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Ihr Arbeitstag zu zweit begann mit einem Paukenschlag. Peter Cox hatte kurz nach Mitternacht eine Nachricht aus Prenzlau geschickt:

Waldemar von Bahlow liegt hier tot und begraben auf dem Friedhof; laut Grabstein gestorben im Juni 1944. Habe noch mit keinem Zeitzeugen gesprochen, aber einen guten Hinweis. Mache mich gleich morgen früh auf den Weg. Hotel geringfügig besser, froh, dass Heizdecke mitgenommen. P. C.

»Dann müssen wir wohl oder übel Herrn Waldemar von Bahlow in Nierswalde noch einmal unsere Aufwartung machen«, sagte Astrid und fing an, ihr Haar zu flechten. Das tat sie immer, wenn ein Termin anstand, bei dem sie distanziert und besonders professionell wirken wollte. Bevor sie den Zopf fertig hatte, kam die nächste E-Mail:

Ia Zeitzeugin gefunden: ehemalige Köchin auf Rittergut Bahlow (heute 74 Jahre alt). Waldemar ist definitiv tot!!! Ausführliche Mail folgt in wenigen Stunden (inkl. aller Gesprächsprotokolle aus Koszalin) P.C.

Sie warteten vor von Bahlows Tür, sein Arzt war gerade bei ihm. Die Schwiegertochter lief geschäftig hin und her und traktierte sie zwischendurch mit bösen Blicken.

Schließlich kam der Arzt heraus. Er war jung und reichlich gelackt. »Ich höre, Sie sind von der Kripo? Wenn Sie unbedingt mit Herrn von Bahlow sprechen müssen, bitte. Aber ich habe ihm gerade eine Spritze gegeben. Er wird schläfrig sein.«

Von Bahlows Körper mochte angeschlagen sein, aber sein Geist funktionierte offensichtlich noch sehr gut. Er sah ihnen hochmütig entgegen. »Was kann ich heute für Sie tun, meine Herren? Oh, Verzeihung, meine Dame!«

Toppe hielt sich nicht mit Floskeln auf. »Waldemar von Bahlow ist tot. Er ist im Juni 1944 in Prenzlau begraben worden.«

Die Schwiegertochter gab einen fassungslosen Laut von sich und von Bahlow machte einen vergeblichen Versuch, sich aufzusetzen. »Wer?«

»Sie haben mich schon verstanden, Waldemar von Bahlow, Sie sind tot.«

»O Herr!« Der alte Mann legte den Kopf in den Nacken und lachte lautlos mit offenem Mund. »Ich bin hier! Ich lebe! Noch lebe ich! Was also wollen Sie von mir?« Seine Sprache verwusch sich langsam.

Astrid ging neben dem Kopfende des Bettes in die Hocke. »Wie kann Waldemar von Bahlow in Prenzlau begraben sein, wenn Sie hier liegen? Wie kann das sein? Erklären Sie uns das. Sagen Sie uns, wer Sie wirklich sind.«

Er drehte ihr das Gesicht zu. »Absurd«, nuschelte er. »Beweisen Sie mir diesen skandalösen Unsinn.« Das Sprechen machte ihm inzwischen Mühe und seine Schwiegertochter hielt es nicht mehr aus. »Lassen Sie ihn endlich zufrieden! Ein Grab in Brandenburg! Großer Gott, Sie müssten doch selbst wissen, wie das damals war. Wer weiß, wer da alles unter welchem Namen begraben worden ist? Es ging doch alles drunter und drüber. Ein Menschenleben zählte doch nichts damals, gar nichts. Kriegswirren! Vater hat so oft davon erzählt, wie man alles zurückgelassen hat, geflüchtet ist, froh war, wenn man sein nacktes Leben retten konnte.«

»Ja«, sagte Astrid und trat vom Bett zurück. »Es ist schon in Ordnung.«

Von Bahlow war eingeschlafen.

