20

 

Dies­mal war nicht ich es, der um ei­ne Un­ter­re­dung mit Piers Leaf bat. Er be­stell­te mich zu sich. Als ich durch das Gil­de­haus schritt und dann die Lift­kap­sel be­trat, die mich zu sei­nem Bü­ro hin­auf­brach­te, wand­ten sich mir Köp­fe zu un­ter je­nen in Kut­ten ge­klei­de­ten Gil­de­mit­glie­dern, an de­nen ich vor­bei­kam: Denn in den letz­ten drei Jah­ren, in de­nen die Füh­rer der Blau­en Front ih­re Macht ge­fes­tigt hat­ten, war für mich vie­les an­ders ge­wor­den.

Ich hat­te mein qual­vol­les Er­wa­chen durch das letz­te Ge­spräch mit mei­ner Schwes­ter er­lebt. Und da­nach, auf dem Rück­flug zur Er­de, hat­te ich mei­ne ers­te Ra­che­vi­si­on ge­träumt. Dar­auf­hin hat­te ich die bei­den Schrit­te un­ter­nom­men, die mei­ne Ver­gel­tung in Gang brach­ten, einen auf San­ta Ma­ria, den an­de­ren auf Har­mo­nie. Doch ob­wohl die­se Din­ge nun er­le­digt wa­ren, hat­te sich mein In­ners­tes nicht ver­än­dert. Denn sol­che Ver­än­de­run­gen brauch­ten Zeit.

Es wa­ren die letz­ten drei Jah­re ge­we­sen, die mich wirk­lich ver­än­dert hat­ten – die da­zu ge­führt hat­ten, daß Piers Leaf nun mich um ei­ne Un­ter­re­dung bat, daß sich die­se Köp­fe un­ter den Bas­ken­müt­zen mir zu­wand­ten, wenn ich an ih­nen vor­bei­sch­ritt. Denn in die­sen Jah­ren war die Kraft mei­nes Ein­blicks – das Er­fas­sen von be­stimm­ten Din­gen – voll er­wacht, in ei­nem ge­wal­ti­gen Aus­maß.

Und im Ver­gleich zu mei­ner jet­zi­gen Be­fä­hi­gung schi­en mein Ta­lent neu und schwach und noch la­tent ge­we­sen zu sein in je­nem Au­gen­blick vor zwei Jah­ren, als ich dem Strah­len­den die Hand ge­schüt­telt und auf Wie­der­se­hen ge­sagt hat­te.

Ich hat­te mei­ne Vi­si­on ei­ner pri­mi­ti­ven Ra­che ge­träumt: mit dem Schwert in der Hand auf dem Weg zu ei­nem Du­ell im Re­gen. Dann hat­te ich zum ers­ten­mal die In­ten­si­tät ei­nes sol­chen Mo­tivs ver­spürt – doch die Wirk­lich­keit, die ich nun er­leb­te, war noch weitaus in­ten­si­ver, wirk­li­cher und wich­ti­ger als Es­sen oder Trin­ken oder Lie­be – oder das Le­ben selbst.

Es sind Nar­ren, die glau­ben, Reich­tum oder Frau­en oder Schnaps – oder so­gar Dro­gen – könn­ten die See­le ei­nes Man­nes mit ge­nie­ßen­der Be­frie­di­gung er­fül­len. Die­se Din­ge bie­ten nur blas­se Freu­den, ver­gli­chen mit dem Be­deut­sams­ten über­haupt, je­ner Auf­ga­be, die mehr von ihm ab­ver­langt als nur sei­ne äu­ßers­te An­stren­gung, die ihn völ­lig in An­spruch nimmt, al­les: Kno­chen und Seh­nen, Ge­dan­ken und Hoff­nun­gen und Ängs­te und Träu­me – und die so­gar noch mehr for­dert.

