11

Charlotte Meinhard wurde nervös. Nierswalde war in aller Munde. Schon der Brandanschlag auf das kurdische Geschäft hatte für eine Menge Wirbel in der Presse gesorgt, aber seit dem Fund des Monsters aus dem Schlamm, wie eine überregionale Zeitung getitelt hatte, stand das Telefon im Büro der Chefin nicht mehr still. Am schlimmsten waren für sie die Fragen nach dem Sinn und Zweck einer Musterbehörde, die nicht in der Lage war, eine simple Brandstiftung aufzuklären. Der Modellversuch ›Kundenorientiertes Steuerungsmodell‹ am Klever Präsidium war schließlich ihr Kind.

Beim zweiten Treffen, zu dem sie das KK 11 zusammenrief, verlor sie zum allerersten Mal für eine Weile die Fassung. »Ich verlange, dass Sie gemeinsam an beiden Fällen arbeiten, und zwar mit doppeltem, wenn nicht dreifachem Einsatz! Ist das klar? Und ich muss Ihnen ja wohl nicht sagen, wie man so etwas koordiniert.«

Van Appeldorn zog die Augenbrauen hoch. »Korrigieren Sie mich bitte, wenn ich falsch liege, aber haben Sie nicht erst vor einer knappen Woche darauf bestanden, dass wir in zwei getrennten, neuen Teams arbeiten?«

Die Meinhard riss an ihrer Perlenkette, als wäre sie ihr zu eng geworden. »Ihr Sarkasmus, Herr van Appeldorn, bringt uns nicht weiter. Und im Übrigen vergreifen Sie sich im Ton!«

Er legte die Handflächen gegeneinander und verneigte sich schweigend. Sie sah gar nicht hin. »Und Sie, Herr Cox, wieso haben Sie über das Netz immer noch nichts über diese kurdische Familie herausgefunden? Zeit genug hatten Sie ja wohl!«

Peter Cox blieb ganz freundlich. »Ich verbringe pro Tag exakt fünf Stunden am PC und keine Minute länger. Es gibt genügend arbeitsmedizinische Untersuchungen, die belegen, dass damit bereits die Strahlungstoleranz überschritten ist. Aber das wissen Sie doch schon seit meiner Einstellung.«

Toppe fing an, sich auf die Zusammenarbeit mit diesem Mann zu freuen. Bisher hatte er ihn nur als reichlich verschroben abgetan.

Peter Cox trug grundsätzlich dunkle Maßanzüge mit kragenlosen Hemden und teure italienische Schuhe. Wenn er nach draußen ging, hüllte er sich in einen fast bodenlangen Mantel und setzte einen breitkrempigen Hut auf. Er rauchte täglich exakt dreizehn Zigaretten: zehn filterlose Lucky Strike und nach den Mahlzeiten gestattete er sich je eine Philip Morris. Außerdem nahm er dreimal täglich genau zwei Stücke Toblerone-Schokolade zu sich. Die Portionen waren säuberlich in Alufolie abgepackt. Er bot niemals jemandem etwas an, es wäre ihm nicht in den Sinn gekommen.

»Ach, Herrgott noch mal!« Charlotte Meinhard brauste noch mal auf, aber dann hatte sie sich urplötzlich wieder im Griff. »Ich schlage vor, Sie kümmern sich alle einstweilen ausschließlich um den Brandanschlag. Die Öffentlichkeit ist dabei, uns zum Popanz zu machen, und weder Ihnen noch mir steht diese Rolle. Sollte es nötig sein, bin ich gern bereit, Ihnen einen zusätzlichen Mann zur Verfügung zu stellen, damit die Sache endlich vom Tisch kommt. Auf Herrn Ackermann können wir diesmal allerdings nicht zurückgreifen. Der hat kurzfristig Urlaub genommen, weil er dringende Reparaturen an seinem Haus vornehmen muss.«

»Da sind wir aber traurig«, murmelte van Appeldorn, der ein höchst gespaltenes Verhältnis zu diesem Kollegen vom Betrugsdezernat hatte, aber wieder beachtete die Meinhard ihn nicht. »Herr Toppe, bitte übernehmen Sie die Koordination. Sie haben meine volle Unterstützung.«

Sie trafen sich an Cox’ Computer und zündeten sich erst einmal alle eine Zigarette an. Nur Cox verzichtete, nachdem er die Kippen in seinem Aschenbecher gezählt hatte.

