sex. Ein
bisschen Sex wäre nicht verkehrt, das kann ich dir sagen. Immer
heißt es: ›Lasst uns pokern!<, oder: ›Wer hat Lust auf
Monopoly?<, oder: ›Lasst uns das örtliche Museum über Gnome
ansehen!‹, oder: ›Hey ihr, ich weiß was, wir bauen eine Sandburg,
die wie Old Bailey aussieht!‹«
Ihre Nachahmung von James traf genau ins Schwarze,
und ich begann zu lachen. »Ehrlich, es ist, als ob man mit dem
hyperaktiven Leiter einer Pfadfindergruppe zusammenleben würde. Ich
sollte Urlaub haben, mich entspannen und verwöhnt werden, aber ich
schwöre dir, ich habe hier unten weniger Zeit für mich selbst, als
wenn ich in der Arbeit bin. Wenn James und die Kinder, so wie
jetzt, aus dem Haus sind, dann ist der Frieden absolut herrlich.
Ich sage dir, das ist seit einer Woche der erste Moment, den ich
ganz für mich alleine habe. Während wir telefonieren, sitze ich in
der Hängematte im Garten und genieße ein gesundes Abendessen aus
Chardonnay und Sauerrahm-Schnittlauch-Chips. Perfekt.«
Ich hörte es knirschen, als sie in ihren Chip
hineinbiss.
»Wie ist er überhaupt?«
»Wer?«
»Der Hundesitter.«
»Ach...« Ich schluckte meinen Wein hinunter. Aus
irgendeinem Grund zögerte ich, Mark Clarissas genauer Überprüfung
auszusetzen.
»Ich weiß nicht. Ich habe ihn nur einmal
gesehen.«
»Und?« Sie blieb in ihrer gewohnt neugierigen Art
hartnäckig.
»Was soll ich sagen? Er ist sehr nett. Groß,
dunkel...«
»Und umwerfend gut aussehend?«, unterbrach sie mich
mit einem Kichern. Ein weiteres Knirschen folgte.
»Ja, ich schätze schon.«
Sie prustete die Chips aus ihrem Mund und ich
wartete darauf, sie mit einem Plumpsen aus der Hängematte fallen zu
hören.
»Wirklich?«, fragte sie, nachdem sie die Chips aus
dem Hals bekommen hatte.
»Ist er Single?«
»Wie zum Teufel soll ich das wissen?«
»Hast du ihn nicht gefragt?«
»Nein, habe ich nicht. Was hast du erwartet? Dass
ich sage: ›Hallo Mark, um welche Zeit holst du heute Fluffy ab und
lebst du eigentlich mit jemandem zusammen?< Wahrscheinlich ist
er verheiratet. Oder wenigstens in einer festen Beziehung. Wie auch
immer, was geht es mich an? Er ist nur mein Hundesitter. Ich habe
echt nicht darüber nachgedacht.«
In Wirklichkeit hatte ich darüber nachgedacht -
viel häufiger, als ich es mir selbst eingestehen wollte. Hatte es
Mark ein bisschen auf mich abgesehen, wie Clarissa es nannte? Und
erwiderte ich diese Gefühle? Obwohl seit unserem ersten Treffen
unsere Gespräche nie über Fluffy hinausgingen, heiterten unsere
kleinen Telefonflirts und die SMSen, die Mark mir schickte, meine
Arbeitstage auf. Und nachdem ich über den ersten Schock
hinweggekommen war, dass Mark das Hundeklo in den Flur verlegt
hatte, fand ich den Gedanken merkwürdig beruhigend, dass er, wenn
ich nicht da war, in meiner Wohnung herumstromerte.
Und so hatte ich nichts dagegen, als Mark mich
eines Tages Ende August in der Arbeit anrief und fragte, ob er
gelegentlich seine Gitarre mitbringen und in meinem Wohnzimmer üben
könnte, während er Fluffy Gesellschaft leistete, weil er gebeten
worden war, nicht in seiner Wohnung zu spielen. Er dürfe nur nicht
meine Nachbarn damit stören.
Als ich an diesem Abend aus Chelsea zurückkam, lag
ein Vielen-Dank-Zettel, zusammen mit einem kleinen Strauß
Wiesenblumen, den er in Hampstead Heath gepflückt hatte, auf meinem
Küchentisch. Die Vase, in der sie locker arrangiert waren, war
eines meiner langjährigen Lieblingsstücke - ein rosafarbener,
chinesischer Krug, den ich aus Nans Wohnung mitgenommen hatte, als
sie vor drei Jahren gestorben war. Da ich sie selten benutzte, war
sie ganz hinten in einem meiner obersten Küchenschränke verstaut
gewesen. Er musste sehr lange danach gesucht haben, um sie zu
finden. Genau genommen gab es keine Möglichkeit, wie er sie
entdeckt haben konnte, ohne sich auf die Leiter, die ich im
Garderobenschrank im Flur aufbewahrte, zu steigen und gründlich zu
suchen.
