24
„Beglaubigungen?“ fragte Graeme kurz darauf, als wir es uns mit Dorsaiwhisky-Drinks in Händen – und das ist ein sehr guter Whisky – bequem gemacht hatten.
Ich reichte ihm meine Papiere. Er sah sie rasch durch und nahm die an „Kommandeur der Kampftruppe auf Santa Maria“ adressierten Briefe von Sayona, dem Bürgen von Kultis, heraus. Er las sie durch und legte sie beiseite. Dann reichte er mir den Aktendeckel mit meinen Beglaubigungen zurück.
„Sie haben zuerst Josefstadt einen Besuch abgestattet?“ fragte er.
Ich nickte. Ich bemerkte, wie er mein Gesicht musterte und seine Züge dabei ernst wurden.
„Sie mögen die Quäker nicht“, stellte er fest.
Seine Worte nahmen mir den Atem. Als ich hierhergekommen war, hatte ich mich gut auf den rhetorischen Eröffnungszug vorbereitet. Doch jetzt kam es zu plötzlich. Ich blickte zur Seite.
Ich wagte es nicht, sofort zu antworten. Ich konnte nicht. Ich konnte sowohl zuviel als auch zuwenig sagen, wenn ich meine Worte nicht sorgfaltig abwog und vorher überlegte. Dann bekam ich mich wieder unter Kontrolle.
„Wenn ich für den Rest meines Lebens irgendein großes Ziel habe“, sagte ich langsam, „dann folgendes: Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um die Quäker und ihre ganze Lebensweise aus der Gemeinschaft der zivilisierten Menschen zu tilgen.“
Ich blickte ihn wieder an. Er hatte seinen einen Ellbogen fest auf die Schreibtischfläche gestützt und musterte mich.
„Das ist ein ziemlich einseitiger Standpunkt, nicht wahr?“
„Nicht einseitiger als der der Quäker.“
„Glauben Sie?“ fragte er ernst. „Das würde ich nicht unbedingt sagen.“
„Ich dachte“, gab ich zurück, „Sie wären derjenige, der gegen sie kämpft.“
„Nun ja.“ Er lächelte dünn. „Aber wir sind Soldaten auf beiden Seiten.“
„Ich glaube nicht, daß sie das ebenfalls so sehen.“
Er schüttelte leicht mit dem Kopf.
„Woraus schließen Sie das?“ fragte er.
„Ich habe sie erlebt“, antwortete ich. „Vor drei Jahren geriet ich bei Hauptburg auf Neuerde zwischen die Fronten. Sie erinnern sich sicher an diesen Konflikt.“ Ich klopfte auf mein steifes Knie. „Ich wurde angeschossen und konnte nicht mehr weiter. Die Cassidaner um mich herum begannen sich zurückzuziehen – sie waren Söldner, und die feindlichen Truppen ihnen gegenüber bestanden aus Quäkern, die als Söldner vermietet waren.“
Ich hielt inne und nahm einen Schluck von dem Whisky. Als ich das Glas wieder absetzte, hatte sich Graeme noch nicht bewegt.
„Da war ein junger Mann, ein noch unerfahrener Soldat“, sagte ich. „Ich war damit beschäftigt, eine Artikelserie über den Feldzug zu verfassen, aus der Sicht eines Beteiligten. Ich wählte ihn als den Beteiligten, den ich dazu brauchte. Die Wahl lag auf der Hand. Wissen Sie“, ich trank erneut, und diesmal leerte ich mein Glas, „meine jüngere Schwester kam zwei Jahre vor diesem Krieg mit einem Arbeitsvertrag als Kontoristin nach Cassida, und sie hatte ihn dort geheiratet. Er war mein Schwager.“
Graeme nahm mir das leere Glas aus der Hand und schenkte es mir wieder voll, ohne dabei ein Wort zu sagen.
