KAPITEL 9

Ted Ellesworth war schon lang genug dabei, um zu wissen, dass Polizisten gewöhnlich ihr Revier verteidigten, insbesondere wenn das FBI sich einmischte. Im Grunde war es auch verständlich, denn das FBI konnte schon ein bisschen anmaßend und aufdringlich sein. Aber falls Detective Lieutenant Eduardo Mendoza sich von Teds Anwesenheit in seinem Büro am nächsten Morgen gestört fühlte, ließ er sich nichts anmerken. Die Polizei von Santa Fe hatte an dem Morgen (auf Teds Bitte hin) einen Anruf aus Washington erhalten, in dem es darum ging, dass ein gewisser Special Agent Ellesworth in der Stadt war und dem für die Ermittlungen in dem Tötungsdelikt in der Galerie Blue Coyote zuständigen Beamten gern einen Höflichkeitsbesuch abstatten wollte. Mendoza, der wahrscheinlich ohnehin bis über beide Ohren in Arbeit steckte, hatte sich von acht bis neun, seine erste Stunde im Büro, für Ted freigemacht und ihn freundlich empfangen. Man bot Ted Kaffee an, den er gern nahm, und Donuts, die er ausschlug.

Ted erklärte, warum er in Santa Fe war, und beide versicherten sich aufs Freundlichste, dass sie einander nicht auf die Füße treten würden. Dann kamen sie schließlich zur Sache. Mendoza, ein Mann um die vierzig mit Pferdegesicht, langer Nase und einer alten Baseballmütze der University of New Mexico, zeigte sich sehr interessiert, als er erfuhr, dass das FBI mitten in einer Betrugsermittlung steckte, bei der Liz’ Galerie eine Rolle spielte. Tatsächlich stellte er Ted genauso viele Fragen wie der ihm und so war es schon fast halb neun, als sie auf den Mord zu sprechen kamen. Ted lieferte Mendoza bereitwillig Informationen und der zeigte sich ebenso kooperativ.

»Okay, die beiden haben uns um zwanzig Uhr sechs angerufen«, sagte Mendoza, »und ihrer Aussage nach sind sie nur drei oder vier Minuten vorher mit dem großen Kerl mit dem Bild zusammengestoßen – oder umgekehrt, sollte ich wohl hinzufügen. Sie glauben, er hat sich am Kopf verletzt, als er gestolpert ist. Das könnte uns bei der Suche dienlich sein. Wir haben die Notaufnahme des Krankenhauses angerufen, aber die einzige Verletzung am Kopf dort war ein Fliegenfischer, der mit seinem Angelhaken sein eigenes Ohr erwischt hatte.«

»Hier gibt’s Fliegenfischer?«

»Klar, jede Menge.«

»Konnten die Frauen eine Beschreibung abgeben?«

»Ja, für die Umstände sogar eine ganz gute. Beide waren sich einig, dass es ein großer, kräftiger Mann war: eins siebenundachtzig bis eins neunzig und mindestens neunzig Kilo. Muskulös, nicht fett. Weiß. Kurze rote Haare. Die London meinte, er hätte auch einen rötlichen Bart gehabt, aber die andere kann sich nicht mehr dran erinnern. Allerdings können beide sich dran erinnern, dass er nach Tabak stank. Die London ist ziemlich sicher, dass es Pfeifentabak war.«

Ted nickte. »Nicht schlecht, aber sind Sie auch sicher, dass die die Wahrheit sagen? Ich meine, könnten die es gewesen sein und den Mann einfach erfunden haben, um Sie auf eine falsche Fährte zu locken?«

»Unmöglich. Natürlich haben wir auch daran gedacht, aber es ergibt keinen Sinn. Aus verschiedenen Gründen. Aber ich habe jetzt keine Zeit, ins Detail zu gehen. Nein, ihre Geschichte ist glaubwürdig. Und die Leute von der Spurensicherung haben auf der Skulptur, gegen die er gelaufen sein soll, frisches Blut gefunden. Das passt also auch. So kommen wir hoffentlich auch an seine DNA, aber Sie wissen ja …« Er zuckte mit den Schultern.

»Klar«, sagte Ted. »Ohne eine übereinstimmende DNA-Probe nutzlos. Irgendwelche Fingerabdrücke?«

»Das Bild ist voll davon, aber die meisten sind von der London und ein paar von der Coane. Dann gibt’s noch ein paar andere, die interessant sein könnten. Auch ziemlich deutlich. Aber wieder das gleiche Problem …«

»Ohne Übereinstimmung nutzlos«, sagten beide gleichzeitig.

»Was ist mit der Todeszeit?«, fragte Ted.