Am nächsten Tag brachte Mark seine Elektrogitarre
mit.
Eine Woche später sagte er, dass es wenig Sinn
mache, sie jeden Abend mitzunehmen, nur um sie am nächsten Tag
wieder mitzubringen, und so gab ich meine Zustimmung, dass er sie
über Nacht bei mir lassen konnte. Seitdem hatte sie ihren
dauerhaften Wohnsitz in einem
schwarzen Metallständer in der Ecke des Wohnzimmers, zusammen mit
Stromkabeln, einem großen Verstärker und einer alten Wills
Tabakdose, in der ein Sortiment an Plättchen zum Zupfen lag.
Fluffy wanderte manchmal am Abend zu den Utensilien
hinüber und beschnüffelte sie ausgiebig. Offensichtlich reagierte
er auf Musik - oder, wie Mark es eine Woche später in einer SMS
ausdrückte, »Ruff mag Riff«.
Es war nun Anfang September, und von dem
jämmerlichen, kranken Tier, das ich an jenem schicksalhaften
Sonntag im Juli aus Camden Town nach Hause gebracht hatte, war
nichts mehr zu erkennen. Die kahlen Stellen auf Fluffys Haut waren
mit flaumigem Fell bedeckt, sein Durchfall vorbei und seine Lefzen,
die von der Schnur der Blechdose wund gerieben worden waren, waren
jetzt so weich und rosa und feucht wie seine Zunge. Die Nickerchen
in der Sonne auf dem Balkon und großzügige Mengen an Lebertran, die
ich ihm in seine Mahlzeiten gemischt hatte, hatten sein Fell
glänzend werden lassen und auch die Rachitis war überstanden.
Leider hatte er auch dazu geführt, dass Fluffys Atem roch wie
fauler Fisch in der Sonne. Obwohl seine Pfoten nach innen zeigten,
wie sie es für immer tun würden, waren seine Beine gerader,
kräftiger und länger geworden. Reichte er zuvor nur bis zu meinen
Fußknöcheln, war sein Kopf nun auf der Höhe meiner Waden. Er schoß
in die Höhe wie Unkraut.Wenn er, wie er es oft tat, an meinen Füßen
scharrte, um hochgehoben zu werden, hinterließen seine kleinen
Krallen Kratzspuren bis zu meinen Knien. Wog er am Anfang gerade
mal ein Kilo, zeigte die Welpenwaage des Tierarztes jetzt vier Kilo
an.
Aber am schönsten war, dass sein Schwanz nie
aufhörte zu wedeln und sein Maul immer offen stand, mit einem
Gesichtsausdruck, der wie ein verschmitztes Grinsen aussah.
»Er wirkt, als wüsste er, dass er im Paradies
gelandet ist«, bemerkte Mr. McClaw, als ich Fluffy zu seiner
letzten Schutzimpfung brachte.
»Wenn ich daran denke, wie er vor einigen Wochen
ausgesehen hat - er ist nicht wiederzuerkennen. Glückwunsch!«
Ich wurde rot vor Freude.Wenn es um Styling ging,
war Fluffy bis zu diesem Zeitpunkt vielleicht meine größte
Erfolgsgeschichte. Trotz seines strubbeligen schwarz-wei-ßen, in
alle Richtungen stehenden Fells, das jeden Tag weniger flauschig
und dafür drahtiger wurde, und seiner langen behaarten Ohren, von
denen eines zur Decke und das andere umgeklappt zum Boden zeigte,
bewegte er sich mit einer eleganten, beinahe verwegenen Haltung.
Seine Schnauze war zu einem fuchsartig spitzen Maul gewachsen und
sein Schwanz war länger und behaarter geworden. Schwungvoll wie
eine Gazelle sprang er in der Wohnung herum und sprudelte nur so
vorVerspieltheit.
Wenn ich von der Arbeit nach Hause kam, warf er
sich mit so unbändiger Freude auf mich, dass es schien, als ob wir
ein Leben lang getrennt gewesen wären. Sonntags - wenn ich den
ganzen Tag zu Hause war - lümmelte er mit mir in der Wohnung herum,
folgte mir von Raum zu Raum und zerkaute die Zeitungen, sobald ich
sie fertig gelesen hatte.Wie ich schien er dabei eine Vorliebe für
die Modeseiten zu haben.
Fluffy war noch nicht völlig stubenrein, aber er
lernte es langsam. Er hatte verstanden, wozu sein Hundeklo gut war,
und die meiste Zeit benutzte er es - selbst wenn er nicht besonders
gut zielte, vor allem jetzt, da er beinahe daraus herausgewachsen
war. Obwohl ich es, wenn ich zu Hause war, auf den Balkon stellte
und es immer sauber machte, sobald er es benutzt hatte, hing immer
noch ein schaler Geruch im Apartment. Und es gab viele Unfälle.
