KAPITEL 7 – DER ERSTE MORD
Helmut hatte soeben eine Schrotflinte mit etwas Munition gefunden, seine Glückssträhne hielt an. Zweimal war er in dieser Nacht dem Tod entkommen, aus purem Glück. Sein Freund Freddie hatte nicht so viel Glück gehabt.
Sie waren in der Nähe des Hafens aufeinander gestoßen. Freddie hatte die wankenden Gestalten für andere Überlebende gehalten. Helmut war sich nicht sicher gewesen und war zurück geblieben. Die Art wie sie umhergingen, hatte ihn stutzig gemacht, sie schienen kein Ziel zu haben, sie wankten einfach herum und stöhnten. Auch ihre Köpfe sahen seltsam aus, sie hingen einfach nur auf den Hälsen, wirkten leblos. Sie töteten Freddie und waren dann hinter Helmut her – aber er hatte Glück. Sie verloren ihn aus den Augen, als er hinter einem Haus verschwand.
Als er sich in Sicherheit wähnte, lehnte er sich gegen eine Hausmauer, um wieder zu Atem zu kommen. Dabei übersah er, dass eine weitere dieser Gestalten direkt auf ihn zugewankt kam. Er verhielt sich ganz still und hielt den Atem an. Aus dem Augenwinkel sah er, wie die Gestalt vorbei schlurfte. Er vermutete, dass ihn die Dunkelheit gerettet hatte. Zwei Mal Glück gehabt.
Und nun war er bewaffnet. Er hatte eine zweiläufige Schrotflinte mit sechs Schuss Munition. Er hob Waffe und Munition auf und ging Richtung Ufer, weg von den Gebäuden. Die Monster schienen sich in der Nähe der Gebäude aufzuhalten, darum hoffte er, dass das Ufer sicherer sein würde. Helmut wusste nicht viel über Gewehre, aber er lud die beiden Läufe der Flinte und suchte nach einer Sicherung. Da er keine fand, setzte er voraus, die Waffe sei scharf.
Was hat dein Vater immer gesagt? Wenn du etwas voraussetzt, setzt du uns schon zuvor ins Aus! Er musste sich dessen versichern, und zwar bevor es darauf ankam. Aber nicht hier. Er konnte sie herumgehen hören, und in der Mitte der Stadt so viel Lärm zu machen fand er nicht ratsam. Besser, das Gewehr erst dann auszuprobieren, wenn er weit weg von den Häusern und diesen Kreaturen sein würde. Das schien ihm ein guter Plan zu sein.
Ein Plan, der sofort hinfällig war, als er Schritte auf sich zulaufen hörte. Er legte das Gewehr in Richtung der Schritte an. Freund oder Feind? dachte er, während er auf die Schritte horchte.
Dann sah er die Umrisse des Läufers, aber er war sich ziemlich sicher, dass der Läufer ihn nicht sehen konnte. Mit dem Rücken zur Wand und der Schrotflinte in Anschlag fühlte er sich relativ sicher, als der Läufer näher kam. Nicht weit entfernt sah er ein Tor und er war überzeugt, dass es das war, worauf der Läufer zuhielt.
Dann konnte er ihn erkennen. Verdammt, es ist der dämliche Simpel, und er hat ein paar von den Dingern auf den Fersen. Helmuts Verstand sortierte hastig seine Optionen. Er könnte einfach nichts tun. Er könnte helfen. Er könnte den Simpel erschießen. Sie würden seine Leiche auffressen und das würde ihm die Möglichkeit geben zu entkommen. Großer Gott, wer bist Du? fragte er sich selbst, erst drei Stunden in dieser Scheisse und du verlierst jegliches Mitleid.
Er konnte ihm das einfach nicht antun. Sicher, er war ein Einfaltspinsel, aber das bedeutete nicht, dass er es verdiente kaltblütig ermordet zu werden. „Hey Simpel! Hier rüber!“ schrie er. Der Simpel brauchte einen Moment, bis er begriff, dass jemand da war.
„Helmut, bitte hilf mir, hilf mir“, bettelte er.
„Klar Mann, sicher. Aber nicht hier. Wir müssen sie zum Ufer locken”, rief Helmut.
Helmut rannte und der Simpel folgte ihm, wobei er schnell zu ihm aufschloss. Seite an Seite rannten sie Richtung Ufer, während sie ein ganzer Schwarm Infizierter verfolgte.
„Um dieses Haus rum. Vielleicht schütteln wir so ein paar ab“, rief Helmut. Sie umrundeten das Haus und es hörte sich an, als würden ihnen jetzt weniger Gestalten folgen. Helmut merkte sich das als nützliche Taktik, während sie weiter Richtung Ufer rannten.
Nun konnten sie bereits den Sand unter den Füssen spüren. „Helmut, sie geben nicht auf. Ich renne und renne, aber sie geben nicht auf“, erklärte der Simpel.