„Eigentlich war er kein richtiger Soldat“, sagte ich. „Er studierte Phasenverschiebungsmechanik, und dieses Studium hätte noch drei weitere Jahre gedauert. Aber er fiel bei einer Ausleseprüfung durch, und das war gerade zu einer Zeit, als Cassida aufgrund einer vertraglichen Verpflichtung Truppenkontingente nach Neuerde schicken mußte, um dort das militärische Gleichgewicht wiederherzustellen.“ Ich atmete tief durch „Nun, um es mit wenigen Worten auszudrücken: Er landete schließlich in dem gleichen Feldzug, über den ich berichtete. Und aufgrund der Serie, die ich schrieb, sorgte ich dafür, daß er zu mir abkommandiert wurde. Wir beide glaubten, dies sei das beste für ihn, auf diese Weise sei er sicher.“
Wieder nahm ich einen Schluck von dem Whisky.
„Doch wissen Sie“, sagte ich, „die besseren Geschichten findet man immer dann, wenn man dem Kampfgeschehen ganz nahe ist. Eines Tages, als sich die Truppen von Neuerde zurückzogen, gerieten wir zwischen die Fronten. Ich wurde verwundet, von einem Nadelgeschoß, das durch meine Kniescheibe drang. Die Artillerie der Quäker kam näher, und die Lage wurde wirklich ungemütlich. Die Soldaten um uns herum machten sich eilig an den Rückzug, doch Dave versuchte mich zu tragen, denn er fürchtete, die Artilleristen der Quäker würden mich umpusten, ohne sich die Zeit zu nehmen festzustellen, daß ich ein Zivilist war. Nun“, ich atmete erneut tief durch, „dann erwischten uns die Infanterieeinheiten der Quäker. Sie brachten uns zu einer Art Lichtung, wo sie eine Menge Gefangene untergebracht hatten, und dort behielten sie uns eine Weile. Dann tauchte ein Gruppenführer auf – einer dieser fanatischen Typen, ein hochgewachsener Soldat, der etwa in meinem Alter war und so aussah, als sei er kurz vor dem Verhungern. Er hatte den Befehl, dafür zu sorgen, daß sich die Infanteristen zu einer Kampftruppe zusammenschlossen, um einen neuen Angriff durchzuführen.“
Ich hielt inne und nahm einen weiteren Schluck. Doch der Whisky blieb beinahe geschmacklos für mich.
„Das bedeutete, sie konnten keine Männer erübrigen, um die Gefangenen zu bewachen. Sie mußten sie hinter den Linien der Quäker freilassen. Der Gruppenführer hielt das für ein Unding. Sie hätten sicherzustellen, daß die Gefangenen ihnen nicht gefährlich werden konnten.“
Graeme betrachtete mich noch immer.
„Ich begriff nicht. Ich verstand noch nicht einmal, als die anderen Quäker – keiner von ihnen war Unteroffizier wie der Gruppenführer – protestierten.“ Ich stellte das Glas auf dem Tisch neben mir ab und starrte an die Wand des Büros. Erneut sah ich es vor mir, so klar und deutlich, als blickte ich durch ein Fenster auf diese Szene. „Ich erinnere mich noch, wie der Gruppenführer sich ganz aufrichtete und den Kopf hob. Ich sah in seine Augen. Es war, als beleidigte ihn der Protest der anderen.
,Sind Sie Auserwählte Gottes?’ rief er ihnen zu. ‚Gehören Sie zu den Auserwählten?’“
Ich sah zu Kensie Graeme. Er saß noch immer bewegungslos da und beobachtete mich. Sein eigenes Glas wirkte klein und zerbrechlich in seiner großen Hand.
