18. Von Frau zu Frau
Imke brauchte lange, um wieder einigermaßen zu Kräften zu kommen, obwohl sie nach der Tour mit Ocke erst mal vierzehn Stunden durchgeschlafen hatte. Am dritten Morgen fühlte sie sich immer noch wie erschlagen. Die ganze Nacht über war es unerträglich schwül gewesen, und auch jetzt stand die Luft im Raum.
Heute war ein wichtiger Tag. Die Anhörung von Arne und den Bösingers stand an. Nach den Unterstellungen beim Katerfrühstück hatte Herr Bösinger sich bei Imke persönlich entschuldigt. Er und seine Frau hätten einen Fehler gemacht und zu viel getrunken, das hätten sie eingesehen, und der Herr Jesus habe ihnen das mit seinem Gang ans Kreuz verziehen. Imke hatte das Friedensangebot angenommen und sie daraufhin mit Arne zum gemeinsamen Frühstück vor dem Verhör eingeladen. Sie sollten noch mal zur Ruhe kommen und Kraft schöpfen, bevor es losging.
Sie ging zum Kleiderschrank, um sich etwas Passendes zum Anziehen rauszusuchen. Ihre Wahl fiel auf einen beige Rock und eine dunkle Bluse. Diese Farben mochte sie sonst nicht so gern, aber die Anhörung war schließlich eine ernste Angelegenheit. Obwohl Imke mit Brockstedt geredet hatte, war die Sache noch nicht in trockenen Tüchern. Nachdem sie sich angekleidet hatte und sich daraufhin im Spiegel betrachtete, musste sie für einen kurzen Moment lächeln: Sie sah aus wie die Oma aus dem Bilderbuch, es fehlte nur noch der Dutt, aber dafür waren ihre blondierten Strubbelhaare dann doch zu kurz.
Maria hatte vorhin noch einmal angerufen und sich beklagt, wie kompromisslos sich Brockstedt über Arne und die Bösingers geäußert hatte. Da hatte Imke Mut geschöpft, dass alles gut ausging, denn vermutlich hatte Brockstedt vor Maria extra den Ultraharten gespielt, weil er wusste, dass sie Arne davon erzählen würde. Die Angst vorweg sah der Revierleiter als Teil der Strafe, Arne und die Bösingers sollten sich richtig schlecht fühlen, wenn sie zur Anhörung auftauchten.
Um halb zehn fuhren die Bösingers mit ihrem kakaobraunen Volvo vor, und auch Arne traf kurze Zeit später ein. Auf der Terrasse hatten Christa und Imke Brötchen, Krabben, Marmelade, Kaffee und Tee gedeckt. Herr Bösinger hatte sich bei einem Amrumer Inselfriseur die Haare auf Stoppellänge kürzen lassen, trug einen schwarzen Anzug mit weißem Hemd und dunkelblauem Schlips und unterm Arm eine Aktentasche. Frau Bösinger hatte sich für ein dunkelblaues Kostüm mit Perlenkette entschieden. Alle schwitzten fürchterlich, zum einen wegen der hohen Luftfeuchtigkeit, zum anderen, weil sie nicht wussten, was sie erwartete.
Genau wie Imke trug auch Christa an diesem Tag eine dunkle Bluse. Zur Begrüßung gab man sich förmlich die Hand, niemand lächelte. Die Stimmung war fast wie vor einer Beerdigung, die Bösingers und Arne konnten kaum etwas essen – kein Wunder, wenn einem im schlimmsten Fall Gefängnisstrafe drohte.
«Wir haben Jesus Christus um Verzeihung gebeten», bekannte Herr Bösinger und nahm einen Schluck Tee.
«Damit kommt ihr nicht durch», sagte Imke.
«Er ist immer bei uns», entgegnete Frau Bösinger.
«Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass dies keine Gerichtsverhandlung ist, sondern nur eine Anhörung», sagte ihr Mann.
«Aber da werden wichtige Weichen gestellt», wusste Arne, der als Jugendlicher hin und wieder mit der Inselpolizei zu tun gehabt hatte. Alles relativ harmlose Sachen, die sich auf kurzem Dienstweg hatten regeln lassen. Bis auf diesen blöden Betrugsvorwurf …
Nun fischte Herr Bösinger eine Handakte aus seiner Aktentasche. «Meine Frau und ich haben unsere Aussagen verschriftlicht, und ich habe ein bisschen im Strafgesetzbuch geblättert. Die Beamten werden sich warm anziehen müssen.»
