8. Rum-Aroma
Das englische Frühstück wurde mit allem Pipapo unter blauem Himmel und bei Sonnenschein zelebriert, anschließend machten sich die drei WG-Bewohner an die Arbeit. Bis zum Abend gab es schließlich noch eine Menge zu tun. Es wurden Tische aufgebaut, Gläser bereitgestellt und alle Räume noch einmal ausgefegt. Überwiegend wirbelten natürlich Christa und Ocke herum, aber auch Imke tat, was sie konnte. Zum Glück wurde das Buffet geliefert, sodass sie sich darum nicht auch noch kümmern mussten.
Am frühen Nachmittag waren sie fertig. Für Ocke war das der Moment, an dem der Countdown zu seinem Unglück begann. Seine Angst vor der Feier verwandelte sich in Panik. Alles, was an diesem Morgen so schön mit Christa gewesen war, würde heute Abend dahin sein. Vor seinem inneren Auge sah er sie mit ihrem Lover eng zusammen tanzen. Ein öliger Gigolo mit Sonnenbankbräune, den Christa mit Zunge küsste! Der Ölige flüsterte ihr etwas ins Ohr, worüber sie strahlend lachte – so, wie sie heute ihn, Ocke, angestrahlt hatte.
Wie sollte er das aushalten?
Einfach weggucken? Sich betrinken?
Ocke fühlte sich wie ein Tier in einem viel zu engen Käfig. Er ging unter die Dusche, zog sich eine graue Hose und ein schwarzes Hemd sowie schwarze Schuhe an. Als Christa und Imke ihr persönliches Aufhübsch-Programm für den Abend starteten, verabschiedete er sich hastig.
«Du willst noch weg, Ocke?», staunte Christa. Sie sah leicht abgekämpft und verschwitzt vom Aufräumen aus – und noch schöner als sonst. Als wollte ihm das Schicksal noch einmal mit aller Kraft vor Augen führen, was er nicht haben konnte.
«Leider, ich habe noch einen wichtigen Kunden», behauptete er und verließ dann das Haus.
Natürlich war das gelogen. Sein Weg führte ihn direkt zum Wyker Hafen, wo er sich ein Ticket kaufte und sich dann auf dem Vorplatz zur Fähre in Spur vier einreihte. Neben ihm warteten Urlauber mit voll gepackten Familienkombis und Vans auf die Abfahrt. Sie waren voller Wehmut, weil sie ihre Urlaubsinsel wieder verlassen mussten. Zumal am blauen Himmel immer noch keine Wolke zu sehen war und der heftige Wind ganz Föhr zum Tanzen brachte.
Ocke war das egal.
In einer Dreiviertelstunde befand er sich auf dem Festland, wo er sicher vor Christas Lover war. Allein der Gedanke daran war eine Erleichterung. Es gab keinen Plan, nur eine Richtung: so weit weg von der Feier wie möglich!
Hinnerk, der Braungebrannte von der Reederei mit der weißen Mütze, winkte Ocke als Ersten an Bord, Einheimische wurden immer vorgelassen. Als Ocke den Zündschlüssel umdrehte, schoss sein Blutdruck in die Höhe. Jetzt wurde der Gedanke zur Tat: Die Party würde ohne ihn stattfinden.
Konnte er das wirklich bringen?
Wie sollte er Imke das erklären?
Nicht eine gute Ausrede fiel ihm ein, das war das Schlimmste, und Imke wurde nur einmal achtundsiebzig.
Nein, das hatte sie nicht verdient.
Er rief Hinnerk durch die geöffnete Scheibe etwas zu, was der nicht verstand, legte den Rückwärtsgang ein, und kurze Zeit später fuhr er über die Traumstraße hinter Nieblum in die Witsumer Marsch – eine weite grüne Fläche, die von keinem Deich begrenzt wurde. Über die See hinweg blickte man auf den Leuchtturm von Nebel auf Amrum. Ocke fuhr bis ans Wasser, wo schwere Wogen gegen den Strand schlugen, dann hielt er an. Eigentlich sollte er jetzt hier mit Christa sitzen und seinen Arm um sie legen.
