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Es stell­te sich aber her­aus, daß je­ne Sze­ne in der Bi­blio­thek in mei­ner Er­in­ne­rung fest­saß, daß sie wei­ter in mir bohr­te, so sehr ich auch ver­such­te, sie zu ver­ges­sen.

Wäh­rend der fünf Jah­re, in de­nen ich die Er­folgs­lei­ter beim Nach­rich­ten­dienst em­por­klet­ter­te, er­hielt ich kei­ne Nach­richt von Ei­leen, kei­ne Zei­le, kein Wort. Sie schrieb we­der an Ma­thi­as noch an mich. Die we­ni­gen Brie­fe, die ich an sie rich­te­te, blie­ben un­be­ant­wor­tet. Ich kann­te ei­ne Men­ge Leu­te, doch ich konn­te nicht be­haup­ten, daß ich Freun­de hat­te – und Ma­thi­as zähl­te oh­ne­hin nicht. Wie von fer­ne, in ei­nem ver­bor­ge­nen Win­kel mei­nes Her­zens, wur­de ich mir all­mäh­lich be­wußt, daß ich ganz al­lein auf der Welt stand und daß ich im ers­ten fie­ber­haf­ten Rausch mei­ner neu­ent­deck­ten Fä­hig­keit, Men­schen zu ma­ni­pu­lie­ren, bes­ser ein an­de­res Op­fer für mei­ne Ver­su­che ge­wählt hät­te als den ein­zi­gen Men­schen auf die­sen vier­zehn Wel­ten, der zu­min­dest einen ein­zi­gen Grund ha­ben konn­te, mir zu­ge­tan zu sein.

Fünf Jah­re spä­ter stand ich auf ei­nem Berg­hang auf Neu­er­de, der erst kürz­lich durch schwe­re Ar­til­le­rie ver­wüs­tet wor­den war. Ich streif­te über den Hang, der einen Teil je­nes Schlacht­fel­des bil­de­te, das erst vor we­ni­gen Stun­den von den ver­ei­nig­ten Streit­kräf­ten von Alt­land er­obert wor­den war. Die Streit­kräf­te des Nor­dens wie auch die des Sü­dens be­sa­ßen le­dig­lich einen Kern aus Ein­hei­mi­schen. Die Re­bel­len­ar­mee des Nor­dens wur­de zu mehr als acht­zig Pro­zent von Söld­nern ge­bil­det, die von den Quä­ker­wel­ten stamm­ten. Die süd­li­chen Streit­kräf­te hin­ge­gen be­stan­den zu et­wa sech­zig Pro­zent aus Cas­si­da­nern, die von Neu­er­de auf Ge­gen­sei­tig­keit aus Cas­si­da an­ge­heu­ert wor­den wa­ren – dies aber war der ei­gent­li­che Grund da­für, warum ich die­sen Hang ab­gras­te, des­sen Bo­den auf­ge­ris­sen und des­sen Bäu­me durch den Ar­til­le­rie­beschuß ent­wur­zelt wor­den wa­ren. Un­ter den Sol­da­ten die­ses Son­der­kom­man­dos be­fand sich näm­lich ein jun­ger Grup­pen­füh­rer na­mens Da­ve Hall – je­ner Mann, den mei­ne Schwes­ter auf Cas­si­da ge­hei­ra­tet hat­te.

Mein Füh­rer war ein Sol­dat der loya­len Streit­kräf­te der süd­li­chen He­mi­sphä­re. Kein Cas­si­da­ner zwar, son­dern ein Ein­ge­bo­re­ner von Neu­er­de, ein zä­hes We­sen, ein Sau­er­topf und Sa­dist zu­gleich, dem es of­fen­sicht­lich Freu­de mach­te, mei­ne fürs Stadt­pflas­ter be­stimm­ten Schu­he und mei­ne Klei­dung zu be­kle­ckern. Jetzt, sechs Jah­re nach mei­nem Er­leb­nis in der En­zy­klo­pä­die, hat­ten sich mei­ne per­sön­li­chen Fä­hig­kei­ten so weit ge­fes­tigt, daß ich sei­ne Mei­nung über mich in we­ni­gen Mi­nu­ten zu­recht­ge­rückt hät­te. Doch die Sa­che war es mir nicht wert.