»Der Gerichtsmediziner sagt, sie war höchstens zwei Stunden tot, als er dazukam. Genauer will er sich vor der Obduktion nicht festlegen. Und die Todesursache ist Ersticken, sagt er, wahrscheinlich mit dem Kissen, das auf dem Boden lag.«

»Sie sind also ziemlich sicher, dass dieser Kerl Ihr Täter ist?«

Mendoza machte mit seiner Hand eine wedelnde Bewegung, die Unsicherheit bedeuten sollte. »Nun, das ist das Wahrscheinlichste. Entweder hat sie ihn erwischt, als er das Bild stehlen wollte, und er hat sie deswegen umgebracht …«

»Oder er hat sie aus einem anderen Grund umgebracht und das Bild mitgehen lassen, damit es wie Raub aussieht.«

»Genau.« Mendoza stand auf, um sich aus der Kanne auf dem Beistelltisch Kaffee nachzuschenken. Er hielt die Kanne hoch. »Noch Kaffee?«

Ted legte seine Hand auf seinen Kaffeebecher. »Nein, danke.« Es war typisches Polizeigebräu: von vornherein zu stark und dann zu lange aufgewärmt. Eine Tasse reichte vollkommen.

»Sie haben gesagt ›das Wahrscheinlichste‹. Heißt das, Sie haben noch andere Theorien?«

»Unzählige.« Mendoza ließ sich seufzend auf seinen Stuhl fallen. »Das Opfer war nicht gerade wohlgelitten. Sie wechselte die Männer wie andere Frauen ihre Schuhe und anscheinend sind eine Menge Kerle sauer auf sie, größtenteils sogenannte Künstler. Und die anderen Galeristen waren auch nicht so gut auf sie zu sprechen. Sie hat im Laufe der Zeit eine Menge Leute reingelegt, auf die ein oder andere Art. Sie hat so viele gegen sich aufgebracht. Wir haben schon eine Liste mit einem Dutzend Leuten aus Santa Fe, mit denen wir ein Wörtchen reden wollen, und da kommen sicher noch einige hinzu.«

»Aha. Aber wenn jemand anderes sie umgebracht hat, wie passt dann der Typ, der das Bild klauen wollte, da rein?«

Mendoza zuckte wieder mit den Schultern. »Ich weiß nicht … Eine Gelegenheitstat vielleicht? Er geht aus irgendeinem Grund zur Galerie, findet die Tote, sieht das Bild, denkt sich: ›Was soll’s‹, und klemmt es sich unter den Arm.«

»Und hat das Riesenpech, über diese zwei Frauen zu stolpern«, sagte Ted zweifelnd. »Na ja, vielleicht.«

»Ja, ich weiß, es ist weit hergeholt, aber ausschließen will ich es nicht. Es gibt auch ein paar mögliche Verdächtige von außerhalb: diese LeMay und ein Kerl namens …« Er sah in dem offenen Ordner auf dem Schreibtisch nach. »Templeton, Craig Templeton. Er hat das Flugzeug gesteuert, mit dem sie gekommen ist. Er, die LeMay und die Coane kennen sich schon eine ganze Weile, und vor vier, fünf Jahren waren sie alle in so eine chaotische Dreiecksgeschichte verwickelt. So was kann böse enden.«

»Wem sagen Sie das?«, sagte Ted mit einem Grinsen.

»Also die LeMay hat uns ziemlich offen davon erzählt. Mit Templeton habe ich noch nicht geredet. Ich glaube, der wird gerade im Moment verhört.«

»Vor vier, fünf Jahren? Für ein Verbrechen aus Rache oder Eifersucht ist das eine lange Zeit, meinen Sie nicht?«

»Ja, finde ich auch. Normalerweise. Aber sehen Sie es mal so: Die beiden kommen um vierzehn Uhr in Santa Fe an – mit Alix London im Schlepptau – und um zwanzig Uhr ist die Coane tot. Ein seltsamer Zufall, finden Sie nicht?«

»Ja, stimmt schon«, sagte Ted zögernd. »Und was Alix London angeht … Hören Sie, ich will Ihnen nicht in Ihren Job reinreden, aber an Ihrer Stelle würde ich die auch ganz genau unter die Lupe nehmen.«

Mendoza runzelte die Stirn. »Ja? Warum?«

»Der Name London, sagt der Ihnen was?«

»Bis gestern nicht. Warum?«

»Können Sie sich nicht an Geoffrey London erinnern? Das war in New York, vor acht oder neun Jahren …«

Mendoza hob die Hand. »Ach ja, jetzt weiß ich es wieder. War das nicht dieser berühmte Kunstexperte? Der sich als Fälscher im ganz großen Stil entpuppt hat? Der hat einige Leute um eine Menge … Wie? Ist der mit ihr verwandt? Onkel? Vater?«

»Ihr Vater.«

»Ach so. Also, Ted, das ist zwar sehr interessant, aber nur weil der Vater Dreck am Stecken hat, muss es bei ihr ja nicht auch so sein.«

»Ach nein? Ich finde sie zumindest verdächtig. Aber das ist nicht alles. Heute Morgen, bevor ich herkam, hat mich unser Operations Specialist angerufen. Sie hat ein bisschen nachgeforscht und es stellte sich heraus, dass jemand im Geheimen die Fäden gezogen hat, damit es so aussieht, als hätte die LeMay sich ›ganz zufällig‹ unter all den infrage kommenden Leuten ausgerechnet Alix London als Beraterin ausgesucht. Wer wohl? Einmal dürfen Sie raten.«

