21
Ich versicherte Mrs. Barclay, dass sie noch
immer dieselbe Kleidergröße hatte, und dass es mein Fehler gewesen
war, dass ich ihr viel zu kleine Outfits gebracht hatte. Ich musste
wieder hinunter zu Armani gehen und passende Kostüme in Mrs.
Barclays richtiger Größe auswählen. Ich überzeugte Mrs. Barclay,
dass das marineblaue Kostüm mit den leicht gepufften Ärmeln und dem
Bleistiftrock, den ich für sie ausgesucht hatte, zusammen mit der
cremefarbenen Burberry-Seidenbluse so vielseitig waren, dass sie
sechshundertsiebzig Pfund wert waren. Dann musste ich noch warten,
während Inez, unsere Änderungsschneiderin, den Rock und etwa einen
Zentimeter von den Jackenärmeln aufsteckte. Ich versprach Mrs.
Barclay, das Outfit für sie aufzuheben, wenn es von der Änderung
zurückkam, bis sie aus dem langen Sommerurlaub, den sie
sich gönnte, zurückkehrte. Nun - infolge all dessen verließ ich
das Geschäft erst gegen halb zwei Uhr.
Als ich schließlich nach Fulham zurückkam, war ich
fast hysterisch. So wie Fluffy, der den Morgen damit verbracht
hatte, sich einen Weg durch die Eingangstür zu kratzen und die
Stiefeletten mit den Pfennigabsätzen durchzukauen, die ich an dem
Tag getragen hatte, als Mark mir den Heiratsantrag gemacht
hatte.
Ich kehrte, gebeugt unter dem Gewicht einer
stabilen, roten Leinenhandtasche in Übergröße um etwa halb drei zu
Haines & Hampton zurück. Manny, der Türsteher, der am
Haupteingang Dienst hatte, winkte mir zu, als ich aus dem Taxi
ausstieg.
»Was hast du denn da drin, Annie«, fragte er und
deutete mit dem Kinn auf die Tasche. »Ein Doppelbett? Hast du was
dagegen, wenn ich mich dazulege?«
Ich grinste über seinen fürchterlichen Witz - es
war nicht das erste Mal, dass ich ihn gehört hatte, seit große
Taschen ein heißer Modetrend geworden waren, und ich wusste, dass
es nicht das letzte Mal sein würde. Ich hing stark nach einer Seite
geneigt, als ich sie am Schild »Hunde verboten« vorbeischleppte und
durch die Drehtür trat. Anstatt stehenzubleiben und wie sonst mit
den Verkäuferinnen in der Kosmetikabteilung zu plaudern, ging ich
direkt zu den Kundenaufzügen und wartete, bis einer aus dem
Tiefgeschoss kam.Wer anders hätte darin stehen können, als die
Stahltüren sich öffneten, als der Besitzer des Geschäfts, George
Haines. Mein Pech!
»Ah, Annie!« Er strahlte mich an. »Was für eine
nette Überraschung!«
Anstatt mich neben ihn zu stellen, trat ich einen
Schritt zurück.
»Mr. Haines!«
»Kommen Sie, kommen Sie!«
»Oh, ich...« Ich suchte krampfhaft nach einer
Ausrede, um davonzurennen, aber mir fiel keine ein, und so betete
ich, dass die Stahltüren sich schließen und ihn mitnehmen würden.
Nach einer Zeit, die mir wie hundert Jahre vorkam, aber eher drei
Millisekunden waren, begannen sie sich zu schließen, aber George
drückte mit dem Finger auf den Knopf. Sie blieben in der Mitte
stehen und gingen dann wieder auseinander.
»Beeilen Sie sich, meine Liebe«, sagte er mit einem
leichten Stirnrunzeln. »Wir dürfen die Kunden nicht warten
lassen.«
Es gab keinen Ausweg aus dieser Situation, also
biss ich die Zähne zusammen und stieg in den Lift.
»Zweiter Stock, nehme ich an?«
»Bitte!«, piepste ich.
