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Wenige Tage vor der Gerichtsverhandlung,
mit einem vollen Terminplan und ohne Hundesitter, verbrachte ich
einen guten Teil des Montags und Dienstags im Taxi und schwirrte
zwischen dem Dachboden in Fulham und dem Laden hin und her. Es war
die schlimmste aller möglichen Welten. Meine Arbeit litt. Fluffy
litt. Ich litt. SogarVlad litt.Am Dienstag gab es in einer der
Wohnungen im zweiten Stock ein Leck, durch das die Wohnung darunter
überflutet wurde, so dass er wieder im Haus war und einige
Küchenschränke auf der Suche nach der Ursache auseinandernahm. Das
Splittern der MDF-Platten, zusammen mit der Musik einer polnischen
Punkband, die er laut auf seinem iPod hörte, reichte nicht aus, um
das Bellen zu übertönen, wenn Fluffy zu lange allein gelassen
wurde.
»Diese Hund, er mir gibt verdammte Kopfschmerzen«,
sagte Vlad, als ich schließlich am Dienstag um sieben Uhr nach
Hause kam.
Ich fand ihn, wie er auf einem der Treppenabsätze
kniete und die Laminatbretter herausriss, die er erst kürzlich
gelegt hatte, und dabei seinen prächtigen Bauarbeiterhintern zur
Schau stellte.
»Es tut mir so leid!«, sagte ich, als ich die
Treppen hoch auf ihn zurannte.
»Ich habe versucht, früher zurückzukommen, aber ich
kam einfach nicht eher weg.«
Er unterbrach seine Arbeit und zog seine Kopfhörer
heraus.
»Diese blöde Kuh, die in Nummer drei wohnt, sie ist
heraufgekommen, um sich zu beschweren. Das Bellen ihr geht auf die
Nerven, sie wird beschweren sich bei Amt wegen Lärmverschmutzung.
Haustiere nicht erlaubt in Mietvertrag. Quak, quak, quak. Ich sagen
zu ihr. ›Hey ich bin Vermieter, meine Dame, und ich machen Regeln
hier. Außerdem, diese Hund gehören Chef meiner Schwester, also
verpiss’ dich, alte Schachtel!‹«
Vlad lachte gutmütig. »Vielleicht ich nicht sagen
so,Annie, aber immer noch, ich ihr erzählen, wo sich davonmachen,
nich’ wahr?«
»Es tut mir so leid!«
»Hey, hier ist keine Grund mir abzulecken meine
verdammte Füße, eh? Der Ärmste einsam ist ganz alleine.«
Während er sprach, kam ein herzergreifendes Heulen
von oben, gefolgt von einem Kratzen, da Fluffy versuchte, sich
seinen Weg unter der Tür hindurchzugraben.
»Pass auf, Vlad, ich schwöre, dass ich für alle
Schäden bezahle, die er verursacht. Und ich verspreche, dass es
nicht für immer so weitergeht«, sagte ich, als ich an ihm
vorbeikletterte und nach oben ging.
»Es liegt nur daran, dass meine verdammte
Hundesitterin... Na ja, sagen wir es so, dass sie mich im Stich
gelassen hat und ich Fluffy nicht mit in die Arbeit nehmen
kann.«
»Ja, ich hören von Eva, was ist passiert, wenn du
schmuggeln ihn ein. Ein paar Vorfälle, eh?«
Als ich mich meiner Eingangstür näherte, hörte oder
roch
mich Fluffy, und das Heulen wechselte zu einem frenetischen
Bellen. Im selben Moment, in dem ich die Tür öffnete, drängte er
sich an mir vorbei und rannte nach unten.Als ich die Leine gefunden
hatte, war er schon am Treppenabsatz bei Vlad und sie tollten herum
wie zwei große Welpen.
»Du eine verdammte Plage bist, Fluffy, nich’
wahr?«, sagte Vlad gerade. »Ich dir sagen was, Annie, ich arbeiten
morgen den ganzen Tag hier. Mein Freund können helfen. Es geben
keinen Grund, warum er eingeschlossen und alle die verdammten Wände
hochtreiben mit seine Bellen. Ich für dich sehen nach ihm.«
»Oh,Vlad! Würdest du das? Du bist ein Engel!«
Als ich am nächsten Morgen zur Arbeit hastete, ließ
ich meine Wohnungstüre angelehnt, und Fluffy saß neben Vlad in der
halb herausgerissenen Küche im zweiten Stock und teilte sich mit
ihm ein Sandwich mit polnischer Wurst.
