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Es war auch wei­ter kein großes Ge­heim­nis, warum die Quä­ker ei­ne Schnauf­pau­se ein­leg­ten. Die Män­ner, die mit uns in Be­rüh­rung ge­kom­men wa­ren, stell­ten nichts wei­ter dar als ei­ne Art Vor­hut, die den mas­sier­ten Streit­kräf­ten der Quä­ker vor­an­ge­gan­gen war. Sie soll­ten die cas­si­da­ni­sche Ab­wehr von den Trup­pen fern­hal­ten, bis sie sich ein­ge­gra­ben hat­ten und kampf­be­reit wa­ren. Dann zog sich die Vor­hut zu­rück, for­der­te Ver­stär­kung an und war­te­te ab.

Die­se mi­li­tä­ri­sche Tak­tik war äl­ter als Ju­li­us Cä­sar – falls Cä­sar über­haupt je­mals ge­lebt hat­te.

Doch dies und die rest­li­chen Um­stän­de, die Da­ve und mich an die­sen Ort ge­führt und bis zu die­sem Au­gen­blick fest­ge­hal­ten hat­ten, ga­ben mir die geis­ti­ge Mu­ni­ti­on, um ei­ni­ge Kon­se­quen­zen zu zie­hen.

Die ers­te Schluß­fol­ge­rung lau­te­te, daß wir al­le – von der Quä­ker-Ar­mee bis zu den cas­si­da­ni­schen Streit­kräf­ten, der ge­sam­te Krieg bis hin zu ein­zel­nen Per­so­nen wie Da­ve und mir – von Kräf­ten be­stimmt wur­den, die über das Schlacht­feld hin­aus­reich­ten, wo­bei es nicht schwer zu er­ra­ten war, um wen es sich bei die­sen Ma­ni­pu­la­ti­ons­kräf­ten han­del­te. Ein­mal war da der Äl­tes­te Strah­len­de mit sei­nen Sor­gen, ob die Quä­ker-Söld­ner ih­re Auf­ga­ben so gut er­fül­len wür­den, um für wei­te­re po­ten­ti­el­le Auf­trag­ge­ber at­trak­tiv zu er­schei­nen. Der Strah­len­de hat­te ähn­lich ei­nem Schach­spie­ler al­les vor­aus­ge­plant und dar­an­ge­setzt, den Krieg durch einen ein­zi­gen tak­ti­schen Hand­streich zu ge­win­nen.

Doch sein Geg­ner hat­te mit ei­nem sol­chen Streich ge­rech­net, wenn er ihn nicht gar vor­aus­ge­ahnt hat­te. Und bei die­sem Geg­ner konn­te es sich nur um Pad­ma und sei­ne On­to­ge­ne­se han­deln.

Wenn näm­lich Pad­ma vor­aus­be­rech­nen konn­te, daß ich beim Emp­fang von Do­nal Grae­me auf Frei­land er­schei­nen wür­de, so konn­te er eben­so gut wis­sen, daß der Strah­len­de ei­ne be­son­de­re Tak­tik an­wen­den wür­de, um mit Hil­fe der Quä­ker-Ar­mee die Cas­si­da­ner auf­zu­rei­ben. Sei­ne dies­be­züg­li­chen Be­rech­nun­gen wa­ren schon dar­aus zu er­se­hen, daß er einen der bes­ten Tak­ti­ker, den die Exo­ten auf­zu­wei­sen hat­ten – Ken­sie Grae­me – aus­ge­lie­hen hat­te, um die Plä­ne des Strah­len­den zu ver­ei­teln. Das war der tiefe­re Sinn für das plötz­li­che Auf­tau­chen von Ken­sie.

Am in­ter­essan­tes­ten war aber für mich die Fra­ge, warum sich Pad­ma au­to­ma­tisch auf je­den Fall ge­gen den Strah­len­den stell­te. So­weit mir be­kannt war, hat­ten die Exo­ten kein In­ter­es­se an die­sem Bür­ger­krieg auf Neu­er­de – der zwar für die Welt, auf der er statt­fand, wich­tig war, an­ge­sichts der sons­ti­gen Dif­fe­ren­zen, die zwi­schen den vier­zehn Wel­ten herrsch­ten, nichts wei­ter war als ein Ge­plän­kel.

