24. Föhrer Messebau
Ocke staunte, wie viel ein Mensch schlafen konnte. Imke brachte es am nächsten Tag auf ganze sechzehn Stunden! Als sie gegen Mittag aufwachte, sah sie trotzdem so schlecht wie noch nie zuvor aus. Sie war blass und hatte einen leeren Blick. Christa versorgte sie erst mal mit frischem Obst, und Ocke kochte ihr eine kräftige Hühnersuppe mit viel Gemüse.
Nach dem Essen zog sich Imke ihren neuen goldenen Morgenmantel über den Seidenpyjama und legte sich in Ockes Bettschrank. In seinem Zimmer sah es nach der abgebrochenen Auszugsaktion immer noch reichlich chaotisch aus, überall lagen Umzugskartons und Regalteile herum. Ocke hatte Imke dazu verdonnert, Christa gegenüber die Klappe zu halten, die offizielle Version war: Er wollte renovieren, basta!
«Was möchtest du sehen?», fragte Ocke mit der Fernbedienung seiner Riesenglotze in der Hand.
«Lass einfach laufen», bat Imke.
Ocke überlegte einen kurzen Moment und entschied sich dann fürs ZDF, wo gerade der Vorspann für eine Telenovela lief.
«Laut genug?», fragte er.
«Wunderbar.»
«Können wir sonst noch etwas für dich tun?», erkundigte sich Christa.
«Eine neue Wohnung suchen.»
«Wird erledigt.»
Sie wussten alle drei, dass es auf Föhr unendlich schwer sein würde, eine bezahlbare Wohnung oder ein Haus zu finden. Auf Sylt hatte das dazu geführt, dass die Hälfte aller Insulaner aufs Festland gezogen war, meist in die Gegend von Klanxbüll, wo es besonders billig war. Von dort fuhren sie jeden Tag mit dem Nahverkehrszug eine Station weiter auf die Insel, was nicht länger als ein paar Minuten dauerte. Aber nach Föhr fuhr nun mal kein Zug.
Tatsächlich gab es aber schon Putzkolonnen und Handwerker, die täglich mit der ersten Fähre nach Föhr kamen und mit der letzten zurückfuhren. Das bedeutete alles in allem zwar mehr als zwei Stunden Fahrzeit, war aber immer noch billiger, als auf der Insel zu wohnen.
«Friedrich hat vorhin angerufen», sagte Ocke. «Er hat wegen eines Formfehlers bei der Kündigung Widerspruch eingelegt. Darauf muss Petersen jetzt erst mal reagieren. Friedrich sagt, das wird sich einige Zeit hinziehen und ihm großen Ärger bereiten.»
«Trotzdem müssen wir realistisch sein: Am Ende werden wir gefeuert», erinnerte ihn Christa.
Ocke kratzte sich am glatt rasierten Kinn, was sich ohne Bart immer noch fremd anfühlte.
«Hauke hätte vielleicht was in Toftum.»
«Kutschen-Hauke?», staunte Christa. «Wo hat der denn was zu vermieten?»
«Keine Ahnung, hab ich von Hinnerk.»
Imke schaute ihn und Christa aufmunternd an. «Also, worauf wartet ihr noch?»
«Ich lasse dich hier nicht allein», sagte Christa.
«Wieso das denn nicht?»
«Weil ich Sönke hoch und heilig versprochen habe, dass ich dich nie mehr allein lasse.»
Ocke wusste, dass Christa einen Anruf von Sönke bekommen hatte. Das Telefongespräch war ihr immer noch unangenehm, weil Sönke natürlich mit allen Vorwürfen recht gehabt hatte.
«Lass mal gut sein, Imke», brummte Ocke. Auch er machte sich Vorwürfe, dass er an dem Tag von Imkes Wattwanderung nicht besser auf sie aufgepasst hatte. Nach der Wasserschlacht hatten er und Christa Imke einfach vergessen, da ließ sich nichts beschönigen.
«Ich würde ja gerne wieder ins Watt gehen», bekannte Imke ganz offen, «auch gegen euren Willen. Aber schaut mich an, ich bin einfach zu schlapp.»
«Es kann ja auch mal was anderes schiefgehen.»