»Übrigens«, sagte er, »ich habe meine Überprüfungen abgeschlossen. Nichts zu finden, die Eroglus sind sauber.«

»Na, dann koordiniere ich mal«, meinte Toppe, setzte sich und nahm ein Blatt Papier. Wenn er nachdachte, machte er sich meistens Notizen und oft entdeckte er später darin den roten Faden. »Was haben wir oder vielleicht besser: Was haben wir nicht? Wir haben bisher keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Brandstifter aus Nierswalde kommt, richtig? Und es gibt keinen konkreten Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen dem Vandalismus an der Baustelle und dem Brandanschlag. Im Grunde haben wir bisher nicht einmal ein stichhaltiges Motiv. Vielleicht sollten wir da noch einmal ansetzen. Du hast doch gestern wieder mit den Geschwistern Eroglu gesprochen, Norbert. Ist was dabei rumgekommen?«

»Nichts Neues. Aber wenn ihr mich fragt, die haben vor irgendwas Angst, besonders Ayse.«

Astrid wickelte sich eine Haarsträhne um den Zeigefinger. »Mir geht die ganze Zeit im Kopf herum, was die beiden Frauen in Nierswalde erzählt haben: Ihre Söhne würden freiwillig einkaufen gehen, wenn Ayse im Laden ist, und sie wäre so ein hübsches Mädchen. Vielleicht hat sie denen ja nicht nur schöne Augen gemacht.«

»Daran habe ich auch schon gedacht«, erwiderte van Appeldorn. »Aber selbst wenn, das erklärt doch den Brand nicht.«

»Doch, doch«, meinte Cox. »Wie soll ich das ausdrücken? Ist das eine traditionelle Familie? Ich meine, ist das Mädchen vielleicht irgendwem versprochen?«

Astrid sah van Appeldorn an. »Keine Ahnung …«

»Also gut«, beschloss Toppe. »Es lohnt sich auf jeden Fall, in der Richtung zu suchen. Zwei von uns fahren nach Wesel. Ruf doch mal an und guck, ob die da sind.«

Astrid ging zum Telefon.

In diesem Augenblick klopfte es und van Gemmern kam ins Zimmer. »Ich habe meine Ergebnisse ausgewertet. Interessiert das im Moment?«

Er hatte schöne, klare Fingerabdrücke am Bagger gefunden, die weder vom Baggerführer noch von den Arbeitern stammten. Die gleichen Fingerspuren gab es auf einem Schraubenschlüssel, der am Tatort gelegen hatte. Leider waren die Abdrücke nicht registriert. Weiter gab es Spuren von Gummistiefelsohlen. »Wenn Sie mir die Stiefel bringen, kann ich sie problemlos abgleichen. Da gibt es ein paar eindeutige Merkmale. Außerdem müssten Reste von Karbolineum in den Profilrillen sein.«

Mit der Auswertung des Erdreiches aus der nassen Gruft unter dem Betonfundament war er noch nicht fertig. Bisher hatte er ein paar Fasern gefunden, die von Kleidung stammen konnten, und einen hellblauen Knopf, der vermutlich einmal zu einem Hemd gehört hatte. »Ich kann allerdings mit Sicherheit feststellen, dass es sich nicht um ein Massengrab handelt«, sagte van Gemmern mit einem seltenen Anflug von Humor in der Stimme. »Die Sektion ist übrigens für Freitagmorgen um 6 Uhr angesetzt. Ich habe vor einer halben Stunde mit Bonhoeffer gesprochen.«

Toppe nickte ergeben. Mittlerweile war er an diese unchristlichen Zeiten gewöhnt. Pathologen hatten, was Leichenöffnungen anging, ihre ganz eigene, jahrhundertealte Tradition. »Sollen wir uns hier um Viertel nach fünf treffen? Dann können wir zusammen hinfahren.«

Astrid hatte ihr Telefonat beendet. »Ayse ist nicht da. Sie macht Urlaub in der Türkei. Der Brand habe sie seelisch doch sehr mitgenommen, sagt ihr Bruder.« Sie sah wütend aus. »Der Onkel, den ich dann plötzlich ungefragt an der Strippe hatte, meint, Ayse hätte einen schweren Schock und sie wäre bei Verwandten, um sich zu erholen. Mindestens für ein paar Wochen, aber es könnte auch sein, dass sie gar nicht mehr nach Deutschland zurückkommt.«

Die Tür klappte, van Gemmern war gegangen.

