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Mein erster Schritt auf diesem Weg war eine rasche Rückkehr nach Neuerde, wo der Älteste Strahlende seine Truppen von Kensie Graemes Streitkräften, die sie gefangengenommen hatten, freigekauft und sofort verstärkt hatte. Diese verstärkten Einheiten hatten ihr Lager außerhalb von Moreton, der Hauptstadt der Nordparzelle, aufgeschlagen, als eine Besatzungsarmee, die die Ansprüche der Quäkerwelten auf die Zahlung des Schuldbetrages verdeutlichte, der ihnen aufgrund der Anmietung von Streitkräften durch die nun nicht mehr existierende Rebellenregierung zustand.
Doch bevor ich direkt nach Neuerde fliegen konnte, mußte ich mich zunächst um eine Sache kümmern: Ich mußte mir von höherer Stelle absegnen lassen, was ich zu tun beabsichtigte. Denn ist man erst einmal Vollmitglied der Berichterstattergilde, dann gibt es keine höherrangige Autorität über einem – bis auf die fünfzehn Mitglieder, die den Gilderat bilden. Dieser Rat überwacht die Einhaltung unseres Bekenntnisses zur Objektivität, das der Maßstab unserer Arbeit ist, und er bestimmt die Gildepolitik, der sich alle Mitglieder zu fügen haben.
Ich traf eine Verabredung mit Piers Leaf, dem Vorsitzenden dieses Rates. Wir kamen an einem strahlenden Aprilmorgen in St. Louis zusammen – jener Stadt, die unmittelbar an die Letzte Enzyklopädie grenzt. An einem schmucklosen und doch eleganten Eichentisch in seinem Büro auf der obersten Etage des Gildehauses saßen wir uns schließlich gegenüber.
„Für jemanden, der so jung ist wie Sie, Tam, haben Sie es innerhalb kurzer Zeit ziemlich weit gebracht“, sagte er, nachdem er für uns beide Kaffee bestellt und auch erhalten hatte. Er war ein ruhiger und beherrschter, nicht sonderlich großer Mann in den späten Fünfzigern, der das Solsystem überhaupt nie und die Erde nur noch selten verließ, da er aufgrund seiner Eigenschaft als Vorsitzender immer im Licht der Öffentlichkeit stand. „Sagen Sie mir nicht, Sie sind noch immer nicht zufrieden. Was haben Sie jetzt auf dem Herzen?“
„Ich möchte einen Sitz im Rat“, gab ich zurück.
Er hob die Kaffeetasse an seine Lippen, als ich sprach. Er führte die Bewegung ohne zu zögern zu Ende. Aber der rasche Blick, den er mir über den Rand der Tasse zuwarf, war so durchdringend wie der eines Falken. Doch er antwortete nur:
„Tatsächlich? Warum?“
„Das werde ich Ihnen sagen“, entgegnete ich. „Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, daß ich offenbar den Bogen raus habe, immer dort zur Stelle zu sein, wo etwas passiert.“
Er setzte die Tasse ganz genau im Zentrum der Untertasse ab.
„Das ist auch der Grund, Tam“, sagte er gelassen, „warum Sie den Umhang jetzt auf Dauer tragen. Von unseren Mitgliedern erwarten wir bestimmte Dinge, wissen Sie.“
„Ja“, sagte ich. „Aber ich glaube, bei mir liegt die Sache etwas abseits des Üblichen … oh“, fügte ich hinzu, als sich seine Augenbrauen plötzlich hoben, „… ich will nicht behaupten, ich sei eine Art Hellseher. Ich glaube nur, ich habe zufällig das Talent für einen tieferen Einblick in das Entwicklungspotential von Situationen, als das bei anderen Mitgliedern der Fall ist.“
Seine Augenbrauen kamen wieder herunter. Er runzelte ein wenig die Stirn.
„Ich weiß“, sagte ich, „das hört sich ziemlich prahlerisch an. Aber nehmen wir einfach mal an, meine Behauptung trifft zu. Wäre ein solches Talent nicht von außerordentlichem Nutzen für den Rat und seine politischen Entscheidungen für die Gilde?“
Er sah mich scharf an.