«Das Schlimmste, was mir passieren kann, ist, obdachlos zu werden. Also raus hier! Ich will Fernsehen gucken.»
«Hey, das ist immer noch mein Zimmer», protestierte Ocke und schaute nun Christa fragend an. «Bis Toftum sind es zehn Minuten», überlegte er laut.
Christa legte Imke das Telefon nebens Bett und speicherte ihre Handynummer ein. Im Notfall musste Imke nur die Wahlwiederholungs-Taste drücken, um sie zu erreichen. Christa ließ sich das einmal von Imke vorführen, was prompt schiefging, weil Imke Telefon und Fernbedienung verwechselte. Beim zweiten Mal klappte es aber, und so konnten Ocke und Christa einigermaßen beruhigt losfahren.
Für Ocke war es ein wunderbares Gefühl, als Christa neben ihm im Taxi Platz nahm. Er befürchtete nämlich, dass die Wirkung seines Ständchens langsam abflauen und im WG-Alltag untergehen könnte. Sein zweiter Schritt war längst überfällig, Händchen halten oder so etwas, nur, das traute er sich einfach nicht. Auch Christa war vorsichtig, obwohl sie seine Nähe sichtlich mehr suchte als zuvor. Jedenfalls bildete er sich das ein. Was er nicht wissen konnte: Fühlte sich Christa vielleicht nur geschmeichelt und nutzte es aus, dass er um sie herumtanzte und alles für sie tat? Nein, so war Christa nicht. Die ganze Situation stresste ihn, jeder weitere Tag ohne Klärung wurde zum Experiment mit ungewissem Ausgang. Insofern war es gut, durch die Wohnungssuche abgelenkt zu sein.
Als er Richtung Toftum fuhr, schaute Ocke zufrieden durch die klare Windschutzscheibe, die er vorhin noch mit einem alkoholgetränkten Lappen von unzähligen Insektenresten befreit hatte. Wenigstens etwas bekam er hin. Am sonnigen Himmel standen perfekte, rundliche Schäfchenwolken, es war nicht zu warm und nicht zu kalt, typische Föhrer Hauptsaison.
Zehn Minuten später standen sie auf dem Hof von Hauke Hansen, wo ein alter Toyata-Landcruiser ohne Türen seit Jahren vor sich hingammelte. Auch sonst sah alles sehr heruntergekommen aus, überall lagen Eisenschrott und feuchtes Holz herum. Ausnahme war die neue Scheune, in der Haukes alte Kutschen lagerten, die er seit Jahren sammelte, um sie zu restaurieren.
Hauke saß mit einer Flasche Korn in der Hand auf einem Reifenstapel neben der Scheune. Ein großer, massiger Mann mit vollem grauen Haar. Er trug seine Arbeitskluft, schwarze Gummistiefel und braune Latzhose, und begrüßte Christa und Ocke mit den Worten: «Lasst euch nicht stören, mir ist gerade die Frau weggelaufen.»
Was den beiden merkwürdig vorkam, weil seine Scheidung schon einige Jahre her war und Hauke seitdem keine neue Frau gefunden hatte.
«Tut mir leid», sagte Ocke, ohne weiter nachzufragen. An sich war Hauke ein feiner Kerl, das wusste Ocke, aber seine Scheidung hatte ihn vollkommen aus der Bahn geworfen. Sein Sohn lebte weit weg in Kanada und besuchte ihn nur selten. Immerhin funktionierte Hauke noch so weit, dass er die nahe gelegene Biogasanlage regelmäßig mit Mais beliefern konnte. Ocke nahm Haukes Zustand als Mahnung: Wenn es ganz dumm lief mit Christa, würde er bald auch so da sitzen …
«Du hast ’ne Wohnung zu vergeben?», fragte Christa.
«In ’ner Scheune», nuschelte Hauke.
Christa schaute Ocke unsicher an: «Äh …?»
«Schauen können wir ja mal», sagte Ocke, der sich allerdings auch nicht vorstellen konnte, dass sie bald in einer Scheune leben würden. Er ging mit Christa hinein. Der Innenraum war vollgestellt mit prächtigen alten Kutschen. Hauke hatte einen Teil des Lagerraums mit dünnen Rigipswänden ausstaffiert, was eher an einen Messestand erinnerte als an Wohnraum, es gab nicht einmal Fenster.