„Verstehen Sie?“ fragte ich ihn. „Als ob die Gefangenen überhaupt keine Menschen wären, nur weil es sich bei ihnen nicht um Quäker handelte. Als wären sie so etwas wie Untermenschen, und als sei es deshalb ganz in Ordnung, sie umzubringen.“ Ich schauderte plötzlich. „Und er brachte sie um! Ich saß an einen Baumstumpf gelehnt – geschützt durch meine Uniform, die mich als Neuigkeiten-Ermittler auswies –, und ich sah zu, wie er sie niederschoß. Sie alle. Ich saß dort und blickte Dave an, und er saß am Boden und sah mich an, als ihn der Gruppenführer erschoß.“
Und damit brach ich jäh ab. Es war nicht meine Absicht gewesen, alles auf einmal und auf diese Weise zu erzählen. Es war einfach so, daß ich niemandem hatte erzählen können, wie hilflos ich gewesen war … niemandem, der es verstanden hätte. Doch irgend etwas an Graeme gab mir den Eindruck, daß er verstehen würde.
„Ja“, sagte er nach einem Augenblick, nahm mein Glas und füllte es wieder. „Ein solches Erlebnis ist wirklich schlimm. Ist der Gruppenführer gefangen und nach dem Söldnerkodex verurteilt worden?“
„Nachdem es zu spät war, ja.“
Er nickte und blickte an mir vorbei auf die Wand. „Natürlich sind sie nicht alle so.“
„Es gibt genug, um ihnen allen einen solchen Ruf zu geben.“
„Leider ja. Nun“, er sah mich mit einem Lächeln an, „wir wollen und werden diesen Feldzug von solchen Sachen reinhalten.“
„Sagen Sie mir eines“, antwortete ich und setzte mein Glas ab. „Ist eine solche Sache – wie Sie es ausdrücken – jemals den Quäkern selbst zugestoßen?“
Irgend etwas veränderte sich in der Atmosphäre des Zimmers. Er zögerte kurz, bevor er antwortete. Während ich auf seine Erwiderung wartete, spürte ich, wie mein Herz langsamer schlug, dreimal in der Stille.
„Nein, das ist es nicht“, sagte er schließlich.
„Warum nicht?“ fragte ich.
Die Spannung, die plötzlich in der Luft lag, verstärkte sich. Und ich begriff, daß ich es zu rasch vorangetrieben hatte. Die ganze Zeit über hatte ich zu ihm als Menschen gesprochen und dabei vergessen, was er außerdem war. Jetzt begann ich zu vergessen, daß er ein Mensch war, und statt dessen wurde er mir als Dorsai bewußt – ein Individuum, das so menschlich war wie ich, das aber auf eine lebenslange Ausbildung zurückblicken konnte und dessen genetische Entwicklung über all die Generationen hinweg zu einem Unterschied geführt hatte. Er bewegte sich nicht, noch veränderte er seinen Tonfall oder etwas in der Art. Doch irgendwie schien er die Entfernung zu mir zu vergrößern und in ein höher gelegenes, kälteres und steinigeres Land zu klettern, in das ich mich nur auf eigene Gefahr vorwagen konnte.
Ich erinnerte mich an das, was man über die Menschen dieser kleinen, kalten Welt mit den nackten, felsigen Bergen gesagt hatte: Wenn die Dorsai sich entschlössen, ihre Soldaten aus den Diensten für die anderen Welten zurückzuziehen und sie gegen diese Welten ins Felde zu führen, dann könnte ihnen nicht einmal die vereinte Macht des Rests der Zivilisation standhalten. Zuvor hatte ich das niemals wirklich geglaubt. Eigentlich hatte ich nicht einmal viel darüber nachgedacht. Aber in diesem Augenblick, als ich diesem Mann gegenübersaß und spürte, was im Zimmer vor sich ging, wurde es mir plötzlich bewußt. Es stimmte tatsächlich, und dieses Wissen wehte mir so kalt entgegen wie die mir über einen Gletscher hinweg ins Gesicht heulenden Sturmwinde. Und dann beantwortete er meine Frage.
„Weil so etwas“, sagte Kensie Graeme, „ausdrücklich von Artikel zwei des Söldnerkodexes verboten wird.“
Dann wurde der Ernst in seinem Gesicht ohne Übergang von einem Lächeln ersetzt, und die Spannung im Zimmer, die ich gerade verspürt hatte, löste sich auf.
