VIII.

Feuerteufel! Diese Schlagzeile wirkte auf Oprschalek wie ein Blitzschlag aus heiterem Himmel. Er erblickte sie zufällig, als er einem dahinspazierenden, Zeitung lesenden Mann über die Schulter gesehen hatte. Da noch einiges Geld in seiner Hosentasche klimperte, kaufte er mit schweißfeuchten und zitternden Händen das Blatt. Er trug es wie einen Schatz mit sich und eilte in die ›Stadt Paris‹ am unteren Ende der Josefstädter Straße. Hier gefiel es Oprschalek, denn in dem Lokal verkehrten alle möglichen Typen. Da sich gleich vis-à-vis, auf der gegenüberliegenden Seite der Auerspergstraße, eine Markthalle20 befand, umgab ihn in der ›Stadt Paris‹ das Flair von Marktfahrern, Kutschern, kleinen Gewerbetreibenden, Tagträumern und Taugenichtsen. Doch anders als in den Lokalen rund um den Naschmarkt kannte ihn hier keine Menschenseele. Außerdem hatte er es von seinem Schlafplatz– er war seit gestern Bettgeher bei einer Amtsratswitwe in der Neustiftgasse– nicht weit hierher. Das Geld, das er bei dem Einbruch in der Konfektionsfabrik erbeutet hatte, versprach ihm für’s Erste ein sorgloses Leben. Das Lokal war ziemlich gut besucht, doch nachdem er sich umgeschaut hatte, fand Oprschalek ein gemütliches Platzerl an einem Tisch an der Wand. Er teilte den Tisch mit einem kräftig gebauten Bäckermeister, der als Gabelfrühstück mit großem Appetit ein Gulasch verschlang und mit vollem Mund nuschelte:

»Wenn man so wie ich um vier in der Früh zum Arbeiten anfängt, hat man am Vormittag einen Mordshunger…«

»Lassen Sie es sich gut schmecken! Wie ich früher noch g’arbeitet hab’, hab’ ich um die Zeit meistens a schon an Hunger g’habt.«

»Ah, der Herr gehen nicht mehr arbeiten?«

Oprschalek grinste und dachte sich: ›Das G’wandl macht’s Mandl‹. In der feinen, neuen Schal’n21 vom Lischauer wirkte er wie ein besserer Herr. Sein neues gepflegtes Äußeres hatte ihm auch geholfen, bei der Witwe einen Schlafplatz zu finden. Dort standen ihm sogar ein eigenes Lavoir und ein kleiner Spiegel zur Verfügung, sodass er sich täglich rasieren konnte.

»Seit einiger Zeit nicht mehr. Seit Kurzem bin ich Privatier.«

»Herrgott!«, seufzte der Bäckermeister, »so gut sollte es mir auch einmal gehen. Darf man fragen, wie das gekommen ist? Haben S’ im Zahlenlotto gewonnen? Oder gar eine Erbschaft g’macht?«

»Eine Erbschaft… ja, so könnte man es bezeichnen«, antwortete Oprschalek grinsend. Mit Genugtuung dachte er an die volle Handkasse in der Konfektionsfabrik. Gleichzeitig rechnete er kurz nach, wie lange das Geld wohl reichen würde. Und er begann zu überlegen, wann und wo er das nächste Mal einbrechen und Feuer legen könnte. Als das von ihm bestellte Krügel Bier kam, nahm er einen langen Schluck, dem ein zufriedenes »Ahhh!« folgte. Dann schlug er die Zeitung auf und blätterte voll Spannung zu dem Feuerteufel-Artikel. Er las ihn mehrere Male, nahm dazwischen immer wieder einen Schluck Bier und ließ schließlich das Blatt auf den Tisch sinken. Mit der ›Rezension‹ seiner Tat war er außerordentlich zufrieden.