Es sind Nar­ren, die et­was an­de­res glau­ben. Nie wur­de ei­ne große Leis­tung nur der Be­zah­lung we­gen voll­bracht. Kei­ne Oper oder mar­mor­ne Ka­the­dra­le, kein Ge­mäl­de oder Ge­dicht, kei­ne Kir­che oder Staat ist je­mals we­gen ir­gend­ei­ner Art von Be­zah­lung ge­schaf­fen wor­den. We­der das Par­the­non noch die Ther­mo­py­len{4} sind nur we­gen Ent­gelt oder Ruhm ge­baut oder er­kämpft wor­den. Nur we­gen Beu­te oder Macht al­lein wur­de kein Bu­cha­ra{5} ge­plün­dert und kein Fuß­breit chi­ne­si­scher Bo­den von mon­go­li­schen Rei­ter­hor­den er­obert. Der Lohn für die Voll­brin­gung sol­cher Ta­ten wa­ren die Ta­ten selbst.

Sich selbst zu ge­brau­chen – sich selbst als Werk­zeug in der ei­ge­nen Hand zu ver­wen­den – und so das zu er­rich­ten oder zu zer­stö­ren, was nie­mand sonst er­bau­en oder ver­nich­ten kann: Das ist die größ­te Freu­de für einen Mann! Je­ner Mann, der den Mei­ßel in sei­ner Hand ge­spürt und da­mit den im Mar­mor­block ge­fan­ge­nen En­gel frei­ge­setzt hat, oder je­ner, der das Schwert in sei­ner Hand fühlt, mit dem er die See­le ob­dach­los mach­te, die noch einen Au­gen­blick zu­vor im Kör­per sei­nes Tod­fein­des ge­lebt hat­te – die­se bei­den Män­ner kos­te­ten den Ge­schmack die­ser so ein­zig­ar­ti­gen De­li­ka­tes­se, die nur Dä­mo­nen oder Göt­ter nährt.

Wie auch ich ihn ge­kos­tet hat­te in den ver­gan­ge­nen zwei Jah­ren.

Ich hat­te da­von ge­träumt, den Blitz in der Hand zu hal­ten, auf die vier­zehn Wel­ten zu rich­ten und sie al­le mei­nem Wil­len zu un­ter­wer­fen. Jetzt war es ei­ne ein­fa­che Tat­sa­che, daß ich den Blitz in Hän­den hielt, und ich wuß­te mit ihm um­zuge­hen. Die Fä­hig­kei­ten in mir hat­ten sich ver­stärkt. Ich wußte nun, wel­che Aus­wir­kun­gen ei­ne schlech­te Wei­zenern­te auf Frei­land auf die Dau­er für die Men­schen ha­ben muß­te, die auf Cas­si­da Fach­aus­bil­dun­gen be­nö­tig­ten, sie aber nicht be­zah­len konn­ten. Ich sah die Ten­denz­mo­sa­ik­en von Wil­liam von Ce­ta, Pro­jekt Blai­ne von Ve­nus, von Sayo­na der Bür­ge und bei­der Exo­ti­scher Wel­ten. Sie al­le be­ein­fluß­ten und ver­än­der­ten die Um­ris­se der Din­ge, die zwi­schen den Ster­nen ge­sch­a­hen – und ich ver­moch­te ih­re Kon­se­quen­zen und Fol­gen deut­lich zu er­fas­sen. Und mit die­sem Wis­sen ging ich dort­hin, wo sich die neu­en Ent­wick­lun­gen er­ga­ben und be­rich­te­te schon dann über sie, als sie sich ge­ra­de erst ab­zu­zeich­nen be­gan­nen – wor­auf­hin mich die an­de­ren Gil­de­mit­glie­der für ei­ne Art Teu­fel oder hal­b­en Hell­se­her zu hal­ten be­gan­nen.