Gegen den Kotflügel von Toppes Wagen gelehnt, stand Ackermann und summte vor sich hin. Was er hier mache? Sich das Dorf anschauen! Schließlich sei er der Einzige, der sich hier noch nicht umgeguckt habe, und das ginge so nicht. Außerdem müsse er mal raus aus dem Archiv, sonst riskiere er eine Staublunge. Er habe sehen wollen, wie der Kaiser von Nierswalde so residierte, und dabei Toppes Auto entdeckt. »Gibbet wat Neues?«

Er hörte sich den ›Paukenschlag‹ gespannt an und reagierte für seine Verhältnisse moderat. »Boah! Dat wird ja immer besser! Den kriegen wer noch bei de Hammelbeine, glaubt et mir. Ich hab dat im Urin.«

Eigentlich war er auf dem Weg zur Baustelle, wo gerade der Dachstuhl montiert wurde.

»Ich wollt ma’ ’n bisken mit de Arbeiters plaudern, von wegen Vandalen un’ so. Un’ dann will ich auch noch diesen Menschenfreund kennen lernen, ihr wisst schon, den Billiganwalt.« Er kniff ihnen in bewährter Manier ein Auge und schickte sich an zu gehen. »Volles Programm heut bis inne Nacht«, meinte er noch. Seine Frau würde ihn abends hier treffen und dann wollten sie in von Bahlows Restaurant »lecker essen gehen«.

»Die Mutti immer schön bei Laune halten, dat is meine Devise. Die macht schon genug mit bei unsern Job.«

»Was gibt es, Arend?«

Der Diensthabende an der Wache hatte Toppe einen Zettel zugeschoben: Pathologie zurückrufen.

»Helmut? Das ging aber schnell! Ich bin in einer etwas dummen Lage mit der Dame, die ihr mir gestern geschickt habt. An der rechten Innenhand habe ich zwei Stellen gefunden, die mir sehr nach Strommarken aussehen.«

»Ein Stromschlag!« Toppes Herz klopfte laut. »Durch was?«

»Könnte sich um ein Kabel gehandelt haben. Und ich sage bewusst ›könnte‹, denn genau da liegt das Problem. Du weißt, in welchem Zustand der Leichnam ist. Ich kann nur eine Vermutung äußern, aber ich kann mich nicht hundertprozentig festlegen. Es tut mir wirklich Leid, Helmut.«

»Das heißt, vor Gericht würde dein Gutachten nicht durchkommen.«

»Mit Sicherheit nicht.«

Toppe fluchte. »Dank dir trotzdem«, besann er sich. »Eine andere Frage: Wenn ich dir eine Waffe bringe, könntet ihr feststellen, ob es diejenige ist, mit der Opitz getötet wurde?«

»Schwierig. aber wenn ich die dazu passende Munition hätte, die gleiche, die bei Opitz benutzt worden ist, dann wäre es vielleicht möglich.«

Astrid hatte den PC eingeschaltet und saß kopfschüttelnd davor.

»Peter hat noch nichts Neues geschickt, nur die Gesprächsprotokolle aus Koszalin. Die musst du mal lesen. Mein Gott, war dieser Konstantin ein Schwein! Da wird einem ganz schlecht.«

Toppe beugte sich über ihre Schulter und überflog den Text. »Lass uns nach Hause fahren.«

»Es ist doch noch nicht mal ein Uhr! Was ist denn?«

»Ich muss hier raus.«

Zu Hause war niemand, alles ausgestorben.

Während Astrid Kakao kochte und Brote strich, brütete Toppe vor sich hin. Eine tolle Wohngemeinschaft war das! Im Grunde lief es doch wieder auf die alte Geschichte hinaus: Papa – Mama – Kind und Tagesvater. Großartig!