Schließ­lich brach­te er mich zu ei­nem klei­nen Stütz­punkt am Fu­ße des Hü­gels und lie­fer­te mich bei ei­nem et­wa vier­zig­jäh­ri­gen Of­fi­zier mit kan­ti­gem Kinn ab, der dunkle Rin­ge un­ter den Au­gen hat­te. Der Of­fi­zier war durch den Feld­dienst of­fen­sicht­lich über­for­dert und in­fol­ge sei­ner Jah­re ent­spre­chend er­schöpft. Oben­drein wa­ren die grim­mi­gen Le­gio­nen der Quä­ker mit den nur un­ge­nü­gend aus­ge­bil­de­ten Cas­si­da­nern Schlit­ten ge­fah­ren. Was Wun­der, daß er mich eben­so sau­er­töp­fisch an­blick­te wie mein Füh­rer.

Nur war bei die­sem kom­man­die­ren­den Of­fi­zier des­sen Ein­stel­lung ein Pro­blem. Ich muß­te die­se Ein­stel­lung än­dern, um zu er­rei­chen, was ich woll­te. Hin­zu kam, daß ich kei­ner­lei Da­ten oder An­ga­ben über die­sen Mann be­saß. Doch das Ge­rücht über einen neu­en Vor­stoß der Quä­ker ging um, und so hat­te ich mich ent­schlos­sen, ein­fach auf gut Glück hier auf­zut­au­chen und mir mei­ne Stra­te­gie selbst zu­recht­zu­zim­mern.

„Ober­leut­nant Hai Fra­ne!“ stell­te er sich vor, oh­ne auch nur ein Wort von mir ab­zu­war­ten und streck­te mir brüsk ei­ne kan­ti­ge, et­was schmut­zi­ge Hand ent­ge­gen. „Ih­re Pa­pie­re!“

Ich gab ihm mei­nen Paß, und er blät­ter­te dar­in her­um, oh­ne daß sich sei­ne Mie­ne ver­än­der­te. „Aha“, sag­te er. „Ein Green­horn al­so. Ei­ner auf Be­wäh­rung.“

Die Fra­ge grenz­te fast an ei­ne Be­lei­di­gung, weil es ihn einen feuch­ten Keh­richt an­ging, ob ich be­reits ein Voll­mit­glied des Nach­rich­ten­diens­tes oder nur ei­ne Art Vo­lon­tär auf Pro­be war. Wahr­schein­lich mein­te er, daß ich noch nicht tro­cken hin­ter den Oh­ren sei und für ihn und sei­ne Leu­te an der Front ei­ne po­ten­ti­el­le Ge­fahr dar­stell­te.

Was er aber nicht wuß­te und nicht wis­sen konn­te war die Tat­sa­che, daß er nicht bei mir, son­dern eher bei sich einen schwa­chen Punkt ge­trof­fen hat­te.

„Rich­tig“, sag­te ich und steck­te mei­ne Pa­pie­re wie­der ein. Und auf­grund des­sen, was ich über ihn im Au­gen­blick er­fah­ren hat­te, fuhr ich fort: „Jetzt, nach Ih­rer Be­för­de­rung …“

„Be­för­de­rung!“

Er starr­te mich an. Der Ton­fall sei­ner Stim­me hat­te all mei­ne Schluß­fol­ge­run­gen be­stä­tigt, näm­lich, daß er, wie so man­cher, ver­such­te, sich selbst et­was vorzu­ma­chen, in­dem er al­le Schuld an­de­ren auf­bür­de­te. Ein Mann, der ei­nem an­de­ren an­deu­tet, er sei ein Dieb, hat selbst kei­ne ganz rei­ne Wes­te. Und Fra­nes Ver­such, mich auf­grund mei­ner Stel­lung zu krän­ken und her­ab­zu­set­zen, war ein deut­li­ches Zei­chen da­für, daß er an der­sel­ben Stel­le ver­wund­bar war. Die­ser Ver­such, mich zu be­lei­di­gen, zeig­te im Zu­sam­men­hang mit je­nem ver­hält­nis­mä­ßig nied­ri­gen Rang, den er be­klei­de­te, nur zu deut­lich an, daß er bei der Be­för­de­rung zu­min­dest ein­mal über­gan­gen wor­den war und zu­min­dest un­gern dar­über sprach.

Es war nur ein klei­ner Spalt, um in ihn ein­zu­drin­gen – doch nach fünf Jah­ren prak­ti­scher Übung war das für mich mehr als ge­nug.

