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Die mir gleichgestellten Kollegen in der Gilde behielten mich noch immer genau im Auge. Und als ich nach St. Louis auf der Erde zurückkehrte, fand ich inmitten meiner Post auch eine Nachricht von Piers Leaf.
Lieber Tam,
Ihre Artikelserie war eine ausgezeichnete Arbeit. Aber unter der Berücksichtigung dessen, worüber wir bei unserem letzten Treffen gesprochen haben, bin ich geneigt zu glauben, eine direktere Berichterstattung entspräche Ihren beruflichen Intentionen eher, als die Beschäftigung mit dieser Art von Hintergrundmaterial.
Mit den besten Wünschen für Ihre Zukunft …
P.L.
Es war eine ziemlich deutliche Warnung, nicht den Fehler zu begehen, mich persönlich in der Sache zu engagieren, in der zu ermitteln ich ihm versprochen hatte. Sie wäre vielleicht Anlaß genug gewesen, meine geplante Reise nach Santa Maria um einen Monat oder so zu verschieben. Aber gerade zu dieser Zeit hatte Donal Graeme, der als Kriegsherr für die Quäker das Kommando übernommen hatte, seinen unglaublichen – Militärhistoriker nennen ihn „unglaublich brillanten“ – Angriff auf Oriente ausgeführt, einen unbewohnten Planeten des gleichen Sonnensystems, zu dem auch die Exotischen Welten gehören. Und wie die vierzehn Welten praktisch unmittelbar darauf feststellten, hatte dieser Angriff folgendes Ergebnis: Er zwang den größten Teil der exotischen Raumflotte zur Kapitulation und ruinierte völlig die Karriere und den Ruf von Geneve bar-Colmain, dem derzeitigen Planeten- und Raum-Kommandeur der Exoten.
Und da die Exoten auf den vierzehn Welten durchweg sehr beliebt waren, folgte daraus die unmittelbare Konsequenz, das all das vollkommen ausradiert wurde, was meine Artikelserie bewirkt hatte. Doch damit war ich durchaus einverstanden. Was ich mit ihrer Veröffentlichung zu erreichen gehofft hatte, hatte ich bereits erreicht: eine Auflösung der Feindseligkeit und des Mißtrauens, mit dem Truppenkommandeur Wassel und seine Streitkräfte mir ganz persönlich begegnet waren.
Ich flog nach Santa Maria, einer kleinen, aber fruchtbaren Welt, die sich zusammen mit Coby, dem Bergarbeiter-Planeten, und einigen unbewohnten Felsbrocken wie Oriente das Sonnensystem der Exotischen Welten Mara und Kultis teilt. Mein offizieller Besuchszweck bestand darin herauszufinden, welche Auswirkungen das militärische Desaster von Oriente auf diesen kleinbürgerlichen Planeten mit seiner in der Mehrzahl römisch-katholischen und überwiegend bäuerlichen Bevölkerung hatte.
Zwar gab es bis auf einen gegenseitigen Beistandspakt keine offizielle Verbindung zwischen ihnen, doch Santa Maria war aufgrund der räumlichen Lage zwangsläufig fast so etwas wie ein Mündel der größeren und mächtigeren Exotischen Welten. Wie jede Welt mit reichen und einflußreichen Nachbarn, stieg und fiel Santa Maria – was Regierung und Geschäfte anbelangte – mit dem Schicksal der Exoten. Für die lesende Öffentlichkeit der vierzehn Welten war es sicher interessant zu erfahren, wie die Fahnen aus Standpunkten und Politik auf Santa Maria nach der Niederlage der Exoten auf Oriente nun wehten.
Wie zu erwarten gewesen war, wehten sie jetzt in entgegengesetzter Richtung. Nachdem ich rund fünf Tage lang an den richtigen Fäden gezogen hatte, erreichte ich schließlich, daß mir Marcus O’Doyne, ehemaliger Präsident und politischer Führer der sogenannten Blauen Front, der oppositionellen politischen Partei auf Santa Maria, ein Interview gab. Es war nicht viel Menschenkenntnis nötig, um zu erkennen, daß er beinah platzte vor schlecht verhüllter Schadenfreude.
