12
Ich hatte erwartet, daß sie viel eher auftauchen würden. Die Quäker waren natürlich überall um uns und in unserer Nähe, seitdem wir den Hügel mit seinem toten Kommandanten verlassen hatten. Diese zwei mußten zu denjenigen gehören, die als erste die Stellung entdeckt hatten, dann aber weitergezogen waren.
Es gehörte nämlich zu ihren Aufgaben, wichtige Widerstandsnester der Cassidaner auszumachen und dann Verstärkung heranzuholen, um diese Stellen zu eliminieren. Vielleicht gehörten auch Horchgeräte zu ihrer Ausrüstung, wahrscheinlich achteten sie aber zunächst wenig darauf, da ihnen das Gerät nichts weiter vermittelte als das Streitgespräch zweier Männer, und das war nach ihren Befehlen zu unbedeutend, um sich weiter darum zu kümmern.
Doch wenn ein einzelner Mann um Hilfe rief, so war dies Ereignis ungewöhnlich genug, um der Sache nachzugehen. Ein Streiter Gottes konnte sich nicht die Blöße geben, solches zu tun, ob er nun persönlicher Hilfe bedurfte oder nicht. Und warum sollte ein Cassidaner um Hilfe rufen, in einem Gelände, wo keine Kampfhandlungen stattfanden? Wer aber sollte außer den Streitern Gottes oder ihren bewaffneten Gegnern sich in diesem Gelände aufhalten?
Nun wußten sie also Bescheid – ein Berichterstatter und sein Assistent, Zivilisten obendrein, wie ich den beiden sofort erklärte. Dennoch blieben ihre Waffen weiter im Anschlag.
„Macht doch die Augen auf!“ rief ich ihnen zu. „Seht ihr denn nicht, daß ich einen Arzt brauche? Bringt mich sofort zu einem eurer Feldlazarette!“
Sie schauten mich aus ihren glatten, jungen Gesichtern mit unschuldigen Augen an. Der eine trug das Abzeichen eines Obergefreiten auf dem Kragenspiegel, der andere war nur ein einfacher Schütze. Beide waren noch unter zwanzig.
„Wir haben keine Befehle, die besagen, von unserem Weg abzuweichen und in irgendein Feldlazarett zurückzukehren“, sagte der Obergefreite, indem er als Ranghöchster in beider Namen sprach. „Ich kann Sie nur zu einer Sammelstelle für Kriegsgefangene führen, wo man sich Ihrer zweifellos annehmen wird.“ Er trat einen Schritt zurück, die Waffe immer noch auf uns gerichtet. „Hilf dem anderen, Greten, seinen verwundeten Mitmenschen zu führen“, sagte er zu seinem Kameraden, wobei er wieder in seinen altertümlichen Dialekt verfiel. „Stütze ihn, und ich werde dich begleiten. Gib mir dein Gewehr.“
Der andere gab ihm sein Gewehr, und ich, auf ihn und Dave gestützt, humpelte diesmal etwas bequemer weiter, obwohl mich der Schmerz immer noch peinigte. Schließlich erreichten wir eine Lichtung. Es war nicht eine dieser mit hohem Gras bewachsenen Lichtungen, sondern eine offene Stelle, die ein umgestürzter Riesenbaum unter den übrigen Bäumen freigepflügt hatte. Dort befanden sich etwa zwanzig niedergeschlagene Cassidaner, entwaffnet und von vier jugendlichen Quäkern bewacht, ähnlich jenen beiden, die uns gefangengenommen hatten.
Dave und der junge Quäker ließen mich vorsichtig zu Boden gleiten und lehnten mich gegen den umgestürzten Baumstamm. Dann trieben sie Dave zu den übrigen uniformierten Cassidanern, die ebenfalls neben dem umgestürzten Baumstamm standen, die vier bewaffneten Quäker-Wachen vor sich. Ich rief, man solle Dave als Zivilisten bei mir lassen, indem ich auf seine weiße Armbinde und die fehlenden Rangabzeichen hinwies. Doch die sechs Leute in ihrer schwarzen Uniform ignorierten mich.
„Wer ist der Ranghöchste hier?“ fragte der Obergefreite.
„Ich bin der älteste“, erwiderte einer von den vier Wachmännern. „Aber dienstrangmäßig stehe ich unter dir.“
Das stimmte. Doch der Mann war mindestens Mitte Zwanzig, also bedeutend älter als die anderen, und sein Tonfall verriet den erfahrenen Soldaten, der nicht lange fackelte.