»Ihr Vater«, sagte Mendoza nachdenklich. »Hm, also was glauben Sie? Dass ihr Vater das Bild gefälscht hat? Und dann hat er sie hergeschickt, um zu bestätigen, dass es echt ist?« Sein Stuhl knarrte, als er sich zurücklehnte. »Wissen Sie, um ehrlich zu sein, ist sie mir auch irgendwie verdächtig vorgekommen. Sie hat uns unter anderem erzählt, dass sie dachte, Liz Coane hätte versucht, sie umzubringen.«

»Sie umzubringen? Das ist doch verrückt.«

»Na ja, nicht so ganz. Ihre Casita im Hotel ist gestern Nachmittag in die Luft geflogen. Die Explosion konnte man bis hierher hören. Es ist Propangas ausgetreten. Sie ist nur knapp davongekommen.«

»Im Ernst?«, sagte Ted nachdenklich. »Aber Sie glauben doch nicht wirklich …«

»Ich weiß nicht«, sagte Mendoza. »Normalerweise würde ich sagen, sie ist ein bisschen paranoid. Was durchaus verständlich wäre. Aber wo die Coane selbst ein paar Stunden später dran glauben musste … Also, irgendwas ist da im Busch.«

Ted lehnte sich zurück und überlegte einen Augenblick. »Eduardo«, sagte er, »Ihr Tötungsdelikt und mein Betrugsfall … Meinen Sie nicht, die könnten beide mit einem größeren Ding zusammenhängen? Vielleicht musste die Coane wegen ihrer Beteiligung an diesem Schwindel sterben?«

Mendoza lächelte. »Also bis vor einer halben Stunde, als Sie hier reinspaziert sind und mir von den Fälschungen erzählt haben, hätte ich an so was gar nicht gedacht. Jetzt halte ich es für möglich. Wir haben in Santa Fe selten mit Tötungsdelikten zu tun und es fliegen auch nicht ständig irgendwelche Bungalows in die Luft. Und jetzt beides an einem Tag und dieselben Leute sind drin verstrickt, also …«

Ted nickte. »Ja, das gibt zu denken. Und wer ist die Verbindung zwischen allem? Alix London.« Plötzlich kam ihm ein Gedanke und nach kurzem Zögern sagte er: »Was war das für ein Bild, das dieser Typ mitgehen lassen wollte?«

»Irgendein Bild eben. Was meinen Sie?«

»Wer hat es gemalt? Was stellt es dar?«

Mendoza schaute wieder in seiner Akte nach, fand aber nichts. Er ging zur Tür und öffnete sie, um mit einem der Detectives im Großraumbüro zu reden. »He, Jock, das Bild in dem Fall Coane, hat das einen Titel oder so?«

Ted hörte kurz Papier rascheln und dann rief jemand aus dem Großraumbüro: »Ja, auf der Rückseite ist ein Schild. Da steht: Felsen auf der Ghost Ranch, Georgia O’Keeffe, 1964.«

»Ich hab’s doch gewusst«, rief Ted. »Das Bild stand auf einer Staffelei in ihrem Büro, als ich nachmittags da war. Sie hat mir den Titel gesagt. Die LeMay sollte das Bild kaufen und die London ist die ›Expertin‹, die sie mitgebracht hat, um es zu begutachten.«

Mendoza nickte nachdenklich. »Interessant.«

»Wissen Sie«, sagte Ted, »ich würde es mir gern noch mal ansehen, wenn Sie nichts dagegen haben.«

»Kein Problem.« Mendoza rief: »Jock, wo ist das Bild denn jetzt? Wir haben es doch mitgenommen, oder?«

»Natürlich, wo denkst du hin?«, sagte Jock eingeschnappt. »Es ist in der Asservatenkammer. Eine von den beiden Frauen kommt vorbei, um zu bestätigen, dass es das Bild ist, das der Typ klauen wollte.«

»Welche von den beiden?«, fragte Ted Mendoza. »LeMay oder London?« Ihm war bewusst, dass er sich in Mendozas Revier breitmachte, aber es sah langsam so aus, als würden sie sich das Revier teilen müssen. Trotzdem fühlt er sich verpflichtet, zu Mendozas Rücken zu sagen: »Falls es Ihnen nichts ausmacht, dass ich frage.«

Mendoza zuckte mit den Schultern und gab die Frage weiter an Jock. »Die Hübsche, London«, rief der Detective. »Sie müsste jeden Moment da sein. Hooper kümmert sich um sie.«

»Gut. Ach, und sag Hooper, dass sie nach einer Staffelei gefragt hat. Er soll die aus dem Konferenzraum nehmen.«

»Alles klar.«

»Und er soll mir nachher sagen, wie’s gelaufen ist.«

»In Ordnung.«

»Danke, Eduardo«, sagte Ted, als Mendoza die Tür schloss. Als der Lieutenant wieder am Schreibtisch saß, sagte Ted eindringlich: »Wissen Sie, ich hatte so ein Gefühl, dass sie bis über beide Ohren in der Sache drinsteckt. Hätten Sie was dagegen, wenn ich so ganz zufällig reinschaue, wenn sie da ist?«