Die Lö­sung muß­te ir­gend­wo im un­durch­dring­li­chen Netz der ver­trag­li­chen Ab­ma­chun­gen lie­gen, die Eb­be und Flut des ge­schul­ten Per­so­nals zwi­schen den Wel­ten steu­er­ten. Die Exo­ten, ähn­lich wie Er­de, Mars, Frei­land, Dor­sai und die klei­ne ka­tho­li­sche christ­li­che Welt von St. Ma­rie ver­kauf­ten ih­re jun­gen Ab­sol­ven­ten nicht en bloc und ver­scha­cher­ten de­ren Ver­trä­ge nicht an an­de­re Wel­ten, oh­ne den ein­zel­nen vor­her zu fra­gen. Des­halb gal­ten sie als Locker­ver­trags­wel­ten im Ge­gen­satz zu den Fest­ver­trags­wel­ten wie Ce­ta, die Freund­li­chen, Ve­nus, New­ton und an­de­re, die ih­re Ver­trä­ge ab­schlos­sen, oh­ne die Rech­te und Wün­sche des ein­zel­nen zu be­rück­sich­ti­gen.

Al­so stan­den die Exo­ten zu den Quä­kern au­to­ma­tisch in Op­po­si­ti­on. Die­ser Grund reich­te al­ler­dings noch lan­ge nicht aus, um in ir­gend­ei­ner Wei­se auf ei­ner drit­ten Welt bei Kon­flik­ten Par­tei zu er­grei­fen. Da muß­te bei der Ver­trags­bi­lanz zwi­schen Exo­ten und Quä­kern noch ir­gend­ein Ge­heim­nis wal­ten, von dem ich nichts wuß­te. An­ders lie­ßen sich Pad­mas Ein­mi­schung und sein Vor­ge­hen in der au­gen­blick­li­chen Si­tua­ti­on kaum deu­ten.

Im­mer­hin war es ein Hin­weis für mich, der sei­ne Um­welt zu ma­ni­pu­lie­ren pfleg­te, in­dem er die Men­schen in mei­ner un­mit­tel­ba­ren Nä­he ma­ni­pu­lier­te, daß auch au­ßer­halb des Bann­krei­ses mei­ner char­man­ten Zun­ge Kräf­te ins Spiel ge­bracht wer­den konn­ten, die al­le mei­ne Plä­ne zu­nich­te mach­ten, ein­fach, weil sie von au­ßen ka­men. Kurz ge­sagt, man muß­te weitaus grö­ße­re Ge­bie­te beim Um­gang mit Men­schen und Er­eig­nis­sen be­rück­sich­ti­gen, um ein be­stimm­tes Ziel zu er­rei­chen, als ich bis­her ge­dacht hat­te.

Ein Um­stand, den ich mir merk­te, um bei Be­darf dar­auf zu­rück­zu­kom­men.

Die zwei­te Schluß­fol­ge­rung, die mir ein­fiel, hat­te et­was mit der ge­gen­wär­ti­gen Auf­ga­be zu tun, die uns auf den Nä­geln brann­te, näm­lich die­se Hö­he zu ver­tei­di­gen, so­bald die Quä­ker mit ih­rer Ver­stär­kung an­rück­ten. Die­ser Ort konn­te nicht mit ein paar Dut­zend Leu­ten ge­hal­ten wer­den, das konn­te ich auch als Zi­vi­list er­ken­nen.

War dies aber bei mir schon der Fall, so muß­ten die Quä­ker die La­ge eben­so­gut ein­ge­schätzt ha­ben, vom Pa­trouil­len­füh­rer ganz zu schwei­gen. Of­fen­sicht­lich war er vom Haupt­quar­tier aus ge­hal­ten, den Hü­gel zu ver­tei­di­gen, der ein gu­tes Stück hin­ter der Front lag. Jetzt erst be­gann ich sei­ne un­freund­li­che und ab­leh­nen­de Art zu ver­ste­hen, mit der er Da­ve und mir be­geg­net war. Er hat­te sei­ne ei­ge­nen Sor­gen und Pro­ble­me – wahr­schein­lich saß ihm auch ir­gend­ein Vor­ge­setz­ter im Haupt­quar­tier vor der Na­se, der ihm und sei­ner Mann­schaft be­foh­len hat­te, die Stel­lung auf die­sem Hü­gel zu hal­ten. All­mäh­lich wuchs mei­ne Sym­pa­thie, was die­sen Grup­pen­füh­rer be­traf. Ganz gleich, wie sei­ne Be­feh­le auch lau­te­ten, ob wei­se, ob aus ei­ner Pa­nik­stim­mung her­aus er­teilt oder gar irr­sin­nig, er war Sol­dat ge­nug, um sie nach bes­tem Wis­sen, Ge­wis­sen und Kön­nen aus­zu­füh­ren.