Hauke fand das offenbar völlig normal. «Der Rest wird noch gemacht.»
Die Wahrheit war, es gab kein Bad und kein WC, und Hauke besaß auch kein Geld mehr, um weiter zu bauen, das wusste jeder auf der Insel. Davon einmal abgesehen, war die Idee von einer Wohnung in der Scheune von vornherein schwachsinnig.
Ocke sah, wie enttäuscht Christa war, und nahm kurz entschlossen ihre Hand. Sie schaute ihn verblüfft an und ließ sich von ihm zu einer offenen gelben Kutsche führen, wo er einen Spruch aus Goethes Faust zitierte, der ihm aus seiner Schulzeit hängengeblieben war: «Mein schönes Fräulein darf ich’s wagen, mein Arm und Geleit Ihr anzutragen?»
Christa reagierte prompt, denn auch bei ihr war der Faust Pflichtlektüre gewesen: «Bin weder Fräulein weder schön, kann ohn geleit nach Hause gehn.»
Ocke lächelte sie glücklich an, im Spiel war alles so einfach.
«Es stinkt», bemerkte Christa leicht pikiert und zog ihre Hand weg. Tatsächlich kam vom Misthaufen vor der Tür eine penetrante Duftwolke herein.
«Fenster kommen noch», versprach Hauke, doch Christa und Ocke bedankten sich nur kurz und stiegen in den Wagen. Hier wollte niemand gerne wohnen.
Zurück im Taxi pochte Ockes Herz auf Hochtouren. Christas Hand zu nehmen war der nächste Schritt nach dem Ständchen gewesen. Genau genommen war es sogar ein riesiger Sprung, auch wenn er ihn als Spiel getarnt hatte. Und falls es nicht so gestunken hätte, wer weiß … Zum Glück war die Tour mit Christa noch nicht zu Ende. Am Morgen hatte Ocke noch eine Annonce im Anzeigenblatt Wir Insulaner gefunden, in der ein renovierungsbedürftiges Altenteil mitten in der Marsch angeboten wurde.
«Ich rufe erst einmal Imke an», sagte Christa, nahm ihr Handy und stellte auf laut, damit Ocke mithören konnte.
«Ja?», kam es schluchzend aus dem Hörer. Imke weinte!
Ocke und Christa sahen sich schuldbewusst an. Das war wohl reichlich schiefgegangen.
«Imke, ich bin’s», rief Christa besorgt. «Was ist passiert?»
«Patrick hat seine Lena gerade bekommen.»
«Welcher Patrick?»
«Der im Fernsehen natürlich. Es ist dermaßen romantisch …!»
«Wirklich alles gut?»
«Nein. Wie denn auch? Lena ist krank, sie wird vielleicht sterben! Stör mich bitte nicht weiter.»
Man hörte ein Klacken, Christa schaute Ocke verdattert an.
«Aufgelegt.»
Sie lachten beide erleichtert auf und fuhren in die sonnige Marsch, die in ihrem satten Grün geradezu selbstgefällig wirkte. Beim Vorbeifahren starrten kauende Kühe sie teilnahmslos an. Die Schönwetterwolken ließen ihre Schatten über die Felder tanzen, es gab hier alles, nur keinen Stillstand. Der einzige triste Fleck weit und breit war das völlig heruntergekommene Haus hinter hohen Büschen, das aus bröckeligen, roten Klinkern bestand. Ocke rollte mit dem Taxi auf die grasüberwucherte Einfahrt und überprüfte zur Sicherheit noch einmal die Adresse: Sie stimmte, leider.
Zögerlich gingen sie über das Grundstück, obwohl sie eigentlich sofort hätten umdrehen können. «Renovierungsbedürftig» war reichlich untertrieben, von Amts wegen hätte das Gebäude abgerissen werden müssen, auf dem Dach fehlten etliche Ziegel, es würde überall hineinregnen.
«Wir werden Föhr verlassen müssen», sagte Christa.
Doch diesmal war es Ocke, der noch nicht aufgeben wollte. «Lass uns zu diesem Makler aus Flensburg, der das Büro in Nieblum aufgemacht hat.»