Genau genommen sehr viele.Vielleicht weil er immer noch so oft
gefüttert wurde, schien Fluffy drei- oder viermal am Tag seinen
Darm zu entleeren.
»Helena von Troja« nannte ihn mein Vater. »Das
Gesicht, das tausend Mal Scheiße schleuderte.«
Jetzt, da er alle Impfungen hatte, durfte Fluffy
für richtige Spaziergänge nach draußen - was hoffentlich das Ende
des Hundeklos bedeutete und sicherlich das Ende der
Hundesitterkosten für Mark, die, obwohl sie angemessen waren für
die Zeit, die er hineinsteckte, sich aber zu beträchtlichen neunzig
Pfund pro Woche aufsummierten. Wenn ich ein Gästezimmer gehabt
hätte, hätte ich für weniger Geld ein Au-Pair-Mädchen bekommen, das
sich um Fluffy kümmern würde.
Also rief ich Mark am Sonntag nach unserem Besuch
beim Tierarzt an, um unsere zukünftigen Pläne zu besprechen. Obwohl
es drei Uhr nachmittags war, klang er verschlafen.
»Habe ich dich geweckt?«, fragte ich ihn
nervös.
»Nein, nein«, gähnte er.
»Ich bin schon seit einer guten Stunde wach, bin
aber noch nicht aus dem Bett gekommen.«
Ich fragte mich, was ihn dort wohl festhielt.
»Entschuldige, wenn ich dich störe.«
»Tust du nicht. Ich mache nichts. Oder, anders
gesagt, ich bin voll damit beschäftigt, mich zu entspannen. Sonntag
ist mein Ruhetag. Aber eigentlich wollte ich dich sowieso wegen der
Regelung für diese Woche anrufen.«
»Genau das ist der Grund meines Anrufs.«
»Na ja, ich dachte, wir sollten die Dinge nicht
übereilen, selbst wenn Fluffy jetzt nach draußen darf. Ehe ich ihn
gleich zusammen mit den anderen Hunden mit nach Hampstead Heath
nehme, wäre es besser, wenn wir ihn langsam daran gewöhnen, draußen
zu sein. Ich denke also, ich sollte immer noch bei dir
vorbeischauen, wie ich es gewöhnlich tue, und alleine mit ihm Gassi
gehen.«
»Wirklich?«
»Du weißt schon, ihn eine Woche lang oder so daran
gewöhnen, an der Leine zu gehen. Jeden Tag ein langer Spaziergang
auf der Heide könnte noch zu viel für ihn sein.«
»Vermutlich. Schließlich ist er immer noch
klein!«
»Und er könnte von den anderen Hunden
eingeschüchtert werden. Weißt du, ich führe an drei Tagen in der
Woche einen Rottweiler aus. Und einen riesigen Mastiff an
Donnerstagen und Freitagen.«
»Ich verstehe, was du meinst.«
»Eigentlich ist Maisie - der Rottweiler - sanft wie
ein Reh. In Wahrheit ist sie ein schrecklicher Feigling. Neulich
wurde sie schon von einem winzigen Dackel am Parliament Hill
kopfscheu.«
Ich lachte.
»Trotzdem könnte Fluffy von ihrer Größe
eingeschüchtert werden.«
»Mmm. Könnte sein. Und auf jeden Fall hast du
recht. Ich vermute, dass ein einstündiger Spaziergang ihn
erschöpfen könnte«, sagte ich.
»Na ja, wenn es dir nichts ausmacht, die
Hausbesuche noch ein wenig zu verlängern...«
»Überhaupt nicht. Stets zu Diensten.«
»Die einzige Sache ist...«
»Ja?«
»In ein paar Wochen werde ich mit einem Spaziergang
am Tag auskommen müssen.«
»Oh!«
»Es liegt nur daran, dass...« Ich holte tief
Luft.
»Ich sage nicht, dass du teuer bist, Mark - im
Gegenteil, ich glaube, dass deine Stundensätze völlig angemessen
sind für das, was du getan hast, und ich hätte es sicherlich nicht
ohne dich geschafft. Aber ich kann es mir nicht leisten, dir jede
Woche so viel zu zahlen und nicht unendlich, nur damit
Fluffy nicht alleine ist. Mir gefällt die Vorstellung nicht, ihn so
lange alleine zu lassen, aber... Ich dachte, wenn ich früh am
Morgen mit ihm rausgehe und er mittags mit dir einen langen
Spaziergang macht - glaubst du, dass das genug ist? Ich meine -
könnten wir darauf hinarbeiten, jetzt, da er älter wird?«
Am anderen Ende der Leitung herrschte eine lange
Stille.