Reine Phantasie.
Ocke kurbelte sämtliche Fenster im Wagen runter, damit der starke Wind hindurchgehen konnte. Es bildeten sich wilde Turbulenzen, die das Auto zum Vibrieren brachten. Im Radio vernahm er, dass vor Sylt ein Segelboot im starken Wind gekentert war. Wäre nicht alles einfacher, er wäre an Bord dieses Bootes gewesen? Eine bessere Ausrede, nicht zu feiern, konnte es gar nicht geben – natürlich nur, wenn er gerettet würde, das sollte schon sichergestellt sein …
Regungslos blieb er im Wagen sitzen und versuchte, an gar nichts zu denken.
Sinnlos, Christa ließ sich nicht vertreiben.
Eine Stunde später fuhr er nach Nieblum zurück, drehte aber schnell wieder um: zu viele Menschen.
Schließlich landete er auf einem schmalen Wirtschaftsweg, der zur Kurklinik in Utersum führte. Zwei blond gefärbte Frauen wanderten vor ihm auf der Straße, beide in knielangen Hosen. Die eine trug einen figurbetonten dunkelroten Pullover, die andere ein weißes T-Shirt. Sie mussten sich leicht nach vorne beugen, um gegen den Wind anzukommen, abgesehen davon schienen ihre Korksandalen mit den hohen Absätzen zum Wandern nicht besonders geeignet. Ocke beschloss, nicht zu überholen, denn er hatte es ja nicht eilig. Als die Frauen ihn bemerkten, sprangen sie zur Seite, um ihn vorbeizulassen. Er hielt jedoch direkt neben ihnen. Zwei stark geschminkte Augenpaare starrten ihn neugierig an, Ocke schätzte sie auf Mitte vierzig. Der rote Pullover der einen bot einen großzügigen Blick auf ein mächtiges Dekolleté, auf dem weißen T-Shirt der anderen stand in lila Schrift: «Selbst die Nostalgie war früher besser.»
Was hervorragend zu seiner morbiden Stimmung passte.
«Kann ich euch mitnehmen?», erkundigte sich Ocke.
«Ohne Moos nichts los», bedauerte die mit dem roten Pullover und lachte. Ihre blondierten Haare flogen im Wind nach allen Seiten. Sie trug für Ockes Geschmack zu viel grünen Lidschatten. Ihre Begleiterin sah aus wie ihre gleichaltrige Schwester, nur mit blauem Lidschatten.
«Heute ist euer Siegertag», sagte Ocke. «Ihr bekommt ’ne Freifahrt, wohin ihr wollt.»
«Echt?»
Sie stiegen hinten ein.
«Wo soll’s denn hingehen?», fragte Ocke
Die beiden sangen sofort laut los: «Mit einem Taxi nach Paris, nur für einen Tag …»
«Wo da genau?»
«Champs-Élysées.»
«Geit klor.»
In seiner Lage wäre er liebend gerne nach Paris gefahren. So eine Tour bekommt man nur einmal im Leben, außerdem wäre das wirklich eine plausible Ausrede gewesen.
«Wo wohnt ihr auf Föhr?», er sah in den Rückspiegel.
«In der Kurklinik», antwortete die eine
Ihre Freundin erklärte grölend: «Aber heute haben wir Freeiiiiiigang.»
Offensichtlich hatten sie den «Freiiiiiigang» schon etwas begossen. Plötzlich kam Ocke eine Idee.
«Hättet ihr spontan Lust auf ’ne echte Insulanerparty?»
«Wie läuft das denn so bei euch Eingeborenen?»
«Ganz normal, mit Lagerfeuer und Menschenopfern.»
«Gebongt.»
«Super!», Ocke lächelte still in sich hinein. Jetzt hatte er zumindest eine Art Schutzschild gegen Christa. Manchmal konnte das Leben so gnädig sein.
Als sie zehn Minuten später auf das WG-Haus in Dunsum zufuhren, krampfte sich sein Magen zusammen. Der Friesenwimpel über dem Haus stand so gerade in der steifen Brise, als sei er aus Holz, das sah nach einer typischen Föhrer Gartenparty aus. Die Gäste würden sich beim Sprechen und Tanzen immer gegen den Wind stemmen müssen, lange Haare sollten gut zusammengebunden sein. Ocke zoomte, noch immer im Wagen, jeden Winkel ab, den er einsehen konnte: Wo war Christa?