Gabi lieferte nur noch Gastauftritte, brachte manchmal Henry mit, aber ihr Zuhause war das hier offenbar nicht mehr. Und Oliver kriegte man auch nur zu Gesicht, wenn er seine dreckige Wäsche brachte oder den Kühlschrank plünderte, ansonsten hielt er sich bei seiner ziemlich dummen Freundin Stefanie auf. Christian lebte in Köln mit Clara zusammen, die genauso verquer war wie sein Sohn. Die dümpelten da vor sich hin, studierten mal dies, mal das, jobbten irgendwo. Trotzdem erwartete der junge Mann ganz selbstverständlich den monatlichen Scheck von seinen Eltern. In der Regel ließ er sich nur zu Weihnachten blicken, schlug sich dann drei Tage lang den Bauch voll und verschwand wieder.

Den größten Teil der Zeit stand das halbe Haus leer und verschlang jeden Monat Unsummen. Der so heißherzig angelegte Gemüsegarten verwilderte, die beiden Schafe und die Hühner waren nur noch lästig.

Man sollte den Tatsachen ins Auge sehen und endlich Nägel mit Köpfen machen: den Hof verkaufen, dann konnte jeder seiner Wege gehen. Aber bei der Vorstellung, wieder mit Wohnzimmer, Schlafzimmer, Kinderzimmer anzufangen, wurde Toppe ganz flau.

Halb Kleve hatte sich damals das Maul zerrissen über ihre WG. Der Hauptkommissar hatte zwei Frauen! Ja, für eine kurze, völlig verrückte Zeit, eine ganz kurze Zeit.

Wie Jelinek Astrid heute in seiner Fantasie ausgezogen hatte und ihr Lächeln dann. Er war doch tatsächlich eifersüchtig, immer noch. Blöde, völlig schwachsinnig! Als er sich, wider alle Vernunft, auf eine Beziehung zu Astrid eingelassen hatte, war er immer davon ausgegangen, dass es nicht von Dauer sein würde, nicht mit dem Altersunterschied. Und er hatte sich vorgenommen, schnell und leise zu verschwinden, für immer, wenn sie genug von ihm hatte. Aber dann war Katharina gekommen und hatte sein Hintertürchen zugeknallt.

Astrid stellte den Teller mit den Broten auf den Tisch und reichte ihm den Kakaobecher. »Sag’s!«

»Ach, es ist wegen unserem Haus hier, diese so genannte Wohngemeinschaft!«

Sie hörte ihm schweigend zu. »Stimmt, hier läuft was ziemlich schief«, meinte sie dann. »Du hast schon Recht, wir könnten natürlich alles verkaufen, aber es gibt auch eine andere Möglichkeit, denke ich. Streich Christian endlich seinen monatlichen Scheck. Was glaubst du, wie schnell der dann in die Gänge kommt. Und dann schmeiß ihn endgültig raus. Das wird dem nur gut tun. Dann wären zwei Zimmer frei, die sowieso nur leer stehen. Henry könnte fest hier einziehen und vielleicht auch Stefanie.«

Sie musste lachen, als sie sein Gesicht sah. »Na gut, Stefanie nicht. Aber dann muss Oliver sich entscheiden, wo er leben will. Der kann auch nicht nur schmarotzen. Wir müssen uns einfach neu sortieren.«

»Und wenn die alle gar nicht wollen. Wenn Gabi viel lieber zu Henry ziehen würde?«

»Dann soll sie es sagen. Ihr gehört ein Drittel vom Hof. das könnte auch jemand anders kaufen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Gabi ihr Reich aufgeben möchte.«

»Na ja, wahrscheinlich nicht …«

»Bestimmt nicht. Helmut, wir drei als Kleinfamilie in einem Reihenhäuschen, das würde nie gut gehen. Meinst du, das weiß ich nicht? Also lass uns die Sache anpacken. Lass uns ein WG-Treffen machen, gleich am Samstag, falls wir Christian erwischen.«

»Nein«, erwiderte er. »So sehr drängt das nun auch nicht. Ich will erst den Fall vom Tisch haben.«

Am nächsten Morgen war eine neue E-Mail von Cox da:

Die Köchin ist bereit, das Folgende unter Eid auszusagen: Als sie Anfang Juni 1944 (an das genaue Datum erinnert sie sich nicht) zur Arbeit auf dem Gut der von Bahlows erschien, fand sie alle Türen offen, das Innere verwüstet. In der Bibliothek lag Waldemar von Bahlow neben dem geöffneten Tresor, getötet durch einen Genickschuss. Später wurde auf dem Innenhof der tote Melker gefunden. Ihm war viermal in den Rücken geschossen worden. Das Verbrechen wurde nie aufgeklärt; man hat anscheinend nicht einmal den Versuch gemacht. Es muss Chaos gewesen sein: Flüchtende, durchziehende Truppen, Plünderer zuhauf viele Tote, herumirrende Kinder, zurückgelassene alte Menschen.

Zum Tresor: Seit Mitte des letzten Jahrhunderts hat die Familie von Bahlow ihr Vermögen in Edelsteinen angelegt, die im Tresor der Bibliothek aufbewahrt wurden: Diamanten, Smaragde und Rubine. Die Köchin erinnert sich, dass von Bahlow besonders stolz auf seine »gelben Diamanten« war (was immer das sein soll) und auf einige Brillanten, die damals angeblich schon über 150 Jahre alt waren. Der Tresor war nicht

aufgebrochen, W. v. Bahlows Schlüsselbund steckte noch im Schloss!!! Erbitte weitere Anweisungen. Suche derweil nach anderen Zeitzeugen. P. C.

Toppe und Astrid dachten so ziemlich das Gleiche: Hatte Konstantin von Bahlow seinen Bruder getötet, sich dessen Papiere genommen, die Edelsteine in die Tasche gesteckt, seine Uniform verschwinden lassen und sich in den Strom der Flüchtlinge eingereiht?

Diamanten! Das konnte die Antwort auf die Frage sein, wie von Bahlow an sein Geld gekommen war. Er hatte immer bar bezahlt. Also musste er die Steine verkauft haben.

Sie hatten beide dieselbe Idee, Astrid sprach sie aus: »Jocelyne.«

Jocelyne war Wim Lowenstijns Freundin, Diamantenhändlerin und -expertin in Antwerpen.

»Ich rufe Wim an.« Astrid tippte die Nummer ein.

»Grüß dich, Wim, hier ist Astrid …« Sie lachte. »Nein, ich habe Helmut nicht endlich verlassen. Ja … Nein, deine Briefmarkensammlung will ich immer noch nicht sehen.« Nach einer Weile kam sie tatsächlich dazu, ihm zu erklären, worum es ging. »Viel Konkretes haben wir nicht. Warte mal. Ja, Rubine, Smaragde und Diamanten. Nach 1945, genau. Besonders waren wohl ›gelbe Diamanten‹ und Brillanten, die zu der Zeit schon über 150 Jahre alt gewesen sein sollen … Ja, richtig. Hast du’s? … Prima! Bringt wahrscheinlich nichts, aber. Meinst du? Na, das war was … Ja, ja, okay. Dank dir! … Ja, ja, natürlich bist du der Erste, der es erfährt, wenn ich ihn verlasse. Ja, auch die Briefmarkensammlung, du Verrückter! Tschüs … Ja, Ciaoiii!«

Sie legte auf. »O Mann, jetzt ist der auch schon dieser Ciaoiii-Fraktion beigetreten!«

»Und er flirtet dich immer noch an.«

»Klar, sonst würde ich mir auch ernsthafte Sorgen machen. Also pass auf, er hat zwar keine genaue Ahnung, aber er meint, besondere Steine wären in Fachkreisen bekannt, ganz egal, wie lange es her sei, dass sie auf den Markt gekommen sind. Zumal diese Steine oft etliche Male den Besitzer wechseln und immer mal wieder auftauchen. Wim fährt heute sowieso nach Antwerpen und kann Jocelyne drauf ansetzen.«

»So langsam kreisen wir ihn ein«, meinte Toppe ungewohnt zuversichtlich.