„Dieser Mann ist Berichterstatter“, sagte der Obergefreite und deutete auf mich. „Er behauptet, daß der andere unter seinem Schutz steht. Natürlich muß der Nachrichtenmann ärztlich versorgt werden. Und da wir ihn nicht zum nächsten Feldlazarett bringen können, solltest du den Fall höheren Orts melden.“
„Wir haben kein Meldegerät“, sagte der andere. „Unsere Meldezentrale ist zweihundert Meter weiter.“
„Greten und ich werden hierbleiben und uns der Wache zugesellen, während einer von euch zur Meldezentrale geht.“
„Unsere Befehle“, meinte der andere störrisch, „sehen nicht vor, daß einer von uns aus einem solchen Grund seinen Posten verläßt.“
„Dies hier dürfte ein Sonderfall sein.“
„Ist aber nicht vorgesehen.“
„Immerhin …“
„Ich habe dir gesagt, daß die Befehle so etwas nicht vorsehen!“ fuhr ihn der andere an. „Wir können nichts tun, bevor nicht ein Offizier oder ein Gruppenführer hier eintrifft!“
„Wird bald einer kommen?“ Der Obergefreite war durch die Vehemenz der Einwände des älteren erschüttert und bedachte mich mit einem unsicheren Blick. Und mir war, als hätte er bereits bereut, die Möglichkeit einer ärztlichen Hilfe für uns überhaupt erwähnt zu haben. Doch ich hatte den Mann anscheinend unterschätzt. Sein Gesicht war zwar bleich, doch er redete beschwörend auf den älteren ein.
„Ich weiß es nicht“, erwiderte der andere.
„Dann werde ich zu eurer Meldezentrale gehen. Warte hier, Greten.“
Damit schulterte er sein Gewehr und ging fort. Wir haben ihn nie wiedergesehen.
Mittlerweile begannen der Zorn und das Adrenalin in meinem Körper, die mir geholfen hatten, die Schmerzen im Unterstand zu bekämpfen, die die Beine, die Kniescheibe, das Fleisch, die Nerven und die Knochen durchbohrten, zu verrauchen und zu schwinden. Ich spürte nicht mehr den immer wiederkehrenden, stechenden Schmerz, wenn ich versuchte, das Bein zu bewegen. Es war eher ein ständig anschwellender, stetiger Schmerz, der in den Oberschenkel ausstrahlte, und ich fühlte mich weniger benommen. Ich begann mich zu fragen, ob ich diesen Schmerz wohl aushalten konnte – und dann, plötzlich, fiel es mir wie Schuppen von den Augen, so wie es einem ergeht, wenn er plötzlich erkennt, daß das, wonach er gesucht hat, in greifbarer Nähe liegt. Mir war mein Gürtel eingefallen.
An diesem Gürtel aber war, wie am Koppel eines jeden Soldaten, ein kleiner Feldverbandkasten befestigt. Ich mußte trotz meiner Schmerzen fast lachen, als ich jetzt nach dem Kasten griff. Ich klappte das Kästchen auf und holte zwei achteckige Tabletten heraus. Unter den Bäumen wurde es allmählich dunkel, so daß ich die rote Farbe der Pillen nicht erkennen konnte, doch ich konnte ihre Form ertasten, und das genügte. Die achteckige Form war zu diesem Zweck gewählt worden.
Ich zerkaute die Tablette und schluckte sie ohne Flüssigkeit herunter. Mir war, als würde ich aus der Ferne Daves Stimme erkennen, der sich immer noch ziemlich laut gebärdete. Doch die Pille begann sofort ihre betäubende, beruhigende Wirkung zu entfalten, die sich über meinen ganzen Körper ausbreitete. Der Schmerz war bereits verschwunden, ich aber fühlte mich intakt und wie neu geboren – und nichts kümmerte mich mehr außer dem Frieden und dem Wohlgefühl, das meinen Körper durchströmte.
Wieder hörte ich David rufen. Diesmal verstand ich ihn, doch das, was er sagte, störte mich nicht. Er sagte, er habe mir bereits die Schmerztabletten aus seinem Vorrat gegeben, als ich vorhin zweimal das Bewußtsein verloren hatte. Ich hätte also eine Überdosis geschluckt und würde dringend Hilfe brauchen. Ebenfalls, wie aus der Ferne, wuchs die Dunkelheit um mich herum, und ich vernahm ein Dröhnen wie Donnergrollen über mir, und dann, ebenfalls wie aus weiter Ferne, drang eine feine, angenehme Musik an mein Ohr, wie das Trommeln von Millionen Regentropfen, die auf das Laubdach über mir klatschen.
