KAPITEL 44 – GREEN MOUNTAIN
Weit weg von Tod und Chaos in Stary Sobor waren Duke und Xavier gerade dabei, nach Green Mountain zu marschieren. Der Berg war im Grunde genommen nur ein großer, bewaldeter Hügel mit der einzigen Besonderheit, dass ganz oben ein riesiger Sendeturm stand, der aus jeder Richtung kilometerweit zu sehen war. Duke dachte, dass dieser Turm geeignet wäre, um ihren nächsten Zug zu planen und festzustellen, wohin sie als Nächstes gehen sollten.
Als sie am Fuß des Hügels ankamen, erreichten Sie einen Fahrweg, der den Hügel hinauf führte. Sie machten Halt und versuchten die Lage abzuschätzen. Xavier nahm sein Fernglas heraus und beobachtete die Schotterstraße den Hügel hinauf. Sie führte zum Tor des Geländes, in dem der Turm stand. Vor dem Eingang gab es eine Menge Schutt und liegengebliebene Autowracks. Dazwischen lagen tote Körper am Boden, viele in Militäruniform, und Infizierte wankten zwischen den Autos herum. Das Haupttor war versperrt, es schien nicht so, als ob sie dort hineinkommen könnten.
Die Anlage bestand aus einigen Gebäuden, die um den gewaltigen Sendeturm angeordnet waren, der hoch in den Himmel aufragte. Sie war vollständig von einer zweieinhalb Meter hohen Betonmauer und davor einem Drahtzaun umgeben, dessen oberen Abschluss drei Reihen Stacheldraht bildeten. Der einzige Zugang schien das vordere Tor mit dem Wachhäuschen zu sein.
„Das Tor scheint verschlossen und überall treiben sich Infizierte herum“, sagte Xavier und gab Duke das Fernglas. „Vielleicht sollten wir’s lieber vergessen.“
„Nein, die Gelegenheit ist zu gut, um sie vorbeiziehen zu lassen. Dieser Turm ist das höchste Gebäude weit und breit. Wenn wir da raufkommen sehen wir kilometerweit.“
„Das verstehe ich schon, heute Morgen im Haus schien es mir auch eine gute Idee, aber jetzt und hier fühle ich mich damit gar nicht mehr wohl. Dieser Ort jagt mir einen Schauer über den Rücken.“
„Da musst du durch, Frenchy. Denn wir gehen jetzt da rein. Sehen wir mal, ob wir uns von hinten irgendwie rein schleichen können.“
Xavier verstaute sein Fernglas und folgte Duke in den Wald um die Anlage zu umrunden. Sie fanden ein kleines Loch im Zaun an der Seite und Duke trat einen Teil des Drahtgewirrs zur Seite, bis es groß genug war, damit sie sich durchquetschen konnten.
Als sie die Betonmauer erreicht hatten, hob Duke die Hand zum Zeichen, dass sie stehen bleiben sollten. Beide lauschten. Es gab Schleifgeräusche am Boden, man konnte die Infizierten auf der anderen Seite der Mauer kriechen und schlurfen hören. Duke gab das Zeichen zum weitergehen und Xavier folgte ihm an der Mauer entlang.
Als sie um die Ecke der Mauer bogen, fanden sie einen Durchschlupf an der Rückseite. Es gab eine niedrige Öffnung am Fuß der Mauer, wo der Beton nachgegeben hatte. Duke legte sich auf den Bauch und spähte durch die Öffnung – es war eng aber er würde sich durchschieben können.
„Hier gehen wir rein, aber das Gepäck lassen wir hier. Wir legen unsere Rucksäcke ab und nehmen nur unsere Waffen und die Karte mit.“ Xavier legte seinen Rucksack ab und nahm den Revolver und die kleine Axt heraus. Duke tat das Gleiche und sie versteckten ihre Rucksäcke unter einem Busch und deckten sie mit Zweigen ab.
„Ich gehe voraus“, sagte Duke und hielt seine Axt hoch, „wir bleiben geduckt und verhalten uns leise. Wenn wir drin sind, gehen wir direkt zum Turm und klettern hoch. Wir kämpfen nur, wenn wir unbedingt müssen und dann nur mit den Äxten.“
„Willst du das wirklich tun?“, fragte Xavier.
„Dir passiert schon nichts. Ich habe doch versprochen, dein Leben zu beschützen – und das werde ich auch. Bleib einfach dicht hinter mir.“ Daraufhin kroch er unter der Mauer durch.
Er kam hinter dem Hauptgebäude der Anlage heraus. In einigem Abstand gab es Infizierte, aber keiner hatte ihn bemerkt, sie streiften einfach weiter ziellos durch die Anlage.