«Schnösel-Feddersen?»
«Der kostet zwar drei Monatsmieten, aber besser als keine Wohnung, würde ich sagen.»
«Du hast recht.»
Zehn Minuten später hielt Ocke vor einem mondänen weißen Friesenhaus in Nieblum. Neben der Tür hing ein blank poliertes, anthrazitfarbenes Glasschild mit der Firmenaufschrift FEDDERSEN IMMOBILIEN. Die Tür war nicht abgeschlossen, und es gab keine Klingel, das war schon mal sympathisch. Über eine schmale Holzstiege gelangten Ocke und Christa ins Büro in der Dachetage. Die Treppe sah ziemlich ausgetreten aus, was wohl nicht an der Masse von Kunden lag, die täglich aufliefen, sondern daran, dass hier vorher der Bürgermeister gewohnt hatte und davor ein Geldverleiher …
Feddersen sprang von seinem Stahlschreibtisch auf, als sie hereinkamen. Der blonde Seitenscheitelträger war ungefähr dreißig Jahre alt und trug einen dunkelblauen Pullover über dem weißen Hemd, dazu Jeans. Er empfing sie wie alte Freunde – was er mit allen Kunden so machte, wie Ocke annahm.
«Moin! Schön, dass Sie zu uns kommen.»
Ocke kam ohne Umwege zur Sache.
«Wir wohnen auf der Insel und suchen was Neues.»
«Beest dü fan feer?», fragte Feddersen auf Friesisch.
Kommst du von Föhr?
«Jä was, schocht’ m det?»
Ja, sieht man das?
Er lachte. «Sorry, da hört mein Friesisch schon auf. Aber ich freue mich. Wissen Sie, ich bin nicht der typische Schickimicki-Makler vom Festland. Insulaner sind wichtig für die Insel Föhr.»
Ach ja?
«Hätten Sie denn was?», fragte Ocke.
«Zwei Personen?»
«Nee, zu dritt. Wir sind eine WG.»
«Eine WG? In Ihrem Alter? Suuuuper, ich liebe so etwas, suuuper.» Feddersen tippte ein paar Daten in den PC und sprach dabei laut mit: «Drei Zimmer plus Gemeinschaftszimmer, Küche, zwei Bäder, alles ebenerdig – so weit genehm?» Er drückte schwungvoll die Return-Taste. Irgendwas hatte der genommen, so wie er unter Strom stand. «Da haben wir auch schon etwas!», trällerte er in Verkäufer-Singsang.
«Wo?»
«Midlum.»
«Kostet?»
Feddersen lächelte geheimnisvoll: «Eine Alten-WG muss man in jedem Fall unterstützen. Ich mache Ihnen einen Sonderpreis. ‹Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern was du für dein Land tun kannst›, ist es nicht so? Sie haben als Rentner doch etwas Zeit mitgebracht, nehme ich an?»
«Könnten wir uns das Haus nicht erst einmal auf dem Bildschirm ansehen?», fragte Christa.
«Wenn Sie ein Rezeptbuch lesen, wissen Sie auch nicht, wie das Essen schmeckt. So etwas muss man riechen und sich dann auf der Zunge zergehen lassen, das ist bei Immobilien nicht anders.»
Ocke schaute Christa fragend an.
«Also gut», sagte er.
Ocke und Christa folgten Feddersens flaschengrünem Landrover-Defender nach Midlum. Auch wenn der Makler reichlich überdynamisch wirkte, hörte sich das Objekt vielversprechend an. Am Haus angekommen, parkte Feddersen direkt neben dem Rosengarten von Gerald Brockstedt – ausgerechnet!
«Na, Brockstedt wird sich freuen», wisperte Christa kichernd. «Die Chaoten-WG als Nachbarn.»
Feddersen deutete auf das perfekt renovierte Friesenhaus mit Reetdach, Terrasse und Garten, viel schöner als das der Brockstedts, und hob jetzt die Stimme wie ein Reiseleiter: «Hier stehen wir vor dem Wochenendhaus eines Reifenhändlers aus Eckernförde. Der gute Mann hat sich gerade was Neues an der Schlei gekauft und will es nun loswerden.»