Aber es in­ter­es­sier­te mich nicht, was sie von mir hiel­ten. Für mich war nur der heim­li­che Ge­schmack mei­ner lau­ern­den Ra­che wich­tig, das Ge­wicht des ver­bor­ge­nen Schwer­tes, das ich in mei­ner Hand spür­te – das Werk­zeug mei­nes Zer­stö­rern!

In­zwi­schen hat­te ich die letz­ten Skru­pel ab­ge­streift. Ich lieb­te ihn nicht da­für, aber Ma­thi­as hat­te mich ganz ge­nau so ge­se­hen wie ich war. Und sein Ver­mächt­nis be­ein­fluß­te mich noch aus sei­nem Gra­be: Ich ver­schaff­te sei­nem An­ti­g­lau­ben Gel­tung, aber mit ei­ner Kraft und ei­nem Nach­druck, den er nie für mög­lich ge­hal­ten hät­te.

Doch jetzt, als ich Piers Leafs Bü­ro er­reich­te, dräng­te ich die­se Ge­dan­ken bei­sei­te. Er stand in der Tür und er­war­te­te mich, denn von wei­ter un­ten hat­ten sie ihm be­stimmt mit­ge­teilt, daß ich auf dem Weg hier­her war. Er drück­te mir fest die Hand und hielt sie fest, um mich ins In­ne­re sei­nes Bü­ros zu zie­hen und schloß hin­ter uns die Tür. Wir setz­ten uns nicht an sei­nen Schreib­tisch, son­dern je­weils auf die Sei­te ei­nes über­aus wei­chen So­fas und einen ganz mit tie­fen Pols­tern über­zo­ge­nen Ses­sel. Und mit Hän­den, die durch ei­ne plötz­li­che Al­te­rung schmal und fal­tig ge­wor­den wa­ren, schenk­te er uns zwei Drinks ein.

„Ha­ben Sie ge­hört, Tam?“ be­gann er oh­ne Ein­lei­tung. „Mor­gan Chu Thomp­son ist tot.“

„Ich weiß“, sag­te ich. „Und da­mit ist nun ein Sitz im Rat frei.“

„Ja.“ Er trank einen klei­nen Schluck aus sei­nem Glas und setz­te es dann wie­der ab. Mü­de strich er sich mit der Hand übers Ge­sicht. „Mor­gan war ein al­ter Freund von mir.“

„Ich ver­ste­he“, sag­te ich, ob­wohl ich über­haupt nichts für ihn emp­fand. „Es muß Sie schwer ge­trof­fen ha­ben.“

„Er war ge­nau­so alt wie ich …“ Er brach ab und lä­chel­te mir ein we­nig blaß zu. „Ich ver­mu­te, Sie rech­nen da­mit, daß ich Sie da­bei un­ter­stüt­ze, den frei­ge­wor­de­nen Sitz zu er­lan­gen?“

„Ich glau­be“, ant­wor­te­te ich, „die an­de­ren Gil­de­mit­glie­der könn­ten es für ein we­nig selt­sam hal­ten, wenn es nicht so wä­re – wenn man be­denkt, wie die Din­ge seit ei­ni­ger Zeit bei mir ge­lau­fen sind.“

Er nick­te. Doch gleich­zei­tig schi­en er mich kaum zu ver­ste­hen. Er nahm sein Glas auf und nipp­te er­neut dar­an, gleich­gül­tig; dann setz­te er es wie­der ab.

„Vor fast drei Jah­ren“, sag­te er, „ka­men Sie mit ei­ner Pro­phe­zei­ung zu mir. Er­in­nern Sie sich dar­an?“

Ich lä­chel­te.

„Ich neh­me an, Sie wer­den es kaum ver­ges­sen ha­ben“, mein­te er. „Nun, Tam …“ Er hielt in­ne und seufz­te tief. Er schi­en Schwie­rig­kei­ten zu ha­ben, sich auf das zu kon­zen­trie­ren, was er sa­gen woll­te. Aber ich war in­zwi­schen ein al­ter und er­fah­re­ner Ve­teran, wenn es dar­um ging, mich in Ge­duld zu üben. Ich war­te­te. „Wir hat­ten Zeit ge­nug, um zu se­hen, wie sich die Din­ge ent­wi­ckel­ten. Und mir scheint, Sie hat­ten recht – und doch un­recht.“

„Un­recht?“ wie­der­hol­te ich.

