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Ich erfand eine Ausrede, um vorzeitig gehen
zu können, und lief zurück in die Jamestown Road - gerüstet mit
einer Flasche Evian, einem Paket aus Alufolie mit den Grillresten
und einer Warnung von Clarissa, nichts anzustellen, ohne sie vorher
anzurufen. Mein Herz klopfte bis zum Hals. Weiter vorne konnte ich
den Welpen sehen. Er saß dort, wo ich ihn drei Stunden zuvor
zurückgelassen hatte, noch immer in der Sonne, und hielt stoisch
die
Sammelbüchse an seiner Schnur. Sein kleiner Kopf war von deren
Gewicht gebeugt, und seine Vorderfüße sahen aus, als ob sie im
Boden versinken würden. Eine gute Seele hatte einen Plastikbecher
mit Wasser neben ihn gestellt, aber da er noch bis zum Rand voll
war, hatte er offensichtlich nicht viel davon getrunken. Anders als
sein Besitzer, der immer noch im Hauseingang lag, jetzt fast
weggedämmert, mit offenem Mund und einer halb leeren Flasche
billigem Whisky in der Hand. Ich musste verrückt gewesen sein zu
glauben, dass er irgendetwas von dem Geld, das ich ihm gegeben
hatte, für Essen oder gar für Futter für den Welpen ausgeben
würde.
Als ich näher kam, hatte der kleine Hund nicht
einmal mehr die Kraft, mich anzusehen. Ohne Rücksicht auf meine
makellos weiße Armani-Jeans kniete ich mich auf den Gehsteig neben
ihn. Obwohl die Sonne von ihm weggewandert war und er jetzt im
Schatten saß, hechelte er heftig, und der schwarze Teddybär-Knopf
an der Spitze seiner kurzen Schnauze war heiß und trocken. Jedes
Mal wenn er atmete, konnte ich seine Rippen sehen.
»Hier, du armes kleines Ding«, flüsterte ich sanft,
als ich die Schnur von seinem Kiefer löste. Dann öffnete ich meine
Flasche Evian, schüttete etwas davon in meine gewölbte linke Hand
und hielt sie unter sein Kinn. Als er das Wasser nicht nahm, tippte
ich mit den Fingern meiner rechten Hand ins Wasser und feuchtete
dann seine Lefzen damit an.
Langsam, aber sicher begann er meine feuchten
Finger abzulecken. Als sie trocken waren, schüttete ich mehr Wasser
in meine hohle Hand und bot es ihm wieder an. Dieses
Mal leckte er gierig, und als er genug getrunken hatte, hob er
seine niedergeschlagenen Augen und sah mich mit einem
herzerweichend dankbaren Blick an.
Als ich das Fresspaket mit den Essensresten
auspackte, zuckte seine Nase, und noch bevor ich ein kleines Stück
von dem verkohlten Würstchen abgebrochen hatte, holte er es mit
seinen kleinen weißen Zähnen aus meinen Fingern. Nachdem er es
lange gekaut hatte, schluckte er es unter Schwierigkeiten herunter
- als ob er nicht gewohnt sei zu fressen. Der nächste Bissen, den
ich für ihn abbrach, verschwand in der Hälfte der Zeit. Und noch
einer. Und noch einer.
Bald konnte ich kaum noch mit ihm mithalten. Er
fraß mit Heißhunger. Aber nach und nach wurde die Geschwindigkeit,
mit der er die Reste herunterschlang, langsamer, und schließlich
hörte er auf. Er signalisierte, dass er genug hatte, und leckte
seine mit Fett verschmierte Nase sauber. Seine Augen sahen mich an,
dieses Mal voll Anbetung. Er kroch auf mich zu und versuchte
ungeschickt auf meinen Schoß zu klettern. Aber als er nicht genug
Kraft hatte, nahm ich ihn hoch, knuddelte ihn und streichelte ihm
über den Kopf. Er kuschelte sich an mich und schloss seine Augen.
Nach einer Minute war er eingeschlafen.