„Nun“, sagte er und stellte sein Glas leer auf den Tisch, „wie wäre es, wenn Sie zu uns in die Offiziersmesse kommen und mit uns zusammen essen?“
Ich nahm das Abendessen mit ihm gemeinsam ein, und die Mahlzeit war sehr wohlschmeckend. Sie wollten mich für die Nacht bei sich unterbringen, doch ich konnte fühlen, wie es mich zum kalten und düsteren Lager nahe Josefstadt zurückzog – wo mich nur eine Art von kalter und bitterer Befriedigung darüber erwartete, unter meinen Feinden zu weilen.
Ich fuhr zurück.
Es war ungefähr elf Uhr abends, als ich das Lagertor passierte.
Und als ich den Wagen parkte, trat gerade jemand aus dem Eingang zu Jamethons Hauptquartier heraus. Das Karree war von einigen wenigen Scheinwerfern an den Wänden nur matt beleuchtet, und das Licht verlor sich auf dem regennassen Pflaster. Einen Augenblick lang konnte ich nicht erkennen, wer der Mann war – und dann sah ich, daß es sich um Jamethon handelte.
Er wäre in einem gewissen Abstand an mir vorbeigegangen, doch ich stieg aus meinem Wagen aus und schritt auf ihn zu. Er blieb stehen, als ich vor ihn trat.
„Mr. Olyn“, sagte er ruhig. In der Dunkelheit konnte ich seinen Gesichtsausdruck nicht ausmachen.
„Ich habe eine Frage, die ich Ihnen stellen möchte“, sagte ich und lächelte in der Finsternis.
„Es ist ziemlich spät für Fragen.“
„Diese wird nicht viel Zeit in Anspruch nehmen.“ Ich bemühte mich, den Ausdruck seines Gesichts zu erkennen, aber ich sah nur Schatten. „Ich habe das Lager der Exoten besucht. Ihr Kommandeur ist ein Dorsai. Ich nehme an, Sie wissen das?“
„Ja.“ Ich konnte kaum die Bewegung seiner Lippen sehen.
„Wir haben uns unterhalten. Dabei ergab sich eine Frage, und ich dachte, die sollte ich Ihnen stellen, Kommandeur. Würden Sie Ihren Männern jemals befehlen, Gefangene umzubringen?“
Für einen Augenblick herrschte ein seltsames Schweigen zwischen uns. Dann antwortete er.
„Das Töten oder Mißhandeln von Kriegsgefangenen“, gab er unbewegt zurück, „wird von Artikel zwei des Söldnerkodexes verboten.“
„Aber Sie sind keine Söldner hier, oder? Sie sind eine geschlossene Quäker-Streitmacht, die für Ihre eigene Wahre Kirche und die Ältesten kämpft.“
„Mr. Olyn“, sagte er, während ich mich weiterhin vergeblich bemühte, den Ausdruck seines von Schatten eingehüllten Gesichts auszumachen – und die Worte schienen in die Länge gezogen zu sein, obwohl der Tonfall der Stimme, die sie sprach, so ruhig und gelassen war wie immer, „mein Herr hat mich zu Seinem Diener und zu einem Führer Seiner Soldaten gemacht. Bei keiner dieser beiden Aufgaben werde ich versagen.“
Und damit wandte er sich um – sein Gesicht lag noch immer im Schatten und war mir somit verborgen – und ging.
Ich kehrte allein in meine Unterkunft zurück und machte mir gedanklich Notizen darüber, was ich am nächsten Tag erledigen mußte. Die Begegnung mit Padma hatte mich ziemlich durcheinandergebracht. Seltsam: Irgendwie hatte ich es beinah fertiggebracht zu vergessen, daß seine Berechnungen der Handlungen von Menschen auch auf mich persönlich Anwendung finden konnten. Es erschütterte mich nun, daran erinnert zu werden. Ich mußte mehr darüber herausfinden, wieviel seine Wissenschaft der Ontogenetik wußte und voraussehen konnte. Falls nötig, von Padma selbst. Aber zunächst würde ich mit der Nachforschung bei gewöhnlichen Bezugsquellen beginnen.