„Nun, ja“, sag­te er. „Es war Ih­re Theo­rie, die Exo­ten hät­ten die Ab­sicht, die Kul­tur der Quä­ker auf Har­mo­nie und Ein­tracht zu zer­stö­ren. Doch se­hen Sie nur, wel­chen Ver­lauf die Din­ge seit da­mals ge­nom­men ha­ben.“

„Ja?“ sag­te ich. „Wel­chen denn – zum Bei­spiel?“

„Nun“, mein­te er, „seit rund ei­ner Ge­ne­ra­ti­on ist es für je­der­mann er­sicht­lich, daß die Quä­ker mit ih­rem Fa­na­tis­mus – Aus­brü­che sinn­lo­ser Ge­walt wie das Massa­ker, das Ih­rem Schwa­ger vor drei Jah­ren auf Neu­er­de das Le­ben kos­te­te – die öf­fent­li­che Mei­nung der zwölf an­de­ren Wel­ten zu ih­ren Un­guns­ten be­ein­flus­sen.

Bis hin zu dem Punkt, an dem sie kei­ne Chan­ce mehr ha­ben, ih­re jun­gen Män­ner als Söld­ner nach Au­ßen­welt zu ver­mie­ten. Und je­der, der nicht auf bei­den Au­gen blind ist, konn­te er­ken­nen, daß die Quä­ker selbst da­für ver­ant­wort­lich sind, ganz al­lein durch ih­re Le­bens­art. Den Exo­ten kann man nicht die Schuld da­für ge­ben.“

„Ja“, sag­te ich. „Das stimmt ver­mut­lich.“

„Selbst­ver­ständ­lich.“ Er nipp­te er­neut an sei­nem Drink, et­was le­ben­di­ger dies­mal. „Ich glau­be, ich war aus die­sem Grund so skep­tisch, als Sie mir sag­ten, die Exo­ten sei­en dar­auf aus, den Quä­kern den Garaus zu ma­chen. Es paß­te ir­gend­wie nicht rich­tig. Doch dann stell­te es sich her­aus, daß Trup­pen und Aus­rüs­tun­gen der Quä­ker die Re­vo­lu­ti­on der Blau­en Front auf San­ta Ma­ria un­ter­stütz­ten, di­rekt im vom Pro­ky­on-Licht er­hell­ten Hin­ter­hof der Exo­ten. Und ich muß­te ein­ge­ste­hen, daß es den An­schein hat­te, als gin­ge et­was vor zwi­schen den Quä­kern und Exo­ten.“ Er hielt in­ne und sah mich an.

„Dan­ke“, sag­te ich.

„Aber die Blaue Front blieb nicht an der Macht“, fuhr er fort.

„Es sah zu­nächst da­nach aus, als wür­de sie von ei­nem großen Teil der Be­völ­ke­rung un­ter­stützt“, wand­te ich ein.