Es wür­de ei­ne große Sto­ry wer­den; sein hoff­nungs­lo­ser Ver­such, die­se Hö­he zu hal­ten, oh­ne jeg­li­che Hil­fe von ir­gend­ei­ner Sei­te oder aus dem Hin­ter­land, die gan­ze Quä­ker-Ar­mee vor sich. Zwi­schen den Zei­len konn­te ich auch mei­ne Mei­nung über die Men­ta­li­tät sei­ner Be­fehls­ha­ber durch­bli­cken las­sen, die ihn auf die­sen ver­lo­re­nen Pos­ten ver­bannt hat­ten. Dann schau­te ich mich um, sah die Män­ner sei­ner Pa­trouil­le in ih­ren Un­ter­stän­den ein­ge­gra­ben, und ein Ge­fühl von Käl­te ver­krampf­te mei­nen Ma­gen di­rekt un­ter dem Brust­bein. Die­se Män­ner wa­ren in die­se Si­tua­ti­on ge­ra­ten wie Pi­la­tus ins Cre­do und wuß­ten nicht, wel­chen Preis sie da­für zu zah­len hat­ten, um Hel­den mei­ner Ge­schich­te zu wer­den.

Da­ve stieß mich in die Sei­te.

„Schau mal … dort drü­ben …“ flüs­ter­te er mir ins Ohr. Ich folg­te sei­nem Blick.

Die Quä­ker, un­ter den Bäu­men am Fu­ße des Hü­gels ver­bor­gen, wa­ren in Be­we­gung ge­ra­ten. Of­fen­sicht­lich grup­pier­ten und rüs­te­ten sie sich zu ei­nem An­griff auf die Hö­he. Wäh­rend der nächs­ten Mi­nu­ten war nichts wei­ter zu er­war­ten, und ich war drauf und dran, Da­ve dies mit­zu­tei­len, als er mich auch schon wie­der an­stups­te.

„Nein!“ sag­te er mit lei­ser, aber ein­dring­li­cher Stim­me. „Wei­ter drau­ßen. Da drü­ben, un­ter dem Ho­ri­zont!“

Ich schau­te noch ein­mal hin, und dann sah ich, was er mein­te.

Weit drau­ßen zwi­schen den Bäu­men, die am En­de den Him­mel zu be­rüh­ren schie­nen, der jetzt heiß und blau wur­de, in ei­ner Ent­fer­nung von et­wa zehn Ki­lo­me­tern, flamm­ten Lich­ter wie Glüh­würm­chen auf, klei­ne gel­be Stich­flam­men und ge­le­gent­lich ein Wölk­chen, das auf­stieg, aber gleich wie­der vom Win­de ver­weht wur­de.

Doch nie­mals könn­ten Glüh­würm­chen so fla­ckern, daß man sie beim hel­lich­ten Tag auf ei­ne Ent­fer­nung von mehr als zehn Ki­lo­me­tern wahr­neh­men konn­te. Es wa­ren La­ser­strah­len, die vor uns auf­stie­gen.

„Pan­zer!“ sag­te ich.

„Sie kom­men hier her­auf“, sag­te Da­ve und starr­te ge­bannt auf die Blit­ze, die aus die­ser Ent­fer­nung so klein und un­be­deu­tend er­schie­nen, Blit­ze, in Wirk­lich­keit Licht­schwer­ter, de­ren Kern­tem­pe­ra­tur 40000 Grad be­trug, die in der La­ge wa­ren, die Bäu­me um uns her­um weg­zu­ra­sie­ren, so wie ei­ne gu­te Klin­ge in einen dich­ten Bart fährt.