„Vielleicht“, sagte er. „Wenn es zutrifft … und wenn es immer funktioniert … und wenn einige andere Voraussetzungen gegeben sind.“
„Aber wenn ich Sie in Hinsicht auf all diese ‚Wenns’ überzeugen könnte, würden Sie mich dann unterstützen, wenn das nächstemal ein Sitz im Rat frei wird?“
Er lachte.
„Möglicherweise“, sagte er. „Aber wie wollen Sie mir Ihr Talent beweisen?“
„Ich werde eine Vorhersage machen“, sagte ich. „Eine Vorhersage, die – wenn sie sich bewahrheitet – eine grundlegende politische Entscheidung des Rates erfordern wird.“
„In Ordnung“, sagte er. Er lächelte noch immer. „Dann prophezeien Sie.“
„Die Exoten“, sagte ich, „sind dabei, die Quäker auszulöschen.“
Das Lächeln verschwand. Einen Augenblick lang starrte er mich nur an.
„Was meinen Sie damit?“ fragte er scharf. „Die Exoten können es nicht darauf abgesehen haben, irgend jemanden auszulöschen. Es widerspricht nicht nur allen ihren formulierten Glaubensgrundsätzen … niemand kann zwei komplette Planeten voller Menschen auslöschen und eine ganze Lebensweise noch dazu. Was meinen Sie also mit ‚auslöschen’?“
„Genau das, an das auch Sie denken würden“, antwortete ich. „Zerschmettern Sie die Kultur der Quäker als funktionelle Theokratie, zerbrechen Sie das finanzielle Rückgrat beider Welten … und übrig bleiben nur zwei öde Planeten voller verhungernder Menschen, die entweder ihre Lebensweise ändern oder zu anderen Welten emigrieren müssen.“
Er starrte mich an. Eine ganze Zeitlang gab keiner von uns einen Ton von sich.
„Wie“, fragte er schließlich, „kommen Sie auf diese absurde Idee?“
„Es ist eine Ahnung“, sagte ich. „Mein Einblick in den Verlauf von Dingen. Plus die Tatsache, daß es ein Truppen-Kommandeur von Dorsai war, Kensie Graeme, der im letzten Augenblick an die cassidanischen Streitkräfte ausgeliehen wurde und die dortige Streitmacht der Quäker besiegte.“
„Nun“, sagte Piers, „das ist eine Sache, die in jedem Krieg passieren kann, überall, in jeder möglichen Schlacht.“
„Ganz so ist es nicht“, widersprach ich. „Kensies Entscheidung, zum Nordabschnitt der Quäkerfront herumzuschwenken und ihre Truppen im Rücken anzugreifen, wäre ganz und gar nicht von soviel Erfolg gekrönt gewesen, wenn der Älteste Strahlende nicht einen Tag zuvor das Kommando übernommen und seinen Quäkern befohlen hätte, am Südabschnitt von Kensies Stellungen anzugreifen. Wir haben es hier mit zwei gleichzeitig zusammentreffenden Ereignissen zu tun. Ein Kommandeur der Exoten erscheint auf der Bildfläche und entschließt sich in genau dem Augenblick zum richtigen Vorstoß, als die Streitkräfte der Quäker genau die Aktion unternehmen, die sie verwundbar macht.“
Piers wandte sich ab und streckte seine Hand nach der Taste des Visifons aus.