Er drückte auf den Knopf, die Türen schlossen sich
und ich saß zusammen mit ihm in der Falle. Ein Hitzeschwall
durchströmte meinen Körper, und der Schweiß sammelte sich in einem
Swimmingpool zwischen meinen Brüsten. Ich fühlte mich so schuldig
wie ein Drogenschmuggler mit verstecktem Heroin, den ein
Zollbeamter am Flughafen Heathrow filzte. So vorsichtig wie ich
konnte, stellte ich die Tasche zwischen meinen Beinen am Boden ab,
und hustete, um das Kratzen, das von drinnen nach draußen drang, zu
übertönen. Ich fächelte mir mit meinen Händen Luft zu.
»Du meine Güte, ist das heiß, oder?«
»Eigentlich finde ich die Klimaanlage eher
kalt.«
Er starrte neugierig auf die Tasche, die ich
zwischen meinen zitternden Knien eingezwängt hatte. Entgegen allen
bekannten Gesetzen der Schwerkraft kam mein Magen mir den Hals
herauf.
»Ich weiß, dass ich ein alter, ewig Gestriger bin«,
murmelte George, »aber im Ernst: Diese Handtasche ist beinahe so
groß wie der Koffer, den ich mit ins Internat genommen habe.«
Ich verzog meine Lippen zu einem dünnen
Lächeln.
»Es tut mir leid, aber dieser Trend für übergroße
Handtaschen ist eine Mode, die an mir vorbeigeht«, fuhr er fort.
»Wie in aller Welt schleppt ihr Frauen sie den ganzen Tag
herum?«
»Ach, das schaffen wir! Sie wissen ja, was man
sagt:Wer schön sein will, muss leiden.«
»Aber wozu in aller Welt braucht man so eine
Tasche? Wozu ist sie gut? Was packt man da hinein?«
»Oh, ganz verschiedene Dinge!«
»Darf ich?«
Ohne meine Zustimmung abzuwarten, packte George die
Griffe der Tasche. »Grundgütiger! Ich kann sie kaum aufheben! Ist
die von uns?«
»Mmm.« Ich räusperte mich lautstark und plapperte
dann weiter: »Es ist eine Orla Kiely aus der vergangenen Saison.
Die Accessoire-Abteilung hat viele von ihnen verkauft. Warten Sie,
lassen Sie mich Ihnen die Tasche abnehmen, bevor Sie sich
verletzen.«
»Wissen Sie was«, sagte George nachdenklich. »Ich
fange an zu glauben, dass wir unten eine Art von Haftungsausschluss
oder Gesundheitswarnung aufhängen sollten. Einen Hinweis in der
Art von >Große Taschen können Ihre Gesundheit gefährden‹.
Schließlich wollen wir nicht verklagt werden. Vielleicht spreche
ich ein Wort mit den Einkäufern.«
»Hervorragende Idee!«
Als sich die Türen im zweiten Stock öffneten,
kippte ich buchstäblich um vor lauter Eile, aus dem Lift zu
kommen.
»Wiedersehen, Mr. Haines«, rief ich über meine
Schulter, als sich die Türen vor ihm schlossen. Puh! Obwohl ich ein
waschechter Atheist war, dankte ich Gott, dass er mich gerettet
hatte. Und um ihm zu zeigen, wie dankbar ich war, schwor ich, dass
ich ab sofort immer mehr als üblich für die wöchentliche Ausgabe
der Obdachlosenzeitung Big Issue zahlen würde. Ich würde bei
jedem Weltverbesserer unterschreiben, der mich auf der Straße
anhielt, und ich würde nie mehr lügen.
Aber ich hatte es noch nicht geschafft. Ich musste
noch den Rest des Tages überstehen. Ich hob die Tasche auf meine
Schulter und summte, um das Knurren, das jetzt aus ihrem Inneren
kam, zu übertönen. Ich ging durch die Abteilung für
Freizeitkleidung in die Lobby der Personal-Shopping-Suite, wo
Charlotte die langstieligen weißen Rosen neu arrangierte, die immer
ihr Pult zierten.
»Schönen Nachmittag, Annie. Wie geht es dir?«
»Genauso wie vor einer Stunde, Charlotte, vielen
Dank. Ist Eva da?«
»Sie ist gerade bei einer Kundin. Su Lee Dingsda,
du weißt schon? Die Geschäftsfrau aus Shanghai, die ab und zu
kommt?«
Ihr Blick fiel auf meine Tasche.