Sie roll­ten her­an, oh­ne auf Wi­der­stand zu sto­ßen, weil kei­ne nen­nens­wer­te In­fan­te­rie vor­han­den war, um sie mit Hand­waf­fen auf­zu­hal­ten. Ra­ke­ten, die klas­si­schen Pan­zer­ab­wehr­waf­fen, wa­ren schon seit gut fünf­zig Jah­ren über­holt, weil die An­ti­ra­ke­ten mitt­ler­wei­le so­weit ge­die­hen wa­ren, daß sie sich mit hal­ber Licht­ge­schwin­dig­keit fort­be­weg­ten und den Ein­satz von kon­ven­tio­nel­len Ra­ke­ten un­mög­lich mach­ten. Die Pan­zer roll­ten lang­sam, aber un­auf­halt­sam her­an und walz­ten al­les nie­der, Bäu­me und Sträu­cher glei­cher­ma­ßen, hin­ter dem sich ei­ne In­fan­te­rie­ein­heit ver­ste­cken konn­te.

Durch die Pan­zer wur­de die Ver­tei­di­gung des Hü­gels zu ei­ner Far­ce. Wür­de näm­lich die In­fan­te­rie der Quä­ker nicht bei­zei­ten ein­tref­fen, wür­den wir al­le mit­ein­an­der in un­se­rem Fuchs­bau ver­bren­nen. Das war mir klar – und wahr­schein­lich auch un­se­rer Mann­schaft, denn ein Rau­nen ging durch die Rei­hen, als die Leu­te die Ein­schlä­ge und die Stich­flam­men be­merk­ten.

„Ru­he!“ schnapp­te der Schar­füh­rer. „Hal­tet die Stel­lung. Wenn nicht …“

Doch ihm blieb kei­ne Zeit, um sei­nen Satz zu vollen­den, weil im sel­ben Au­gen­blick die ers­te An­griffs­wel­le der Quä­ker-In­fan­te­rie den Hü­gel her­auf­bran­de­te.

Ei­ne Ku­gel traf den Grup­pen­füh­rer hoch in der Brust, di­rekt am Hals­an­satz, so daß er nach hin­ten fiel und an sei­nem Blut er­stick­te.

Doch dem Rest der Pa­trouil­le blieb kei­ne Zeit, da­von No­tiz zu neh­men, weil die Quä­ker Wel­le für Wel­le vor­dran­gen und den Hü­gel be­reits halb er­klom­men hat­ten. Die Cas­si­da­ner er­wi­der­ten das Feu­er aus ih­ren Stel­lun­gen. Es mag an der Aus­sichts­lo­sig­keit ih­rer Si­tua­ti­on oder an ei­ner un­ge­wöhn­li­chen Kamp­fer­fah­rung ge­le­gen ha­ben, daß ich nicht einen ein­zi­gen Mann aus­ma­chen konn­te, der aus Furcht vor dem Kampf ge­lähmt ge­we­sen und von sei­ner Waf­fe kei­nen Ge­brauch ge­macht hät­te.

Au­ßer­dem wa­ren sie ent­schie­den im Vor­teil. Zum Gip­fel hin wur­de der Ab­hang im­mer stei­ler, der An­griff der Quä­ker ge­riet ins Sto­cken, und sie wur­den ab­ge­schos­sen wie die Ha­sen, so­bald sie sich nä­her­ten. Schließ­lich zo­gen sie sich bis an den Fuß des Hü­gels zu­rück, und wie­der trat ei­ne Feu­er­pau­se ein.

Ich klet­ter­te aus mei­nem Un­ter­stand und lief zum Grup­pen­füh­rer hin, um fest­zu­stel­len, ob er noch am Le­ben war. Es war ein tö­rich­tes Un­ter­fan­gen, sich trotz mei­nes Jour­na­lis­ten­käp­pis als Ziel­schei­be an­zu­bie­ten, und die Stra­fe für mei­ne Un­vor­sich­tig­keit folg­te auf dem Fu­ße. Die zu­rück­flu­ten­den Quä­ker hat­ten Freun­de und Ka­me­ra­den am Hü­gel ver­lo­ren. Jetzt aber rea­gier­te ei­ner von ih­nen. Nur ei­ni­ge Schrit­te vom Un­ter­stand des Grup­pen­füh­rers ent­fernt, wur­de mein rech­tes Bein un­ter mir weg­ge­ris­sen. Ich schlit­ter­te, rutsch­te aus und fiel auf die Na­se.