„Machen Sie sich nicht die Mühe, das zu überprüfen“, sagte ich. „Das habe ich bereits getan. Das Oberkommando der cassidanischen Streitkräfte folgte einer Eingebung des Augenblicks, als es die Entscheidung traf, sich Kensie von den Exoten auszuleihen. Und Kensies Späher hatten keine Möglichkeit, etwas im voraus von dem Angriff in Erfahrung zu bringen, den der Strahlende befohlen hatte.“
„Dann handelt es sich um einen Zufall.“ Piers warf mir einen finsteren Blick zu. „Oder das taktische Talent der Dorsai, über das sie zweifellos verfügen, wie wir alle wissen.“
„Glauben Sie nicht, daß der Genius der Dorsai ein wenig überschätzt wird?“ sagte ich. „Und an einen Zufall glaube ich nicht. Dafür trifft es zu genau zusammen.“
„Was dann?“ fragte Piers. „Wie erklären Sie es sich?“
„Meine Ahnung … mein Einblick … vermutet, daß die Exoten über eine Möglichkeit verfügen, mit der sie vorhersagen können, was die Quäker als nächstes unternehmen werden. Sie sprachen vom militärischen Talent der Dorsai – wie steht’s mit dem psychologischen Talent der Exoten?“
„Ja, aber …“ Piers brach ab und wirkte plötzlich sehr nachdenklich. „Die ganze Sache ist zu phantastisch.“ Er sah mich erneut an. „Was sollen wir Ihrer Meinung nach in dieser Angelegenheit unternehmen?“
„Lassen Sie mich um die Sache kümmern“, sagte ich. „Wenn ich recht habe, dann werden in drei Jahren Truppen der Exoten gegen die der Quäker kämpfen. Nicht in Gestalt von Mietlingen in einem Krieg auf irgendeinem anderen Planeten. Es wird ein direktes Kräftemessen zwischen Truppen der Exoten und Quäker sein. Und wenn meine Prophezeiung auf diese Weise bestätigt wird, dann unterstützen Sie mich dabei, das nächste Ratsmitglied zu ersetzen, das stirbt oder sich in den Ruhestand zurückzieht.“
Erneut saß der kleine und ruhige Mann einfach nur da und starrte mich eine Weile wortlos an.
„Tam“, sagte er schließlich. „Ich glaube kein Wort davon. Aber von mir aus stellen Sie so viele Nachforschungen an wie Sie wollen. Ich werde den Rat bitten, Ihr Vorhaben zu unterstützen – sollte diese Frage auf den Tisch kommen. Und wenn sich irgend etwas auf die Weise entwickelt, wie Sie gesagt haben, dann kommen Sie wieder, und wir unterhalten uns erneut darüber.“
„Das werde ich“, sagte ich und lächelte ihm zu, als ich mich erhob.
Er schüttelte den Kopf, schwieg aber und blieb sitzen.
„Ich nehme an, wir werden uns bald wiedersehen“, sagte ich. Und ging hinaus.
Ich hatte ihm eine winzige Klette angeheftet, die seine Gedanken reizte und seine Überlegungen in die von mir gewünschte Richtung lenkte. Doch Piers Leaf hatte das Pech, hochintelligent zu sein und einen kreativen Verstand zu besitzen, denn sonst wäre er nicht der Vorsitzende des Gilderates. Es war die Art von Verstand, die sich weigerte, eine Frage beiseite zu schieben, bis sie nicht auf diese oder jene Weise beantwortet worden war. Wenn er meine Behauptung nicht widerlegen konnte, dann würde er wahrscheinlich Hinweise zu finden beginnen, die sie erhärteten – selbst dort, wo andere solche Beweise überhaupt nicht erkennen konnten.
Und diese ganz bestimmte Klette würde fast drei Jahre lang an Piers Leaf haften und hatte somit Zeit genug, zu einem festen Bestandteil der Struktur seines Denkgebäudes zu werden. Ich hatte nichts dagegen, so lange zu warten. In der Zwischenzeit konnte ich mich um andere Dinge kümmern.
Ich mußte einige Wochen auf der Erde verbringen, um hier einige meiner persönlichen Geschäftsangelegenheiten wieder zu ordnen. Aber als das erledigt war, buchte ich erneut einen Flug nach Neuerde.
Die Quäker hatten, wie bereits erwähnt, die Truppen freigekauft, die sie als Gefangene an die cassidanischen Streitkräfte unter Kensie Graeme verloren hatten. Sie waren sofort wiederbewaffnet und verstärkt und außerhalb der Hauptstadt der Nordparzelle, Moreton, stationiert worden: als eine Besatzungstruppe, die den ihr zustehenden interstellaren Schuldbetrag verlangte.