»Du wirst auf ihn aufpassen?«
»Kein Problem. Er und ich, wir werden haben gute
Zeit zusammen.«
»Danke, Vlad, vielen Dank!«
»Du hast Fluffy bei meinem Bruder gelassen?«,
fragte Eva, als ich es ihr erzählte. Sie schien ziemlich
überrascht.
»Warum sagst du das so«, fragte ich unruhig.
»Denkst du, dass ich es nicht hätte tun sollen?«
Sie warf mir einen flüchtigen Blick zu.
Ȇberhaupt nicht, Annie. Fluffy wird es gut gehen.
Ich bin sicher, dass Vlad heute viel zuverlässiger ist, als er es
früher war.«
Wovon sprach Eva? Ich hatte keine Zeit
nachzufragen. Mein Terminkalender war an diesem Morgen
zugekleistert mit Terminen - meine Minister-Kundin, eine
Nachrichtenmoderatorin aus dem Fernsehen und die erst kürzlich
ausgemusterte Gattin eines russischen Oligarchen.
»Ah, Rache-Shopping!«, hatte George Haines erfreut
gesagt, als ich ihm erzählte, dass sie kam. »Das sollte ausreichen
für einen sechsstelligen Verkauf!«
Um halb drei Uhr am Nachmittag wollte dann meine
Lieblingskundin Marion Barclay kurz vorbeikommen, um das
Armani-Kostüm und die Burberry-Bluse anzuziehen, die ich den Sommer
über für sie aufbewahrt hatte.
»Ich komme von zu Hause und gehe dann direkt zu
meinem Bewerbungsgespräch«, hatte sie mir heute Morgen am Telefon
erzählt.
»Ich weiß, dass ich mit dem Abholen nicht bis auf
den letzten Drücker hätte warten sollen, aber wir sind gerade erst
aus Italien zurückgekommen. Sind Sie sicher, dass alles für mich
bereitliegt?«
»Absolut, Mrs. Barclay. Die Änderungen sind
gemacht, das Kostüm ist dampfgepresst, hängt in einem
Plastiküberzug an der Rückseite meiner Bürotür und wartet auf Sie.
Sie können sich also entspannen. Ich werde hier sein, um Ihnen zu
helfen, sich fertig zu machen.«
»Gott segne Sie, Annie.«
Sofort nach dem Treffen mit Mrs. Barclay hatte ich
einen wichtigen Termin oben in Georges Büro. Alexis Collins, die
Herausgeberin von Zine, des einflussreichsten, exklusivsten
Online-Life-Style-Magazins in den USA, war für zwei Tage in London.
George hatte sie zum Lunch
ins Nobu eingeladen und würde sie anschließend ins Geschäft
zurückbringen.
»Ich weiß nicht, warum er sich die Mühe macht«,
vertraute ich Eva an. »Man munkelt, dass sie niemals irgendetwas
isst.Tatsächlich sagt man, dass sie gar keinen Magen hat,
geschweige denn eine Verdauung. Und auch kein Herz.«
Berühmt, dünn, eine glänzende Schönheit und
berüchtigt dafür, dass man ihr kaum etwas recht machen kann,
überlegte Alexis - eine Perücke auf einem Stock, wie ein Journalist
sie einmal beschrieben hat -, in ihrer Frühjahrsausgabe eine
Reportage über Haines & Hampton zu machen. Wenn sie das
wirklich tat, wäre die Publicity wie ein Goldregen.
Mein Job war es, George dabei zu helfen, sie mit
unserem Wissen über die brandaktuellen Modetrends zu
beeindrucken.
Alles in allem hatte ich also überhaupt keine Zeit,
um über Fluffy nachzudenken. Bis zu dem Moment, als um halb zwei
Uhr mein BlackBerry läutete, gerade als ich die Summe der Einkäufe
der ausgemusterten Ehetrophäe aufaddierte - atemberaubende 104
688,99 Pfund, die sie mit der American Express Kreditkarte ihres Ex
bezahlte. Marks Name leuchtete auf dem Display auf. Was wollte er
ausgerechnet jetzt?
Ich drückte die Empfangstaste und bellte beflissen
hinein: »Ich bin außerordentlich beschäftigt. Wenn du mir etwas zu
sagen hast, wird es warten müssen, bis wir morgen bei Gericht
sind.«
»Das ist zu schade, weil ich jetzt mit dir sprechen
muss«, konterte Mark ebenso beflissen.
»Worüber?«
»Wo ist Fluffy?«
»In meiner Wohnung natürlich.«
»Ich glaube, du wirst feststellen, dass er dort
nicht ist, Annie - zumindest, wenn du dir die Mühe machen und nach
ihm sehen würdest.«
»Wie kannst du es wagen, so unverschämt zu sein?