«Inwiefern?», erkundigte sich Christa.
Herr Bösinger blickte triumphierend in die Runde. «Ich halte die Verhaftung für vollkommen unangemessen, außerdem haben sie mir zu enge Handfesseln angelegt und damit die Blutzufuhr abgeschnürt, das ist Körperverletzung.»
«Nebenkriegsschauplätze», urteilte Arne und zündete sich eine Zigarette an.
Imke stutzte. Ihr Sohn hatte seit Jahren keine geraucht. Er musste wirklich sehr nervös sein.
«Solche Fakten können das Verfahren entscheidend beeinflussen, unterschätzen Sie das nicht», belehrte ihn Herr Bösinger, der wirkte, als ob er am liebsten mitgeraucht hätte. Wäre seine Frau nicht dabei gewesen, hätte er mit Sicherheit eine geschnorrt.
«Unterm Strich habt ihr Mist gebaut und wenig in der Hand», sagte Imke. «Ist es nicht so? Brockstedt ist ein scharfer Hund, ich kann euch nur warnen.»
«Letztlich entscheidet das in unserem Land immer noch der Staatsanwalt», sagte Bösinger.
«Wir sind hier nicht in Kiel, sondern auf Föhr», entgegnete Imke. «Hier gelten andere Gesetze.» Insgeheim musste sie lächeln. Dass sie mit Brockstedt gesprochen hatte, wusste niemand, nicht einmal Maria und Sönke. Diskretion war eine unausgesprochene Nebenvereinbarung der friesischen Diplomatie.
«Vor Gericht und auf hoher See sind wir alle in Gottes Hand», zitierte Frau Bösinger einen uralten Spruch, den sie vollkommen ernst zu meinen schien.
«In diesem Sinne», sagte Bösinger und erhob sich. «Wir machen uns auf den Weg.»
Imke nahm ihren Sohn, der ebenfalls los musste, noch einmal fest in den Arm.
«Ik trak di a tüm, man dring», sagte sie auf Friesisch. Ich drücke dir die Daumen, mein Junge. Wenn Arne zu einem Auslandseinsatz der Bundeswehr geschickt worden wäre, hätte es nicht anders geklungen.
Die Bösingers nickten Imke und Christa stumm zu und stiegen in ihren Volvo, Arne kletterte in seinen VW-Bus, und die Frauen sahen zu, wie die Autos in Richtung Wyk verschwanden.
Nun konnte der angenehme Teil des Tages beginnen. Als Erstes wechselten die beiden Frauen ihre Garderobe. Christa zog ein dünnes T-Shirt mit Spaghettiträgern und eine kurze Hose an, Imke eine ärmellose Bluse und ebenfalls eine kurze Hose, die ihre braunen Beine zeigte. Dann machten sie es sich auf der Terrasse unterm Sonnenschirm bequem. Ocke hatte den ganzen Tag zu tun und würde erst am Abend wiederkommen.
«Hoffentlich gewittert es bald», stöhnte Imke, die an diesem Tag die Finger von Dr. Behnkes Pillen gelassen hatte. Dementsprechend schlapp fühlte sie sich.
«Meinst du, es geht bei der Polizei gut aus?», fragte Christa.
«Ja.» Plötzlich hatte Imke ein gutes Gefühl, und ihre Zweifel waren ganz verschwunden.
«Wieso bist du da so sicher?»
Imke lächelte. «Ich habe gestern mit Brockstedt geredet.» Jetzt, da die Anhörung kurz bevorstand, brach sie ihr Schweigen.
Christa strahlte ihre Mitbewohnerin an: «Wissen die das?»
«Nein. Ich wollte sie extra ein bisschen schmoren lassen. Arne braucht einen vor den Bug, und die Bösingers auch.»
«Du bist unmöglich, Imke!», sagte Christa und lachte.
Imke nahm einen Schluck Orangensaft. «Und du?»
«Was ich?»
«Was ist denn nun mit Petersen?»
«Woher weißt du davon?»
«Meine liebe Christa, erstens war er vor ein paar Tagen nachts hier im Haus, falls du dich erinnerst, und zweitens hast du ihn auf dem Tennisplatz geküsst.»
Christa versuchte Haltung zu bewahren.
«Wer behauptet so etwas?»
«Ich habe dich zufällig gesehen.»
Christa fragte nicht weiter nach, sondern nahm einen kräftigen Schluck aus ihrem Wasserglas.