Wir trafen uns in seiner Hotelsuite in Blauvain, der Hauptstadt von Santa Maria. Er war von nur durchschnittlicher Größe, doch sein Kopf war überdimensioniert, mit einem grobknochigen und ausdrucksstarken Gesicht unter dem welligen, weißen Haar. Er saß wie eine mächtige Melone auf den herabhängenden und ziemlich schmalen Schultern. O’Doyne hatte die Angewohnheit, seine Stimme im Tonfall eines Tribünenredners dröhnend zu heben, selbst während eines ganz normalen Gesprächs, und das machte ihn mir nicht gerade sympathisch. Seine blassen, blauen Augen glühten auf, wenn er sprach.
„… sie sind aufgewacht, beim … Heiligen Georg!“ sagte er, als wir mit gefüllten Gläsern in den Händen in den viel zu weichen Sesseln des Wohnzimmers seiner Hotelsuite Platz genommen hatten. Er hielt kurz inne und schöpfte theatralisch Atem, bevor er den Ausruf „… Heiliger Georg!“ mit Nachdruck betonte – als wollte er mich darauf hinweisen, daß er beinahe den Namen Gottes in den Mund genommen hätte, sich aber noch rechtzeitig eines Besseren besonnen hatte. Es war, wie ich bald feststellte, ein einstudierter Trick von ihm: Er gab sich den Anschein, als ertappe er sich immer noch gerade rechtzeitig bei einer Lästerung oder Unanständigkeit.
„… die einfachen Menschen … die bäuerlichen Menschen“, sagte er und beugte sich mir vertraulich entgegen. „Sie haben hier geschlafen. Sie haben jahrelang geschlafen. Sie sind eingelullt worden von dieser Brut des … die Pest über die Exoten. Aber diese Sache auf Oriente hat sie aufgeweckt. Ihnen die Augen geöffnet!“
„Eingelullt … wie?“ fragte ich.
„Gesang und Tanz, Tanz und Gesang!“ O’Doyne rückte auf der Couch hin und her. „Hexenmeister-Magie! Taschenspielertricks – oh, mit tausend und noch mehr Dingen, Berichterstatter. Sie würden es nicht glauben!“
„Aber meine Leser vielleicht“, gab ich zurück. „Können Sie mir einige Beispiele geben?“
„Ach … zum Teufel mit Ihren Lesern! Ja, ich sage … zum Teufel mit Ihren Lesern!“ Wieder rückte er nach vorn und starrte mich überheblich an. „Es ist der einfache Einwohner meines Heimatplaneten, um den ich mich sorge! Der einfache Einwohner. Er kennt die Beispiele, die Nötigungen, die Falschheiten! Wir sind hier keine Hinterwäldler, Mr. Olyn, auch wenn Sie das vielleicht glauben! Nein, ich sage … zum Teufel mit Ihren Lesern, und … zum Teufel mit Ihnen! Ich werde nicht einen einzigen Menschen dem teuflischen Bann dieser … Satansjünger ausliefern, indem ich Ihnen exakte Beispiele nenne.“
„Wenn das so ist, dann geben Sie mir nicht viel in die Hand, über das ich schreiben könnte“, sagte ich. „Ich schlage vor, wir wechseln deshalb besser das Thema. Habe ich richtig verstanden, daß Sie behaupten, die Mitglieder der jetzigen Regierung könnten nur deshalb an der Macht bleiben, weil die Exoten Druck auf Santa Maria ausüben?“
„Es sind schlicht und einfach Beschwichtiger, Mr. Olyn. Die Regierung … nein, nein! Nennen wir sie die Grüne Front, denn nur das ist sie! Sie behauptet, das ganze Volk von Santa Maria zu repräsentieren. Sie … Kennen Sie unsere politische Situation hier?“