Mendoza zögerte. »Äh, nehmen Sie es mir nicht übel, Ted, aber das mache ich doch lieber allein. Wissen Sie …«

»Selbstverständlich!«, sagte Ted. »Ich will mich nicht in die Ermittlungen des Tötungsdelikts einmischen, glauben Sie mir. Ich bin einzig und allein an dem Betrugsfall interessiert.«

»Nun …«

»Ich will nur hören, was sie über das Bild zu sagen hat, das ist alles. Das würde mir schon weiterhelfen. Sie würden mir wirklich einen großen Gefallen tun.«

»Ja, okay, das verstehe ich«, sagte Mendoza. »Ich lasse Sie hinbringen. Wir könnten sagen, Sie sollen bestätigen, dass es sich um das Bild handelt, das Sie in Liz’ Büro gesehen haben. Was ja irgendwie auch stimmt.«

»Großartig, tausend Dank. Aber nicht vergessen: Sie denkt, ich hieße Roland de Beau…«

In dem Moment surrte das Telefon auf dem Schreibtisch und Mendoza hob ab. »Ja? Ja? Ganz im Ernst? Okay, sag ihr schönen Dank von mir, dass sie aufgepasst hat.«

Er legte auf und sah Ted plötzlich ganz ernst an. »Das war einer von meinen Männern. Die London hat ihn gebeten, mich anzurufen. Ich sollte unbedingt über diesen zwielichtigen Kerl Bescheid wissen. Sie ist sicher, dass er ganz tief in der Sache drinsteckt. Und sie hat ihn hier auf der Polizeiwache gesehen.«

Ted sah ihn verblüfft an. »Wen meint sie?«

Mendoza konnte sich nicht länger beherrschen und schnaubte vor Lachen. »Sie natürlich!«

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Als Alix auf die Polizeiwache kam, fand sie dort zu ihrer großen Überraschung Roland de Beauvais vor. Lieutenant Mendoza stand in der offenen Tür seines Büros und redete mit einem der Detectives im Großraumbüro, während an seinem Schreibtisch, da wo Alix am Vorabend auch gesessen hatte, jetzt de Beauvais saß, hemdsärmelig und so, als fühlte er sich ganz wie zu Hause. Die nächste Überraschung kam, als Mendoza die Tür schloss und sie de Beauvais sagen hörte: »Danke, Eduardo.«

Das machte sie wirklich stutzig. Eduardo? Wieso ging dieser schleimige Bostoner Kunsthändler oder Vermittler – oder was er angeblich war – so plumpvertraulich mit dem Leiter der Mordkommission von Santa Fe um? Ganz besonders erstaunt war sie über die Art, wie er es sagte. Nicht mit diesem altmodischen, lang gezogenen Bostoner Akzent, sondern wie ein stinknormaler Amerikaner.

Was für ein doppeltes Spiel trieb dieser Typ? Warum sprach er mit einem aufgesetzten Bostoner Akzent? Oder vielleicht war der andere Akzent aufgesetzt, obwohl das unwahrscheinlich war. Auf jeden Fall gab er vor, jemand zu sein, der er nicht war.

Ein übergewichtiger, müde wirkender Mann in einem zerknitterten weißen Hemd mit losem Schlips und offenem Kragen stand von einem Schreibtisch auf. »Hallo, Miss London. Danke, dass Sie gekommen sind. Ich bin Detective Hooper. Ich bringe Sie zur Asservatenkammer.«

»Danke, Detective. Ähm … der Mann da drin beim Lieutenant … Wissen Sie zufällig, wer das ist?«

»Nein, Ma’am, den habe ich nicht gesehen.« Er kratzte sich an seinem stoppeligen Kinn und wartete geduldig. Sie fragte sich, ob er die ganze Nacht aufgeblieben war.

Sie zögerte zuerst und sagte dann: »Also ich kenne ihn und da ist etwas, das der Lieutenant wissen sollte. Können Sie ihn anrufen?«

»Sie meinen, jetzt sofort?«

»Ja, besser wär’s. Können Sie ihm ausrichten, dass der Mann, mit dem er sich gerade unterhält, nicht der ist, für den er sich ausgibt?« Sie senkte ihre Stimme ein wenig. »Eigentlich …«

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Nachdem der Detective ein wenig zögerlich ihre Nachricht weitergeleitet hatte, verschwendete sie erst einmal keinen Gedanken mehr an Roland de Beauvais. Jetzt war Mendoza am Zug und er konnte machen, was er wollte. Sie hatte ihre Bürgerpflicht getan und jetzt freute sie sich darauf, das O’Keeffe-Bild in Augenschein zu nehmen. Am Tag zuvor hatte sie nur ganz kurz einen Blick drauf werfen können und seitdem konnte sie es kaum abwarten, es unter die Lupe zu nehmen. Sie hatte zwar nicht damit gerechnet, dies auf einer Polizeiwache zu tun, aber sie konnte dort ihre Arbeit genauso gut tun wie anderswo.