»Hey, ist das nicht die Orla Kiely aus der letzten
Saison?«
»Sehr gut von dir beobachtet.«
»Was hast du da drin? Es sieht aus, als ob
es sich bewegt!«
»Es ist ein Handtaschen-Kobold«, witzelte ich.
»Hast du noch nichts davon gehört? Die sind der letzte Schrei in
Mailand.«
Sie lachte verlegen, unsicher, ob ich scherzte oder
nicht.
»Pass auf, wenn Eva mit ihrer Kundin fertig ist,
bitte sie, dass sie zu mir in mein Büro kommt, ja? Aber ich will
bitte von niemandem sonst gestört werden - und das schließt dich
ein, fürchte ich. Ich stecke bis über beide Ohren in der
Arbeit.«
Da ging es dahin, mein Versprechen an Gott, nie
wieder zu lügen. Es war eine gute Sache, dass ich nicht an ihn
glaubte, sonst wäre ich erledigt.
»Sicher. Ich wünsche dir einen...«
»Bitte sag’ es nicht, Charlotte!«, unterbrach ich
sie. »Weil ich ihn nicht haben werde.«
Endlich in meinem Büro, stellte ich die Tasche auf
den Boden und zog den Reißverschluss auf. Der Handtaschen-Kobold
steckte oben seinen Kopf heraus.
Als er strampelte, um seine Beine frei zu bekommen,
wickelte ich den Seidenschal ab, den ich ihm, als ich ihn ins
Geschäft brachte, um die Schnauze gebunden hatte, um ihn am Bellen
zu hindern.
»Schsch! Wage es nicht, einen Laut von dir zu
geben«, wisperte ich.
Er schüttelte sich kräftig, legte seine Pfoten auf
meinen Schoß und leckte mir die Hände, um zu zeigen, wie dankbar er
war, dass ich ihn nicht in Fulham zurückgelassen hatte.
Ich ermahnte ihn, ein guter Junge zu sein, und
brachte ihn - während ich betete, dass er ruhig blieb - dazu, dass
er sich unter meinen Schreibtisch setzte.Wunder über Wunder. Er tat
genau das, was ich gesagt hatte. Ich drehte mich zu meinem Computer
um, klickte auf meine E-Mails und starrte blind auf die endlose
Liste der neuen Mails, die auf dem Bildschirm aufleuchteten. Eine
aus dem Pressebüro von Prada, eine andere von George’s persönlicher
Assistentin, zwei oder drei von Kundinnen und
einhundertsiebenundsechzig, die mir preisreduziertes Viagra,
Penisverlängerung, Brustverkleinerung oder »45 Tipps für einen
Orgasmus« anboten.
Als ich dabei war, die Spams zu löschen, was so
ziemlich alles war, das ich zustande brachte, hatte Fluffy die
Grenze der Langeweile erreicht, stand auf und begann, mein Büro zu
erkunden.
Ich beobachtete ihn nervös, wie er an einem Stapel
alter Vogue und Tatler schnüffelte, die in einer Ecke
gestapelt waren, durch die Pultordner mit den Presseausschnitten
auf dem Boden kroch und dann seine spitze Nase in meinen übervollen
Papierkorb steckte, aus dem er das zerknüllte Verpackungspapier
eines Cadbury Frucht- und Nussriegels herausholte, an dem noch
Schokoladenreste klebten.
Als er es in seinen Pfoten hielt und sich hinlegte,
um es sauber zu lecken, behielt ich ihn genau im Auge - jederzeit
bereit, mich auf ihn zu werfen, wenn er nur ein
winziges Fiepen von sich geben würde. Er versuchte, die Verpackung
zu schlucken, und begann plötzlich zu würgen. Ich ging auf Hände
und Knie, stemmte, während er mich anknurrte, seine Kieferknochen
auseinander und versuchte, das schleimige Ding aus seinem Rachen zu
fischen. Als seine Anspannung nachließ, konnte ich es herausholen.
Ich legte es in meine Schreibtischschublade. Da er dachte, dass es
ein Spiel war, saß Fluffy aufmerksam neben meinem Stuhl, sah mich
mit seinen Knopfaugen an und bellte einmal.
»Halt das Maul!«, zischte ich. »Hunde sind in
diesem Gebäude nicht erlaubt! Du bringst mich in schreckliche
Schwierigkeiten, wenn du noch ein Geräusch machst!«
Aber es war zu spät. Einen Moment später klopfte es
an meiner Tür.