„Ich weiß, Mann, ich weiß. Wir müssen anhalten und kämpfen. Ich hab ein Gewehr und du eine Axt, das sollte reichen.“
„Ich will keine Leute mehr umbringen.“
„Das sind keine Leute, Mann. Das sind Monster. Monster darf man umbringen.“
„Man darf?”, fragte der Simpel.
„Ja klar, man darf! Kein Grund Dir Gedanken zu machen.“ In der Dunkelheit war das zwar schwer zu erkennen, aber es schien Helmut, als sei der Simpel erleichtert. „Aber lass uns erst noch weiter weg laufen. Das Gewehr ist sicher laut und ich will nicht noch mehr von ihnen anlocken.“
So rannten sie weiter am Ufer entlang, als die eine Lampe bemerkten, die in ihre Richtung leuchtete. Sie rannten noch schneller, und der Abstand zwischen ihnen und den Infizierten vergrößerte sich. Als sie sich dem Mann mit der Lampe näherten, hörte Helmut eine Stimme.
„Hier lang, kommt hier rauf“, rief der Butcher. Er befand sich auf dem Dach eines kleinen Schuppens und zeigte auf eine Leiter, die an der Seite lehnte. „Klettert rauf, hier oben kriegen sie uns nicht.“
Helmut und der Simpel kletterten die Leiter hinauf und als sie auf dem Dach waren, zog der Butcher die Leiter hoch und legte sie flach auf das Dach.
Die Infizierten erreichten den Schuppen und umrundeten ihn. Dann wurden sie langsamer und suchten schlurfend nach den beiden verschwundenen Männern. Vom Dach aus wurden sie von den Männern beobachtet, wobei der Butcher einen Finger an die Lippen legte, zum Zeichen dass sie sich ruhig verhalten sollten.
„Die hauen nicht ab“, flüsterte Helmut.
Er hatte recht. Die Infizierten wandten sich auf ihrer Suche zwar immer wieder ab, aber sie kamen immer wieder zurück an die Stelle, wo sie ihre Beute zuletzt gesehen hatten.
„Als ob sie’s wissen würden“, murmelte der Butcher.
„Was sind das für Dinger?“, fragte Helmut.
„Schlechte Neuigkeiten, das sind sie“, antwortete der Butcher.
„Monster“, warf Rory ein.
„Ja, das auch“, entgegnete der Butcher. „Weißt Du, wie man damit umgeht?“ Er neigte den Kopf in Richtung Helmuts Schrotflinte: „Soll ich sie nicht lieber nehmen? Ich schieße recht gut.“
„Ich denke, ich werd sie für den Moment lieber behalten, wenn du weißt, was ich meine“, entgegnete Helmut.
„Na klar. Ich wollte bloß helfen.“
Sie konzentrierten sich wieder auf die Infizierten. Helmut, der eine Bewegung an seiner Seite wahrnahm, drehte den Kopf und sah, wie sich der Butcher über die Lippen leckte bevor er ausholte und sein Metallstück in Helmuts Hals bohrte. Helmuts Hände ließen das Gewehr fallen, in dem sinnlosen Versuch, den Blutstrom zu stoppen, der sich aus der klaffenden Wunde an seinem Hals ergoss.
„Du hättest mir die Kanone lieber geben sollen“, tadelte der Butcher, während er das Gewehr nahm und in Helmuts Taschen nach der Munition suchte.
Daneben sah Helmut in das verwirrte Gesicht des Simpels, dessen langsamer Verstand sich gerade bemühte, zu begreifen was vorgefallen war. Helmut wollte ihm sagen er solle den Butcher töten, aber alles was er hervor brachte, war ein ersticktes Gurgeln.
Als er fertig war, stieß der Butcher Helmut vom Dach zu den Infizierten, die unten warteten. Sofort stürzten sie sich auf ihn und begannen, seinen Körper zu zerfetzen. Währenddessen ließ der Butcher auf der anderen Seite die Leiter auf den Boden.
„Hey Dummkopf, lauf lieber. Die sind bald mit ihm fertig“, sagte er, während er hinunter stieg.
Der Simpel schaute abwechselnd von Helmut zum Butcher, der bereits von dem Schuppen wegrannte. Er tat das immer wieder und Helmut konnte förmlich sehen, wie sich sein Denkprozess im Kreis drehte.
„Lauf!“ gurgelte er und zum Glück kam das so klar über seine Lippen, dass der Simpel verstand. Er kletterte die Leiter hinunter und rannte dem Butcher hinterher. Währenddessen schob sich das Gesicht eines Infizierten in Helmuts Blickfeld, der sich über ihn beugte. Seine Augen waren milchig weiß und Blut tropfte von seinem Kinn auf Helmuts Gesicht. Er öffnete den Mund und zeigte seine blutigen Zähne, bevor er sie in Helmuts Wange versenkte und ihm das Fleisch vom Gesicht riss.