»Es ist so...«, sagte Mark schließlich. »Mir
gefällt es, mit dem kleinen Monster herumzuhängen.«
»Er ist hinreißend, oder?«
»Ja. Und dann...«
»Ja?«
»Es geht um meine Musik.«
»Was ist damit?«
»Die Akustik in deinem Wohnzimmer ist etwas
Besonderes. Ich finde es wirklich inspirierend, dort zu spielen -
der Raum bringt meine kreativen Kräfte auf eine Art und Weise in
Schwung wie sonst schon lange nichts anderes mehr. Eigentlich bin
ich gerade dabei, beim Komponieren eines neuen Songs mitten ins
Schwarze zu treffen.«
»Bist du?«
»Mmm. Eine Blues-ähnliche, jazzige Nummer mit
Anklängen an Pop - stell’ dir eine Mischung aus dem
Oscar-Peterson-Trio, circa 1959, mit Kylie Minogues Can’t Get
You Out Of My Head vor.«
»Das klingt erstaunlich!«
»Yep. Na ja, ohne eingebildet zu klingen - ich
denke, damit könnte ich es wirklich schaffen. Es könnte sich sogar
gut verkaufen, wenn ich es richtig hinbekomme. Aber es muss noch
viel daran gemacht werden.«
»Ich verstehe.«
Ich war gerade dabei, ihm zu sagen, dass ich ihn
kaum weiter für das Hundesitting bezahlen konnte, nur damit er in
Zukunft in meiner Wohnung komponieren konnte, da kam er schon mit
seinem eigenen Vorschlag.
»Also... lass uns darüber nachdenken... wie wäre
es, wenn du mich dafür bezahlst, dass ich Fluffy morgens ausführe,
und dann komme ich am Nachmittag sowieso ins Workhouse rüber. Ohne
Bezahlung, meine ich.«
»Wie? Für nichts?«
»Fluffy wäre nicht die ganze Zeit allein, und als
Ausgleich dafür, dass ich ihm Gesellschaft leiste und ab und an mit
ihm Gassi gehe, kann ich dort arbeiten.«
Ich verdaute es einen Moment lang.
»Du würdest meine Wohnung also als eine Art Studio
benutzen?«
»Ja. Nicht anders, als ich es die letzten paar
Wochen gemacht habe. Es wäre doch ein fairer Tausch, was meinst
du?«
»Eine Form von Naturaltausch?«
»Ja. Ein
Ich-benutze-deine-Wohnung-für-erbrachte-Dienstleistungen-Austausch.
Ich kann es mir nicht leisten, etwas zu mieten, nur um darin zu
arbeiten. Und du kannst es dir nicht leisten, mir so viel zu
zahlen, also macht es Sinn, oder nicht? Und du bist den ganzen Tag
weg, daher würde ich dich nicht stören, wenn ich da bin. Und wenn
du aus irgendeinem Grund zu Hause bist, und die Wohnung für
dich haben willst, nun, dann kannst du mir ja sagen, dass ich mich
eine Zeit lang verziehen soll. Und das würde ich. Was denkst
du?«
Alarmglocken läuteten in meinem Kopf, aber ich
schottete meinen Verstand gegen sie ab.
»Das ist eine interessante Idee.«
»Ja. Ist es. Plus...«
»Ja?«
»Ich könnte mich auch sonst noch nützlich
machen.«
Ich stellte fest, dass ich lächelte. »So, wie
denn?«
»Na ja, ich könnte für dich einkaufen. Oder den
Boden wischen. Die großeYucca-Palme im Wohnzimmer abstauben. Regale
aufstellen.«
Ich zwang mich dazu, mit dem Lachen
aufzuhören.
»Danke, aber ich habe schon mehr als genug
Regale.«
»Das stimmt. Okay, dann könnte ich die Glühbirnen
austauschen, wenn sie ausgebrannt sind.«
»Witzigerweise ist genau das die Kleinigkeit, die
ich beim Heimwerken selbst hinkriege.«
Nun lachten wir beide.
»Pass auf, wenn es nicht klappt«, sprach er weiter,
»dann blasen wir die ganze Sache wieder ab. So einfach ist
es.«
Ich holte tief Luft.
»Okay.«
»Okay?« Mark klang überrascht. »Meinst du
›okay, wir blasen die ganze Sache ab< oder ›okay, wir probieren
es<?«
»Ich glaube beides.«
»Das ist wunderbar! Verdammt wunderbar,
Annie!«
Mark klang begeistert. Und dann fügte er
prophetisch hinzu: »Ich verspreche dir, dass du es nie bereuen
wirst.«
Das hätte ich mir schriftlich geben lassen
sollen.