«Stefan ist ein Vollidiot!», sagte sie.
«Schon wieder vorbei?» Imke hob interessiert die linke Augenbraue.
«Ich fürchte ja.»
«Wo habt ihr euch überhaupt kennengelernt?
«In der Sauna – ausgerechnet.»
Imke war fassungslos.
«Wie kann das funktionieren, wenn man nackt ist?»
Christa lachte, aber dann wurde ihr Blick traurig.
«Es ist vollkommen aussichtslos. Abgesehen davon, dass Stefan um einiges jünger ist als ich.»
«Och, bei dir ist doch alles noch da, wo es hingehört.»
Christa winkte ab.
«Mit kleinen Abstrichen im Detail, aber danke.»
«Wer hat denn wen angesprochen?» Jetzt war Imkes Neugier geweckt.
«Ach, es war so, dass sich ein Typ in der Sauna darüber aufgeregt hat, dass Stefan keine Badelatschen trug. Daraufhin erklärte Stefan ihm, dass sich Fußpilz, wenn überhaupt, direkt vor der Eingangstür der Sauna sammelt. Da, wo alle ihre Latschen ausziehen. Ich habe mich mit ein paar spitzen Bemerkungen eingemischt, später sind wir essen gegangen, und Stefan hat mich nach Hause gefahren. Danach haben wir uns öfter getroffen, unter anderem letzte Woche.»
«Was Ocke und ich nicht mitbekommen sollten. Aber dafür wart ihr etwas zu laut …»
Christa lächelte.
«Stefan war an dem Tag total verspannt, ich habe ihn in meinem Zimmer massiert …»
Imke wusste nicht, ob sie das glauben sollte.
«Weswegen er gestöhnt hat, geht mich nichts an.»
«Zu mehr ist es an dem Abend leider nicht gekommen», seufzte Christa. «Ich weiß nicht mal, ob ich verliebt bin, dafür kenne ich ihn zu wenig, aber er gefällt mir schon ziemlich gut.»
«Und warum bist du jetzt so pessimistisch?»
Christa musste schlucken.
«Er hat einen empfindlichen Nerv bei mir getroffen, und das macht mich so unsicher. Als Stefan aus dem Fenster abgehauen ist, hat er mich von unterwegs aus noch mal angerufen. Er hat mir gesagt, dass er mich anfassen will. Das war pure Verbalerotik.»
Imke nickte.
«Irgendwie hat mich das so sehr angemacht, dass ich mich über mich selbst erschrocken habe. Er schlug vor, in den nächsten Tagen zusammen Tennis zu spielen und dann dort weiterzumachen, wo wir bei mir zu Hause aufgehört hatten. Als ich dann tatsächlich auf dem Tennisplatz erschienen bin, sah er das als Zeichen, dass ich einverstanden war mit seinem Plan.»
«Und dann hast du Angst vor deiner eigenen Courage bekommen?»
«So in etwa. Ehrlich gesagt, habe ich seit ziemlich langer Zeit keinen Sex mehr gehabt, es sind mehrere Jahre. Die körperliche Nähe zu einem Menschen habe ich schon vermisst, aber nicht so, dass ich es nicht aushalten konnte. Es war eher eine leichte Unzufriedenheit, die sich kaum spürbar zwischen anderen Gefühlen eingenistet hatte. Aber als Stefan so direkt war, habe ich mich das erste Mal gefragt, ob es mit einem Mann überhaupt noch funktionieren würde, kannst du das verstehen?»
Natürlich konnte Imke das. Welche Frau könnte das nicht?
«Spontan hätte ich gesagt, klar, warum nicht?», fuhr Christa fort. «Aber was wäre gewesen, wenn es einfach nicht mehr geklappt hätte, aus was für Gründen auch immer? Stefan ist zehn Jahre jünger als ich und hatte vor mir mit Sicherheit jüngere Frauen gehabt. Das addiert sich schnell auf zwanzig, fünfundzwanzig Jahre Unterschied zwischen mir und meinen Konkurrentinnen.»
Imke winkte lässig ab. «Das ist doch nur blanke Statistik. Was sagt das über dich aus, Christa? Du hast fast immer jüngere Männer gehabt.»
«Aber nie ein volles Jahrzehnt jünger.»
«Wenn sich beide Seiten wohl fühlen, ist es doch super!»
«Tja, aber so ein Glück kann schnell zu Ende gehen. Was ist zum Beispiel, wenn ich nicht merke, wann mein Haltbarkeitsdatum endgültig abgelaufen ist?»