Niemand, dachte ich, würde ohne weiteres auf den phantastischen Gedanken kommen, daß ein einzelner Mann wie ich eine Kultur zerstören konnte, die die Bevölkerungen zweier Planeten umfaßte. Niemand – außer Padma vielleicht. Was ich wußte, hatte er möglicherweise mit seinen Kalkulationen entdeckt. Und das war folgendes: Die beiden Quäkerwelten Harmonie und Eintracht standen vor einer Entscheidung, die Leben oder Tod für ihre ganze Lebensweise bedeuten mochte. Selbst eine ganz unbedeutende Sache konnte den entscheidenden Ausschlag zu dieser oder jener Seite geben. Ich dachte an meinen Plan und liebkoste ihn in meinen Gedanken.
Denn jetzt wehte ein neuer Wind zwischen den Sternen.
Vor vierhundert Jahren waren wir alle Menschen der Erde gewesen … von Alterde, dem Mutterplaneten, der meine Heimat war – eine einzige Menschheit.
Dann, mit der Abwanderung zu neuen Welten, hatte sich die menschliche Rasse „zersplittert“, um einen Ausdruck der Exoten zu verwenden. Jedes einzelne soziale Fragment, jeder psychologische Typus, hatte sich selbst isoliert, sich mit anderen zusammengeschlossen, die ähnlich beschaffen waren. Und das hatte den Weg freigemacht für die Entwicklung spezialisierter Arten. Bis wir ein halbes Dutzend Splitter-Menschentypen hatten: die Krieger von Dorsai, die Philosophen der Exotischen Welten, die Naturwissenschaftler auf Newton, Cassida und Venus und so weiter.
Die Isolation hat spezifische Arten hervorgebracht. Dann hatte die zunehmende, auf Gegenseitigkeit beruhende Verbindung zwischen den nun entwickelten jüngeren Welten und die ständig zunehmende Wachstumsrate des technischen Fortschritts die Notwendigkeit einer Spezialisierung erzwungen. Der Handel zwischen den Welten bestand im Austausch geschulter Intellekte. Generäle der Dorsai boten einen guten Wechselkurs im Austausch gegen Psychiater von den Exoten. Von Alterde stammende Nachrichtenleute wie ich selbst wurden in Raumschiffskonstrukteure von Cassida umgerechnet. Und so ist es während der ganzen letzten hundert Jahre gewesen.
Doch jetzt trieben die Welten aufeinander zu. Die Volkswirtschaft verschmolz die menschliche Rasse erneut zu einer Einheit. Und jede einzelne Welt kämpfte darum, die Vorteile dieses Zusammenschmelzen für sich zu gewinnen und dabei einen möglichst großen Teil der eigenen Unabhängigkeit und Lebensweise zu wahren.
Kompromisse waren erforderlich – aber die strenge und starre Religion der Quäker verbot jeden Kompromiß und hatte ihnen viel Feindschaft eingebracht. Die öffentliche Meinung auf den anderen Welten wandte sich bereits gegen die Quäker. Wenn man sie bei diesem Feldzug und in aller Öffentlichkeit in Mißkredit und Verruf brachte, dann konnten sie ihre Söldner nicht mehr vermieten. Ihre Handelsbilanz würde ein Defizit aufweisen – und sie mußte ausgeglichen sein, damit sie die Dienste der geschulten Spezialisten in Anspruch nehmen konnten, die mit den speziellen Möglichkeiten der anderen Welten ausgebildet waren. Und sie brauchten diese Fachleute, sollte die Gesellschaft ihrer Welten, die an natürlichen Ressourcen arm waren, lebensfähig blieben. Sie würden sterben.