Die ihr geschuldete Summe ging natürlich auf das Konto der nun besiegten und nicht mehr existierenden Rebellenregierung der Nordparzelle, die diese Streitkräfte gemietet hatte. Und obwohl so etwas rechtlich nicht ganz abgesichert war, so war es doch keine ungewöhnliche Praxis zwischen den Sternen, eine ganze Welt haftbar zu machen für jede Zahlungsverpflichtung, die von irgendeinem ihrer Bewohner eingegangen worden war.
Der Grund war natürlich der, daß die gängige Währung zwischen den Planeten aus den Diensten einzelner menschlicher Zahlungseinheiten bestand – ob es sich dabei nun um Sozialarbeiter oder Soldaten handelte. Eine Schuld, die eine bestimmte Welt bei einer anderen für die Inanspruchnahme solcher Dienste eingegangen war, mußte von der Schuldnerwelt als Ganzes beglichen und konnte nicht von einem Wechsel der Regierung getilgt werden. Wäre dies eine geeignete Möglichkeit gewesen, Zahlungsverpflichtungen aus dem Weg zu gehen, dann käme es dauernd zu Regierungswechseln.
Praktisch gesehen war es eine Der-Sieger-zahlt-alles-Angelegenheit, wenn gegensätzliche Interessengruppen auf einer einzelnen Welt Hilfe von Außenwelt mieteten. Um finanzielle Verluste wiedergutzumachen, kommt es daher zu einer Art Umkehr eines Zivilprozesses, in dem der Verlierer dazu verurteilt wird, die Gerichtskosten des Siegers zu tragen. Offiziell war folgendes geschehen: Die Regierung der Quäker, die nicht für die der Rebellenregierung vermieteten Soldaten bezahlt worden war, hatte Neuerde als Welt den Krieg erklärt. Und die Belagerung würde so lange andauern, bis Neuerde als Welt die großen Schulden bezahlt hatte, die einige ihrer Einwohner gemacht hatten.
In Wirklichkeit war es zu keinen Feindseligkeiten gekommen.
Und nach einer angemessenen Zeitspanne des Feilschens würde die Bezahlung von jenen Regierungen Neuerdes erfolgen, die am direktesten in diese Sache verwickelt waren. In diesem Fall also hauptsächlich von der Regierung der Südparzelle, da sie der Gewinner war. Inzwischen aber waren Truppen der Quäker als Besatzungsmacht auf dem Boden von Neuerde präsent. Und ich hatte mir vorgenommen, eine Reihe von aktuellen Artikeln über diese Situation zu schreiben, als ich dort ankam, rund acht Monate nach meinem Abflug.
Diesmal wurde ich ohne Schwierigkeiten zu ihrem Truppen-Kommandeur vorgelassen. Als ich zwischen den Quartieren aus Plastikblasen umherwanderte, die sie auf einer freien Fläche errichtet hatten, fiel mir auf, daß die Quäker-Truppen ganz offensichtlich unter dem Befehl standen, Nichtquäker so wenig wie möglich zu provozieren. Von keinem der Soldaten vernahm ich einen Heiligen Fluch – vom Eingangstor des Lagers bis hin und einschließlich des Büros des Truppen-Kommandeurs selbst. Aber obgleich er mich nicht duzte, sondern siezte, war er nicht gerade erfreut über meinen Besuch.
„Truppen-Kommandeur Wasser“, stellte er sich vor. „Setzen Sie sich, Berichterstatter Olyn. Ich habe von Ihnen gehört.“
Er war ein Mann in den späten Vierzigern oder frühen Fünfzigern, mit kurzgeschnittenem und feinem, grauen Haar. Er war von so quadratischer Gestalt wie die untere Hälfte einer quergeteilten Tür, und er hatte ein derbes, kantiges Gesicht, das ohne jede Schwierigkeit grimmig und finster aussehen konnte. Es sah nun finster aus, denn es scheiterte mit seinem Bemühen, Zuvorkommenheit auszudrücken – und ich kannte auch den Grund der Unruhe, die seinen Gesichtsausdruck zu einem Rebellen gegen seinen Willen werden ließ.