Und noch wichtiger: Wo war ihr Kerl?
Auf dem Tisch neben dem Eingang standen die vier riesigen Bowletöpfe und zahlreiche Gläser, die leicht im Wind schepperten. Imke hockte auf einem Klappstuhl daneben und empfing ihre Gäste. Sie war in ihre weiße Siebziger-Jahre-Jeans gestiegen, die etwas zu weit war, weil sie in letzter Zeit stark abgenommen hatte. Ihr Untergewicht wurde zum Glück durch ihren strahlenden Teint überspielt. Ihre Bluse, wie immer in ihrer Lieblingsfarbe so-bunt-wie-möglich, blähte der Wind zwischendurch auf, als sei sie schwanger oder dick, was sehr lustig aussah.
Ocke blieb das Herz stehen.
Christa kam aus dem Haus, in einem schlichten weißen ärmellosen Kleid. Um ihren schmalen Hals schmiegte sich eine Kette aus mattem Gold. Christa leuchtete geradezu, was nicht nur an ihrer Kleidung, sondern vor allem an ihrem grandiosen Lächeln lag. Niemand hätte vermutet, dass ein breitschultriger Maschinist wie er es kaum schaffte, die Bremse in seinem Wagen zu finden, weil die Frau seiner Träume ein paar Meter von ihm entfernt stand. Es war lächerlich, aber ändern konnte er es auch nicht. Wenigstens war Christa in diesem Moment allein. Aber das hieß noch nichts, vielleicht holte sich ihr Freund gerade etwas zu essen aus der Küche, wo das Buffet aufgebaut war.
Die beiden Blondinen pulten sich kreischend vor Lachen aus dem Wagen und hakten sich links und rechts bei Ocke ein, gemeinsam staksten sie etwas ungelenk zum Haus. Imke freute sich sichtlich über die gackernden Weiber, die Stimmung in die Bude bringen würden, während Christa Ocke neugierig entgegengrinste. Er lief puterrot an. Auch wenn er bei Christa keine Chance hatte, merkte er plötzlich, wie peinlich es war, was er hier veranstaltete.
Zu spät, aus der Nummer kam er nicht mehr raus.
«Ich bin die Carla», grüßte die mit dem weißen Motto-T-Shirt. «Herzlichen Glückwunsch.»
Imke bedankte sich artig und reichte ihr ein großes Glas Bowle mit extra vielen Früchten.
«Willkommen in der Lebensgemeinschaft ‹Seelenfrieden›!»
Christa lachte laut los, während Ocke die Gesichtszüge entglitten: Wie kam Imke dazu, ihrer WG diesen bescheuerten Namen zu geben? «Seelenfrieden» hießen Kleingartenvereine und Seniorenheime, was sollten die beiden Ladys von ihm denken? So alt war er nun auch noch nicht!
«Der sexy Taxifahrer hat uns eingeladen», erklärte die mit dem weiten Ausschnitt fröhlich. Sie drehte sich zu Ocke. «Wie heißt du eigentlich, Schätzchen?»
Schätzchen?
«Ocke.»
«Ich bin die Tamara aus Bottrop.»
«Moin, Tamara», Imke reichte auch ihr ein Begrüßungsglas. Als Christa sich vorstellte, mied Ocke ihren Blick.
«Otto, zeig uns doch mal dein Zimmer», hauchte Carla.
«Ocke», verbesserte er sie.
«Du bist süß, Otto», stellte Tamara fest und musste grundlos kichern.
Christa schaute Ocke amüsiert an, der froh war, dass jetzt Imkes Lieblingsenkel Sönke mit seiner Frau Maria auftauchte.