Dann entschwebte ich in ein angenehmes Nichts.
Als ich wieder zu mir kam, achtete ich sehr wenig auf das, was um mich herum vorging, da mir die Nachwirkungen der Überdosis zu schaffen machten. Mein Knie schmerzte nicht mehr, da ich es nicht bewegt hatte, doch es war geschwollen und steif wie eine stählerne Stange. Sobald ich aber das Knie bewegte, schoß der Schmerz in mir hoch und erschütterte mich wie eine Explosion.
Ich erbrach mich und begann mich danach etwas wohler fühlen. Und allmählich wurde ich mir auch dessen bewußt, was um mich herum vorging. Ich war naß bis auf die Haut, weil der Regen, der sich zunächst im Laub der Bäume verfangen hatte, nun bis zu uns durchgedrungen war. Etwas weiter unter den Bäumen standen die Gefangenen und ihre Wächter in einer lockeren Gruppe, unter ihnen ein Neuankömmling, der die schwarze Uniform der Quäker trug. Es war ein Gruppenführer in mittleren Jahren, schlank und mit zerfurchtem Gesicht. Er hatte den Mann, der Greten hieß, beiseite gezogen, um mit ihm zu sprechen.
Über uns, in jenen kleinen Lücken zwischen den Zweigen, die der Riesenbaum beim Umstürzen verschont hatte, als er diese kleine Lichtung bildete, hatte sich der Himmel nach dem Gewitter aufgeklärt. Aber der Himmel war immer noch bewölkt, und die Wolken glühten im Farbenspiel der sinkenden Sonne. Vor meinen Augen, die immer noch von der Droge getrübt waren, schien das Abendrot herabzusteigen und umrandete die Umrisse der durchnäßten, graugekleideten Gefangenen und glitzerte auf den durchweichten schwarzen Uniformen der Quäker.
Rot und Schwarz, Schwarz und Rot – alles Gestalten, schemenhafte Gestalten wie in einem Kirchenfenster, über dem sich das Laubdach der Bäume wie ein Dom wölbte. Ich aber saß da, fröstelnd in meinen durchweichten Kleidern, und starrte auf die beiden Männer, die sich lebhaft unterhielten. Und allmählich drangen ihre Worte an mein Ohr, obwohl sie leise sprachen, um von den Gefangenen nicht gehört zu werden.
„Du bist ein Kindskopf!“ schnarrte der Gruppenführer. In seiner Erregung hob er den Kopf, und das rote Himmelslicht der Abenddämmerung beleuchtete sein Gesicht. Zum erstenmal konnte ich sein Gesicht deutlich erkennen, und seine Züge zeigten den gleichen herben und abstoßenden Fanatismus, den ich seinerzeit bei jenem Mann im Hauptquartier der Quäker gesehen hatte, der damals den Paß für Dave nicht unterzeichnen lassen wollte.