„Gut, alles klar, Frenchy. Komm rüber“, flüsterte Duke durch die Öffnung. Xavier schob sich darunter und zog sich auf die andere Seite. Er stand auf und schlich zu Duke, der ständig die Infizierten im beobachtete.
„Wir haben ein paar da drüben, aber in Turm scheint alles sauber zu sein. Sieht aus, als seien die meisten aus der Anlage ausgesperrt. Ich sage wir gehen um dieses Gebäude herum und dann direkt hinüber zum Turm.“
Xavier nickte und folgte Duke. Sie schlichen langsam an der Wand entlang und sahen sich immer wieder um, um nicht von hinten überrascht zu werden. Am Ende des Gebäudes spähte Duke vorsichtig um die Ecke.
„Heilige Mutter Gottes“, flüsterte er, als er sah, dass neben einem nahen Werkstattgebäude ein ATV, ein All-Terrain-Vehicle, geparkt war.
„Was ist denn?“, fragte Xavier.
„Was hier steht, heißt nie wieder zu Fuß gehen, Frenchy. Nie wieder“, antwortete Duke und kroch langsam zum ATV hinüber. Xavier bog um die Ecke und sah, wieso Duke so aufgeregt war. Da stand ein geländegängiges vierrädriges Gefährt, mit Allradantrieb. Es hatte einen Sattel für zwei Personen, ähnlich einem Motorrad, und eine kleine Box am Heck für Ausrüstung.
Duke untersuchte das Fahrzeug, während Xavier näher heran kroch.
„Wie sieht’s aus?“
„Kein Schlüssel, ich kann‘s also nicht sicher sagen, aber es ist in gutem Zustand und ich kann es bestimmt kurzschließen“, Duke sah auf die Tankanzeige, „der Tank ist noch zu einem Viertel voll.“
„Phantastisch.“
„Na ja, nicht für dich – du musst den Bock reiten.“
„Hey, wenn wir dadurch weniger laufen müssen, bin ich dabei.“
„Wir kümmern und später darum. Jetzt klettern wir erstmal auf den Turm“, sagte Duke und tätschelte liebevoll das ATV. Dann krochen sie auf dem Bauch, zwischen zwei Ural LKW Wracks durch, in Richtung des Eingangs zum Turm. Er bestand aus einer großen Stahltür, die glücklicherweise offen stand.
Xavier und Duke standen auf und schlichen zur Tür. Duke sah hinein, es gab einen etwa fünf Meter langen Gang, der dann in einem 90 Grad Winkel nach rechts abbog. Da alles ruhig aussah, schlüpften sie hinein. Als beide drin waren, griff Duke nach der Tür und schloss sie langsam hinter Xavier, was den Gang in ein Dämmerlicht tauchte.
„Jetzt sehen wir gar nichts mehr“, flüsterte Xavier.
„Aber die sehen schlechter als wir, wir müssen nur eine Minute warten“, antwortete Duke.
So warteten beide ab, bis sich ihre Augen an das dämmrige Licht angepasst hatten. Aus dem Gang um die Ecke war nun ein schwacher Lichtschein zu sehen.
„Ich gehe voraus“, sagte Duke. Er hatte seine Axt in der Hand, bereit zum Zuschlagen, und schlich den Gang entlang. An der Ecke blieb er stehen und lauschte. Aber abgesehen von ihren eigenen Atemzügen war alles still. Duke spähte um die Ecke. Der Gang selbst war dämmrig, aber an seinem Ende konnte er die Umrisse einer Leiter ausmachen. Das wenige Licht, das durch eine Öffnung am oberen Ende der Leiter fiel, reichte aus, um zu sehen, dass der Gang leer war. Duke ging zur Leiter und sah hinauf. Sie führte etwa 20 Meter weit nach oben.
„Dort oben sollten wir sicher sein, wir wissen ja, dass sie keine Leitern hochklettern können“, sagte Duke und stieg hinauf.
„Na hoffentlich sind nicht schon welche oben“, antwortete Xavier und folgte Duke.
Als Duke oben ankam spähte er über die Kante. Er sah in einen kleinen Raum. An den Wänden gab es Sicherheitsausrüstung mit Seilen und Klettergurten, aber Infizierte waren nicht zu sehen. Die Türe zur Plattform stand offen und Duke konnte hindurch, weit in die Landschaft, schauen.
