32
»Runter mit dir, auf die Knie, runter!«
Ulli stolperte unter dem Tritt, knallte auf Beton, konnte sich nicht abfangen, die Arme auf dem Rücken zusammengebunden, konnte nicht schreien, nicht sehen, Pflasterstreifen rund um den Kopf, nur die Nase frei.
Sie spürte, wie etwas Kaltes, Hartes in ihren Nacken gedrückt wurde, dann, wie es ihr heiß die Schenkel herabrann.
Jemand schrie.
Van Appeldorn wollte sich nicht hinsetzen.
Noch nie hatte Toppe seinen Freund so erlebt. Er lief hin und her, fasste dies an und das, blicklos, ohne es wirklich wahrzunehmen.
Toppe schickte Anna in ihr Zimmer. »Ich weiß, du kannst nicht schlafen«, meinte er leise, »aber.«
»Ich versteh schon. Sie rufen mich doch, wenn was ist, ja?«
»Versprochen!«
Van Appeldorn sah ihn plötzlich hilflos an. »Was kann ich noch tun, Helmut?«
»Hast du ihre Eltern in Berlin angerufen?«
»Nein! Mit denen will sie nichts mehr zu tun haben. Du weißt das doch alles.«
»Trotzdem! Vielleicht ist denen was zugestoßen und Ulli ist Hals über Kopf …«
»Dann hätte sie sich längst gemeldet!«
»Ich rufe trotzdem bei den Eltern an. Hast du die Nummer?«
»Nein. Ulli hat sie bestimmt irgendwo …«
Toppe ließ ihm Zeit.
»Ich werde nicht anfangen, in ihren Sachen zu wühlen!«, brüllte van Appeldorn.
»Norbert.«
Van Appeldorn ließ sich auf einen Sessel fallen und schlug die Hände vors Gesicht. »Schon gut, ich weiß, ich weiß. Hätte ich längst tun müssen.«
»Ich mach’s schon.« Toppe ging über den Flur zu Ullis Arbeitszimmer. Er versuchte, ruhig zu bleiben, aber es fiel ihm schwer, wenn er van Appeldorn im Wohnzimmer tigern hörte: von der Tür rüber zum Fenster, zurück am Schrank vorbei, wieder zur Tür, zum Fenster.
Auf den ersten Blick gaben Ullis Sachen keinen Hinweis auf ihr Verschwinden, aber er wusste selbst, dass er nicht wirklich sorgsam war und mit dem nötigen inneren Abstand suchte.
In einem Adressbuch fand er die Telefonnummer der Eltern. Sie mussten oft umgezogen sein, die Nummer hatte sich ständig geändert, war sechsmal durchgestrichen.
Toppe sprach mit dem Vater und es war eines der scheußlichsten Telefonate, das er je geführt hatte. Der Mann nahm es völlig ohne Erstaunen hin, dass die Kripo mitten in der Nacht anrief, weil seine Tochter verschwunden war. Kein Nachfragen, nicht die Spur von Sorge oder auch nur Anteilnahme. Sie hatten von Ulrike seit Wochen nichts gehört, fertig. Sonst noch was?
Er brüllte, sprang und trat ihr die Pistole mit einer solchen Wucht aus der Hand, dass sie quer durch den Raum flog und sechs Meter weiter gegen die Wand krachte.
Jaulend hielt sie sich den Unterarm. »Du Schwein! Was soll das? Ein Kader willst du sein, du mieses, kleines, feiges Stück Scheiße!«
»Halt deine Fotzenschnauze!«
Er packte die gefesselte Frau, zog sie hoch und schubste sie vor sich her.
»Du bist wahnsinnig!«
»Du sollst deine verdammte Fotzenfresse halten! Komm her und mach den Deckel auf!«
»Du willst sie in die Düngerkiste stecken?« Sie lachte heiser. »Wie lange? Einen Tag, zwei, drei? Die ist nichts als eine scheinheilige Sau, du konterrevolutionäres Arschloch!«
Er holte aus, aber sie duckte sich und hatte auf einmal die Pistole wieder in der Hand. »Du willst mich schlagen?
Überleg dir das noch mal.«
Da hob er die Gefesselte hoch, ließ sie hart in die Kiste fallen und knallte den Deckel zu. »Lass uns reden.«