„Ja, ja.“ Piers wisch­te mei­nen Ein­wand bei­sei­te. „Aber Sie wis­sen ja, wie es mit sol­chen Si­tua­tio­nen ist. So et­was ist im­mer zum Schei­tern ver­ur­teilt, wenn die In­ter­es­sen ei­nes grö­ße­ren und rei­che­ren Nach­barn be­rührt wer­den – an der nächs­ten Tür oder auf der nächs­ten Welt, wo auch im­mer. Die Sa­che ist die, daß die San­ta Ma­ria­ner die Blaue Front über kurz oder lang durch­schau­en und stür­zen und sie zu ei­ner il­le­ga­len Par­tei ma­chen muß­ten, was nun der Fall ist. Da­zu muß­te es ein­fach kom­men. Die­se Leu­te von der Blau­en Front wa­ren oh­ne­hin nur ei­ne Hand­voll und die meis­ten da­von ver­rückt. Au­ßer­dem ist San­ta Ma­ria gar nicht da­zu in der La­ge, im Schat­ten zwei­er so rei­cher Wel­ten wie Ma­ra und Kul­tis sei­nen ei­ge­nen Weg zu ge­hen, ob nun in fi­nan­zi­el­ler oder in je­der an­de­ren Hin­sicht. Die­se Sa­che mit der Blau­en Front muß­te fehl­schla­gen, das konn­te je­der se­hen, der Ab­stand ge­nug hat­te, sich einen Über­blick zu ver­schaf­fen.“

„Ich neh­me es an“, sag­te ich.

„Sie wis­sen es!“ gab Piers zu­rück. „Er­zäh­len Sie mir nicht, je­mand mit dem von Ih­nen de­mons­trier­ten Ein­blick in den Ab­lauf von Ge­scheh­nis­sen hät­te das nicht von An­fang an er­kannt, Tam.

Ich ha­be es eben­falls vor­aus­ge­se­hen. Doch ei­ne un­aus­weich­li­che Kon­se­quenz ha­be ich nicht er­kannt – und Sie of­fen­bar eben­falls nicht: Als die Blaue Front zer­schmet­tert wur­de, sta­tio­nier­ten die Quä­ker so­fort ei­ne Be­sat­zungs­trup­pe auf San­ta Ma­ria, um so ih­rer For­de­rung Nach­druck zu ver­lei­hen, von der recht­mä­ßi­gen Re­gie­rung für die der Blau­en Front ge­währ­te Hil­fe be­zahlt zu wer­den. Und auf­grund des bei­der­sei­ti­gen Bei­stands­pakts, der zwi­schen den Exo­ten und der recht­mä­ßi­gen Re­gie­rung von San­ta Ma­ria im­mer be­stan­den hat, muß­ten die Exo­ten dem Er­su­chen der San­ta Ma­ria­ner nach­kom­men, als sie um Hil­fe bei der Ver­trei­bung der Quä­ker-Be­sat­zungs­trup­pe ba­ten – denn San­ta Ma­ria konn­te die Art von Rech­nung nicht be­zah­len, die von den Quä­kern vor­ge­legt wur­de.“

„Ja“, sag­te ich. „Das ha­be ich eben­falls vor­aus­ge­se­hen.“

Er warf mir einen schar­fen Blick zu.

„Tat­säch­lich?“ mein­te er. „Wie konn­ten Sie dann an­neh­men, daß …“ Plötz­lich nach­denk­lich ge­wor­den brach er ab.

„Die Sa­che ist die“, sag­te ich leicht­hin. „Den exo­ti­schen Ex­pe­di­ti­ons­korps konn­te es nicht all­zu schwer­fal­len, die Streit­kräf­te der Quä­ker zu­rück­zu­wer­fen, sie zu stel­len und zu schla­gen. Für die Dau­er des Win­ters sind die Kampf­hand­lun­gen nun ein­ge­stellt wor­den. Doch wenn der Äl­tes­te Strah­len­de und sein Kon­zil kei­ne Ver­stär­kung ent­sen­den, dann wer­den sich die Quä­ker­sol­da­ten auf San­ta Ma­ria im nächs­ten Früh­jahr wahr­schein­lich den exo­ti­schen Streit­kräf­ten er­ge­ben müs­sen. Sie kön­nen es sich nicht leis­ten, Ver­stär­kung zu schi­cken, aber sie müs­sen es trotz­dem …“