»Ja?«, rief ich.
»Ich bin’s nur«, hörte ich Charlottes Stimme.
»Alles in Ordnung, Annie?«
»Ja, vielen Dank.«
»Es ist nur - nun, ich hätte schwören können, dass
ich ein merkwürdiges Geräusch aus deinem Büro gehört habe.«
Ausgerechnet da meldete Fluffy sich noch einmal mit
einem kurzen, scharfen Bellen. Ich legte meine Hand um seine
Schnauze.
»Meinst du das?«, sagte ich. »Das ist mein
Raucherhusten.«
»Ich wusste nicht, dass du einen hast. Eigentlich
wusste ich nicht einmal, dass du rauchst, Annie.«
»Habe ich auch nicht.«
Oh Gott, was habe ich gesagt?
»Ich meine, ich habe nicht geraucht, aber ich habe
letzte Woche damit angefangen. Okay?«
»Sicher.«
Es gab eine lange Pause. Ich dachte, Charlotte wäre
vielleicht weggegangen.Aber als ich mein Ohr an die Tür legte,
hörte ich sie atmen.
»Ich weiß, dass es mich nichts angeht,Annie«, tönte
ihre Stimme, »aber es ist schrecklich dumm von dir, jetzt mit dem
Rauchen anzufangen. Ich habe letzten Monat einen Artikel darüber in
der Cosmo gelesen.Wusstest du, dass du davon tiefe Falten um
deine Lippen herum bekommst?«
»Ja, danke Charlotte. Ich bin mir dessen
bewusst.«
Ich konnte sehen, dass Fluffy kurz davor war, zu
bellen, also hustete ich demonstrativ und gab ihm das
Schokoladenpapier zurück. Er stürzte sich darauf und legte es
zwischen seine Pfoten, bereit, es herunterzuschlingen. Ich hustete
noch einmal. Ich betete, dass Charlotte ihre Standpauke beendet
hatte und zurück zum Empfang gegangen war. Aber ich hatte kein
Glück.
»Annie?«
»Ja?«
»Ich weiß, dass du gesagt hast, dass du nicht
gestört werden willst...«
»Das ist richtig.«
»Aber... Soll ich dir einen Kräutertee machen? Oder
normalen Tee? Oder Kaffee? Oder soll ich kurz rausgehen und dir
einen Hustensaft oder so was kaufen?«
»Das ist ganz lieb von dir, Charlotte. Du bist sehr
aufmerksam. Aber nein danke, es geht mir gut, wirklich.«
Nachdem er die Verpackung des Frucht- und
Nussriegels
gegessen hatte, kam Fluffy wieder auf die Beine und brach zu einer
neuen Such-und-Zerstör-Mission auf. Dieses Mal war seine Beute ein
Paar blickdichter schwarzer Lycra-Seidenstrümpfe, die vor Urzeiten
einmal im Umkleideraum benutzt worden waren und seitdem auf einem
der unteren Regalbretter im Büro vermoderten. »Verdammter Mist!«,
dachte ich und ließ ihn damit weitermachen. Er hatte schon früher
genügend davon zerkaut, so dass ich wusste, dass sie ihn nicht
umbringen würden.
Ein forsches doppeltes Klopfen an der Tür ließ mich
aufspringen.
»Ja?«, rief ich argwöhnisch.
»Annie?«
Es war Eva. Ich wusste, dass es keinen Sinn hatte,
die Wahrheit vor ihr zu vertuschen, weil sie - im Gegensatz zu
Charlotte - zu clever und mir gegenüber hundert Prozent loyal war,
seitdem ich ihr einen Job gegeben hatte.
»Warte eine Sekunde«, rief ich. Ich packte Fluffys
Halsband und öffnete die Tür einen Spalt breit. Als sie sich
durchgequetscht hatte und ihn sah, machte sie große Augen und
schloss schnell die Tür hinter sich.
»Oh, Annie, was hast du angestellt?«, wisperte sie
und kauerte sich hin, damit sich Fluffy auf sie werfen konnte - er
mochte nichts lieber als ein wohlwollendes Publikum und er schien
zu wissen, dass er einen neuen Bewunderer gefunden hatte.