„Soweit ich weiß“, sagte ich, „hat Ihre Verfassung den Planeten ursprünglich in gleich große politische Bezirke aufgeteilt, und von jedem dieser Bezirke werden zwei Repräsentanten zu einer planetaren Regierung entsandt. Wenn ich richtig unterrichtet bin, behauptet Ihre Partei, aufgrund der gewachsenen Stadtbevölkerung sei es den ländlichen Bezirken möglich, die Städte zu kontrollieren, da eine Stadt wie Blauvain mit einer halben Million Einwohner nicht stärker vertreten ist als ein Bezirk, in dem nur drei- oder viertausend Menschen leben.“
„Genau, genau!“ O’Doyne rückte vor, und seine Stimme dröhnte mir vertraulich entgegen. „Wie immer in solchen historischen Etappen, ist eine Neuaufteilung dringend notwendig. Aber wird sich die Grüne Front durch eine Abstimmung selbst die Macht nehmen? Kaum! Nur eine entschlossene Bewegung, nur eine im Volk verwurzelte Revolution kann ihr die Regierungsgewalt nehmen und unsere eigene Partei, die den einfachen Menschen repräsentiert, dem niemand Beachtung schenkt, den entrechteten Städter, an die Macht bringen.“
„Glauben Sie, daß eine solche im Volk verwurzelte Revolution zum gegenwärtigen Zeitpunkt möglich ist?“ Ich schob den Lautstärkeregler meines Recorders nach unten.
„Vor Oriente hätte ich geantwortet … nein! Auch wenn ich es mir noch so gewünscht hätte … nein! Aber seit Oriente …“ Er hielt inne, lehnte sich triumphierend zurück und sah mich bedeutsam an.
„Seit Oriente?“ spornte ich ihn an, da ich mit bedeutsamen Blicken und bedeutsamem Schweigen allein nichts anfangen konnte. Aber O’Doyne zeigte die typische Vorsicht eines Politikers, sich nicht in eine Ecke drängen zu lassen.
„Nun, seit Oriente“, sagte er, „ist es offensichtlich geworden – offensichtlich für jedermann mit gesundem Menschenverstand –, daß Santa Maria seinen eigenen und unabhängigen Weg gehen muß. Daß wir diesen Weg ohne die parasitäre, kontrollierende Hand der Exoten beschreiten müssen. Und wo können diejenigen gefunden werden, die das mitgenommene Schiff unseres Planeten durch die stürmischen Prüfungen der Zukunft steuern können? In den Städten, Berichterstatter! In den Reihen jener von uns, die zeitlebens für die Interessen des einfachen Menschen gekämpft haben. In unserer Partei der Blauen Front!“
„Ich verstehe“, sagte ich. „Aber legt Ihre Verfassung nicht fest, daß zu einer Änderung der Anzahl der Bezirksrepräsentanten eine Wahl erforderlich ist? Und kann eine Wahl nicht nur von der Stimmenmehrheit der gegenwärtigen Repräsentanten ausgeschrieben werden? Und hat nicht die Grüne Front im Augenblick die Majorität, so daß sie kaum eine Wahl genehmigen wird, die den größten Teil ihrer Mitglieder auf die Oppositionsbänke zwingt?“
„Richtig!“ dröhnte er. „Das stimmt!“ Er rückte vor und zurück und starrte mich noch immer mit der gleichen deutlichen Andeutung von Bedeutsamkeit an.
„Dann“, sagte ich, „weiß ich nicht, wie die im Volk verwurzelte Revolution, von der Sie sprachen, möglich sein soll, Mr. O’Doyne.“
„Alles ist möglich!“ antwortete er. „Für den einfachen Menschen ist nichts unmöglich! Es liegt etwas in der Luft, und die Luft kommt in Bewegung. Wer kann das leugnen?“
Ich schaltete meinen Recorder ab.