Maria sah klasse aus, sie trug eine ihrer dunkelblauen Marlene-Dietrich-Hosen, die sie selbst schneiderte, dazu ein schwarzes T-Shirt, was hervorragend zu ihren braunen Augen und den langen dunklen Haaren passte. Maria war Polizistin auf der Insel. Jetzt näherte sich ihr Vater, Imkes ältester Sohn Arne. Sein blond gefärbtes Haupthaar war seit seinem fünfzigsten Geburtstag vor sechs Jahren deutlich spärlicher geworden. Es folgten ein mondgesichtiges Paar, das Ocke noch nie gesehen hatte, und einige Leute von der Insel. Arne hatte in seinem Uralt-VW-Bus eine kleine Anlage mit Verstärker und Mikrophon mitgebracht, die Ocke nun mit ihm im Garten aufzubauen begann. Dann ging Ocke in sein Zimmer, um seine Gitarre zu holen, und sie konnten loslegen.
Arne hatte praktisch sein Leben lang am Strand gelebt, er war einer der ersten Surfer auf Föhr gewesen, später dann Surflehrer und jetzt Strandkorbvermieter. Für einen coolen Hippie wie ihn war es selbstverständlich, immer eine Gitarre dabei zu haben. Er hatte ein festes Repertoire von ungefähr dreißig Songs, die er bei jeder Gelegenheit zum Besten gab, seit etwa vierzig Jahren. Die ständigen Wiederholungen hatten Arne nie genervt, er nahm sie wie den Sonnenuntergang, der ja auch immer wieder schön war.
Er fing mit Blowing in the wind an, dann folgten Country Road und Give Peace a Chance. Ocke begleitete ihn dezent und verlässlich auf seiner E-Gitarre. Er fand, dass Arne tatsächlich eine wunderschöne warme Stimme hatte. Wenn er wollte, konnte er die Töne richtig schluchzen wie ein echter Schlagersänger. Teilweise sang er mit geschlossenen Augen, als überwältige ihn die Musik spontan. Da hätte er beruflich richtig was draus machen können.
Mit dem Instrument in der Hand fühlte Ocke sich sicher, vor allem jetzt, da Christa – immer noch ohne Begleitung – mit einem Glas in der Hand im Publikum stand und ihn wohlwollend anlächelte. Obwohl Arnes Lieder hierzu nicht gerade geeignet waren, zogen sich Carla und Tamara die Korksandalen aus und begannen, barfuß zu tanzen. Der Mann mit dem Mondgesicht sprang wie eine Flipperkugel zwischen den beiden hin und her. Nach einer Weile warf er sein hellgraues Anzugjackett lässig auf den Rasen, darunter trug er ein blau-weiß geringeltes T-Shirt, das seinen runden Bauch noch betonte – mutig! Ocke konzentrierte sich aufs Gitarrespiel, so gut es ging. Komischerweise hatte ihn sein Schöpfer mit einem kräftigen Körper, aber sehr langen, schmalen Fingern ausgestattet. Fast zu fein für einen Mechaniker, würde man meinen, aber diese Finger hatten ihm im Maschinenraum oft geholfen, jede auch noch so verwinkelte Schraube hinter sperrigen Rohren herauszufummeln, und zum Gitarrespielen waren sie perfekt.
Als sie den alten Cat-Stevens-Titel Morning has broken zu Ende gespielt hatten, bat Arne um eine Pause. Er wollte sich noch ein Glas Bowle holen, obwohl er schon vorher gut dabei gewesen war.
Ocke blieb etwas unbeholfen auf seinem Platz sitzen. Ihm war nicht nach Alkohol zumute. Er fürchtete jeden Moment, dass Christas Lover auftauchte und seine behaarten Affenarme um sie schlang. Wenn die beiden vor ihm stehen würden, rechnete er ernsthaft damit umzukippen.
«Super, so eine Elektrogitarre», rief ihm der Mann mit dem Mondgesicht zu.
«Spielen Sie auch?», fragte Ocke, froh über die Ablenkung.
«Ein bisschen.»
«Wollen Sie?»
Das Gesicht des Mannes leuchtete auf. «Gerne! Ich bin übrigens Dr. Bösinger, ich habe mich auf Amrum um Imke Riewerts gekümmert.»