»Prima!« Peter Cox rieb sich die Hände. »Wir scheinen endlich auf der richtigen Spur zu sein. Hut ab, Astrid!«

»Ich schätze, wir müssen wohl zunächst mal diesen einkaufenden Söhnen auf den Zahn fühlen«, meinte van Appeldorn säuerlich.

»Wie ist dieser Hüseyin?«, wollte Toppe wissen. »Kriegt man den geknackt?«

Van Appeldorn zuckte die Achseln. »Auf die Dauer bestimmt.«

»Okay, dann versuche ich mal mein Glück. Ich fahre mit Peter nach Wesel. Für euch heißt das …«

». schon wieder Nierswalde«, vollendete Astrid den Satz.

Van Appeldorn streckte seine langen Glieder. »Vielleicht sollte ich mich wegen unserer neuen Wohnung mal in diesem beschaulichen Dorf umtun. Würde eine Menge Kilometer sparen. Und wenn jetzt meine Liebste auch noch da arbeitet.«

Diesmal bemühte sich die Familie Eroglu gar nicht erst, ihre Ablehnung zu verbergen. Auch die paar Brocken Kurdisch, die Peter Cox zusammenstoppelte, halfen nicht. Hüseyin war offenbar verunsichert, weil er es plötzlich mit anderen Polizisten zu tun hatte, er kriegte die Zähne nicht mehr auseinander. »Ich muss Sie bitten, noch einmal mit uns ins Präsidium zu kommen«, forderte Toppe ihn auf.

»Bin ich verhaftet?«

»Nein, natürlich nicht. Wir werden Sie nur noch einmal vernehmen müssen.«

»Aber ich kann Ihnen nichts anderes sagen!«

Der Onkel, der wieder schweigend die Szene beherrscht hatte, zischte ein paar Worte und Hüseyin fügte sich. Mit hängenden Schultern folgte er ihnen zum Wagen.

Astrid konnte es gar nicht glauben, dass sie auf Anhieb Glück hatten, und auch van Appeldorn wirkte ein wenig vor den Kopf gestoßen. Keiner von beiden war wohl davon ausgegangen, in Nierswalde jemals auch nur irgendeine Antwort zu bekommen.

Der Pastor hatten ihnen die Adressen der Damen von der Frauenhilfe gegeben und glücklicherweise entpuppte sich die forschere der beiden als Klatschbase. Ihr Sohn sei nicht zu Hause, Nachmittagsunterricht, so sei das nun mal auf dem Gymnasium, da könne man nichts machen. Aber wo dachten Sie denn hin? Sie hätte doch am Freitag nur einen Scherz gemacht! Ihr Junge sei doch gerade erst sechzehn geworden und er wäre sowieso viel zu schüchtern. Doch sie hätte da so einiges munkeln hören, was den Ältesten von Naujocks anging. »Ich müsste mich schon sehr täuschen, wenn der sich nicht abends immer mit der Ayse auf dem Spielplatz rum drückt. Tja, jetzt ist das Häuschen ja nicht mehr da. Pech! Aber bitte, ich habe nichts gesagt! Den Stefan müssen Sie nicht lange suchen. Der ist bei uns in der Lehre.«

Stefan Naujock bündelte Baccara-Rosen. Der Duft im Binderaum nahm einem im ersten Moment den Atem.

»Van Appeldorn, Kripo Kleve. Wir hätten Sie gern gesprochen.«

»Mich?« Der schmale, semmelblonde Junge lief dunkelrot an.

»Ja, Sie! Und zwar in Zusammenhang mit dem Brandanschlag auf Eroglus.«

»Was?« Fahrig streifte er sich die Handschuhe ab. Nun war sein Gesicht weiß, nur am Hals glühten rote Flecken. »Wo waren Sie in der Nacht zum 30. September?«

»Ich?«

»Ganz recht, Sie!«

»Ich weiß nicht. Wieso denn?«

Van Appeldorn machte einen Schritt auf ihn zu. »Es wäre höchst erfreulich, wenn Sie sich langsam zu einer Antwort durchringen könnten.«

»Vielleicht sollten wir uns erst einmal hinsetzen«, meinte Astrid beschwichtigend und zeigte auf die schmale Bank an der Wand.

Der Junge schlurfte hinüber, ließ sich nieder und starrte auf die Kappen seiner Arbeits schuhe. Astrid setzte sich leben ihn, van Appeldorn blieb stehen.

»Also wird’s bald? Wo waren Sie in der besagten Nacht?«

»Zu Hause.«

»Zeugen?«

»Meine … meine Mutter. Und mein Bruder Alf.« Auf einmal sah er hoch. »Wir schlafen im selben Zimmer.«

»Sie sind mit Ayse Eroglu befreundet?«, fragte Astrid.