«Wir wollen aber nicht kaufen», erwiderte Ocke.
«Rechnen Sie das mal in Ruhe durch, das ist viel billiger als mieten», versprach Feddersen.
«Nicht in unserem Alter.»
Feddersen schloss die Tür mit einem kleinen goldenen Sicherheitsschlüssel auf. «Schauen Sie erst einmal, dann reden wir.»
Das Haus war ein Traum. Ein riesiges Wohnzimmer mit Kamin, geräumige Zimmer für alle, auch im ersten Stock, sämtlich mit Parkett und Fußbodenheizung ausgestattet, und alles unter Reet. Dazu kam ein schöner Garten mit viel Rasen, der von einer von wilden Hagebuttensträuchern umwucherten Natursteinmauer umgeben war. Mehr war auf dieser Welt kaum möglich – jedenfalls nicht im friesischen Teil dieses Planeten.
«Mietfrei im Alter zu wohnen ist ein großes Thema!», rief Feddersen schwungvoll.
«Wir wollen aber mieten», wiederholte Christa. «Was würde das kosten?»
Er lächelte.
«Na gut, weil Sie es sind, bekommen Sie von mir einen Sonderpreis: Zweitausenddreihundert kalt, plus Nebenkosten.»
Statt einer Antwort starrten Ocke und Christa nur stumm in die Luft. Natürlich hatten sie gehofft, ein Schnäppchen zu machen, aber die genannte Summe war leider zu erwarten gewesen.
«Vielen Dank», brummte Ocke und nahm Christas Arm, um sie sanft hinauszudrängen. Warm kämen sie da auf fast dreitausend, das war ein Phantasiepreis, den sie nicht bezahlen konnten. Aber Feddersen hatte noch einen Joker auf Lager:
«Wenn Sie die Wohnung im Sommer für drei Monate räumen, wären es nur tausendneunhundertfünfzig kalt. Dann vermieten wir das Haus an Feriengäste.»
«Und wo wohnen wir in der Zeit?», muffelte Ocke ihn an und ging mit Christa hinaus.
Im Auto sah Christa Ocke schuldbewusst an. «Wenn ich Petersen nicht geschubst hätte, wäre alles gut.»
«Quatsch, das hat er verdient.» Ocke sah ihr entschlossen ins Gesicht. «Lass uns mal einen Moment Pause machen, damit wir wieder einen klaren Gedanken fassen können.» Sagte es und fuhr mit ihr nach Nieblum an den Surferstrand, der außerhalb des Ortes lag. Dort holt er seine Gitarre aus dem Kofferraum und suchte eine abgelegene Düne, die nicht von den Surfern belagert war. Das Meer spülte sanft, fast beiläufig, kleine Wellen an den Strand, die letzten Schönwetterwolken hatten sich verzogen, und die Sonne schien an einem blauen Himmel.
Ocke wollte Christa endlich gestehen, was er für sie empfand. Deswegen sang er Christa ein Liebeslied: Ich liebe dich, meine leuchtende Perle, du funkelndes Wasser, das den Berg hinunter zu mir fließt, damit ich es trinken kann …
Natürlich tat er das nicht.
Das heißt, er sang das Lied schon, aber nicht auf Deutsch, sondern in der Originalsprache der Kiri-Batis, wie es ihm ein Seemannskollege an Bord eines Containerfrachters beigebracht hatte. In dem unbekannten Südsee-Dialekt klang alles völlig unverfänglich.
«Das Lied ist total schön», sagte Christa und strich sich das Haar hinters Ohr. «Worum geht es darin?»
Ocke strich verlegen über den Gitarrencorpus.
«Um einen bunten Fisch in einer Lagune, der den Frieden in die Welt bringt.» Er wunderte sich selbst, dass ihm das spontan eingefallen war.
Christa strahlte ihn an: «Herrlich.»
Ocke freute sich, dass es ihr gefiel. Doch so schön das war, so kamen sie nicht weiter. An diesem Tag ein zweites Mal Christas Hand zu nehmen, traute er sich allerdings auch nicht, trotz der traumhaften Kulisse. Immerhin hakte sich Christa auf dem Rückweg zum Taxi bei ihm ein.