KAPITEL 21

Schon am nächsten Mittag war der Fall mehr oder weniger aufgeklärt, obwohl Moody sich auf Anraten seiner Anwälte geweigert hatte, irgendwelche Fragen zu beantworten. Es war noch nicht alles klar, aber im Großen und Ganzen ging die Geschichte auf. Moody und Liz waren Drahtzieher in einem groß angelegten Kunstbetrug gewesen. Liz hatte die ausländischen Käufer aufgetan und sich um den Verkauf gekümmert, während Moody die Ausstellungskataloge gefälscht hatte. Die Interessenten hatten sich dann im Museumsarchiv von der »Echtheit« der Kunstwerke überzeugen können. Brandon Teal hatte die Fälschungen angefertigt und ein paar Außenstehende waren engagiert worden, um bei der Fälschung der Katalogseiten behilflich zu sein. Natürlich hatten sie nur Kataloge von realen, aber schon lange geschlossenen Galerien verwendet, sodass potenzielle Käufer dort nicht mehr nachfragen konnten.

Dieser Teil der Geschichte war eigentlich geklärt, aber Mendoza besorgte sich einen Durchsuchungsbefehl und schickte zwei Leute, begleitet von Ted, zum Museumsarchiv. Alle Fälschungen, deretwegen Ted ermittelte, waren in Katalogen längst aufgegebener Galerien zu finden. Als sie die Digitalfotos der Fälschungen ganz genau unter die Lupe nahmen, fanden sie in jedem Bild Teals kleine »Alibi-Figur«; manchmal kaum wahrnehmbar, aber immer vorhanden.

Einige Fragen konnten nicht mit absoluter Sicherheit beantwortet werden. Ted und Mendoza konnten nur Mutmaßungen anstellen. Warum hatte Teal sein eigenes Bild stehlen wollen? Weil ihrer Ansicht nach die Abmachung gewesen war, die Fälschungen nur an Kunden im Ausland zu verkaufen, und als Teal erfahren hatte, dass Felsen auf der Ghost Ranch an eine Käuferin aus Seattle gehen sollte, die noch dazu eine Kunstberaterin engagiert hatte, da hatte er kalte Füße bekommen. Er war zu Liz’ Büro gegangen, um ihr zu sagen, dass er aussteigen wollte, und hatte sie tot vorgefunden. Also hatte er sich kurzerhand das Bild geschnappt. Es wäre auch gut gegangen, wäre er nicht mit Chris und Alix zusammengestoßen.

Aufschluss über den mutmaßlichen Grund für den Mord an Teal gab die Liste seiner Telefongespräche. Nachdem er vier Monate lang Clyde Moody nicht einmal angerufen hatte, hatte Teal sich am Samstagmorgen bei ihm gemeldet, zwölf Stunden nach seiner Begegnung mit Alix und Chris. So viel stand fest. Der Rest waren Spekulationen. Teal hatte sich wegen seiner auffälligen Erscheinung – eins neunzig groß mit rotem Haar und Bart – sicher ausrechnen können, dass die Polizei früher oder später darauf kommen würde, dass es sich bei dem verhinderten Dieb um ihn handelte. Er musste davon ausgegangen sein, dass er auch der Hauptverdächtige im Mord an Liz war, und war in Panik geraten (Teal war bekannt für seine Nervosität gewesen und es stellte sich heraus, dass er an einer somatoformen Störung gelitten hatte, was man früher »Hysterie« nannte). Also hatte er Moody angerufen: Was sollte er tun? Wo konnte er hin? Moody war klar geworden, dass Teal ein unberechenbares Risiko darstellte, um das er sich kümmern musste – und zwar schnell. Wenige Stunden später war Teal tot, im Badezimmer »unglücklich gestürzt«.

Clyde Moody reagierte anscheinend sehr empfindlich auf unberechenbare Risiken, denn höchstwahrscheinlich musste auch Liz deswegen dran glauben. Darauf war Alix gekommen und Mendoza hatte die Idee begierig aufgegriffen. Bei den Verhören nach Moodys Verhaftung erzählte sie Mendoza, wie sie dem Archivar bei der Ausstellungseröffnung begegnet war. Die angetrunkene Liz hatte Anspielungen gemacht, in seinem »schimmligen, alten Archiv« sei so allerhand Erstaunliches zu finden, was Moody sichtlich unangenehm gewesen war.

»Und ein paar Stunden später war sie tot«, sagte Mendoza daraufhin nickend.

»Und natürlich war ich auch ein Risiko«, sagte Alix. »Aber woher wusste er das? Gut, ich habe mir im Archiv die Kataloge der Galería Xanadu angesehen. Aber die sind doch dazu da, dass man sie sich anschaut. Wie kam er darauf, dass ich Ärger machen würde?«

Die Antwort auf diese Frage bekam sie erst am nächsten Tag, als Ted sie zum Flughafen fuhr. Die Polizei von Santa Fe hatte sich mit allen Leuten in Verbindung gesetzt, die in den letzten Tagen das Museumsarchiv aufgesucht hatten, darunter eine Clara Simons, Expertin für Dokumentenuntersuchung am Santa Fe College. Moody hatte sie gefragt, warum sie sich für die Xanadu-Kataloge interessierte, und sie hatte keinen Grund gesehen, ihm die Wahrheit zu verschweigen, nämlich dass Alix Zweifel an ihrer Echtheit hatte und sie sie deshalb erneut überprüfen wollte. Wieder hatte Moody keine Zeit verschwendet. Direkt am nächsten Tag hatte die Verfolgungsjagd auf dem Highway stattgefunden und am Tag darauf sein verzweifelter Mordversuch im Park.