Ich weiß nicht, wie lange ich auf dem Gehsteig
gesessen, ihn an mich gedrückt und den gleichmäßigen Rhythmus
seines Herzschlags gefühlt hatte, bevor ich merkte, dass mich ein
paar blutunterlaufener blauer Augen unter den speckigen Zotteln
anstarrten.
»Setzen Sie ihn hin!«, knurrte der Penner durch
Lippen, die von Fieberbläschen verkrustet waren.
Jetzt, da ich Auge in trübes Auge mit ihm war,
schien er weitaus bedrohlicher als vorher, als ich von oben herab
mit ihm gesprochen hatte.
»Ich - ich habe ihm etwas zu fressen gebracht«,
stotterte ich.
Ich zeigte ihm die Überbleibsel des Päckchens. Er
riss es mir aus der Hand und begann, sich die Reste der Reste in
seinen Mund zu stopfen. Er machte eine ruckartige Kopfbewegung in
Richtung des Welpen.
»Setzen Sie ihn ab«, befahl er mit vollem
Mund.
»Er war am Verhungern«, sagte ich. »Und am
Verdursten. Ich - ich habe Ihnen vorher Geld gegeben, um ihm etwas
zu fressen zu kaufen. Und etwas für Sie selbst. Aber Sie haben
alles für Whisky ausgegeben, oder?«
Er ignorierte mich, aber ich blieb hartnäckig: »Sie
sollten keinen Hund haben, wenn Sie nicht für ihn sorgen
können.«
»Verpiss dich.« Die halb gekauten Überreste eines
Stück Schweinekoteletts schossen aus dem Mund des Penners und
landeten in meinem Gesicht. Mit angewidertem Gesicht wischte ich
sie ab, stand auf und trat einen Schritt zurück. In diesem Moment
wachte das Hundebaby auf und drückte sich an mich. Ich sah in seine
treuherzigen Augen. Ich erinnerte mich an das, was Clarissa über
die Hunde gesagt hatte, die gut behandelt und von Leuten
weitergereicht wurden, die auf der Straße lebten. In diesem Fall
hatte sie unrecht.
»Hören Sie, ich weiß, dass es mich nichts angeht,
aber dieses Hundebaby sollte wirklich zum Tierarzt gebracht
werden.«
Der Penner versuchte sich hochzuziehen.Als er
stehend hin und her wankte, rutschte seine gürtellose Hose mit dem
offenen Hosenschlitz noch tiefer und war gefährlich nahe daran,
völlig herunterzurutschen.
Enerviert durch den flüchtigen Anblick seines
Schamhaars, dem ich ausgesetzt war, hob ich den Welpen vorsichtig
auf den Schlafsack und wich zurück. Aber mein neuer Freund tapste
auf mich zu und zuckte mit seinem dünnen, schwachen Schwanz, als ob
er nicht die Kraft zum Wedeln hätte.
»Bitte sorgen Sie für ihn!«, sagte ich zu dem
Betrunkenen, als er rückwärts in den Hausgang kippte und auf einem
Lumpenhaufen in sich zusammenfiel. Er nahm die Whiskyflasche und
setzte sie an seine Lippen. Als er sie geleert hatte, fluchte er
laut und schleuderte sie auf mich. Sie landete auf der Straße, wo
sie mit voller Wucht in tausend Scherben zerbrach und dabei nur
knapp ein vorbeifahrendes Auto verfehlte.
Es war Zeit, hier wegzukommen. Vor Wut zitternd
drehte ich mich um, wischte einen Teil des Drecks von meiner Jeans
ab und zwang mich dazu, wegzugehen. Als ich zurück zur Camden High
Street hastete, sagte ich mir selbst, dass ich alles, was ich tun
konnte, für den Welpen getan hatte. Was jetzt mit ihm geschah, war
weder meine Angelegenheit noch meine Verantwortung.
Aber wenn nicht meine, wessen dann? Konnte ich
einfach von dem armen Geschöpf weggehen und es sterben
lassen?
Kurz bevor ich um die Ecke bog, machte ich den
Fehler, über meine Schulter zurückzusehen. Diese ausdrucksstarken
Augen hatten mich immer noch fest im Blick. Dann, als ob er
wüsste, wie sinnlos es war, legte er sich auf den Schlafsack, mit
der Nase zwischen seinen Pfoten.