Er drehte sich zu ihr um, seine Unterlippe zitterte.

»Oder drücken wir es doch genauer aus«, sagte van Appeldorn. »Du hast ein Verhältnis mit ihr.«

Stefan schüttelte nur den Kopf.

»Ach so! Sie hat dich nicht rangelassen.« Van Appeldorn grinste. »Und deshalb hast du ihr die Bude abgefackelt.«

»Nein!«, schrie der Junge und fasste die Bank so fest, lass seine Finger weiß wurden.

»Sie lieben Ayse, nicht wahr?« Astrid sprach leise.

Stefan nickte gequält.

»Und Ayse? Liebt die Sie auch?«

Er nickte wieder und fing an zu schluchzen. »Das darf aber niemand wissen«, presste er schließlich hervor. »Ayse ist doch Kurdin und …«

»Und?« Van Appeldorn baute sich breitbeinig vor dem Jungen auf.

Plötzlich hörte Stefan auf zu weinen und wischte sich den Speichel aus dem Mundwinkel. »Nach meiner Prüfung wollten wir zusammen weg, heimlich. Ihre Familie, die hätte das nie erlaubt, nie. Die lassen mich auch jetzt nicht an sie ran. Ich hab schon hundertmal angerufen. Ich bin sogar schon hingefahren. Ich muss sie sehen!«

»Das dürfte schwierig sein«, meinte van Appeldorn. »Ayse ist nämlich in der Türkei.«

Astrid hätte ihn am liebsten getreten, aber Stefan nahm die Neuigkeit hin, als hätte er nichts anderes erwartet.

»Ayse ist verlobt mit einem Kurden, schon lange.«

»Wie heißt der Mann, wo wohnt er?«, schoss van Appeldorn wieder seine Fragen ab.

»Deniz.«

»Deniz, fein, und weiter?«

»Deniz Eroglu.«

»Blödsinn!«

»Doch, aber sie sind nicht richtig verwandt.«

»Stefan?« Astrid fasste nach seiner Hand. »Wusste Deniz von dir und Ayse?«

»Nein! Ich weiß nicht.« Jetzt liefen wieder die Tränen. »Sie wollte ihm sagen, dass sie ihn nicht heiraten kann, aber ich habe sie danach nicht mehr gesehen.«

»Wann wollte sie mit ihm sprechen?«

»Letzten Mittwoch.«

Astrid stürmte voraus zum Auto.

»Perfekt gelaufen!« Van Appeldorn rieb sich die Hände. »Als hätten wir ein Drehbuch gehabt. Du hast deine Mamirolle wunderbar gespielt.«

»Ach, hör auf! Ich finde dich zum Kotzen, wenn du dich so aufführst, immer noch.« Sie winkte heftig ab, als er den Mund aufmachte. »Danke, die Predigt kenn ich schon.«

Dann versuchte sie, Toppe über sein Mobiltelefon zu erreichen, aber die Leitung blieb tot. »Verflucht! Wahrscheinlich hängt er wieder in einem Funkloch.«

»Versuch’s später noch mal«, meinte van Appeldorn. »Jetzt komm, lass uns rüber zu Naujocks und das Alibi überprüfen.«

»Du gehst«, antwortete Astrid störrisch. »Ich hab’s mir anders überlegt. Ich bleibe und nehme Stefans Aussage zu Protokoll.«

»Hier?«

»Klar! Warum soll der arme Kerl extra ins Büro kommen? Dem geht’s sowieso schon mies genug.«

Hüseyin hatte wieder und wieder beteuert, dass er wirklich alles gesagt hätte, dass er sonst nichts wüsste. Jetzt saß er Cox und Toppe am Schreibtisch gegenüber und sagte gar nichts mehr. Er wollte weder etwas zu essen noch etwas zu trinken. Als van Appeldorn hereinkam, bat er gerade darum, auf die Toilette gehen zu dürfen.

»Tja, mein Junge, da musst du wohl ein bisschen aufhalten. So spielt das Leben. Komm mal raus, Helmut!«

Toppe runzelte die Stirn über van Appeldorns barschen Tonfall, folgte ihm aber auf den Flur. Als Astrid berichtete, hellte sich Toppes Gesicht nach und nach auf.