Er stieg hinauf und rief hinunter: „Alles klar hier oben, komm rauf Frenchy.“ Während Xavier hochkletterte ging Duke hinaus, die Axt im Anschlag. Die Plattform führte um den Turm herum und gleich neben dem Eingang sah er am Boden einen toten Körper. Er trug einen Laborkittel und in seiner Hand lag eine Makarov PM Pistole. Er schien vor langer Zeit Selbstmord begangen zu haben, da er bereits ziemlich verwest war.
„Oh Scheisse“, sagte Xavier als er ihn dort liegen sah.
„Armer Kerl“, sagte Duke und sah sich um, „sieht aus, als wollte er ein letztes Mal die Aussicht genießen. Lass ihn liegen, wir müssen sehen, ob sie Plattform sauber ist, ich geh links herum und du rechts.“
Sie trennten sich und umrundeten den Turm. Außer den Parabolantennen, die mit Schienen am Turm befestigt waren, gab es nichts von Interesse. Sie gingen zurück zu der Leiche.
„Nichts?”
„Nein, bloß dieser arme Kerl“, antwortete Duke. Er beugte sich hinunter, nahm ihm die Pistole aus der Hand und untersuchte sie. Er ließ das Magazin heraus fallen.
„Die Pistole ist hinüber, total verrostet, aber die Munition ist noch zu gebrauchen“, sagte er, während er das Magazin einsteckte und die Pistole über das Geländer warf.
„Jesus, Duke, wie wär’s mit ein bisschen Respekt für die Toten?“, beschwor ihn Xavier.
„Wieso? Er braucht das Zeug nicht mehr, aber wir schon“, antwortete Duke und tastete den Körper des Toten ab. Er fand eine Brieftasche, die er wegwarf, außerdem eine elektronische Schlüsselkarte, die er einsteckte und eine Dose Mountain Dew.
„Möchtest du?“, fragte er und zeigte Xavier die Dose. Xavier winkte ab und Duke steckte sie mit einem Achselzucken ein. „Dann wollen wir mal sehen, was weiter oben ist“, sagte Duke und ging wieder hinein.
Im Inneren führten auf der linken Seite in die Wand eingelassene Sprossen weiter nach oben, zu einer rot lackierten Luke in der Decke. Duke stieg hinauf und drückte gegen die Luke, aber sie war verschlossen. Daneben gab es einen schwarzen Kartenleser. Duke nahm die Karte des Toten und zog sie durch, aber nichts passierte. Er versuchte es ein zweites Mal, erfolglos.
„Ich hab eigentlich auch nicht erwartet, dass es funktioniert, aber einen Versuch war’s wenigstens wert“, gestand Duke, als er sich den Kartenleser genauer ansah. Es gab ein kleines rotes Licht, das aber nicht brannte. Duke besah sich auch die Klappe und bemerkte, dass sie ein Schlüsselloch hatte.
„Es gibt keinen Strom und die Reservebatterie scheint auch hinüber zu sein. Aber das Ding hat ein Schlüsselloch, also kommen wir womöglich doch rein.“
„Lass uns einfach verschwinden, mir gefällt das alles nicht“, bat Xavier.
„Wieso?“
„Nur ein Gefühl.“
„Sei mir nicht böse, aber das ist einfach dumm. Schau mal auf die Karte, hier gibt es weit und breit nichts. Wir könnten uns hier für ein paar Tage einnisten. Mit den wenigen Infizierten werden wir leicht fertig, dann könnten wir in Ruhe alles nach Waffen und Vorräten durchsuchen. Falls wir das ATV in Gang bekommen, wären wir wesentlich schneller unterwegs und wenn wir im Turm weiter nach oben kommen, sehen wir alles in weitem Umkreis. Das hier könnte unser neues Zuhause sein.“
„Du willst hier bleiben?“
„Zumindest für eine Weile. Sieh doch, selbst wenn wir hier nichts finden sollten, gibt es im Umkreis einige Dörfer, die wir von hier aus erreichen und plündern können. Und wenn wir uns um die Infizierten auf dem Gelände erstmal gekümmert haben, sind wir drinnen sicher. Ich sehe keinen Grund, nicht zu bleiben.“
Xavier grübelte über Dukes Argumente, aber er fühlte sich trotzdem bei dem Gedanken zu bleiben sehr unwohl.
„Hast du es denn neben deinem ‚Gefühl’ irgendeinen vernünftigen Grund, der dagegen spricht, dass wir hier bleiben?“, fragte Duke.
„Nein“, gab Xavier widerstrebend zu.
„Gut, dann lass und das Gelände von Infizierten säubern und damit beginnen, die Gebäude zu durchsuchen.“
Duke kletterte die Leiter hinunter und Xavier folgte ihm, wenig begeistert.