»Jetzt hamma zu allem anderen Unglück auch noch einen Feuerteufel in Wien…«, nuschelte der Bäckermeister, während er mit einem Elfenbeinzahnstocher, den er aus einer kleinen silbernen Hülle gezogen hatte, die Faserreste des Gulaschfleisches aus den Zahnzwischenräumen entfernte.

»Ja, ja, der Feuerteufel…«, sinnierte Oprschalek, »der wird, und das spür’ ich im Blut, keine Ruhe geben. Der wird bald wieder zuschlagen. Der kann nicht anders.«

»Das hab’ ich a schon g’hört. Dass die Brandstifter, wenn’s einmal zum Zündeln ang’fangen haben, nicht mehr aufhören können…«

Oprschalek wurde der Antwort enthoben, denn in diesem Augenblick betrat der Polizeiagent Drabek die Gastwirtschaft ›Zur Stadt Paris‹. Er bestellte an der Schank ein Seiterl Bier und eilte dann in Richtung WC. Geistesgegenwärtig hatte sich Oprschalek die Zeitung geschnappt und die Nase ganz tief hineingesteckt. Drabek konnte solchermaßen, falls er überhaupt mit seinem enormen Harndrang etwas anderes als die Pissoirtür im Blick hatte, nur die Hände und ein bisschen was von Oprschaleks Schädel sehen. In dessen Hirn überschlugen sich nun die Gedanken. Was sollte er tun? Schleunigst zahlen und das Lokal verlassen? Oder sich weiter hinter der Zeitung verstecken und warten, bis Drabek sein Seiterl getrunken hatte und verschwand? Oder aber…? Er stand ruckartig auf und ging ebenfalls aufs WC. Dort trat er hinter Drabek, der an einer Pissoirmuschel stand und sich gerade den Hosenladen zuknöpfte. Mit einem wuchtigen Schlag stieß er Drabeks Gesicht gegen die Wand. Der Polizeiagent stöhnte auf und sackte bewusstlos zusammen. Oprschalek packte ihn unter den Schultern und schleppte den Bewusstlosen in das freie Klokammerl. Dort positionierte er den reglosen Körper so, dass er sich gegen die Tür lehnte. Oprschaleks suchende Hand griff in Drabeks Sakko und fand dort dessen Brieftasche. Außerdem sah er eine goldene Uhrkette. Ohne zu zögern griff er in Drabeks Hosentasche und zog eine wunderschöne goldene Doppelmanteltaschenuhr hervor. Mit einem energischen Ruck riss er die Hosenschlaufe, an der Kette und Uhr hingen, ab. Die Beute verschwand in der Innentasche seines Sakkos. Dann zwängte er sich durch die Klotür, die hinter ihm von Drabeks Körpergewicht zugedrückt wurde. Gemütlich schlenderte er nun zurück in die Wirtsstube. An seinem Tisch trank er aus, nahm die Zeitung und verabschiedete sich vom Bäckermeister mit einem Augenzwinkern und einem jovialen »Na dann, bis zum nächsten Mal…«. Beim Hinausgehen drückte er dem Kellner ein paar Münzen in die Hand und sagte »Stimmt schon!«. Worauf dieser ein lautes »Habedieehre, Herr Doktor, und auf Wiedersehen!« von sich gab. Oprschalek spazierte in Richtung 9. Bezirk. Als er an einem alten Mietshaus vorbeikam, dessen Haustür offen stand, schlüpfte er rasch in den düsteren Flur. Im Dunkeln des Kellerabgangs nahm er die gestohlene Brieftasche, holte die darin enthaltenen Scheine und Münzen heraus und warf die leere Hülle die Kellerstiege hinunter. Zurück auf der Gasse raschelte und klimperte er fröhlich mit dem Geld in seiner Hosentasche. Er pfiff vor sich hin und dabei fiel ihm ein völlig unsinniger Reim ein, den er leise vor sich hin summte:

»Ja, ja, so ein Polizeiagent hat’s net leicht am End…«