Wie der junge Dave gestorben war. Langsam. In der Nacht.
Als ich jetzt in der Dunkelheit darüber nachdachte, stand die Szene wieder klar vor meinen Augen. Es war erst früher Nachmittag gewesen, als man uns gefangengenommen hatte, doch die Sonne ging bereits unter, als der Gruppenführer kam und unseren Wächtern den Befehl überbrachte abzurücken.
Ich erinnere mich, wie ich zu den Leichen auf der Lichtung gekrochen bin, nachdem die Quäker abgezogen waren, nachdem alles vorüber war und sie mich allein gelassen hatten. Und wie ich Dave inmitten der Toten fand. Und er lebte noch. Er war schwer verletzt, und ich konnte die Blutung nicht stillen.
Das hätte auch nichts genützt, wie man mir später sagte. Aber als ich ihn in den Armen hielt, hatte ich das angenommen. Und deshalb versuchte ich es. Aber schließlich gab ich auf, und inzwischen war es bereits ganz dunkel geworden. Ich hielt ihn nur fest, und ich wußte nicht, daß er tot war – bis er kalt zu werden begann. Und das war der Augenblick, als ich mich in das zu verwandeln begann, was mein Onkel immer aus mir zu machen versucht hatte. Ich spürte, wie ich im Innern starb. Dave und meine Schwester hatten meine Familie sein sollen, die einzige Familie, die ich jemals zu behalten gehofft hatte. Statt dessen konnte ich nur still dasitzen in der Dunkelheit und ihn festhalten. Und hören, wie das Blut von seiner rotdurchtränkten Jacke Tropfen für Tropfen, ganz langsam, auf das tote Variformeichenlaub unter uns sickerte.
Jetzt lag ich hier im Lager der Quäker und konnte nicht schlafen und erinnerte mich. Nach einer Weile vernahm ich das Marschieren der Soldaten, die im Karree zum Mitternachtsappell antraten.
Ich lag auf dem Rücken und lauschte ihnen. Schließlich verstummten ihre marschierenden Stiefel. Das einzige Fenster meiner Kammer befand sich über meiner Liege, hoch oben in der Wand, an die die linke Seite meines Feldbettes gerückt war. Es war unverglast, und die Nachtluft trug die Geräusche ungefiltert zu mir heran. Zusammen mit dem trüben Licht vom Karree, das ein blasses, rechteckiges Muster auf die gegenüberliegende Wand meines Zimmers malte. Ich lag still da, betrachtete dieses Rechteck und lauschte dem Appell draußen. Und ich hörte, wie der Offizier vom Dienst ein Würdigkeitsgebet mit ihnen anstimmte. Danach sangen sie erneut ihre Kampfhymne.
Frag nicht, Soldat – nicht jetzt noch irgendwann,
In welchen Krieg dein Banner dich führen mag.
Die Legionen des Teufels umzingeln uns.
Kämpfe! Und spüre nicht den Schlag!
Ruhm und Ehre, Lob und Profit,
Sind nicht mehr wert als Flittergold.
Tu deine Pflicht und frage nicht,
Den Schmutz des Menschen auf Erden ihr lassen sollt.
Blut und Kummer, nicht endende Pein,
Das ist unser aller Los.
Pack das blanke Schwert und stell dich dem Feind,
Falle freudig in der Schlacht, so groß.
Dann werden wir, die geweihten Soldaten,
Schließlich vor dem Throne stehen, dem hellen Schimmer.
Geweiht von unseren Wunden, dem roten Strömen,
Dem Willen unseres Herrn ergeben – für immer!
Danach zogen sie sich auf Feldbetten zurück, die sich von meinem nicht unterschieden.
Ich lag reglos da, lauschte der Stille im Karree und dem gleichmäßigen Rauschen eines Regengusses außerhalb meines Fensters – und als der Schauer vorüber war, den Tropfen, die langsam fielen, einer nach dem anderen, ungezählt in der Dunkelheit.