„Du bist wirklich ein Kindskopf!“ wiederholte er. „Du bist ein Grünschnabel! Was weißt du über den Kampf, den wir Generation für Generation auszutragen hatten, um auf unserer herben und steinigen Welt Fuß zu fassen? Was weißt du über Hunger und Not, wenn selbst die Frauen und die kleinen Kinder nichts zu beißen haben, wenn all diese Kinder Gottes hungern müssen? Was weißt du von den Absichten derjenigen, die uns ausgesandt haben, um zu kämpfen, damit unser Volk leben und gedeihen möge, in dem Wissen, daß alle anderen Menschen froh wären, wenn wir tot wären und unsere Hoffnung mit uns ins Grab sinken würde?“
„Eines weiß ich“, erwiderte der junge Soldat, wenn seine Stimme auch sein jugendliches Alter verriet und etwas zitterte. „Wir haben eine Aufgabe zu erfüllen, wir haben auf die Söldnerkonvention geschworen und …“
„Halt den Mund, Milchbart!“ zischte der Gruppenführer. „Was gelten solche Gesetze vor dem Gesetz des Allmächtigen? Was gelten deine Schwüre, die du dem Gott des Krieges geleistet hast? Lo, dein Ältester vom Ältestenrat, der der Strahlende genannt wird, hat verkündet, daß dieser Tag für die Zukunft unseres Volkes entscheidend ist und daß wir an diesem Tag siegen müssen. Also müssen wir siegen – und sonst gar nichts!“
„Aber ich habe Ihnen bereits erklärt …“
„Du hast mir nichts zu erklären und nichts zu sagen! Ich bin dein Vorgesetzter! Und als solcher habe ich über dich zu befehlen! Unsere Befehle lauten, daß wir unsere Streitkräfte sammeln und zu einem neuen Angriff antreten sollen. Du und diese vier Mann dort müssen sich unverzüglich in der Zentrale melden. Ob ihr nun zu dieser Einheit gehört oder nicht, spielt keine Rolle. Ihr seid gerufen worden und müßt gehorchen!“
„Dann sollten wir die Gefangenen mitnehmen und …“
„Du hast zu gehorchen!“ Der Gruppenführer riß seine Suchgeschoß-Schleuder von der Schulter und brachte sie in Anschlag. Dann schaltete er mit dem Daumen auf Automatik. Greten schloß für eine Sekunde die Augen und schluckte. Doch als er wieder zu sprechen begann, klang seine Stimme immer noch fest.
„Mein Leben lang bin ich im Schatten des Herrn gewandelt, der da ist Hoffnung und Wahrheit …“ hörte ich ihn sagen, und der Gewehrlauf kam hoch. Ich rief dem Gruppenführer zu:
„Sie! He, Sie da – Gruppenführer!“
Er schnellte herum, wie ein Wolf, der das Knacken eines Zweiges unter dem Stiefel des Jägers vernimmt – und nun war ich es, der durch das Visier den Lauf der auf Automatik eingestellten Waffe entlangblickte. Dann kam er auf mich zu, die Waffe immer noch im Anschlag, und sein starres, eiskaltes Fanatikergesicht schaute über die Waffe auf mich herab.
„Du bist wohl etwas zart besaitet, wie?“ sagte er mit schnarrender Stimme. Mir war, als würde er jeden verachten, der schwach genug war, eine Schmerztablette zu nehmen, um seine Schmerzen loszuwerden.
„Zart besaitet genug, um Ihnen einiges zu sagen“, krächzte ich. Meine Kehle war trocken, und mein Bein begann wieder zu schmerzen, doch das war nur gut für mich, um meinen Zorn wieder zu wecken und die Wut zu schüren, die allmählich in mir zu kochen begann. „Hören Sie zu. Ich bin Berichterstatter. Sie sind weit genug herumgekommen, um zu wissen, daß dieser Umhang und das Barett nur von jemandem getragen werden, der auch dazu berechtigt ist. Aber um auch die letzten Zweifel auszuräumen …“ – ich griff in meine Tasche und holte meine Beglaubigung hervor – „… hier sind meine Papiere. Prüfen Sie sie.“
Er nahm sie entgegen und blätterte sie rasch durch.
„Das hätten wir also geklärt“, sagte ich, als er sich das letzte Blatt angesehen hatte. „Ich bin Berichterstatter, und Sie sind Gruppenführer. Und ich bitte Sie nicht um irgend etwas – ich verlange es von Ihnen! Ich will unverzüglich zu einem Feldlazarett gebracht werden. Und ich will, daß mein Assistent dort drüben …“ – und ich deutete auf Dave – „… mich dorthin begleitet. Jetzt! Nicht in zehn Minuten, nicht einmal in zwei Minuten, sondern sofort! Diese Soldaten, die uns hier bewacht haben, waren vielleicht der Ansicht, nicht dazu befugt zu sein, meinen Assistenten und mich freizulassen und mich zu einem Feldlazarett zu bringen – aber Sie sind es ganz bestimmt. Und ich will, daß Sie das veranlassen!“
Er hob den Blick von den Papieren und starrte mich an, und in seinen Gesichtszügen machte sich eine eigenartige Härte breit. Sein Blick ähnelte dem eines Mannes, der den Griff jener abschüttelt, die ihn zum Galgen führen – und der dem Ort seiner Exekution verächtlich und erhobenen Hauptes entgegenschreitet.