»Wen?«, kam es von der Tür. Es war van Appeldorn, der beim Baumarkt um die Ecke Schrauben und Dübel hatte besorgen müssen und neugierig gewesen war, wie die Dinge inzwischen standen.

Er hörte zu und legte die Stirn in immer tiefere Falten. »Was ist, wenn von Bahlow weiter leugnet? Wenn Ackermann nichts findet? Es wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben, als Waldemar in Prenzlau auszugraben und die ganze Palette anzuleiern, Zahnstatus et cetera, und drüben dasselbe ›Unternehmen Sisyphos‹ zu starten wie Ackermann hier. Ich denke, Peter kann Hilfe gebrauchen. Ich könnte hinfahren. Aber bitte erst am Mittwoch. Montag ist Feiertag und Dienstag tritt Ulli ihre neue Stelle in Nierswalde an. Da wäre ich schon gern in der Nähe.«

Toppe nickte zustimmend, immer noch optimistisch.

Aber Astrid seufzte. »Mit viel Glück können wir beweisen, dass Waldemar von Bahlow tatsächlich Konstantin von Bahlow ist. Ein widerwärtiger, menschenverachtender Kriegsverbrecher. Dafür geht er dann für den kurzen Rest seines Lebens vielleicht noch in den Knast. Vielleicht können wir sogar noch beweisen, dass er seinen eigenen Bruder umgebracht hat. Auch fein. Aber wie, um Himmels willen, wollen wir ihm nachweisen, dass er Jakob Opitz getötet hat? Und womöglich auch dessen Witwe?«

»Es gibt eine winzige Chance, wenn wir die Waffe finden«, antwortete Toppe.

»Dann lass uns doch suchen!«

»Zu früh. Oder zu spät, wie man’s nimmt.«

Van Appeldorn war noch nicht ganz draußen, da kam Ackermann herein. Ein leiser, stillvergnügter, geheimnisvoller Ackermann. »Dürfte ich wohl Platz nehmen? Ja? Vielen herzlichen Dank auch.« Er setzte sich geziert auf den Besucherstuhl und schlug graziös die Beine übereinander. Der fehlende Schnürsenkel an seinem linken Turnschuh und die heruntergerutschten Socken störten das Gesamtbild allerdings ein bisschen.

»Nun, was soll ich sagen? Den ersten Vandalen hätten wir am Kanthaken.« Dann sprang er auf und tobte durchs Büro. »Habt er ’t geschnallt? Habt er ’t kapiert? Ich hab den links überholt, ich hab den dingfest gemacht!«

»Wen denn?« Toppe erholte sich langsam von dem seltsamen Auftritt.

»Na, diesen Richard, diesen alten Westentaschencasanova!«, brüllte Ackermann.

»Richard von Bahlow?«

»Genau! Endlich angekommen! Wo van Gemmern mir verklickert hat, er hätt so schöne Fingerspuren, da hab ich mir gesagt, Jupp, wenn de schon im Dorf bis’, guckste, dat de ’n paar Fingerabdrücke kriegs’. Ganz unauffällig, versteht sich.«

So langsam wurde Ackermann wieder ruhiger. Er schob die Brille hoch und strahlte sie an. »War bloß ’n Schuss in ’t Blaue – aber, wat sach ich? Volltreffer! Wie ich mit der Mutti beim Essen sitz’ – war übr’ens echt gut-, denk ich mir, warum nich’? Könnt doch sein … Also lass ich mir den Chef annen Tisch kommen, mach so ganz auf große Welt, von wegen, ich war vonne Bullizei un’ wollt doch ma’ persönlich, von wegen, wat dat für ’n klasse Laden is’ un’ so. Tja, wat sach ich? Rechnung aufgegangen! Die Bierkes hat er uns dann persönlich serviert. Weiß ja, wat sich gehört, der Mann. Außer auf Baustellen, hä, hä, aber dat nur am Rande. Un’ wat macht Ackermann? Nimmt ’n Taschentüchsken, kippt sich dat Bier innen Rachen un’ packt schön vorsichtig dat Glas ein. Bringt et dann heute – immer noch schön vorsichtig – nach van Gemmern hin, un’ wat sacht der mir grad? Na?«