„Nein“, sag­te Piers, „das wer­den sie nicht.“ Er ver­sah mich mit ei­nem ei­gen­tüm­li­chen Blick. „Sie wol­len ver­mut­lich be­haup­ten, die­se gan­ze Sa­che sei ein Ma­nö­ver der Exo­ten, um die Quä­ker gleich in zwei­fa­cher Hin­sicht zu schröp­fen – ei­ner­seits durch die Hil­fe, die sie der Blau­en Front ge­währ­ten, und an­de­rer­seits durch die Kos­ten der Ent­sen­dung von Ver­stär­kung.“

Ich lä­chel­te in­ner­lich, denn er kam nun auf ge­nau den Punkt zu spre­chen, auf den ich ihn vor drei Jah­ren zu­di­ri­giert hat­te – mit dem einen Un­ter­schied, daß ich ge­plant hat­te, er sol­le es mir sa­gen und nicht ich ihm.

„Stimmt das nicht?“ frag­te ich und gab mich er­staunt.

„Nein“, sag­te Piers hef­tig. „Es ist ge­nau das Ge­gen­teil. Der Strah­len­de und sein Kon­zil wer­den kei­nen Fin­ger rüh­ren, um ihr Ex­pe­di­ti­ons­korps vor der Ge­fan­gen­nah­me oder Massa­krie­rung zu be­wah­ren – vor­zugs­wei­se der Massa­krie­rung. Und das Re­sul­tat wird ge­nau das sein, was Sie in der Öf­fent­lich­keit al­ler Wel­ten gel­tend ge­macht ha­ben. Daß das Prin­zip, nach dem je­de Welt für die Schul­den haft­bar ge­macht wer­den kann, die von ih­ren Ein­woh­nern ein­ge­gan­gen wur­den, ein exis­ten­zi­el­ler – wenn auch nicht recht­lich ab­ge­si­cher­ter – Be­stand­teil des in­ter­stel­la­ren Fi­nanz­ver­kehrs ist. Doch die Exo­ten ver­let­zen die­ses Prin­zip, in­dem sie ge­gen die Quä­ker auf San­ta Ma­ria an­tre­ten. Die Tat­sa­che, daß die Exo­ten an ih­ren Pakt ge­bun­den sind und San­ta Ma­ri­as Er­su­chen um Bei­stand nach­kom­men müs­sen, än­dert über­haupt nichts. Der Strah­len­de wird sich nur auf Ce­ta und New­ton und den an­de­ren Fest­ver­trags­wel­ten nach Un­ter­stüt­zung um­se­hen müs­sen, um ein Bünd­nis zu schaf­fen, das die Exo­ten auf die Knie zwingt.“

Er brach ab und starr­te mich an.

„Ver­ste­hen Sie jetzt“, frag­te er, „auf was ich hin­aus­will? Ver­ste­hen Sie nun, warum ich sag­te, Sie hät­ten zu­gleich recht – mit Ih­rer Pro­phe­zei­ung ei­nes di­rek­ten Waf­fen­gangs zwi­schen Exo­ten und Quä­kern – und un­recht? Er­ken­nen Sie jetzt, wie sehr Sie sich irr­ten?“

Mit Ab­sicht er­wi­der­te ich sei­nen star­ren Blick ei­ne Zeit­lang, be­vor ich ant­wor­te­te.

„Ja“, sag­te ich und nick­te. „Ich ver­ste­he jetzt. Nicht die Exo­ten sind dar­auf aus, den Quä­kern den Garaus zu ma­chen. Es sind die Quä­ker, die die Exo­ten fer­tig­ma­chen wol­len.“