„Nun“, sagte ich, „so kommen wir nicht weiter. Vielleicht können wir ohne Mitschnitt etwas freier reden?“
„Ohne Mittschnitt? Sicherlich! Natürlich … selbstverständlich!“ sagte er herzlich. „Ob Mitschnitt oder nicht, ich werde Ihnen genauso bereitwillig alle Fragen beantworten, Berichterstatter. Und wissen Sie, warum? Weil es für mich überhaupt keine Rolle spielt, ob Ihr Recorder ein- oder ausgeschaltet ist.“
„Also gut“, sagte ich. „Was ist mit den Dingen, die in der Luft liegen? Können Sie mir ein Beispiel geben, ohne Mittschnitt?“
Er rückte mir entgegen und senkte die Stimme.
„Es gibt … Zusammenkünfte, selbst in den ländlichen Gebieten“, murmelte er. „Wachsende Unruhe … soviel kann ich Ihnen sagen. Wenn Sie mich nach Orten fragen – nach Namen –, nun, dann muß ich Sie enttäuschen. Die nenne ich Ihnen nicht.“
„Dann speisen Sie mich nicht nur mit vagen Andeutungen ab“, sagte ich. „Daraus kann ich keine Story machen. Und ich nehme an, Sie würden es gern sehen, wenn ich einen Bericht über diese Sachlage verfasse?“
„Ja, aber …“ Seine kräftigen Kiefer mahlten. „Ich kann es Ihnen nicht sagen. Ich kann das Risiko nicht eingehen … nein, mehr sage ich Ihnen nicht!“
„Ich verstehe“, gab ich zurück. Ich wartete eine ganze Zeitlang. Er öffnete den Mund, schloß ihn wieder und rutschte nervös auf der Couch herum. „Vielleicht“, sagte ich langsam, „vielleicht gibt es doch noch eine Möglichkeit.“
Unter den weißen Brauen glänzten seine Augen auf, und er warf mir einen beinah mißtrauischen Blick zu.
„Vielleicht könnte ich statt dessen Ihnen etwas erzählen“, sagte ich ruhig. „Sie brauchten nichts zu bestätigen. Und natürlich werden auch, wie ich bereits sagte, meine eigenen Bemerkungen nicht aufgezeichnet.“
„Sie erzählen … mir etwas?“ Er starrte mich durchdringend an.
„Warum nicht?“ sagte ich gelassen. Er war zu sehr an öffentliches Auftreten gewohnt, als daß er seine Verblüffung gezeigt hätte, doch er starrte mich weiterhin an. „In den Nachrichtendiensten haben wir unsere eigenen Informationskanäle. Und dadurch können wir uns einen allgemeinen Überblick verschaffen, auch wenn einige Einzelheiten fehlen. Nun – und ich möchte betonen, dies ist eine rein hypothetische Bemerkung –, die derzeitige allgemeine Lage auf Santa Maria scheint genau so zu sein, wie Sie sie beschrieben haben. Wachsende Unruhe, Zusammenkünfte und unter der Oberfläche rumorende Unzufriedenheit mit den gegenwärtigen Machthabern – einer Marionettenregierung, wie Sie sagen würden.“
„Ja“, knurrte er. „Das ist genau der richtige Ausdruck. Das ist es tatsächlich … eine verdammte Marionettenregierung!“
„Doch wie wir bereits gesagt haben“, fuhr ich fort, „ist diese Marionettenregierung gleichzeitig durchaus in der Lage, jede Art von lokalem Aufstand niederzuschlagen, und sie wird kaum eine Wahl ausschreiben, die ihr selbst die Macht nimmt. Und – ohne die Ausschreibung einer solchen Wahl – scheint es keinen verfassungsgemäßen Weg zu geben, den Status quo zu ändern. Die überaus befähigten und selbstlosen Führer, die man andererseits auf Santa Maria unter den Mitgliedern der Blauen Front finden könnte – ich sage könnte, denn ich bin natürlich neutral –, scheinen auf legale Weise dazu verurteilt zu sein, Privatpersonen zu bleiben und nicht die Macht zu erlangen, ihren Heimatplaneten vor fremdem Einfluß zu bewahren.“
„Ja“, murmelte er und starrte mich an. „Ja.“
„Welche Möglichkeiten bleiben also jenen übrig“, sprach ich weiter, „die Santa Maria vor dem Unheil schützen wollen, das von der jetzigen Regierung droht? Da alle rechtlichen Mittel einer politischen Kursänderung verbaut sind, könnten tapfere und entschlossene Männer zu dem Schluß kommen, ihnen bliebe nur noch eine Möglichkeit übrig – nämlich sich in so schweren Zeiten einfach über die normalen Verfahrensweisen hinwegzusetzen.