»Ich will nicht mehr«, jammerte Astrid. »Als hätten wir nicht schon genug Chaos. Ich weiß, ich bin die Jüngste hier, aber so langsam schwirrt mir der Kopf.«

»Dann nehme ich Ackermann mit«, beschloss Toppe. »Du kannst dich ja an die Berichte setzen. Wir sind ganz schön im Verzug.«

Ackermann fühlte sich geehrt. »Erzählen Se mir unterwechs ’n bisken mehr über diesen alten Schwerenöter, Chef? Un’ am besten wäret wohl, wenn ich ers’ ma’ meine große Klappe halt, wa?«

Es war erst elf Uhr und an der Rezeption trafen sie nur Mechthild von Bahlow an. »Mein Mann schläft noch. So haben wir das eingeteilt. Richard bleibt bis zum Schluss im Restaurant, dafür übernehme ich dann die Frühschicht im Hotel. Aber ich kann ihn gerne wecken.«

Es dauerte lange, bis von Bahlow, umgeben von einer Wolke morgenfrischen Aftershaves, auftauchte. »Meine Herren«, begann er, aber dann fiel sein Blick auf Ackermann und er kam aus dem Konzept.

»Wir sollten in den Frühstücksraum gehen«, bemerkte Toppe kühl.

»Ja, selbstverständlich, wie Sie wünschen. Mechthild? Kaffee bitte!«

Als seine Frau mit dem Tablett kam, war von Bahlow längst eingebrochen. »Ein Dumme-Jungen-Streich, mehr nicht.«

Mechthild knallte die Tassen auf den Tisch. »Bist du endlich aufgeflogen?«

»Sie haben davon gewusst?« Toppe sah zu ihr hoch.

»Gewusst? Gewusst! Denken Sie, ich kriege nicht mit, wenn mein Mann sich heimlich aus dem Bett schleicht? Ich brauchte nur zwei und zwei zusammenzuzählen.«

»Gut«, sagte Toppe und wandte sich wieder Richard zu, der jetzt so gar nichts Glattes, Gebügeltes mehr hatte. »Wer war noch mit dabei?«

»Keiner!«

Mechthild quietschte und von Bahlow erdolchte sie mit seinem Blick. »Meine Brüder«, gab er leise zu. »Max und Conny. Sonst keiner.«

»Und Ihr Vater wusste davon?«

»Nein!«

»Ha!« Wieder Mechthild. »Und wie der davon wusste! Allerdings erst hinterher. Ich hab nämlich mitgekriegt, wie du ihm das ganz stolz erzählt hast. Der kleine Prinz wollte Streichel von seinem Papa, weil er so brav gewesen war. Hat doch auch sonst immer die Drecksarbeit erledigt, das gute Kind. Aber diesmal hat der Alte dir eine geschallert und euch zurückgepfiffen. Die ganze Blase, die drei lieben Bubis. Und dieses Weihnachten könnt ihr euch die üblichen 10.000 von der Backe putzen, hat er auch noch gesagt. Ich stand direkt hinter der Tür.«

»Ja, denn …« Ackermann gähnte. »Wollen wer doch ma’ sehen, dat wir die Chose in trockene Tücher kriegen. Ich würd sagen, rufen wer die grünen Kollegen, dat se die anderen Vandalen einsacken. Spart uns Arbeit für Doofe. Den Kandidat hier nehmen wer mit un’ dann treffen wer uns alle auffe Wache für die Aussagen. Wat steht eigentlich auf so wat, Chef? Ich glaub, dat is’ nich’ zu knapp. Könnt sein, liebe Frau, Se müssten schon ma’ Ausschau halten nach so ’n Übergangsprinz, der genauso schöne optische Kilometer in ’t Geschäft bringt.«