„Du bist Berichterstatter“, sagte er und atmete tief durch. „Ja, du gehörst zur Brut des Teufels. Du bist einer von denen, die mit Lügen und falschen Berichten auf allen Menschenwelten Haß gegenüber uns Jüngern des Herrn und unseren Glauben säen. Ich kenne dich genau, Berichterstatter …“ – er starrte mich mit schwarzen und eingefallenen Augen an – „… und deine Papiere sind für mich nur Abfall und dummes Zeug. Doch ich werde dir deinen Willen lassen und dir zeigen, wie unbedeutend du bist und wie gering all deine schmutzigen Berichte. Ich werde dir eine Story geben, die du aufschreiben kannst. Und du sollst sie aufschreiben und sehen, daß deine Worte nicht mehr sind als trockenes Laub, das vor den marschierenden Stiefeln der Gesalbten des Herrn weht.“
„Bringen Sie mich zu einem Lazarett“, sagte ich.
„Darauf wirst du noch etwas warten“, antwortete er. „Außerdem“, sagte er und winkte mit den Papieren in meine Richtung, „sehe ich hier zwar deinen Passierschein, aber keinen von einer bevollmächtigten Dienststelle unseres Heeres ausgestellten Ausweis, der demjenigen volles Durchgangsrecht gewährt, den du deinen Assistenten nennst. Deshalb wird er nicht mit dir kommen, sondern hier bei den anderen Gefangenen in gleicher Uniform bleiben und dem Schicksal gegenübertreten, das der Herr für sie vorgesehen hat.“
Er warf mir die Papiere in den Schoß, drehte sich um und stolzierte zu den Gefangenen zurück. Ich rief ihm nach und verlangte, er solle zu mir zurückkommen. Doch er beachtete mich nicht.
Aber Greten lief ihm hinterher, hielt ihn am Arm fest und flüsterte ihm etwas ins Ohr, während er mit weit ausholenden Gebärden auf die Gruppe von Gefangenen deutete. Der Gruppenführer schob ihn mit einem so heftigen Stoß seines Arms von sich, daß er taumelte.
„Gehören sie etwa zu den Auserwählten?“ rief der Gruppenführer. „Sind sie Auserwählte des Herrn?“
Und er wirbelte wütend herum. Seine auf Dauerfeuer justierte Suchgeschoß-Schleuder bedrohte nicht nur Greten, sondern auch die anderen Wachen.
„Antreten!“ schrie er.
Sie verließen ihre Wachtposten bei den Gefangenen – einige wie zögernd, andere hastig – und formierten sich in Reih und Glied direkt vor dem Gruppenführer.
„Ihr sollt alles der Meldesammelstelle berichten. Achtung!“ schnappte der Gruppenführer. „Rechts schwenkt!“ Und sie wandten sich um. „Marsch!“
Und so rückten sie ab. In den Schatten der Bäume verlor ich sie bald aus den Augen.
Der Gruppenführer sah ihnen einen Augenblick nach, dann richtete er seine Aufmerksamkeit und die Suchgeschoß-Schleuder in seiner Hand wieder auf die cassidanischen Gefangenen. Sie wichen ein wenig vor ihm zurück, und ich sah die helle, verschwommene Kontur von Daves Gesicht, das sich mir kurz zuwandte.
„Also – eure Wachen sind abmarschiert“, sagte der Gruppenführer mit langsamer und grimmiger Stimme zu ihnen, „damit sie an einem bald beginnenden Sturmangriff teilnehmen können, der eure Truppen völlig vernichten wird. Für diesen Angriff, zu dem wir von unseren Ältesten im Konzil aufgerufen sind, wird jeder einzelne Soldat des Herrn benötigt. Selbst ich muß gehen – und ich kann Feinde wie euch nicht unbewacht hinter unseren Linien zurücklassen, damit sie dort unserem Sieg Schaden zufügen können. Deshalb schicke ich euch nun zu einem Ort, wo ihr keine Gefahr darstellt für die Gesalbten des Herrn.“
In diesem Augenblick – in diesem einen Augenblick – begriff ich zum erstenmal, was er meinte. Und ich öffnete den Mund, um zu schreien. Doch ich brachte keinen Ton hervor. Ich versuchte aufzustehen, aber mein steifes Bein hinderte mich daran, Und so lehnte ich an dem Baumstumpf, mit offenem Mund, den Arm halb erhoben … gefangen im Kerker des Augenblicks.
Er eröffnete das Dauerfeuer auf die unbewaffneten Männer vor ihm. Und sie fielen – Dave mitten unter ihnen. Sie fielen und stürzten und starben.