„Sind Sie nicht zur Be­för­de­rung zum Ma­jor vor­ge­schla­gen?“ frag­te ich. „Ich dach­te …“ Ich brach plötz­lich ab und grins­te ihn an. „Schät­ze, es ist mein Feh­ler. Ich ha­be Sie mit ei­nem an­de­ren ver­wech­selt.“ Dann wech­sel­te ich das The­ma und schau­te mich auf dem Hang um. „Wie ich se­he, muß es hier vor kur­z­em recht lus­tig zu­ge­gan­gen sein.“

Er aber un­ter­brach mich barsch.

„Wer hat Ih­nen ge­sagt, daß ich be­för­dert wer­de?“ be­dräng­te er mich. Nun schi­en es mir an der Zeit, ihn et­was auf­zu­sta­cheln.

„Ich weiß es nicht so ge­nau, Ober­leut­nant“, sag­te ich und schau­te ihm in die Au­gen. Dann leg­te ich ei­ne kur­ze Pau­se ein, da­mit er Zeit hat­te zu ver­dau­en, was ich ge­sagt hat­te. „Und wenn ich’s wüß­te, dürf­te ich es Ih­nen nicht sa­gen. Die Quel­len ei­nes Jour­na­lis­ten sind ge­heim – und in mei­ner Bran­che müs­sen sie auch ge­heim blei­ben, ge­nau­so, wie das Mi­li­tär sei­ne In­for­ma­tio­nen ge­heim­hal­ten muß.“

Das brach­te ihn end­lich zur Ver­nunft. Ihm wur­de auf ein­mal be­wußt, daß ich nicht zu sei­ner Trup­pe ge­hör­te und daß er mich nicht zwin­gen konn­te, ihm et­was zu ver­ra­ten, was ich ihm nicht ver­ra­ten woll­te. In mei­nem Fall war es wohl bes­ser, Samt­hand­schu­he an­zu­le­gen, als mir die ei­ser­ne Faust zu zei­gen, so­fern er et­was von mir er­fah­ren woll­te.

„Ja“, sag­te er, in­dem er sich red­lich be­müh­te, ein ver­bind­li­ches Lä­cheln her­vor­zu­zau­bern. „Ja, na­tür­lich. Sie müs­sen mir ver­zei­hen. Wir la­gen hier ge­wal­tig un­ter Be­schuß.“

„Das ist nicht zu über­se­hen“, ver­setz­te ich mit Ge­fühl. „Bei so was kann man nicht ein­fach ge­las­sen blei­ben.“

„Nein“, er­wi­der­te er, in­dem er wei­ter ver­such­te, ei­ne Art Lä­cheln aus dem Hut zu zau­bern. „Kön­nen Sie mir al­so gar nichts sa­gen, was mei­ne Be­för­de­rung be­trifft?“

„Ich fürch­te, nein“, sag­te ich. Un­se­re Bli­cke tra­fen und ver­strick­ten sich.

„Ich ver­ste­he.“ Er wand­te den Blick et­was be­lei­digt ab. „Al­so, was kön­nen wir für Sie tun, Sie Nach­rich­ten­mensch?“

„Sie könn­ten mir et­was über sich ver­ra­ten“, er­wi­der­te ich. „Viel­leicht dürf­te ich et­was über Sie und Ih­ren Wer­de­gang er­fah­ren.“

Er dreh­te sich um und schau­te mich un­ver­wandt an.

„Über mich?“ frag­te er ver­blüfft.

„Na­tür­lich“, gab ich zu­rück. „Es war so ei­ne Idee. Ei­ne Sto­ry mit mensch­li­chen Aspek­ten – die­se Kam­pa­gne aus der Sicht ei­nes er­fah­re­nen Fel­d­of­fi­ziers. Sie wis­sen schon.“

Und ob er wuß­te. Man konn­te es buch­stäb­lich rie­chen. Ich sah, wie sei­ne Au­gen wie­der auf­leuch­te­ten, und konn­te fast se­hen, wie die Ge­dan­ken in sei­nem Kopf ar­bei­te­ten. Wir wa­ren an je­nem Punkt an­ge­langt, wo ein Mensch mit kla­rem Ver­stand noch ein­mal nach­ge­hakt hät­te: „Warum aus­ge­rech­net ich für ei­ne sol­che Sto­ry, warum nicht ein hoch­de­ko­rier­ter Of­fi­zier von hö­he­rem Rang?“