Als ich wie­der zu mir kam, lag ich im Kom­man­do­stand ne­ben dem Grup­pen­füh­rer, und Da­ve beug­te sich über mich, wo­bei er den so­wie­so schon zu en­gen Raum mit zwei wei­te­ren Sol­da­ten tei­len muß­te, die wahr­schein­lich zu den Leu­ten des Grup­pen­füh­rers ge­hör­ten.

„Was ist ei­gent­lich los …“ be­gann ich und ver­such­te, mich auf die Bei­ne zu stel­len. Da­ve ver­such­te, mich dar­an zu hin­dern, aber ich hat­te be­reits ver­sucht, mein Ge­wicht teil­wei­se auf mein lin­kes Bein zu ver­la­gern. Doch der Schmerz schoß wie ein Feu­er­strahl durch mein Bein. Ich brach schweiß­ge­ba­det zu­sam­men.

„Wir müs­sen hier ab­hau­en“, sag­te der ei­ne Sol­dat zum an­de­ren. „Wir müs­sen hier raus, Ak­ke. Beim nächs­ten Mal wer­den sie uns er­wi­schen, oder die Pan­zer wer­den uns in den nächs­ten zwan­zig Mi­nu­ten über­rol­len.“

„Nein“, krächz­te der Grup­pen­füh­rer ne­ben mir, den ich be­reits für tot ge­hal­ten hat­te. Doch dann sah ich, daß man ihm einen Druck­ver­band an­ge­legt hat­te, der die Wun­de ge­schlos­sen und die Blu­tung zum Still­stand ge­bracht hat­te. Den­noch lag er im Ster­ben, ich konn­te es aus sei­nen Au­gen le­sen. Der Sol­dat igno­rier­te ihn.

„Hör zu, Ak­ke“, mein­te der Sol­dat, der eben ge­spro­chen hat­te. „Jetzt hast du das Kom­man­do. Laß zum Auf­bruch bla­sen!“

„Nein.“ Der Grup­pen­füh­rer konn­te nur noch flüs­tern, aber er blieb hart. „Der Be­fehl lau­tet … Stel­lung hal­ten … un­ter al­len Um­stän­den …“

Der Mann, der Ak­ke hieß, schi­en un­si­cher zu sein. Sein Ge­sicht war blaß, und er schiel­te nach dem Mel­de­ge­rät. Der an­de­re aber merk­te, wie der Ha­se lief, und die Waf­fe, die über sei­nen Kni­en lag, rea­gier­te wie zu­fäl­lig. Ein Knall, dann ein klei­nes Ge­räusch im Mel­de­ge­rät, und das Licht, das die Be­triebs­be­reit­schaft des Ge­räts an­zeig­te, er­losch.

„Ich ha­be zu be­feh­len“, sag­te der Grup­pen­füh­rer. Doch dann schoß der Schmerz in mei­nem Knie wie­der hoch, und al­les ver­schwamm vor mei­nen Au­gen. Als ich wie­der ei­ni­ger­ma­ßen klar se­hen konn­te, sah ich, daß Da­ve die Ho­se an mei­nem lin­ken Bein bis zum Ober­schen­kel auf­ge­ris­sen und so­eben einen sau­be­ren Druck­ver­band über das Knie ge­legt hat­te.

„Al­les in Ord­nung, Tam“, sag­te er. „Es war ein glat­ter Durch­schuß. Al­les bes­tens.“

Ich schau­te mich um. Der Grup­pen­füh­rer lehn­te im­mer noch ne­ben mir, das Sei­ten­ge­wehr halb im An­schlag. Aber er hat­te ein klei­nes run­des Loch auf der Stirn und war tot. Von den bei­den Sol­da­ten kei­ne Spur.