Hooper meldete sich beim Asservatenverwalter an und gab auf einem Tastenfeld an der Wand einen Code ein, um die Tür zum Sichtungsraum der Asservatenkammer zu öffnen. Auf einem der Tische stand eine tragbare Staffelei, auf der das Bild lehnte.

»Bitte schön«, sagte Hooper mit einer müden Handbewegung. »Ziehen Sie die erst an.«

Sie nahm ein paar Plastikhandschuhe aus der Schachtel, die er ihr hinhielt, und mit Herzklopfen sah sie sich zum ersten Mal das Gemälde, dessentwegen sie nach New Mexico gekommen war, genau an.

Es war ein mittelgroßes Bild von einer unwirklich bleichen Felswand, von tiefen Schluchten durchzogen und von einer kargen Landschaft mit hellem Sand umgeben. Darüber ein klarer Himmel. Am dunklen Grund einer Felsspalte war mit wenigen Pinselstrichen eine Figur angedeutet, ein Mann im Profil, der nach rechts schaute. Vielleicht auch eine Frau. Das Bild steckte in einem schlichten Stahlrahmen. Ideal für dieses Gemälde, fand sie. Der Metallrahmen hatte sich auch als nützlich erwiesen. Ohne ihn hätte das Kunstwerk die Landung im Kieferngebüsch nicht so gut überstanden.

»Ist es nicht wunderschön?«, sagte sie.

Hooper zuckte mit den Schultern und versuchte vergebens, ein Gähnen zu unterdrücken. »Ja, sicher, ist aber nicht mein Ding. Also ist es das Bild, das Sie aus dem Gestrüpp gezogen haben?«

»Ja, eindeutig.«

»Okay, super. Sie können gehen, Ms London.« Er schickte sich an, das Bild von der Staffelei zu nehmen. »Vielen Dank für Ihre Hilfe.«

»Nein, warten Sie«, sagte Alix rasch. »Ich würde es mir gern noch ein wenig länger anschauen. Ginge das?«

Er zögerte, die Hand noch auf dem Rahmen. »Wozu?«

»Christine LeMay hat mich unter anderem engagiert, um das Bild auf seine Echtheit zu prüfen. Es gehört schließlich ihr, es sei denn, sie entscheidet sich gegen den Kauf. Aber ich glaube, das könnte für die Polizei auch von Interesse sein.«

»Ich wusste nicht, dass es da Zweifel gibt.« Er hielt die Hand vor den Mund, denn er musste schon wieder gähnen. »’tschuldigung.«

»Zweifel gibt’s immer«, sagte sie. »Vor allem bei einem so teuren Bild.«

»Wie teuer ist es denn?«, fragte er ohne wirkliches Interesse.

»Drei Millionen Dollar.«

»Ohne Scheiß?«, platzte es aus ihm heraus. Dann entschuldigte er sich wieder, fast bevor er die Worte ausgesprochen hatte. Na, wenigstens hatte er mal eine Reaktion gezeigt.

Er trat von dem Bild zurück und machte eine Geste, dass sie es jetzt inspizieren könne. »Also gut, schauen Sie es sich an.« Dann hörte sie ihn murmeln: »Drei Millionen, unglaublich.«

Sie wollte sich gerade in das Bild vertiefen, als auf dem anderen Tisch ein Telefon surrte. Hooper nahm ab. »Ja klar, Lieutenant, ich lasse ihn rein.«

Zu ihrer Überraschung wartete Roland de Beauvais vor der Tür. Sogar noch bevor er den Mund aufmachte, wusste sie, dass er wieder seine Rolle spielte. Es lag nicht nur an dem wunderschönen Kaschmirblazer, den er trug, sondern auch an den arrogant hochgezogenen Augenbrauen, dem Anflug eines selbstgefälligen Grinsens, das man am liebsten mit einer Ohrfeige wegwischen würde, und auch an seiner unerträglich lässigen Körperhaltung. Er war ein begnadeter Schauspieler, das musste man ihm lassen.

Aber nein, so begnadet nun auch wieder nicht. Er sprach zwar wie der Bostoner Geldadel, er gab sich auch so, aber er kleidete sich ganz sicher nicht so. Leute, die wirklich dieser illustren Gesellschaft angehörten – die Whipple-Pruitts zum Beispiel –, hatten vielleicht Millionen teure Bilder im Wohnzimmer und Louis-XVI-Möbel im Esszimmer, aber eben hinter verschlossenen Türen, und nur ihresgleichen bekam diese Schätze zu sehen. Sie liefen ganz bestimmt nicht in Tausend-Dollar-Jacken herum. Genießen, ohne aufzufallen, das war ihre Devise. Sie trugen löchrige Pullover und abgelaufene Segelschuhe, keine Designerjacken und Gucci-Slipper.

Er war ein Hochstapler durch und durch.

»Ach, Ms London, was für eine nette Überraschung«, sagte er. Und natürlich wieder diese schleppende, näselnde Sprechweise.

Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Und was führt Sie hierher?«, fragte sie. Mist, sie wollte sich das Bild eigentlich in Ruhe allein ansehen. Mit diesem rausgeputzten Schleimer im Raum konnte sie sich nicht konzentrieren.

»Ach, die Polizei hat mich gebeten zu bestätigen, dass es sich um das Bild aus dem Büro der bedauernswerten Ms Coane handelt. Einfach schrecklich, diese Sache.« Er sah das Bild an. »Ja, das ist das Bild. Sind Sie nicht auch der Meinung?«

»Ja.« Großartig! Und jetzt sei so nett und mach einen Abgang …

Aber er empfing ihre telepathische Nachricht nicht. Er schaute weiter das Bild an und machte keine Anstalten zu gehen. »Offensichtlich aus ihrer späten Ghost-Ranch-Periode«, sagte er.

Alix war überrascht. Der Typ war zwar widerlich, aber er kannte sich aus.

»Ja«, sagte sie, »einundsechzig oder zweiundsechzig, vielleicht dreiundsechzig. So um die Zeit.«

»Nein«, sagte er mit einem herablassenden Lächeln. »Ich glaube, ein klein bisschen später.« Er studierte das Bild noch einen Moment lang. »Ich würde sagen … vierundsechzig. Ja, wahrscheinlich Anfang vierundsechzig. Sie lagen also fast richtig.«

Und du redest totalen Mist, dachte sie. Kein Mensch kann das so genau bestimmen.

»Erkennen Sie die Landschaft?«, fragte er.

»Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, es ist die Landschaft der Ghost Ranch. Was meinen Sie?«

»Oh ja, das ist die Ghost Ranch. Das ist ja offensichtlich. Aber wissen Sie auch, wo genau?«

Jetzt macht er einen Wettbewerb draus, stellte sie fest. Mit allem, was er sagt, versucht er zu beweisen, dass er cleverer ist als ich. Widerling. Er erinnerte sie immer mehr an ihren so gar nicht vermissten Ex.

»Nein, nicht genau«, sagte sie durch zusammengebissene Zähne.

»Sagen Sie mal, Ms London, was halten Sie von dem Bild an sich?«

»Wie meinen Sie das?«

»Ich meine, finden Sie das Bild gut? Werden Sie Ihrer Freundin zum Kauf raten? Welchen Stellenwert innerhalb des Werks von Georgia O’Keeffe nimmt das Bild Ihrer Meinung nach ein?« Lächelnd wartete er ihre Antwort ab.

Erstens war sie ja noch gar nicht dazu gekommen, das Bild eingehend genug zu untersuchen, um ein Urteil abzugeben. Und außerdem würde sie keinen vorläufigen Befund abgeben, nur um sich dann wieder von ihm runterputzen zu lassen. »Ich habe mir noch keine Meinung gebildet. Wie würden Sie es denn beurteilen?«

Ein Schatten der Besorgnis oder vielleicht des Zweifels huschte über sein Gesicht, die erste echte Gefühlsregung, die sie bei ihm bemerkte. Er war auf diese Frage nicht vorbereitet gewesen. Vielleicht war er doch kein so großer Experte. Langsam fing die Sache an, Spaß zu machen.

Er studierte das Bild, sein Kinn in die rechte Hand gestützt, seinen rechten Ellbogen in der linken Hand. Er räusperte sich. »Ich finde es einfach fantastisch. Sie fasziniert mich immer wieder, wissen Sie. Wie bei ihr das Weiß für Rationalität und Ordnung steht und wie sie nicht nur seine symbolische Bedeutung, sondern auch die formell-strukturellen Aspekte betont.« Er beendete seine Rede mit einem weiteren Räuspern.

Was für ein ausgemachter Humbug, dachte Alix und lächelte ihn an. Hatte er wirklich nicht mehr drauf? Er wusste auch, dass es Blödsinn war, und er wusste, dass sie’s wusste. Denn als er wieder lächelte, bemerkte sie in seinem Gesicht einen Anflug von Verlegenheit oder vielleicht sogar Humor (war es möglich, dass er über sich selbst lachte?). Überrascht sah sie plötzlich eine ganz andere Persönlichkeit aufflackern. Wenn er die manierierte Sprechweise und das affige Gehabe ablegen und ein bisschen echtes Gefühl zeigen würde, könnte er sogar ganz attraktiv sein. Diese stechend blauen Augen, das kantige Kinn …

Stopp, dachte sie, jetzt reicht’s aber. Sie war nicht so dumm, sich auf solche Abwege zu begeben. Sie hatte sich schon immer gut auf eine Sache konzentrieren können und nun machte sie Gebrauch von dieser Gabe, um sich von de Beauvais abzuwenden und ihre ganze Aufmerksamkeit dem Bild zu widmen. Es war an der Zeit, endlich zu tun, wofür sie bezahlt wurde. Erste Frage: War das Bild echt oder eine Fälschung?

Für die meisten Leute, auch im Kunstbetrieb, klang die Behauptung, jemand habe einen »Kennerblick«, einfach lächerlich – wie eine Zirkusnummer, Hokuspokus, bestenfalls Selbstbetrug. Nach herkömmlicher Auffassung hielt man sich bei der Überprüfung eines Bildes streng an wissenschaftliche Methoden und verließ sich nicht auf einen vagen, schwer erklärbaren ersten Eindruck.