Wenn es keinen verfassungsgemäßen Weg gibt, diejenigen aus dem Amt zu entfernen, die gegenwärtig in der Regierung das Heft in der Hand haben, dann werden sie am Ende vielleicht auf andere Weise beiseite geschafft, zum angeblichen Nutzen von ganz Santa Maria und allen Bewohnern dieses Planeten.“
Er starrte mich an. Seine Lippen zitterten ein wenig, aber er sagte kein Wort. Die blassen blauen Augen unter den weißen Brauen schienen ein wenig größer zu werden.
„Kurz gesagt: Für jene, die davon überzeugt sind, diesen Planeten vor dem Untergang retten zu müssen, scheint die einzige Lösung in einem unblutigen Staatsstreich zu bestehen, einer direkten und gewaltsamen Amtsenthebung dieser schlechten Führer. Nun, wir wissen …“
„Warten Sie …“ unterbrach mich O’Doyne mit schallender Stimme. „Ich muß Ihnen an dieser Stelle versichern, Berichterstatter, daß mein Schweigen nicht als Bestätigung solcher Spekulationen ausgelegt werden kann. Sie dürfen nicht schreiben …“
„Aber ich bitte Sie“, sagte ich, und jetzt war es an mir, ihn zu unterbrechen. Ich hob die Hand. Er ließ sich weitaus einfacher das Wort abschneiden, als ich erwartet hatte. „Das alles sind nur rein theoretische Überlegungen von mir. Ich glaube nicht, daß es irgendwelche Übereinstimmungen mit der tatsächlichen Situation gibt.“ Ich zögerte. „Der einzige offene Punkt bei der Darstellung dieser Lage – einer theoretischen Lage – ist das Problem der Durchführung. Wir wissen folgendes: Auch wenn die Blaue Front bei der letzten Wahl zahlenmäßig und von der Materialstärke her gesehen hundert zu eins überlegen war, so läßt sich das doch kaum mit der planetaren Streitmacht vergleichen, auf die die Regierung von Santa Maria zurückgreifen kann.“
„Unsere Unterstützung … die Unterstützung der Volksmassen …“
„Oh, natürlich“, sagte ich. „Doch trotzdem stellt sich das Problem, wie man in dieser Lage tatsächlich physisch wirksame Aktionen unternimmt. So etwas würde Waffen erfordern und Männer – ganz besonders Männer. Womit ich natürlich Soldaten meine, die entweder hier rekrutierte Truppen ausbilden oder selbst militärisch intervenieren …“
„Mr. Olyn“, sagte O’Doyne. „Ich muß mich solchen Worten gegenüber verwahren. Ich muß sie verurteilen. Ich muß …“, er war aufgestanden, um im Raum umherzuwandern, und ich sah zu, wie er auf und ab ging, mit wehenden Armen, „ich muß es ablehnen, solchen Worten weiterhin zuzuhören.“
„Verzeihen Sie“, sagte ich. „Wie ich bereits erwähnte, handelt es sich hierbei nur um eine hypothetische Gedankenspielerei. Aber der Punkt, auf den ich hinauswill …“
„Der Punkt, auf den Sie hinauswollen, interessiert mich nicht, Berichterstatter!“ sagte O’Doyne, und mit finsterem Gesicht blieb er vor mir stehen. „Er interessiert niemanden bei uns in der Blauen Front.“
„Selbstverständlich nicht“, sagte ich besänftigend. „Das weiß ich. Die ganze Sache ist natürlich völlig unmöglich.“
„Unmöglich?“ O’Doyne versteifte sich. „Was ist unmöglich?“