Ich kümmere mich ausgezeichnet um ihn!«
»Jaa, richtig!«
»Pass auf, ich bin in der Arbeit. Weißt du, was
Arbeit ist? Ich habe ihn erst vor ein paar Stunden zu Hause
zurückgelassen.«
»Na ja, da ist er jetzt nicht mehr.«
»Natürlich ist er das!« Ich stockte. »Und
überhaupt, woher willst du das wissen?«
»Weil ich gerade einen Anruf vom diensthabenden
Polizisten der Polizeistation von Kensington bekommen habe. Sie
haben Fluffy dort.«
»Mach’ dich nicht lächerlich! Das können sie gar
nicht!«
»Aber sie haben ihn. Offensichtlich ist er vor
einer Stunde im Natural History Museum aufgegriffen worden, als er
versuchte, seine Zähne in den Knochen eines Dinosauriers zu
graben.«
Ich lachte, ein wenig bitter. »Okay, ich habe genug
gehört. Dieser Scherz ist extrem geschmacklos.«
»Ich kann nicht glauben, dass du mich nicht
angerufen hast, als er dir abgehauen ist!«
»Ich habe dich nicht angerufen, weil er mir nicht
abgehauen ist. Er ist zu Hause!«
»Wirklich? Bevor er zum Museum kam, hat er
offensichtlich ein Stück Pizza aus einer Sandwichbar in der Old
Brompton Road gestohlen. Er wurde auch im Untergeschoss eines der
Conran-Einrichtungshäuser gesehen, wo er mit seinem Schwanz eine
teure Glasvase umwarf.«
»Das verstehe ich nicht«, sagte ich. »Sie müssen
den falschen Hund haben. Warum haben sie dich angerufen?«
»Weil meine Handynummer an seinem Halsband ist,
erinnerst du dich? Und auf seinem Mikrochip.«
»Pass auf, das ist unmöglich! Ich war heute Morgen
zu einem langen Spaziergang mit ihm draußen, und dann habe ich ihn
in der Wohnung gelassen. Oder vielmehr im Haus, mit Vlad.«
»Wer ist Vlad?«, fragte Mark misstrauisch.
Mir wurde plötzlich schlecht. Vielleicht hatte Vlad
die Haustür offen gelassen, und Fluffy war entwischt? Aber das
Natural History Museum war kilometerweit von meiner Wohnung
entfernt. Wie konnte er so weit kommen? Und hätte Vlad mich nicht
angerufen, wenn Fluffy verloren gegangen wäre?
»Annie, wer ist Vlad?«, wiederholte Mark.
Was hatte Eva vorher über Vlad gesagt, dass er
»zuverlässiger sei als früher«?
»Er ist der Hausbesitzer«, sagte ich ihm. »Der
Bauunternehmer. Er ist Evas Bruder. Er arbeitete heute dort und hat
sich angeboten, für mich nach Fluffy zu sehen. Fluffy muss
entwischt sein. Oh, Gott - es tut mir so leid.«
»Wie kannst du so verdammt unverantwortlich sein,
ihn bei einem Fremden zu lassen?«, brüllte Mark durch das
Telefon.
»Vlad ist kein Fremder! Ich dachte wirklich, dass
Fluffy bei ihm sicher wäre!«
»Da hast du dich gründlich getäuscht, oder? Es ist
ehrlich gesagt ein Wunder, dass er nicht überfahren und getötet
wurde!« Er stieß einen verärgerten Seufzer aus.
»Okay, du muss sofort losfahren und ihn auf der
Polizeistation abholen. Sie ist in der Earls Court Road.«
»Was?« Ich warf einen schnellen Blick auf meine
Dolce & Gabbana. Es war zehn nach eins.
»Ich kann nicht, Mark! Ich habe hier eine wichtige
Kundin und die nächste kommt um halb drei. Dann muss ich mich um
die Herausgeberin dieser Zeitschrift kümmern. Ich habe heute
Nachmittag keinen freien Moment.«
»Na ja, dein Pech«, sagte er, »weil ich in
Islington bin und später ein Treffen mit meiner Anwältin in der
Innenstadt habe. Wegen unserer Scheidung. Und offensichtlich
hat Fluffy gerade versucht, einen stellvertretenden Inspektor zu
bumsen oder so was ähnliches.Wenn er also nicht in der nächsten
halben Stunde abgeholt wird, dann schicken sie ihn ins Hundeheim
nach Battersea. Das würde morgen vor Gericht gar nicht gut
aussehen, oder Annie?«