»Hüseyin weiß etwas«, beschied van Appeldorn. »Aber das war ja von Anfang an klar. Lass mich mal ran. Ich bin heute ziemlich gut in Form.«

»Such dir diesmal einen anderen für die Mamirolle!«, schnippte Astrid.

Van Appeldorn lachte. »Steendijk, Baby, wann lernst du das endlich? Es ist ein Spiel.«

»Für heute habe ich genug gespielt. Ich geh in unser Büro und mach den Bericht fertig«, sagte sie ein bisschen versöhnlicher.

Toppe und van Appeldorn brauchten lange, fast eine Stunde, aber dann wollte Eroglu auf einmal gar nicht mehr aufhören zu reden. Sie verstanden beide nicht so richtig, warum das so war, aber sie spürten, dass er seine Schwester liebte und dass sie ihm offensichtlich eine Last von der Seele genommen hatten.

Hüseyin hatte gesehen, wie sich die Beziehung zwischen Naujock und Ayse entwickelt hatte, und die ganze Zeit versucht, seiner Schwester ins Gewissen zu reden. Aber die hatte nicht hören wollen. Am Ende war sie sogar bereit gewesen, mit ihrer Familie zu brechen. Seit vielen Jahren schon war sie Deniz Eroglu versprochen und im Dezember sollte die Hochzeit sein. Am Mittwoch hatte Ayse Deniz angerufen, obwohl Hüseyin mit Engelszungen auf sie eingeredet hatte. Deniz war dann auch tatsächlich gegen Mittag gekommen und Ayse hatte ihm mitgeteilt, dass sie ihn nicht heiraten würde. Deniz war überzeugt gewesen, dass ein anderer Mann dahinter stecken musste. Es hatte einen schlimmen Streit gegeben und er war schließlich, völlig außer sich, wieder abgefahren. Ayse und Hüseyin hatten Angst gehabt, sich aber nicht getraut, die Familie zu verständigen. Natürlich nicht! Erst nach dem Brand hatten sie alles erzählt. Mehr gab es nicht zu sagen.

Als die Polizisten wissen wollten, wie die Familie reagiert, ob sie etwas unternommen habe, versiegte Hüseyins Redefluss und alle weiteren Fragen wurden mit einem Achselzucken quittiert.

Während van Appeldorn weiterbohrte, hatte Peter Cox Deniz Eroglus’ Adresse im Computer gefunden und die Weseler Kollegen hingeschickt. Schon kurze Zeit später kam die Antwort: Eroglu war nicht zu Hause und auch sonst nirgends anzutreffen.

Schließlich verfrachteten Toppe und van Appeldorn Hüseyin in einen Streifenwagen, der ihn nach Hause bringen sollte. Bevor der Junge abfuhr, schaute er sie eindringlich an und sagte laut und deutlich: »Seien Sie klug und schnell.«

Sie kehrten in Cox’ Büro zurück. Astrid hatte inzwischen Kaffee gemacht. Geistesabwesend goss Toppe sich einen Becher ein. »Seien Sie klug …«, murmelte er.

»… und schnell? Scheiße!«, brüllte van Appeldorn. »Die Flughäfen dichtmachen, Bahnhöfe, alles. Der haut uns ab! Peter, mach, such die gängigen Verbindungen in die Türkei raus. Passagierlisten von Flügen, oder was weiß ich.«

»Nun mal ganz ruhig und eins nach dem anderen.«

»Ich warn dich! Komm mir jetzt bloß nicht mit deiner Fünf-Stunden-Kacke!«

Sechsundzwanzig Minuten später war Deniz Eroglu in einem grün-weißen Fahrzeug auf dem Weg vom Düsseldorfer Flughafen nach Kleve.

»Na bitte!« Van Appeldorn legte die Beine auf den Schreibtisch. »Da muss die Chefin nur mal so richtig auf den Putz hauen und im Handumdrehen ist der Fall gelöst.«

»Gelöst ist hier noch gar nichts«, gab Toppe missmutig zurück. »Van Gemmern hat nicht eine einzige handfeste Spur am Tatort gefunden.« Sein Magen knurrte laut. Bis auf die zwei Scheiben Toast zum Frühstück und das gummiartige Käsebrötchen, das er sich auf der Fahrt nach Wesel an einer Tankstelle gekauft hatte, hatte er heute noch nichts gegessen.

Astrid legte ihm die Hand auf den Bauch. »Soll ich ein Pizzataxi rufen?«

»Lass nur, fahr du lieber nach Hause. Es reicht, wenn sich drei Leute die Nacht um die Ohren schlagen.«