„Nun, diese ganze Sache mit dem Staatsstreich“, antwortete ich. „Es ist ganz offensichtlich. So etwas würde in jedem Fall Hilfe von außen erfordern – die Dienste militärisch ausgebildeter Männer zum Beispiel. Solche Soldaten müßten von einer anderen Welt zur Verfügung gestellt werden – und welche andere Welt wäre dazu bereit, einer obskuren oppositionellen politischen Partei auf Santa Maria wertvolle Truppenkontingente auszuleihen?“
Ich ließ meine Stimme verklingen, lächelte schweigend und blickte ihn an, als rechnete ich mit einer Antwort auf meine letzte Frage. Und er saß mir gegenüber und erwiderte meinen Blick, als rechnete er damit, ich würde sie mir selbst beantworten. Es müssen gut zwanzig Sekunden gewesen sein, die wir uns in gegenseitigem und erwartungsvollem Schweigen anstarrten. Dann brach ich die Stille erneut und erhob mich, als ich wieder zu sprechen begann.
„Offensichtlich keine“, sagte ich mit einer Andeutung von Bedauern in meiner Stimme. „Und deshalb muß ich zu dem Schluß kommen, daß es letzten Endes keine Anzeichen für einen in absehbarer Zeit hier auf Santa Maria erfolgenden Regierungswechsel gibt. Oder auch zu einem Wandel in den Beziehungen zu den Exoten. Nun“, ich streckte meine Hand aus, „ich muß mich dafür entschuldigen, daß ich es bin, der dieses Interview beendet, Mr. O’Doyne. Aber wissen Sie, ich habe ganz die Zeit vergessen. In fünfzehn Minuten werde ich im Regierungsgebäude auf der anderen Seite der Stadt erwartet – zu einem Interview mit dem Präsidenten, um auch den Standpunkt der anderen Seite kennenzulernen. Und dann muß ich mich beeilen, um rechtzeitig zum Raumhafen zurückzukehren und an Bord des heute abend zur Erde abfliegenden Schiffes zu gehen.“
Er erhob sich automatisch und schüttelte mir die Hand.
„Keine Ursache“, antwortete er. Seine Stimme hob sich und dröhnte kurz auf, dann sank die Lautstärke wieder auf ein normales Maß. „Keine Ursache … es war mir ein Vergnügen, Sie mit der tatsächlichen Lage hier vertraut zu machen, Berichterstatter.“ Er ließ meine Hand los, beinah widerstrebend.
„Also dann … auf Wiedersehen“, sagte ich.
Ich wandte mich zum Gehen, und ich war auf halbem Wege zur Tür, als hinter mir erneut seine Stimme erscholl.
„Berichterstatter Olyn …“
Ich blieb stehen und drehte mich um.
„Ja?“ fragte ich.
„Ich glaube“, seine Stimme dröhnte plötzlich auf, „es ist meine Pflicht, Sie etwas zu fragen … Sie im Namen der Blauen Front, im Namen meiner Partei, aufzufordern, mir Auskunft zu geben über alle Gerüchte, die Ihnen betreffs der Identität einer Welt zu Ohren gekommen sind – irgendeiner Welt –, die bereit wäre, einer tüchtigen und volksnahen Regierung hier auf Santa Maria zu Hilfe zu kommen. Hier auf dieser Welt sind wir ebenfalls Ihre Leser, Berichterstatter. Auch wir haben das Recht, Informationen von Ihnen zu verlangen. Haben Sie von einem Planeten gehört – aus sicherer Quelle oder gerüchteweise, wie auch immer –, der bereit ist, einer volkstümlichen Bewegung auf Santa Maria Unterstützung zu gewähren, damit wir die Knechtschaft durch die Exoten brechen und eine gleichwertige Vertretung unseres Volkes gewährleisten können?“
Ich sah zu ihm zurück. Ich ließ ihn ein oder zwei Sekunden lang warten.