Aber Fra­ne dach­te nicht dar­an zu fra­gen. Er glaub­te zu wis­sen, warum aus­ge­rech­net er der­je­ni­ge wel­cher sei. Sei­ne ei­ge­nen be­gra­be­nen Hoff­nun­gen hat­ten ihn da­zu ge­bracht, zwei und zwei zu­sam­men­zu­zäh­len und zu je­nem Er­geb­nis ge­kom­men, das er für vier hielt. Er war tat­säch­lich der Meinung, er sei tat­säch­lich für ei­ne Be­för­de­rung vor­ge­schla­gen – ei­ne Be­för­de­rung we­gen Tap­fer­keit vor dem Feind. Ir­gend­wie, ob­wohl er ei­gent­lich gar nicht ge­nau wuß­te, warum, muß er sich ein­ge­bil­det ha­ben, daß ihm durch sein jüngs­tes Ver­hal­ten im Fel­de ei­ne Son­der­be­för­de­rung zu­stand und daß ich ge­kom­men war, um über einen sol­chen Vor­fall zu be­rich­ten. Da ich nichts wei­ter war als ein Zi­vi­list, dach­te er bei sich, wür­de ich mir wahr­schein­lich nie­mals träu­men las­sen, daß er selbst über ei­ne be­vor­ste­hen­de Be­för­de­rung nicht im Bil­de war, so daß ich gleich im ers­ten Au­gen­blick mit der Neu­ig­keit her­aus­rück­te.

Es war et­was ab­sto­ßend, auf wel­che Wei­se sich sei­ne Stim­me und Hal­tung ver­än­der­ten, nach­dem er all dies zu sei­ner Zu­frie­den­heit aus­ge­kno­belt hat­te. Wie die meis­ten Men­schen, die nur über un­ter­ge­ord­ne­te Fä­hig­kei­ten ver­fü­gen, hat­te er ein Le­ben lang nach Grün­den und Aus­flüch­ten ge­sucht, wo­nach er zwar au­ßer­or­dent­li­che Qua­li­tä­ten auf­zu­wei­sen ha­be, aber durch miß­li­che Um­stän­de und Vor­ur­tei­le bis heu­te nicht zu sei­nem Recht ge­kom­men sei.

Dann tisch­te er mir all die­se Grün­de und Aus­flüch­te auf, wäh­rend er be­müht war, mich über sei­ne Per­son auf­zu­klä­ren. Hät­te ich ihn wirk­lich we­gen ei­ner Re­por­ta­ge in­ter­viewt, so hät­te ich ihn mehr als ein­mal mit sei­nen ei­ge­nen Wor­ten wi­der­le­gen und ihn von sei­ner Be­deu­tungs­lo­sig­keit über­zeu­gen kön­nen. Die­se Ge­schich­te, die er mir er­zähl­te, strotz­te vor Selbst­mit­leid, war ein ein­zi­ges Jam­mern und Kla­gen. Die fet­ten Pfrün­de wa­ren als Söld­ner zu ver­die­nen, doch die­se Ge­le­gen­hei­ten wur­den ihm ent­we­der von den Quä­kern oder von den Dor­sai vor sei­ner Na­se weg­ge­schnappt. Fra­ne hat­te we­der die Ga­be noch die Über­zeu­gung, um das har­te Le­ben der Quä­ker zu meis­tern, auch nicht als Söld­ner. Und zum Dor­sai muß­te man ein­fach ge­bo­ren sein. Al­so muß­te er sich mit den Bro­sa­men be­gnü­gen, die vom Ti­sche der Rei­chen fie­len, mit der Lei­tung der Hilf­s­trup­pen ver­schie­de­ner Wel­ten oder po­li­ti­scher Zo­nen und wur­de stets bei­sei­te ge­scho­ben, wenn ein hö­he­rer Pos­ten zu ver­ge­ben war, den man dann je­weils mit den Ein­hei­mi­schen oder aus­ge­bil­de­ten Söld­nern be­setz­te, die ei­gens für den tat­säch­li­chen Kampf ein­ge­flo­gen wur­den.