„Damit habe ich gerechnet“, sagte ich, und es klang grimmig genug auf meine eigene Art und Weise. „Deshalb will ich einen Punkt von Anfang an klarstellen, indem ich Sie an die Unparteilichkeit der Interstellaren Nachrichtendienste erinnere.“
Er hatte wieder Platz genommen.
„Darüber wissen wir Bescheid“, sagte er, „und ich will Ihnen auch keine Befangenheit uns gegenüber unterstellen, Berichterstatter. Wir bedauern den Tod Ihres Schwagers und Ihre eigene Verwundung. Aber ich möchte meiner Verwunderung darüber Ausdruck geben, daß die Nachrichtendienste von allen Gildemitgliedern ausgerechnet Sie hierher schickten, um eine Artikelserie über unsere Besatzungstruppe zu schreiben, die hier auf dem Boden von Neuerde …“
„Lassen Sie mich eines vollkommen klarstellen!“ unterbrach ich ihn. „Ich habe diesen Auftrag aus eigenem Antrieb übernommen, Kommandeur. Ich habe darum gebeten, daß er mir zugeteilt wurde!“
Jetzt war sein Gesicht so verkniffen wie das einer Bulldogge, und von der freundlichen Maske war nur noch wenig übriggeblieben. Über den Tisch hinweg starrte ich ihm ähnlich finster in die Augen.
„Offenbar begreifen Sie nicht, Kommandeur.“ Ich versuchte, diese Worte in einem Tonfall so hart wie Granit hervorzubringen. Und der Klang meiner Stimme war – zumindest für meine eigenen Ohren – zufriedenstellend. „Meine Eltern starben, als ich noch ein Kind war. Ich wurde von einem Onkel aufgezogen, und es war immer mein größter Wunsch, Berichterstatter zu werden. Für mich sind die Nachrichtendienste wichtiger als jede andere von Menschen geschaffene Institution auf irgendeiner der vierzehn zivilisierten Welten. Ich trage das Bekenntnis der Gildemitglieder in meinem Herzen, Kommandeur. Und der Hauptbestandteil dieses Bekenntnisses ist Unparteilichkeit – das Unterdrücken und Auslöschen aller persönlichen Empfindungen, wo sie im Widerstreit zu unserer Arbeit als Berichterstatter stehen oder wo sie diese Tätigkeit auch nur geringfügig beeinflussen könnten.“
Er sah mich weiterhin finster von der anderen Seite des Tisches an. Und ich hatte den Eindruck, allmählich kroch ein Hauch von Unsicherheit in sein wie gemeißelt wirkendes Gesicht.
„Mr. Olyn“, sagt er schließlich, und die neutralere Anrede war wie eine versuchsweise Abschwächung der formellen Schärfe, mit der wir unser Gespräch begonnen hatten. „Wollen Sie mir damit nahelegen, daß Sie hierhergekommen sind und diese Artikel als Beweis dafür schreiben wollen, daß Sie uns gegenüber nicht voreingenommen sind?“
„Weder Ihnen noch irgendwelchen anderen Menschen oder Dingen gegenüber“, sagte ich. „So wie es dem Bekenntnis eines Berichterstatters entspricht. Diese Serie wird eine öffentliche Bestätigung unseres Prinzips darstellen und somit allen zur Ehre gereichen, die den Umhang tragen.“
Ich vermute, er mißtraute mir selbst noch an dieser Stelle. Sein gesunder Menschenverstand lag im Widerstreit mit dem, was ich gesagt hatte. Und das Bild der Selbstlosigkeit, das ich ihm von mir gemalt hatte, muß für ihn zu grell und bunt gewesen sein, da er wußte, daß ich kein Quäker bin.
Aber andererseits benutzte ich seine eigene Sprache. Das herbe Vergnügen der Selbstaufopferung, die stoische Verstümmelung meiner eigenen persönlichen Empfindungen in der Wahrnehmung meiner Pflicht … das klang aufrichtig für seine Glaubensgrundsätze, die ihn sein ganzes Leben lang begleitet hatten.