Alix hatte ihre Bedenken, denn abgesehen von ihrer Aussage, dass er versucht hatte, sie auf dem Friedhof umzubringen, stützte sich der Verdacht gegen Moody nur auf Mutmaßungen. Würde sich die Jury in einem Mordprozess damit zufriedengeben? Aber Ted konnte sie auch in dieser Beziehung beruhigen. Eddie Sierra, der Fahrer des »Bimbi«-Pick-ups, war gegen alle Prognosen am Vorabend aus dem Koma erwacht. Der Bezirksstaatsanwalt hatte ihm bereits ein Angebot gemacht, das er nicht ablehnen konnte, und Sierra hatte Clyde Moody als »Harry« identifiziert, den Mann, der ihn bezahlt hatte, um Chris und Alix über den Felsrand zu drängen, und für den er auf die gleiche Weise einige Monate vorher schon Henry Merriam umgebracht hatte. Damit kamen noch zwei Anklagepunkte hinzu: Mord und Mordversuch. Und dabei hatte Mendoza gerade erst mit seinen Ermittlungen begonnen. Am Ende würde Moody garantiert für sehr lange Zeit hinter Schloss und Riegel verschwinden.

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Als sie auf dem Flughafenparkplatz ankamen, machte Ted den Motor aus und sah sie an. »Also, es war wirklich sehr … interessant, Sie kennenzulernen, Alix. Über Langeweile konnte ich mich nicht beklagen.«

»Ganz meinerseits«, sagte sie. »Sehr stimulierend. Ich bin nämlich zum ersten Mal angeschossen worden.« Unwillkürlich fasste sie sich an den Schenkel, wo unter einer Kompresse die Wunde pochte. Man hatte sie im Holy Cross Hospital in Taos verbunden und ihr versichert, sie brauche sich keine Sorgen zu machen, denn es sei eher eine Brand- als eine Fleischwunde und es würde sicher noch ein paar Tage wehtun. Das stimmte allerdings.

»Und hoffentlich zum letzten Mal«, sagte Ted. »Ich muss Sie etwas fragen: Hat es Ihnen Spaß gemacht? Natürlich nicht, angeschossen zu werden, sondern die Arbeit an dem Fall, der … der …«

»Der Nervenkitzel? Ja, ich glaube schon.« Bis dahin hatte sie noch gar nicht darüber nachgedacht. »Spaß« war nicht das richtige Wort, nicht, wenn ständig Leute umgebracht wurden, aber so was in der Art.

»Schön, auf die Antwort hatte ich gehofft.«

Sie sah ihn verwundert an. »Warum?«

»Na ja, die Art Squad braucht gelegentlich externe Gutachter, deshalb unterhalten wir einen kleinen Pool von Experten, an die wir uns bei Bedarf wenden.« Er lächelte. »Vielleicht haben Sie ja Interesse.«

»Für das FBI arbeiten?« Sie fiel aus allen Wolken.

»Ja, meistens nur jeweils ein paar Tage. Ach ja, und dann werden Sie auch für Ihre Arbeit bezahlt …« Er lächelte verschmitzt. »… Ob Sie unser blödes Geld wollen oder nicht.«

»Nun, ich … ich … Klar, warum nicht? Ja, gern!« Dieses Angebot kam so unerwartet, dass sie lachen musste. »Und wie geht’s jetzt weiter? Muss ich irgendein Formular ausfüllen?«

»Natürlich müssen Sie ein Formular ausfüllen. Sie haben es schließlich mit der Regierung der Vereinigten Staaten zu tun. Sie werden auch zu einem Gespräch eingeladen. Hätten Sie irgendwann in den nächsten zwei Wochen Zeit, einen Tag nach Washington zu kommen?«

Abwesend nickte sie, während sie versuchte, diese unerwartete Entwicklung zu begreifen. Geoff wird Augen machen!

»Gut. Hier ist meine Karte. Rufen Sie mich an, wenn Sie so weit sind, und ich kümmere mich um alles:«

»Danke. Und danke fürs Fahren.« Sie stieg aus und war immer noch ganz benommen. Wer hätte das geahnt?

»Ach, Alix?«, sagte Ted, bevor er die Wagentür schloss. »Vielleicht könnten wir auch essen gehen, wenn Sie kommen?«

Sie zögerte. »Also …«

Er lächelte. »Ich bin übrigens nicht verheiratet. Ich weiß, daran haben Sie gar nicht gedacht, aber ich erwähne es einfach mal. Also, wie steht’s? Können wir? Essen gehen?«

»Ja. Warum nicht?«, sagte sie und sah ihm hinterher, als er wegfuhr.

Na, die Fahrt hatte sich wirklich gelohnt!