»Ich musste ihn mitbringen, Eva. Alleine im
Dachgeschoss eingeschlossen begann er durchzudrehen.«
»Wie hast du ihn am Sicherheitsdienst
vorbeigebracht?«
Ich zeigte auf meine Orla Kiely und wir kicherten,
ich ziemlich nervös.
»Und rate mal, was passiert ist? Ich fuhr im
Kundenaufzug nach oben - mit George. Er hat es nicht bemerkt.Wir
müssen Fluffy geheimhalten. In der Tat bist du der einzige Mensch,
der weiß, dass er hier ist.«
»Natürlich.« Sie stand auf und wischte sich die
Hundehaare von ihrem Rock.
»Kann ich dich für ein paar Minuten
entführen?«
Ich sah auf Fluffy, der an ihrem Rock
herumknabberte.
»Kann das nicht warten?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe eine Kundin, die
zwischen zwei Kleidern hin und her gerissen ist, die ihr beide
großartig stehen. Ich dachte, du könntest ihr einen Rat geben. Das
wäre sehr hilfreich.«
Ich wusste, dass ich gehen musste, aber wie konnte
ich Fluffy in meiner Abwesenheit ruhig halten?
Ich wühlte kurz in meiner Schreibtischschublade und
fand einen alten Vollkornkeks, den ich in einen Briefumschlag
steckte und zuklebte. Und dann fand ich noch einen weiteren, den
ich für Fluffy auf den Boden fallen ließ. An den Keks zu kommen
würde ihn hoffentlich für ein paar Minuten beschäftigen.
Dann schloss ich die Tür fest hinter mir und folgte
- krank vor Sorge - Eva in einen der Umkleideräume. Mehrere Minuten
später wurde meine unaufmerksame Unterhaltung mit ihrer Kundin von
einem gellenden Schrei unterbrochen, und Charlotte stürzte mit
bleichem Gesicht herein.
»Annie!«, keuchte sie. »Es tut mir leid! Bitte
entschuldige, dass ich dich belästige, aber... Dein
Handtaschen-Kobold
- er ist entwischt! Ich weiß nicht, was ich in dieser Sache tun
soll, Annie.«
Eine halbe Stunde später saß ich in George Haines’
privatem Büro, mit demselben beschämten Gesicht wie an dem Tag, an
dem meine alte Direktorin Miss Robinson Clarissa und mich
gescholten hatte, weil wir eine Ameisenkolonie aus dem Glasbehälter
im Biologie-Labor unserer Schule hatten entkommen lassen. Wir waren
dafür verantwortlich gewesen, die Krabbeltiere in dieser Woche mit
ihrem Futter - Wasser und Honig - zu versorgen.Aber da wir beide
gleichermaßen zimperlich waren, hatten wir es so schnell gemacht,
dass wir vergessen hatten, ihr Wasserloch wieder mit Watte zu
verstopfen. Am nächsten Tag war nicht eine einzige Ameise im
Formicarium, wie der widerliche, mit Erde gefüllte Glasbehälter
offiziell genannt wurde. Ein schmaler Pfad aus sandiger Erde zog
sich den ganzen Weg bis an das andere Ende des Seziertisches und an
der Seite herunter - der Fluchtweg der Ameisen. Sechs Monate später
hatte das ganze Gebäude wegen eines ernsthaften Ameisenbefalls
behandelt werden müssen. Dad und Clarissas Eltern hatten die
Rechnung bezahlen müssen.
Anders als die Ameisen, die ein halbes Jahr
gebraucht hatten, um wieder aufzutauchen, war Fluffy schon nach
zehn Minuten wieder erschienen. Eine Spur verblüffter Kunden und
Angestellter hinter sich lassend, war er von der
Personal-Shopping-Abteilung zur Dessous-Abteilung gerannt, wo er
durch die Umkleidekabinen stürmte, die Vorhänge herunterriss und
mit einem La-Perla-Black-Label-Pizzo Balconette-BH in Größe 70 D
wieder herauskam. Seine teure Trophäe hinter sich herschleppend,
sprang er zurück zu meinem Büro und hielt nur kurz an, um den
Tresen der Rezeption mit seinem heiligen Wasser zu taufen.
»Es tut mir wirklich sehr leid, Mr. Haines«,
katzbuckelte ich. »Ich weiß nicht, was in Fluffy gefahren ist. Er
hat sich noch nie in einem Gebäude erleichtert.«
»Er hätte von vornherein gar nicht hier sein
sollen!«
George sah mich finster unter den grauen Bögen
seiner sorgfältig gepflegten Augenbrauen an.