Ei­ne sol­che Tä­tig­keit wur­de na­tür­lich bei wei­tem nicht so gut ent­lohnt wie die Tä­tig­keit der Söld­ner. Ei­ne Re­gie­rung konn­te zweit­klas­si­ge Of­fi­zie­re wie Fra­ne durch­aus auf Spar­flam­me set­zen und sie auf die­ser Flam­me schmo­ren las­sen. Doch brauch­te ei­ne Re­gie­rung Söld­ner, so muß­ten es eben Söld­ner sein, wie sie im Buch ste­hen. Und wenn es dar­auf an­kam, dann wur­den na­tür­lich die­je­ni­gen be­vor­zugt, die be­reit wa­ren, für gu­tes Geld ihr Le­ben aufs Spiel zu set­zen.

Doch ge­nug über Ober­leut­nant Fra­ne, der gar nicht so wich­tig war. Er war ein klei­nes Würst­chen, das sich jetzt selbst da­von über­zeugt hat­te, daß man ihm – und sei es bei den In­ter­stel­la­ren Nach­rich­ten­diens­ten – als po­ten­ti­el­le Grö­ße An­er­ken­nung zol­len wür­de. Wie die meis­ten Men­schen sei­nes Schla­ges hat­te er über­trie­be­ne Vor­stel­lun­gen über den po­si­ti­ven Ein­fluß der Pu­bli­ci­ty auf sei­ne Kar­rie­re. Er be­rich­te­te al­les über sei­ne Per­son, zeig­te mir die Stel­len am Ab­hang, wo sich sei­ne Leu­te ein­ge­gra­ben hat­ten, und als dann die Zeit ge­kom­men war, daß ich auf­bre­chen muß­te, hat­te ich ihn so­weit, daß er wie ein dres­sier­ter Af­fe rea­gier­te. In dem Au­gen­blick al­so, als ich drauf und dran war, mich hin­ter die Li­ni­en zu­rück­zu­zie­hen, ließ ich mei­nen ers­ten und ein­zi­gen Ver­suchs­bal­lon stei­gen. Ich ließ die Kat­ze aus dem Sack.

„Wis­sen Sie, mir ist ge­ra­de et­was ein­ge­fal­len. Das Haupt­quar­tier hat mir die Er­laub­nis er­teilt, einen von Ih­ren Leu­ten aus­zu­su­chen, der mich nach­her be­glei­tet. Ei­gent­lich soll­te es ei­ner vom Haupt­quar­tier sein, aber es wä­re bes­ser, wenn ich mir einen Mann aus Ih­rem Kom­man­do aus­su­chen dürf­te.“

„Einen von mei­nen Leu­ten?“ sag­te er blin­zelnd.

„Rich­tig“, ver­setz­te ich. „Soll­te ich näm­lich ei­ne Fort­set­zung über Sie schrei­ben müs­sen, oder wä­ren wei­te­re Ein­zel­hei­ten er­for­der­lich, so könn­te ich mir die In­for­ma­tio­nen bei ihm ho­len. Es wä­re un­ge­bühr­lich und we­nig prak­tisch, Sie des­we­gen zu be­läs­ti­gen und Sie mög­li­cher­wei­se über das gan­ze Schlacht­feld zu schlei­fen. Wenn dies nicht mög­lich ist, so brau­che ich nur zu mel­den, daß die Wei­ter­ver­fol­gung der An­ge­le­gen­heit aus tech­ni­schen Grün­den nicht durch­führ­bar ist.“

„Ich ver­ste­he“, sag­te er. „Es wür­de ei­ne Wo­che dau­ern, bis ich einen Er­satz­mann fin­de. So kann ich kaum je­man­den frei­stel­len. Ich se­he im Au­gen­blick wirk­lich kei­ne Mög­lich­keit …“

„Oh, das geht schon in Ord­nung“, mein­te ich und zau­ber­te ein Blatt Pa­pier aus der Ta­sche. „Ich bin be­fugt, je­den be­lie­bi­gen Mann aus­zu­wäh­len, oh­ne auf Er­satz war­ten zu müs­sen – na­tür­lich nur mit Ge­neh­mi­gung des kom­man­die­ren­den Of­fi­ziers. Viel­leicht wer­den Sie einen Tag lang einen Mann ent­beh­ren, aber …“

Ich ließ ihm Zeit zum Über­le­gen. Und für einen Au­gen­blick dach­te er wirk­lich nach – oh­ne all den Un­sinn zu be­rück­sich­ti­gen, der in sei­nem Kopf um­ging – wie je­der an­de­re mi­li­tä­ri­sche Be­fehls­ha­ber in sei­ner La­ge. Sämt­li­che Kom­man­dos in sei­nem Sek­tor wa­ren nach den Schlach­ten der letz­ten Wo­chen un­ter­be­setzt. Wenn Fra­ne einen wei­te­ren Mann ein­büß­te, so be­deu­te­te dies ei­ne Lücke in sei­ner Front, und er rea­gier­te mit den kon­di­tio­nier­ten Re­fle­xen ei­nes je­den be­lie­bi­gen Fel­d­of­fi­ziers.