„Nein“, sagte ich. „Nein, Mr. O’Doyne, das habe ich nicht.“
Er stand regungslos, als hätten ihn meine Worte in dieser Haltung eingefroren, ein wenig breitbeinig und mit vorgeschobenem Kinn, als wollte er mich herausfordern.
„Es tut mir leid“, sagte ich. „Auf Wiedersehen.“
Ich verließ die Hotelsuite. Ich glaube, er hat meinen Abschiedsgruß nicht einmal erwidert.
Ich suchte das Regierungsgebäude auf, und während des zwanzigminütigen Interviews mit Charles Perrini, dem Präsidenten der Regierung von Santa Maria, schnitt ich eine Reihe von liebenswürdigen Gemeinplätzen mit, die die Situation auf dieser Welt in bestem Licht darstellten. Dann kehrte ich über Neu Sankt Markus und Josefstadt zum Raumhafen und dem Linienschiff zurück, das zur Erde abflog.
Auf der Erde machte ich nur Zwischenstation und flog sofort weiter nach Harmonie und dem Sitz des Vereinigten Kirchenkonzils, das von den beiden Quäkerwelten Harmonie und Eintracht zusammen verwaltet wird. Fünf Tage verbrachte ich in der dortigen Stadt und stand mir in den Amtsräumen und Unteroffiziers-Wachstuben ihres sogenannten Büros für Öffentlichkeitsarbeit die Beine in den Bauch.
Am sechsten Tag zahlte sich eine Nachricht aus, die ich unmittelbar nach meiner Ankunft an Truppenkommandeur Wassel geschickt hatte. Man brachte mich zum eigentlichen Konzilsgebäude. Und nachdem ich nach Waffen durchsucht worden war – auf den Quäkerwelten gab es einige gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen konkurrierenden sektiererischen Kirchengruppen, und offenbar machten sie keine Ausnahmen, nicht einmal für Berichterstatter –, gestattete man mir Zugang zu einem Büro mit niedriger Decke und kahlen Wänden. Und dort, im Zentrum des schwarz-weißen Musters der Bodenfliesen, umgeben von ein paar Stühlen mit geraden Rückenlehnen, stand ein schwerer Tisch, hinter dem ein ganz in Schwarz gekleideter Mann saß.
Das einzige Weiß an ihm waren sein Gesicht und seine Hände. Alles andere war bedeckt. Seine Schultern waren so eckig und breit wie ein Scheunentor, und die Augen in dem weißen Gesicht darüber waren so schwarz wie seine Kleidung und schienen mir entgegenzuglühen. Er erhob sich und kam um den Tisch herum, um mir die Hand zu reichen. Er war einen halben Kopf größer als ich.
„Gott sei mit Ihnen“, sagte er.
Wir schüttelten uns die Hände. An der dünnen Linie seines geraden Mundes klebte die Spur eines deutlichen Hauchs von Belustigung. Und der Blick seiner Augen schien mich wie mit den zwei Skalpellen eines Chirurgen zu sezieren. Er drückte mir die Hand, nicht fest, aber mit der Andeutung einer Kraft, die meine Finger wie in einem Schraubstock zerquetschen konnte, wenn er gewollt hätte.
Endlich stand ich ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüber: dem Ältesten des Konzils der Ältesten, dem Oberhaupt der vereinigten Kirchen von Harmonie und Eintracht, jenem Mann, den man den Strahlenden nannte, dem Ersten unter den Quäkern.