Aber Alix wusste es besser. Sie verließ sich zwar auf ihren ersten Eindruck, ihr Bauchgefühl, und es war schwer zu erklären, aber es beruhte auf Schulung, Erfahrung und Wissenschaft – und darüber hinaus auf der überaus wichtigen angeborenen Fähigkeit, diese verschiedenen Aspekte in ein eindeutiges, allumfassendes, scheinbar instinktives Urteil zu fassen. Das funktionierte nicht bei jedem Künstler. Sie konnte bis zum Gehtnichtmehr einen Duccio oder einen Cimabue anstarren und nichts passierte. Das hieß nicht, dass sie sie nicht mochte oder schätzte, aber sie spürte einfach keine Verbindung. Bei Georgia O’Keeffe jedoch kam diese Verbindung zustande und jetzt, nachdem sie das Bild ein paar Minuten lang intensiv betrachtet hatte, schloss sie die Augen und ließ ihre Eindrücke verschmelzen. Die Farben stimmten … Das Motiv passte auf jeden Fall … Die allgemeine Ausführung schien auch in Ordnung … Das Bild war nicht signiert, aber auch das war stimmig, denn Georgia O’Keeffe signierte ihre Arbeiten nicht, nur manchmal auf der Rückseite (und dann krakelte sie meist nur ihre Initialen: OK). Sie fand ihren Stil als Signatur ausreichend.

Anscheinend machte sich de Beauvais auch Gedanken über die Echtheit des Bildes. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass es echt ist«, sagte er fast unwillig. »Daran besteht eigentlich kein Zweifel.«

»Und ich würde sagen, es ist eine Fälschung«, erklärte Alix zu ihrer eigenen Überraschung. Sie hatte es ausgesprochen, bevor sie überhaupt bewusst zu diesem Ergebnis gekommen war.

Der Kunsthändler schwenkte auf seinem Stuhl herum und starrte sie an, scheinbar erstaunt oder vielleicht auch beleidigt. »Wie kommen Sie darauf?«, wollte er wissen.

Nun, das war der springende Punkt. Die Eingebung, ob echt, falsch, gut oder schlecht, kam immer bevor sie verstand, worauf sie beruhte. »Ich bin mir noch nicht ganz sicher. Vielleicht ist es einfach zu schön, zu hübsch. Man erwartet in ihren Bildern immer eine gewisse Spannung, und die kann ich hier nicht finden. Und da ist noch was, das mich stört. Es fehlt etwas. Ich kann es nicht genau sagen …«

Ziemlich lahm, dachte sie, aber was Besseres fiel ihr in dem Moment nicht ein. Sie erwartete ein höhnisches Grinsen von de Beauvais, aber er verzog keine Miene. »Verstehe«, sagte er gerissen. »Wie interessant.«

Widerling, dachte sie erneut. Na ja, irgendwann würde sie sicher verstehen, was es war. Sie nahm ein Maßband aus ihrer Handtasche und vermaß mit zwei flinken Bewegungen die Leinwand: einundneunzig Zentimeter breit und sechsundsiebzig Zentimeter hoch; wahrscheinlich etwas größer, je nachdem, wie viel vom Rahmen verdeckt wurde.

»Warum machen Sie sich die Mühe, es zu vermessen«, fragte de Beauvais, »wenn Sie so sicher sind, dass es sich um eine Fälschung handelt?«

»Das machen wir so«, fuhr sie ihn an und ergriff die Gelegenheit beim Schopf, den arroganten Schnösel in seine Schranken zu weisen. Ich bin hier der Profi, wollte sie damit sagen. Du hast von der Sache keinen Schimmer. »Und ich habe nicht behauptet, ich sei sicher. Es ist nur meine Meinung … meine Meinung als Expertin«, fügte sie spitz hinzu.

»Nichts für ungut, Ms London, Ihre Meinung ist sicher von unschätzbarem Wert …« Jetzt wurde er auch ruppig. »… Aber wenn die Polizei mich um meine Meinung bittet, werde ich vorschlagen, sich überhaupt nicht auf Meinungen zu verlassen, sondern das Bild in einem forensischen Labor untersuchen zu lassen, zum Beispiel mit einer chemischen und spektroskopischen Pigmentanalyse.«

Oh Gott, der Typ war zu allem Überfluss auch noch ein totaler Schaumschläger. »Wenn behauptet würde, dieses Bild stamme aus dem achtzehnten Jahrhundert«, sagte sie scharf, »dann wäre eine wissenschaftliche Analyse durchaus sinnvoll. Die vor dreihundert Jahren verwendeten Pigmente unterscheiden sich erheblich von den heute verfügbaren, ebenso die Leinwände, die damals von Hand gewebt wurden …«

»Das ist mir ja alles klar, aber …«

»Es gäbe Krakelüren, die untersucht werden müssten, außerdem Schmutzablagerungen und Staub. Aber dieses Gemälde soll nur vierzig Jahre alt sein. Damals wurden die gleichen Pigmente verwendet wie heute. Dasselbe gilt für Pinsel, Leinwände, Keilrahmen und so weiter. Hier müssen keine Krakelüren untersucht werden. Es müssen keine Ablagerungen auf ihr Alter überprüft werden. Außerdem hätte derjenige, der dieses Bild gemalt hat, wenn er nicht total unfähig ist, was offensichtlich nicht der Fall ist, die gleichen Materialien und Techniken verwendet wie Georgia O’Keeffe. Er hätte …«

He, du kannst aber auch ganz gut Schaum schlagen, dachte sie und unterbrach sich. Jedenfalls schien de Beauvais sich geschlagen zu geben und das gefiel ihr.