»Sie arbeiten hier lange genug, um unsere
Grundsätze bezüglich Hunde zu kennen, Annie. Hunde sind
grundsätzlich im Geschäft nicht erlaubt, außer es sind Blindenhunde
oder - wie heißen sie? - Gehörlosenhunde. Haines & Hampton ist
kein Ort für Haustiere, wie dieser Köter...«, er zeigte erregt mit
seinem Finger auf Fluffy, der fest an die Leine genommen, nun
reumütig neben mir saß, »... gerade bewiesen hat. Selbst die Queen
lässt ihre Corgis im Palast, wenn sie kommt, um ihre
Weihnachtsgeschenke zu kaufen! Ich hätte gedacht, dass Sie - ganz
besonders Sie! - verstanden hätten, dass ein Kaufhaus unseres
Formats eine bestimmte Reputation zu wahren hat.«
»Natürlich habe ich das!«
George schlug mit der Faust auf seinen Tisch.
»Ein wildes Tier, das in den Umkleideräumen der
Dessous-Abteilung Amok läuft! Das gibt es einfach nicht! Abgesehen
von der Methode, mit der Sie ihn ins Geschäft gebracht haben -
unter meinen Augen eingeschmuggelt! Muss ich Ihnen erklären, dass
ich Hinterhältigkeit nicht mag?«
»Sie haben recht. Ich werde gar nicht versuchen,
mir
eine Ausrede auszudenken. Ich wurde in flagranti erwischt.«
»Nun, das ist in höchstem Grad unprofessionell. Ich
bin sehr überrascht von Ihnen! Überrascht und, das muss ich sagen,
sehr enttäuscht von Ihnen, Annie!«, fuhr er fort.
»Was in aller Welt hat Sie zu einem so törichten
Verhalten verleitet?«
»Es war... ein Notfall!«
Obwohl ich mein Liebesleben, oder das Fehlen eines
solchen, immer aus dem Büro herausgehalten und nie irgendetwas
Persönliches mit George besprochen hatte, hatte ich ihn immer als
eine Art Vaterfigur betrachtet. Nun wurde ich vom Wunsch übermannt,
ihm alles zu erzählen. Sicher würde er es verstehen, wenn er
wusste, was ich gerade durchmachte. Und wenn er das tat, dann würde
er mir vielleicht sogar erlauben, Fluffy dann und wann in die
Arbeit mitzubringen.
»Es ist so, Mr. Haines, Mark und ich trennen uns
gerade.«
»Mark?« George war bei meinem Hochzeitsempfang im
Ivy gewesen, aber ich konnte sehen, dass er darum kämpfte, mit dem
Namen ein Gesicht zu verbinden. Schließlich nickte er. »Oh, ja, ich
erinnere mich. Er trug Shorts auf der Weihnachtsfeier im letzten
Jahr, nicht wahr?«
»Ja. Wir werden gerade geschieden.«
»Es tut mir leid, das zu hören.Aber was hat das mit
dem Hund zu tun?«
Ich begann, die grässliche Schlacht um das
Sorgerecht zu erklären, gab aber beim Anblick der Verwirrung auf
Georges Gesicht auf.
»Sehen Sie, was soll ich sagen?«, sagte ich lahm.
»Ich weiß, dass ich Fluffy nicht hätte einschmuggeln sollen, aber
ich habe es getan, und es tut mir sehr leid. Natürlich komme ich
für die Teppichreinigung und den La-Perla-Büstenhalter auf. Leider
scheint Fluffy eine Vorliebe für teure Unterwäsche zu haben.«
Georges Mundwinkel zuckten.
»In Ordnung,Annie«, sagte er. »Ich belasse es
dieses Mal dabei. Aber ich erwarte mehr von meinem Personal -
besonders von Ihnen, einer meiner, bis zum heutigen Tag,
zuverlässigsten Angestellten.«
Mittlerweile war ich den Tränen nahe. »Ich gebe
Ihnen mein Ehrenwort, dass es nicht mehr passieren wird.«
Aber ich glaube, wir beide gingen davon aus, dass
es trotzdem wieder passieren würde.