„Ich verstehe“, sagte er schließlich. Er stand auf und streckte mir über den Tisch hinweg die Hand entgegen, als ich mich ebenfalls erhob. „Nun, Berichterstatter, ich kann auch jetzt noch nicht behaupten, daß wir uns freuen, Sie hier zu sehen. Aber innerhalb vernünftiger Grenzen werden wir so weit wie möglich mit Ihnen zusammenarbeiten. Obgleich unser Ansehen bei der Bevölkerung der vierzehn Welten ganz bestimmt geschmälert wird von einer Artikelserie, die sich mit der Tatsache befaßt, daß wir unerwünschte Besucher auf einem fremden Planeten sind.“
„Ich glaube, das wird diesmal nicht der Fall sein“, sagte ich knapp, als wir uns die Hände schüttelten. Er ließ meine Hand los und sah mich mit plötzlich wiederauflebendem Mißtrauen an.
„Was ich zu schreiben beabsichtige, ist eine Serie von Leitartikeln“, erklärte ich. „Sie wird den Titel tragen Die Ursache der Besetzung von Neuerde durch Quäker-Truppen, und sie wird sich vollkommen darauf beschränken, die Beweggründe und Standpunkte von Ihnen und Ihren Männern in der Besatzungstruppe zu schildern.“
Er starrte mich an.
„Guten Tag“, verabschiedete ich mich.
Als ich hinausging, hörte ich sein halb gemurmeltes „Guten Tag“ hinter mir. Ich wußte, daß ich ihn vollkommen im unklaren darüber verließ, ob er nun auf einem Pulverfaß saß oder nicht.
Doch seine Skepsis begann sich – ganz wie ich erwartet hatte – zu legen, als der erste Artikel der Serie in den Veröffentlichungen des Interstellaren Nachrichten-Büros erschien. Es gibt einen Unterschied zwischen den Artikeln einer gewöhnlichen Reportage und einem Leitartikel. In einem Leitartikel kann man für den Teufel selbst eine Lanze brechen. Und solange man sich nicht persönlich dabei engagiert, kann man seinen Ruf wahren, vorurteilsfrei zu sein.
Ich brach für die Sache der Quäker eine Lanze, in ihren eigenen Begriffen und Ausdrucksformen. Es war das erstemal seit Jahren, daß in den Interstellaren Nachrichten ohne herabsetzende Kritik über die Soldaten der Quäker geschrieben wurde. Und natürlich bedeutete für die Quäker jede herabsetzende Kritik eine Voreingenommenheit ihnen gegenüber. Denn in ihrer eigenen Lebensweise kannten sie keine Kompromisse, und deshalb akzeptierten sie auch keine bei Außenstehenden. Als die Hälfte der Artikel meiner Serie erschienen war, hatte mich Kommandeur Wassel und seine Besatzungstruppen so innig ins Herz geschlossen, wie es ihnen bei einem Nicht-Quäker möglich war.
Natürlich brachte die Serie die Bewohner von Neuerde ganz aus dem Häuschen, und sie verlangten, daß ihr Standpunkt in Hinsicht auf die Besetzung ebenfalls dargestellt wurde. Und die Gilde versah einen sehr guten Berichterstatter namens Moha Skanosky mit genau diesem Auftrag.
Aber ich hatte als erster Einfluß auf die öffentliche Meinung genommen. Und die Artikel hatten eine so starke Wirkung, daß sie beinahe auch mich, ihren Autoren, überzeugten. Worte haben eine magische Ausstrahlungskraft, wenn sie niedergeschrieben werden. Und als ich die Serie beendet hatte, erwartete ich beinahe, in mir selbst so etwas wie Nachsicht und Sympathie für diese Männer zu finden, die so unnachgiebig an ihrem spartanischen Glauben festhielten.
Doch an den steinernen Wänden meiner Seele hing noch immer das ungeschliffene und eingewickelte Claidheamh mōr, das „große Schwert“, und das würde einer solchen Schwäche nicht nachgeben.