Ocke fragte nicht nach, wie er das meinte. Er schnallte die Gitarre ab und hängte sie Herrn Bösinger um, wobei er noch ordentlich am Gurt zuppeln musste, bis der passte. Da der Mann um einiges kleiner war als er, musste auch der Mikrophonständer tiefer gestellt werden.
Offenbar liebte der Mondgesichtige christliche Popmusik. Er begann mit Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer. Die Töne schmierten ihm immer leicht ab, was er nicht zu merken schien. Unbeirrt kündigte er den nächsten Song an, womit er gleichzeitig den Missionsauftrag der Bibel wahrnahm:
«Das nächste Lied erzählt von der Güte Gottes, es ist ein fröhliches Lied. Denn Jesus hat eine gute Nachricht für uns alle: Er ist gekommen, um uns von der Sünde zu befreien.»
Inzwischen war es dunkel geworden. Der Wind fegte jede Serviette weg, die nicht festgehalten wurde, und formte Frisuren so, wie es ihm gerade gefiel. Versuche, überflüssige Körperrundungen mit weit geschnittenen Hemden zu kaschieren, wurden erbarmungslos zunichtegemacht, weil der Wind die Stoffe eng an die Körper wehte. Zum Glück war die Luft nicht kalt. Die Bowle wurde schnell hinuntergekippt, sie schmeckte fruchtig und frisch, und die Gäste hatten Durst, deshalb tranken sie gleich noch ein Glas hinterher.
Ocke, den Herr Bösingers Gesang zu nerven begann, wühlte sich durch die Gästeschar, die auf schätzungsweise hundert angewachsen war und sich rund ums Haus verteilte. Bei seinem letzten Zahnarztbesuch hatte er im Wartezimmer in einer Zeitschrift etwas von der sogenannten Konfrontationstherapie gelesen. Eigentlich hielt er so etwas für Psycho-Quatsch, aber mit einem Mal schien es ihm gar nicht so unbrauchbar: Man schickte Menschen dorthin, wo genau sie sich am meisten fürchteten, also Leute mit Flugangst ins Flugzeug, Leute mit Höhenangst auf einen hohen Berg. Dort redete man mit ihnen und baute ihre Beklemmungen nach und nach ab.
Vielleicht half das ja auch ihm.
Denn ohne Zweifel war er schwerer Christa-und-ihr-Lover-Phobiker. Was war also hilfreicher, als sich ihnen direkt auszusetzen? Und zwar jetzt, sofort.
Leider war Christa nirgends zu sehen.
Imke saß immer noch am Eingang auf der anderen Seite des Hauses und war voll und ganz mit dem Bowleausschank beschäftigt.
«Die ist aber stark», beschwerte sich die mondgesichtige Begleitung von Herrn Bösinger, vermutlich seine Frau. Sie wirkte so, als sei sie Alkohol nicht gewöhnt.
«Das ist nur Rumgeschmack mit Gewürzen», verriet ihr Ocke im Vorbeigehen. «Da ist kaum was drin.»
Imke zwinkerte ihm verschwörerisch zu. Beim Einwecken vor zwei Jahren hatte sie die Früchte in puren fünfzigprozentigen Rum gelegt, wo sie seitdem nichts anders getan hatten, als sich restlos mit Alkohol voll zu saugen.
«Hast du Christa gesehen?», fragte Ocke.
Auf der anderen Hausseite ließ es Herr Bösinger nun richtig krachen: Go, tell it on the Mountains, that Jesus is everywhere …
Imke schüttelte den Kopf: «Nee, schon lange nicht mehr.»
Hatte sie sich etwa mit dem Kerl in ihr Zimmer zurückgezogen?
Und dann entdeckte er Christa, sie kam vom Deich direkt auf das Haus zu. Ihr Gesicht war in der Dunkelheit nur undeutlich zu erkennen, aber ihr weißes Kleid leuchtete ihm entgegen. Offenbar hatte sie sich kurz die Beine vertreten. Neben ihr ging ein Mann, der ein Fahrrad schob: Das musste er sein.
Ein ganzer Chor von Stimmen in Ockes Kopf schrie: «Tu es nicht!» Er rang nach Luft und ging mit großen Schritten auf das Paar zu.