Ich blieb stehen. Ich ging den gleichen Weg wieder
zurück. Als ich zu ihm kam, hob er seinen Kopf und blinzelte mich
mit diesen klugen Augen an - Augen, die jetzt voller verzweifelter
Hoffnung waren.
»Hallo? Hallo? Entschuldigen Sie bitte«, sagte ich
zum dösenden Penner.
»Wie?«
»Wie viel wollen Sie für diesen Welpen?«
»Was?«
»Ich möchte Ihnen das Hundebaby abkaufen.«
»Wie? Das?« Er stieß es wieder mit seinem
Fuß.
»Ja, das. Und bitte treten Sie es nicht
wieder.«
»’s is’ nich’ zu verkaufen«, sagte er und lehnte
seinen Kopf wieder an die Tür hinter ihm.
»Alles ist zu verkaufen - für den richtigen Preis«,
erwiderte ich scharf. »Also nennen Sie Ihren Preis.«
Er schien verwirrt, als ob er zu betrunken wäre, um
zu verstehen, was ich gesagt hatte. Dann verzog er sein Gesicht zu
einem boshaften Grinsen.
»Einhundert Pfund!«
»Aber das ist lächerlich!«
Er lachte. »Sie wollen ihn? Er kostet einhundert
Pfund.«
»Keine Chance.«
Ich schwöre, dass der Welpe verstand, was vor sich
ging, weil er wieder seinen Kopf hängen ließ.
»Ich gebe Ihnen zwanzig Pfund«, sagte ich.
Der Penner gluckste, aber sagte nichts.
»Fünfzig?«
Er wischte sich die Nase am Jackenärmel ab und
spuckte auf den Boden.
Ich atmete tief ein und hörte mich sagen: »Okay,
Sie bekommen hundert.
Bin ich verrückt geworden?«, fragte ich mich, als
ich meine Geldbörse herausholte und ein paar knisternde saubere
Geldscheine in die offene Handfläche des Penners zählte. Ich musste
verrückt sein. Auf der anderen Seite, was war das Leben eines
Welpen wert? Ich konnte sehen, was der Penner - betrunken, wie er
war - dachte: Dass er das Doppelte hätte fordern sollen.
»Zehn, fünfzehn, fünfundzwanzig...« Plötzlich war
mein Geldbeutel leer. Ich fischte in den Untiefen meiner Handtasche
nach Münzen, aber ich konnte nur ein paar Pfund finden und eine
Hand voll Pennies.
»Dreißig ist alles, was ich habe. Geben Sie sich
damit zufrieden?«, fragte ich. »Immerhin habe ich Ihnen schon
vorher Geld gegeben.«
Seine Faust schloss sich um das Geld. »Sie haben
hundert gesagt.«
»Aber ich habe sie nicht.«
»Um die Ecke gibt es einen Bankautomaten.«
Offensichtlich war er noch nicht so weggetreten wie
ich gedacht hatte. Aber ich war auch kein Idiot.
»Okay«, sagte ich.
»Ich geh’ und hol’ es. Aber erst geben Sie mir
zurück, was ich Ihnen gegeben habe. Dann, wenn ich zurückkomme,
zahle ich alles in einer Summe.«
Ich streckte meine Hand nach dem Geld aus, aber
statt
es mir zurückzugeben, steckte er es in seine Hosentasche.
»Ich behalte es«, sagte er.
»Wie bitte?«
»’s ’ne Kaution.«
Wir blitzten einander einen Moment lang an, keiner
willens nachzugeben. Dann stieß er den Welpen zum dritten Mal mit
seinem Fuß und ich rannte die Straße hinunter, das Wimmern in
meinen Ohren. Ich bog um die Ecke in die Camden High Street und
kämpfte mich durch die Menge zur Bank an der Ecke zur Parkway.
Während ich in der langen Schlange vor dem Geldautomaten anstand,
fiel mir ein, dass der Penner, wenn ich zurückkam, verschwunden
sein könnte. Ich würde weder die dreißig Pfund noch das Hundebaby
je wiedersehen.
Aber ich lag falsch.