„Ge­nau!“ sag­te Piers. „Der Reich­tum und das spe­zia­li­sier­te Wis­sen der Exo­ten ha­ben den An­gel­punkt der Ver­bin­dung von Locker­ver­trags­wel­ten ge­bil­det, mit dem sie das of­fen­sicht­li­che Über­ge­wicht der von den ge­schäfts­er­fah­re­nen Han­dels­agen­ten an­ge­bo­te­nen Wei­zen­sä­cke aus­glei­chen konn­ten, auf die sich die Macht der Fest­ver­trags­wel­ten grün­det. Wird der Ein­fluß der Exo­ten ge­bro­chen, dann wird auch das Macht­gleich­ge­wicht zwi­schen die­sen bei­den Pla­ne­ten­grup­pen zer­stört. Und nur die­ses Gleich­ge­wicht hat es un­se­rer Al­ten Welt Er­de mög­lich ge­macht, ab­seits bei­der Grup­pen zu ste­hen. Jetzt wird sie von der einen oder an­de­ren Grup­pe ein­ver­leibt – und wer im­mer sie auch be­kommt, er wird un­se­re Gil­de be­herr­schen und da­mit auch die bis­he­ri­ge Un­par­tei­lich­keit un­se­rer Nach­rich­ten­diens­te.“

Er hielt in­ne und sack­te wie er­schöpft in sich zu­sam­men. Dann rich­te­te er sich wie­der auf.

„Wir wis­sen, wel­che Grup­pe die Er­de be­kommt, wenn die Quä­ker sie­gen“, sag­te er. „Der Fest­ver­trags­zu­sam­menschluß. Al­so … wel­che Po­si­ti­on neh­men wir, wir in der Gil­de, jetzt ein, Tam?“

Ich er­wi­der­te sei­nen Blick und gab ihm Zeit, den Ein­druck zu ge­win­nen, ich wür­de über sei­ne Wor­te nach­den­ken. In Wirk­lich­keit je­doch kos­te­te ich den ers­ten Hauch des Aro­mas mei­ner Ra­che. Hier saß er nun und hat­te end­lich den Punkt er­reicht, auf den ich ihn zu­ge­steu­ert hat­te. Ein Punkt, an dem die Gil­de of­fen­bar der Zer­stö­rung ih­res ho­hen Prin­zips der Ob­jek­ti­vi­tät ge­gen­über­stand und ge­zwun­gen wur­de, ge­gen die Quä­ker­wel­ten Par­tei zu er­grei­fen – wenn sie nicht am En­de durch die Par­ti­sa­nen­grup­pe von Wel­ten ein­ge­fan­gen wer­den woll­te, zu der die Fest­ver­trags­pla­ne­ten der Quä­ker ge­hör­ten. Ich ließ ihn ei­ne Zeit­lang war­te« und tiefer in sei­ne ge­dank­li­che Hilf­lo­sig­keit ver­sin­ken. Dann ant­wor­te­te ich ihm lang­sam und mit ru­hi­ger Stim­me.

„Wenn die Quä­ker die Exo­ten schla­gen kön­nen“, sag­te ich, „dann kön­nen die Exo­ten wahr­schein­lich auch die Quä­ker be­sie­gen. Je­de der­ar­ti­ge Si­tua­ti­on hat das Po­ten­ti­al, sich ge­nau in ihr Ge­gen­teil um­zu­keh­ren. Nun, ich könn­te nach San­ta Ma­ria flie­gen, wenn die Früh­jahr­sof­fen­si­ve be­ginnt. Und viel­leicht kann mei­ne Fä­hig­keit, einen tiefe­ren Ein­blick in die Si­tua­ti­on zu ge­win­nen als an­de­re, zu die­ser Um­keh­rung bei­tra­gen – na­tür­lich oh­ne un­ser Prin­zip der Un­par­tei­lich­keit zu ver­let­zen.“

Piers starr­te mich an; sein Ge­sicht war ein we­nig blaß.