„Sie sind ab­ge­hau­en, Tam“, sag­te Da­ve. „Und wir müs­sen hier eben­falls raus.“ Er zeig­te den Hü­gel hin­un­ter. „Die Quä­ker sind wahr­schein­lich der Mei­nung, daß sich der Auf­wand nicht lohnt. Sie sind ab­ge­zo­gen. Aber ih­re Pan­zer rücken her­an, und du kannst mit dei­nem Knie nicht schnell lau­fen. Ver­such jetzt erst ein­mal auf­zu­ste­hen.“

Ich ver­such­te es. Mir war, als wür­de mein Knie auf ei­ner Mes­ser­spit­ze ru­hen und die Hälf­te mei­nes Ge­wichts tra­gen. Aber ich stand. Da­ve half mir aus dem Un­ter­stand. Und da­mit be­gann un­ser Rück­zug über den hin­te­ren Pfad, der vom Hü­gel hin­ab und von den Pan­zern weg­führ­te.

Frü­her ein­mal wa­ren mir die­se Wäl­der wie Mär­chen­wäl­der vor­ge­kom­men, wie Ro­bin Hoods Wald, vol­ler Ge­heim­nis­se, bunt und at­trak­tiv zu­gleich. Jetzt aber, da ich durch die­sen Wald hum­pel­te oder bes­ser hüpf­te wie ein Gras­hüp­fer, wo­bei ich das Ge­fühl hat­te, daß mir glü­hen­de Nä­gel ins Knie ge­trie­ben wur­den, be­gann sich die­ses Bild zu wan­deln. Er wur­de in mei­ner Vor­stel­lung mehr und mehr zu ei­nem He­xen­wald, der uns mit sei­nen düs­te­ren Schat­ten ein­fan­gen und fest­hal­ten woll­te, ei­ne Gruft, in der uns die Pan­zer der Quä­ker auf­stö­bern und uns mit La­ser­strah­len oder durch um­sin­ken­de Baum­stäm­me ver­nich­ten wür­den, be­vor wir auch nur die ge­rings­te Chan­ce hat­ten zu er­klä­ren, wer wir ei­gent­lich wa­ren.

Ich hat­te ver­zwei­felt ge­hofft, daß wir ir­gend­wo auf ei­ne Lich­tung sto­ßen wür­den, weil die Pan­zer, die uns auf den Fer­sen wa­ren, eher den Wald als die Lich­tung durch­kämm­ten. Und drau­ßen, im knie­ho­hen Gras, wä­re es selbst ei­nem Pan­zer­fah­rer schwer­ge­fal­len, mein Käp­pie zu er­bli­cken und zu iden­ti­fi­zie­ren, be­vor er auf uns schoß.

Doch wir wa­ren in ei­ne Ge­gend ge­ra­ten, wo es nur Bäu­me und kei­ne Lich­tun­gen gab. Au­ßer­dem hat­te ich ge­merkt, daß es zwi­schen die­sen Baum­stäm­men in al­len Rich­tun­gen gleich aus­sah. Die ein­zi­ge Mög­lich­keit, nicht im Kreis her­um­zu­lau­fen, son­dern uns schnur­stracks von den Pan­zern ab­zu­set­zen, die uns auf den Fer­sen wa­ren, be­stand dar­in, je­ne Rich­tung ein­zu­schla­gen, aus der wir ge­kom­men wa­ren und die in mei­nem Rich­tungs­an­zei­ger pro­gram­miert war. Doch die­se Marsch­rou­te führ­te kreuz und quer durch den Wald, un­ter des­sen Bäu­men ich da­mals Schutz ge­sucht hat­te.

Dies­mal aber ka­men wir we­gen mei­nes Knies nur lang­sam vor­an, so daß uns selbst die re­la­tiv schwer­fäl­li­gen Pan­zer all­mäh­lich ein­ho­len muß­ten. Die Ex­plo­si­on hat­te mir ge­wal­tig zu­ge­setzt. Der stän­di­ge ste­chen­de Schmerz in mei­nem Knie hat­te mich in ei­ne Art von fie­ber­haf­ter Ra­se­rei ver­setzt. Es war wie ei­ne kal­ku­lier­te Tor­tur – und ich bin Schmer­zen ge­gen­über nicht ge­ra­de un­emp­find­lich.