«So kenne ich dich gar nicht, Christa. Wo ist dein Selbstbewusstsein geblieben?»
«Ich meine, Stefan hat mich zwar spüren lassen, dass dieser Zeitpunkt jetzt noch nicht gekommen ist. Er findet mich attraktiv. Aber der Sex nach dem Tennis war ein mittleres Desaster, was vor allem daran lag, dass Stefan nur in einer ganz bestimmten Position schmerzfrei an der Schulter war. Bloß dass diese Position mir nun gar nicht gefiel … Aber es ging noch, das war für mich die gute Botschaft.»
«Wo liegt dann das Problem?»
«Das Problem ist, dass Stefan verheiratet ist, obwohl er gesagt hat, er lebt seit Jahren getrennt von seiner Frau. Die hat nämlich, als wir zusammen auf dem Sofa lagen, auf seinem Handy angerufen und wollte von der Fähre abgeholt werden. Und was macht der Kerl? Schießt sofort vom Sofa hoch und hat seine Schulterschmerzen offenbar völlig vergessen.»
Typisch, dachte Imke.
«Er hat mich dann mehr oder weniger rausgeschmissen. Und auch wenn ich es besser weiß, denke ich, dass ich ihm vielleicht doch zu alt war.»
«Christa, jetzt hör aber mal auf, dir so einen Unsinn einzureden! Es liegt nicht an dir, dass dieser Mann ein Armleuchter ist.»
«Ich weiß, und trotzdem wünsche ich mir, ich würde noch mal eine zweite Chance bekommen. Vielleicht fühlte ich mich einfach nur geschmeichelt, dass ein jüngerer Mann etwas von mir wollte. Aber nun bin ich tief in meiner Eitelkeit gekränkt. Und das ist momentan mein Problem.»
«Ich hoffe, du hast trotzdem mit ihm Schluss gemacht.»
«Na ja, es kommt noch besser», kicherte Christa.
«Was ist denn jetzt so lustig?»
«Eigentlich ist es so traurig, dass man schon wieder drüber lachen muss. Wir haben uns noch einmal heimlich getroffen. Seine Frau hatte eine Essenseinladung, und wir haben einen Spaziergang in die Marsch gemacht, obwohl sich Stefan dort eigentlich total unwohl fühlt, er hält sich fast ausschließlich in der Geest auf.»
Tatsächlich war die Geest der liebliche Teil auf Föhr, hier standen die meisten Häuser, es gab kleine Waldstücke, sogar Andeutungen von Hügeln. In der Marsch hingegen gab es auf den ersten Blick nichts außer einer flachen grünen Fläche. Erst wenn man sich dem länger aussetzte, erkannte man, was darin, scheinbar unsichtbar, verborgen lag.
«Stefan hat kein Problem, sich in der Sauna nackt zu zeigen, aber in der Marsch steht er schutzlos vor dem riesigen Himmel. Dass es etwas gibt, das über den großen Stefan hinausgeht, erschreckt ihn wohl mächtig.»
Sie stand auf, um die Kaffeekanne aus der Küche zu holen. Imke nutzte die Zeit, um über das, was Christa ihr gerade erzählt hatte, nachzudenken.
«Du auch Kaffee?», fragte Christa, als sie wieder auf der Terrasse war.
«Danke, ich trinke später eine Tasse.»
Christa schenkte sich ein und fuhr dann fort.
«Natürlich habe ich mich gefragt, ob ich ihn überhaupt noch mal treffen sollte. Unser Beisammensein schrie ja nicht gerade nach Wiederholung. Aber irgendwie war da noch was offen zwischen uns, du kennst das Gefühl.»
Imke nickte – und dachte dankbar an Johannes, mit dem es solche Spielchen nie gegeben hatte.
«Er lief reichlich underdressed auf, in kurzer Hose und einem ausgewaschenen weißen Billig-T-Shirt. Es war ihm offenbar total egal, wie er auf mich wirkte. Das fand ich enttäuschend, andererseits machte es auch schon keinen Unterschied mehr. Wir unterhielten uns über deine Fete und übers Trinken, darüber, dass heutzutage ganz anders gefeiert wird als früher. Dann fing ich vom Föhrer Rummelpottlaufen im Januar an, dass man da ja auch ganz schön rumkommt …»
«Und sogar in die Häuser rein, wenn man seinen Spruch aufgesagt hat.»