»Darf ich es mal umdrehen?«, fragte sie Hooper, der etwas abseits saß und schweigend zusah. »Klar. Nur nicht fallen lassen. Drei Millionen Kröten, puh …«

Sie drehte es vorsichtig um und stellte es wieder auf die Staffelei, wobei sie darauf achtete, dass der Rahmen und nicht das Bild selbst das Holz berührte. Auf der Rückseite befanden sich wie bei den meisten Bildern, die schon eine Weile im Handel sind und öfter den Besitzer gewechselt haben, ein paar vergilbte, teilweise abgelöste Etiketten und verschiedene unlesbare Stempel und Kritzeleien. Eine der Tintenkritzeleien war die erwartete »Signatur«, ein einfaches »OK«, von einem Stern mit fünf Spitzen umgeben. Das bewies gar nichts. Im Grunde wäre eine fehlende Signatur eher ein Indiz für die Echtheit des Bildes gewesen. Nichts auf der Welt war so einfach zu fälschen wie die Initialen von Georgia O’Keeffe, und während viele berühmte Künstler ihre Werke nicht immer signierten, würde kein Fälscher eines berühmten Künstlers im Traum daran denken, eins seiner Werke unsigniert zu lassen.

Unvermittelt kam ihr dabei eine Begebenheit in den Sinn, von der sie gehört hatte, und sie musste lächeln. Ein kleines, aber feines Museum in Europa wollte ein El-Greco-Gemälde mit der typisch gewundenen Linienführung kaufen, das unten rechts die auffällig große Signatur »El Greco« aufwies. Dann wies jemand darauf hin, dass El Greco, »der Grieche«, seine Bilder natürlich mit seinem richtigen Namen, Doménikos Theotokópoulos, signierte, und zwar in griechischen Lettern.

Die beiden Männer reagierten mit fragenden Blicken auf ihr Lächeln, also setzte sie schnell wieder ein ernstes Gesicht auf und konzentrierte sich auf ihre Untersuchung. Die Stempel waren größtenteils unleserlich, aber eins der zwei Etiketten stammte von einer Galerie: Galería Xanadu, 1421 Central Avenue NE, Albuquerque, NM. Also hatte das Bild doch eine Geschichte. Irgendwann einmal hatte es ein Aktionshaus oder eine Galerie namens Galería Xanadu durchlaufen. Sehr interessant. Dem wollte sie nachgehen. Sie lieh sich vom Detective Stift und Notizblock und schrieb die Adresse auf.

Das andere Etikett klebte genau in der Mitte der Rückseite: Felsen auf der Ghost Ranch, Georgia O’Keeffe, 1964. Sie dachte einen Moment darüber nach und wandte sich dann an de Beauvais. »Sie haben dieses Etikett schon gesehen, nicht wahr? Deshalb waren Sie so sicher, was das Jahr und alles andere angeht. Sie haben es bei Liz im Büro gesehen, stimmt’s?«

Blinzelnd sah er sie an und spielte die gekränkte Unschuld. »Aber nein, ich versichere Ihnen, ich habe dieses Etikett noch nie zuvor gesehen.«

»Okay, dann hat sie Ihnen den Titel genannt.«

»Nein, hat sie nicht. Und ich muss sagen, dass ich Ihre Unterstellungen ziemlich unverschämt finde. Also ehrlich!«

Sie ignorierte ihn geflissentlich und wandte sich an Hooper: »Vielleicht irre ich mich ja, aber ich halte es für eine Fälschung. Geben Sie mir ein paar Tage Zeit, dann kann ich einen eindeutigeren Befund abgeben. Wenn Sie nichts dagegen haben, möchte ich jetzt gehen.«

»Meinetwegen«, sagte Hooper. »Aber bitte bleiben Sie noch ein paar Tage in der Nähe. Wir wollen vielleicht noch mal mit Ihnen reden.«

»In Ordnung. Lieutenant Mendoza hat meine Handynummer.«

Hooper stand auf, um sie hinauszulassen, und an der Stahl-gittertür, außerhalb von de Beauvais’ Hörweite, sagte sie: »An Ihrer Stelle würde ich den nicht allein da drin lassen, Detective.«

Hooper nickte ernst. Sie sah, wie hinter ihm de Beauvais noch immer mit rätselhaftem Stirnrunzeln das Bild betrachtete.