Dann sah ich, wie die Aus­sicht auf Be­för­de­rung und Pu­bli­ci­ty wie­der die Ober­hand ge­wann, und wuß­te, daß er mit sich einen har­ten Kampf aus­zu­fech­ten hat­te.

„Wer soll es sein?“ sag­te er schließ­lich mehr zu sich selbst als zu mir. Wahr­schein­lich frag­te er sich, wen er wohl am bes­ten ent­beh­ren könn­te, doch ich tat so, als hät­te die Fra­ge mir ge­gol­ten.

„Sie ha­ben da einen jun­gen Mann un­ter Ih­rem Kom­man­do, einen ge­wis­sen Da­ve Hall …“

Er warf den Kopf hoch, wie von der Ta­ran­tel ge­sto­chen, und sein Ge­sichts­aus­druck wur­de miß­trau­isch, sei­ne Zü­ge ver­zerr­ten sich. Nun gibt es zwei Mög­lich­kei­ten, das Miß­trau­en zu be­kämp­fen – ein­mal, in­dem man harm­los tut und den Un­wis­sen­den spielt, zum zwei­ten, und das ist die bes­se­re Mög­lich­keit, sich schul­dig zu be­ken­nen und um Nach­sicht zu bit­ten.

„Mir ist der Na­me auf­ge­fal­len, als ich im Haupt­quar­tier die Mann­schafts­lis­te durch­ging, be­vor ich zu Ih­nen her­aus­kam“, sag­te ich. „Of­fen ge­stan­den war dies ei­ner der Grün­de da­für, daß ich Sie für die­sen Zweck ge­wählt ha­be.“ Ich be­ton­te das Wort ein biß­chen, da­mit es ihm ja nicht ent­ging. „Die­ser Da­vid Hall ist ein ent­fern­ter Ver­wand­ter, und ich dach­te, ich könn­te gleich zwei Flie­gen mit ei­ner Klap­pe schla­gen. Die Fa­mi­lie hat mich be­auf­tragt, et­was für den Jun­gen zu tun.“

Fra­ne starr­te mich an.

„Na­tür­lich weiß ich“, mein­te ich, „daß Sie et­was knapp an Leu­ten sind. Wenn es Ih­nen so­viel aus­macht …“

Wenn es dir so­viel aus­macht, ließ ich ihn durch mei­nen Ton­fall wis­sen, wer­de ich nicht dar­auf be­ste­hen, daß du ihn be­ur­laubst. An­de­rer­seits bin ich der Mann, der dich in al­len vier­zehn Wel­ten als Hel­den hin­stel­len wird, und wenn ich an mei­nen Be­rich­ten ar­bei­te und das Ge­fühl ha­be, du hät­test ihn be­ur­lau­ben kön­nen, aber mei­ne Bit­te ab­ge­schla­gen

Er merk­te so­fort, wie der Ha­se lief.

„Wer? Hall?“ sag­te er. „Na­tür­lich kann ich ihn ent­beh­ren.“ Er wand­te sich an sei­nen Wach­pos­ten und bell­te: „Mel­der! Ho­len Sie so­fort Hall her – vol­les Marsch­ge­päck, Waf­fen und Aus­rüs­tung, ab­marsch­be­reit.“

So­bald der Mel­der ge­gan­gen war, wand­te sich Fra­ne wie­der an mich.

„Es dau­ert fünf Mi­nu­ten, bis er fer­tig ist und hier ein­trifft.“

Es wa­ren dann aber doch eher zehn als fünf Mi­nu­ten, aber ich war­te­te gern. Zwölf Mi­nu­ten spä­ter wa­ren wir, Da­ve und ich, mit un­se­rem Füh­rer un­ter­wegs zum Haupt­quar­tier.