Na­tür­lich bin ich kein Feig­ling, auch wenn ich un­gern den Hel­den spie­le. Nur bin ich eben so ge­baut, daß ich wü­tend rea­gie­re, so­bald der Schmerz ei­ne ge­wis­se In­ten­si­tät er­reicht hat. Und je grö­ßer der Schmerz, um so grö­ßer mei­ne Wut, Es ist ei­ne Art Ber­ser­ker­blut mei­ner Ah­nen, ein Er­be mei­ner iri­schen Vor­fah­ren, das durch mei­ne Adern fließt, wenn man die Sa­che ro­man­tisch be­trach­ten will. Aber die­se Tat­sa­che läßt sich nun ein­mal nicht leug­nen. Und jetzt, da wir durch das ewi­ge Zwie­licht zwi­schen die­sen sil­ber­gol­de­nen Bäu­men mit ih­ren aus­ge­fran­s­ten Rin­den da­hin­hop­pel­ten, ex­plo­dier­te ich in­ner­lich.

In mei­ner Wut aber fürch­te­te ich mich nicht vor den Quä­ker-Pan­zern. Ich war so gut wie si­cher, daß man mei­ne rot­wei­ße Klei­dung bei­zei­ten er­bli­cken wür­de, um nicht auf mich zu schie­ßen. Und ich war mir auch si­cher, daß mich so­wohl der Feu­er­strahl wie auch fal­len­de Baum­stäm­me ver­feh­len wür­den, falls sie doch das Feu­er er­öff­ne­ten. Kurz, ich war mir mei­ner Un­ver­wund­bar­keit be­wußt – was mir aber Sor­gen mach­te, war der Um­stand, daß Da­ve durch mich be­hin­dert wur­de und daß es mir Ei­leen nie ver­zei­hen wür­de, wenn ihm et­was zu­stie­ße.

Ich tob­te und fluch­te und be­fahl ihm, mich mei­nem Schick­sal zu über­las­sen und die ei­ge­ne Haut zu ret­ten, weil ich in kei­ner Wei­se in Ge­fahr schweb­te.

Er aber wuß­te nichts wei­ter zu er­wi­dern, als daß ich ihn sei­ner­zeit auch nicht im Stich ge­las­sen hat­te, als wir in den Mi­nen­gür­tel ge­ra­ten wa­ren, und daß er nicht im Traum dar­an den­ke, mich jetzt sei­ner­seits im Stich zu las­sen. Ich sei Ei­leens Bru­der, und es sei sei­ne ver­damm­te Pflicht, sich um mich zu küm­mern. Er war loy­al, ge­nau wie sie in ih­rem Brief ge­schrie­ben hat­te. Er war für mei­ne Be­grif­fe viel zu loy­al, ein ver­damm­ter loya­ler Narr – und ich sag­te es ihm über­deut­lich, lang und breit. Ich ver­such­te ver­ge­bens, mich von ihm ab­zu­set­zen, doch auf ei­nem Bein war das ein Ding der Un­mög­lich­keit. Ich setz­te mich auf den Bo­den und wei­ger­te mich stand­haft wei­ter­zu­ge­hen. Er aber zog mich hoch, nahm mich hucke­pack auf den Rücken und ver­such­te, mich auf die­se Wei­se wei­ter­zu­brin­gen.

Es war ein Kreuz. Ich muß­te ihm ver­spre­chen, mit ihm zu ge­hen, wenn er mich wie­der run­ter­ließ. Er selbst schwank­te vor Er­schöp­fung, nach­dem er mich wie­der ab­ge­setzt hat­te. Zu die­ser Zeit, halb irr­sin­nig vor Schmerz und Wut, war ich zu al­lem be­reit, um ihn vor sich selbst zu ret­ten. Ich be­gann laut um Hil­fe zu ru­fen, ob­wohl er ver­such­te, mir den Mund zu­zu­hal­ten.

Mein Plan aber schi­en zu funk­tio­nie­ren. Denn kei­ne fünf Mi­nu­ten, nach­dem er mich end­lich zum Schwei­gen ge­bracht hat­te, starr­ten wir in die Ge­wehr­läu­fe zwei­er jun­ger Quä­ker, die auf mei­ne Ru­fe hin her­bei­ge­eilt wa­ren.