„Was mei­nen Sie da­mit?“ frag­te er schließ­lich. „Sie kön­nen sich nicht öf­fent­lich auf die Sei­te der Exo­ten schla­gen – das wol­len Sie da­mit doch nicht sa­gen?“

„Na­tür­lich nicht“, ant­wor­te­te ich. „Aber es ist durch­aus denk­bar, daß ich et­was ent­de­cke, aus dem sie ih­ren Nut­zen zie­hen und so einen Aus­weg aus ih­rer schwie­ri­gen La­ge fin­den könn­ten. Ist das der Fall, so kann ich da­für sor­gen, daß sie die­sen Aus­weg auch se­hen. Ich kann Ih­nen kei­ne Er­folgs­ga­ran­tie ge­ben. Doch an­de­rer­seits, wie Sie selbst sag­ten … wel­che Po­si­ti­on neh­men wir nun ein?“

Er zö­ger­te. Es er­for­der­te kei­nen Ex­tra­sinn, um zu wis­sen, was er dach­te. Was ich vor­schlug, war ei­ne Ver­let­zung des Geis­tes un­se­res Un­par­tei­lich­keit­prin­zips der Gil­de, wenn nicht so­gar der Buch­sta­ben selbst. Wir wür­den Par­tei er­grei­fen – doch Piers glaub­te, daß dies mög­li­cher­wei­se um der Gil­de selbst wil­len er­for­der­lich war, da­mit wir auch wei­ter­hin un­ab­hän­gig blie­ben.

„Ha­ben Sie ir­gend­ei­nen un­um­stöß­li­chen Be­weis da­für, daß der Äl­tes­te Strah­len­de be­ab­sich­tigt, sei­ne Be­sat­zungs­trup­pen ih­rem Schick­sal zu über­las­sen?“ frag­te ich, als er nicht ant­wor­te­te. „Kön­nen wir ganz si­cher sein, daß er kei­ne Ver­stär­kung schickt?“

„Ich ha­be Kon­takt­per­so­nen auf Har­mo­nie, die sich in die­sem Au­gen­blick be­mü­hen, sol­che Be­wei­se zu …“ Sei­ne Er­wi­de­rung wur­de von dem Sum­men des Tisch­vi­si­fons un­ter­bro­chen. Er be­tä­tig­te ei­ne Tas­te, und auf dem Bild­schirm er­schi­en das Ge­sicht von Tom Las­si­ri, sei­nem Se­kre­tär.

„Sir“, sag­te Tom. „Ich ha­be hier einen An­ruf von der Letz­ten En­zy­klo­pä­die. Für Be­richt­er­stat­ter Olyn. Von ei­ner Miss Li­sa Kent. Sie sagt, es sei ei­ne An­ge­le­gen­heit von äu­ßers­ter Dring­lich­keit.“

„Ich neh­me das Ge­spräch an“, sag­te ich, als Piers ge­ra­de erst nick­te. Denn aus ir­gend­ei­nem Grund, den ich so rasch nicht zu er­fas­sen ver­moch­te, be­gann das Herz in mei­ner Brust hef­tig zu klop­fen. Das Bild auf dem Schirm wech­sel­te, und Li­sas Ge­sicht nahm Kon­tu­ren an.

„Tam!“ sag­te sie oh­ne ir­gend­ei­nen Gruß. „Tam, komm so­fort hier­her. Mark Tor­re ist von ei­nem Kil­ler nie­der­ge­schos­sen wor­den. Er stirbt, trotz al­ler Be­mü­hun­gen der Ärz­te. Und er will mit dir spre­chen – mit dir, Tam, be­vor es zu spät ist! Oh, Tam, be­eil dich! Komm so schnell du kannst!“

„Bin un­ter­wegs“, sag­te ich.

Und ich mach­te mich auf den Weg. Ich hat­te kei­ne Zeit, dar­über nach­zu­den­ken, warum ich ih­rer Auf­for­de­rung nach­kom­men soll­te. Der Klang ih­rer Stim­me zerr­te mich aus mei­nem Ses­sel und schob mich aus Piers Bü­ro hin­aus, wie ei­ne kräf­ti­ge Hand, die mich bei den Schul­tern ge­packt hat­te. Ich mach­te mich auf den Weg.