Imke und Christa sangen spontan das Lied, das man beim Rummelpottlaufen auf Föhr anstimmte, wenn man eine Menge Schnaps ausgeschenkt bekommen wollte:
Rummel, rummel, ruttje,
Kriech ik noch en Futtje?
Kriech ik een, blev ik stohn,
Kriech ik twee, so will ik gohn.
Kriech ik dree, so wünsch ik
Glück, dat de Osche mit de
Posche dür de Schosteen flüch.
Dat ole Johr, dat nie Johr,
sind de Futtjes noch nicht gor,
pros Niejohr, pros Niejohr!
«Plötzlich war mir so versöhnlich zumute», sagte Christa nach einer Pause. «Ich wollte einfach, dass wir es dabei belassen, ohne uns zu streiten. Also schlug ich ihm vor, ‹du gehst jetzt Richtung Osten zurück, und ich Richtung Westen zu meiner WG›, dann haben wir einen schönen Abschluss gefunden. Da rückte er mit einer großen Bitte heraus – dem eigentlichen Grund, warum er sich mit mir getroffen hatte.»
Imke richtete sich in ihrer Liege auf, sie fand das alles hoch spannend.
«Er betonte noch einmal, dass zwischen uns nichts gewesen war und auch nichts sein würde. Ich fand, es war nicht gerade ein Kompliment.»
«Um dir das zu sagen, hat er sich mit dir getroffen?»
«Nee, er wollte tatsächlich, dass ich zu seiner Frau gehe und ihr das so sage. Die hatte nämlich von unserer Knutscherei am Tennisplatz erfahren und ihm angeblich deswegen mit Scheidung gedroht. Fragt sich nur, wie oft sie diese Szene schon hatten.»
«Und wie hast du darauf reagiert?»
«Es war schon dunkel. Wir waren gerade beim Lagelum Siel im Osterland, da fehlte an einer Stelle das Gitter. Ich bin einen Schritt zur Seite gegangen, habe Anlauf genommen und Stefan ins Wasser gestoßen.»
Imke hielt sich vor Schreck die Hand vor den Mund.
«Hast du nicht!»
Christa nahm einen Schluck Kaffee. «Der hatte überhaupt nicht damit gerechnet und ist in hohem Bogen ins Wasser geflogen.»
Imke grinste.
«Was nicht gut für seine Schulter sein wird.»
Christa zuckte mit den Achseln.
«So bleiben wenigstens keine Zweifel übrig, was man voneinander denkt.»
«Das ist eben der Vorteil der Jugend», seufzte Imke. «Ihr könnt über alles reden, müsst es aber nicht. Wenn man jung ist, gibt es immer noch andere Wege, um seine Gefühle auszudrücken.»
«Ja, da hast du recht. Aber so ganz über die Sache hinweg bin ich trotzdem nicht. Ich bin nämlich auch nicht mehr die Jüngste, und mit zunehmendem Alter wird man leider eitler und verletzlicher. Eigentlich paradox, aber was soll’s? Wenigstens habe ich ihm gezeigt, dass er mit mir nicht alles machen kann.»
Imke nahm jetzt doch einen Kaffee, und sie prosteten sich mit den Tassen zu. Was Imke über Ocke wusste, verriet sie mit keinem Wort. Vielleicht sah es gar nicht so schlecht für ihn aus.
In diesem Moment fuhr ein Polizeiwagen mit Blaulicht auf das Grundstück zu. Kurz darauf erschien Brockstedt auf der Terrasse. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war er nicht gerade in Feierlaune.
Imke sah ihn erschrocken an.
«Ist was mit Arne?»
«Moin Imke, Moin Christa», sagte Brockstedt ernst.
«Was ist mit meinem Jungen?», fragte Imke noch einmal.
«Wie man’s nimmt. Wir bräuchten deine Aussage, Imke, dann wären wir einen großen Schritt weiter.»
Imke stiegen die Tränen in die Augen.
«Es lag alles an mir, Gerald, meine Bowle …»
Brockstedt bot ihr demonstrativ seinen Arm an.
«Das ist mir sonnenklar.»
«Dafür soll Arne nicht büßen.»
«Wie gesagt, wir brauchen deine Aussage.»
«Ich gehe kurz ins Haus, um mich umzuziehen.»
«Kurze Hose ist okay, ist ohnehin viel zu warm auf dem Revier.»
Also zog sie sich nur schnell ein T-Shirt über und ließ sich von Brockstedt zum Polizeiwagen führen.